Schlagwort-Archive: Aphorismus

Ein- und Ausfälle – Lessing als Aufklärungshilfe für den Islam

Womit man sich die Wiederholung von endlosen und aufreibenden Auseinandersetzungen sparen könnte: indem man die Moslems dazu bringt, sich mit den religionskritischen Schriften Lessings zu befassen, insbesondere seinen „Axiomata“ zur Bibelkritik und seinen 100 Thesen zur Erziehung des Menschengeschlechtes, in denen er zeigt, dass der Glaube auch ohne die Fixierung auf ein heiliges „Elementarbuch“ weiterleben kann. Es könnte den Moslems helfen, die existenzielle Angst vor dem Verlust der Autorität ihres heiligen Buches zu überwinden, die viele immer noch befällt, wenn sie auch nur anfangen darüber nachdenken, was Offenbarung bedeutet und ob wirklich alles, was in ihrem Grundbuch steht, die Qualität von göttlicher Wahrheit haben muss, eine Angst, welche die christlichen Theologen und in ihrem Gefolge die Herrscher, welche  ihr Recht auf die Macht aus der Religion ableiteten, früher auch einmal mächtig verunsichert und Lessing, der  die Religion nicht zerstören, sondern für eine aufgeklärte Welt retten wollte,  das Leben nicht leicht gemacht  hat.

Ein- und Ausfälle – Der Mensch und die Dinge

Nichts liebt der Mensch mehr als das Spekulieren. Die Geschmeidigkeit des Geistes und der Sprache als dessen Lieblingskind ermöglicht es ihm, die Dinge immer wieder so zu gruppieren, dass sie in jeweils neuen schönen Zusammenhängen erscheinen. Die wundersamen Gebilde, die der Mensch dabei hervorbringt, sind ihm ein steter Quell der schöpferischen Freude und des Staunens. Geistige Naturen finden wenig dabei, wenn sie sich bei dieser Gelegenheit von den Dingen entfernen. Manche lieben auch die Möglichkeiten zur Provokation, welche sich daraus ergeben. Aber auch die, welche den Dingen ganz sachlich auf Spur bleiben wollen, verlieren immer wieder den Kontakt zu ihnen. Die Geschmeidigkeit und damit auch die Ungenauigkeit des Geistes und seiner Sprache führen auch bei größter Sorgfalt geradezu mit Notwendigkeit zu haarfeinen Abweichungen von den Dingen. Angesichts der unausgesetzten Aktivität des menschlichen Geistes können sich diese Abweichungen aber wie bei dem untreuen Bankangestellten, der bei jeder Transaktion seiner Bank den Bruchteil eines Cents für sich abzweigt, zu gewaltigen Summen akkumulieren.

Ein- und Ausfälle – Amt und Protest

Jeder, der einmal ein noch so kleines „Amt“  innehatte, weiß, dass diejenigen, für die er die Arbeit macht, einerseits heil froh sind, sie nicht selbst machen zu müssen, sich aber andererseits dadurch entwertet fühlen, dass sie sich an der Erledigung der Arbeit nur noch begrenzt beteiligen können. Dies führt mit einer gewissen Notwendigkeit zur Empfindlichkeiten. Denn der Delegierende fühlt sich, da er seine Gestaltungsmöglichkeiten zu Gunsten des Delegierten beschränkt, entweder ausgeschlossen oder, da es um seine Sache geht, berechtigt, die Erledigung der Arbeit besonders kritisch  zu verfolgen. Und der Delegierte meint, dass man ihm eine gewisse Dankbarkeit schulde und er daher eine reduzierte Kritik erwarten könne. Erschwert wird dass Ganze noch dadurch, dass  derjenige, welcher Befugnisse an Andere abgibt, befürchten muss, der Andere könne seine Vollmachten missbrauchen. Letzterer muss diese Befürchtung, sofern er ehrbar ist, als Zumutung empfinden, kann dies aber, da er nicht als unkritisierbar erscheinen will, nicht ohne weiteres zum Ausdruck bringen, was aber beim Delegierenden den Verdacht nähren kann, dass er nicht ehrbar sei. Aber nicht genug. Das eigentlich Komplizierte ist, dass man beim Delegierenden nur schwer zwischen berechtigter Kritik, Überempfindlichkeit, Hysterie und Streitlust und auf Seiten des Delegierten zwischen Betroffenheit und frechem Leugnen einer Interessenverflechtung unterscheiden kann.

Ein- und Ausfälle – Chinesische Strafen für schlechte Architektur

Der Ming-Kaiser Yong Le soll den Architekten der Verbotenen Stadt von Peking, weil dieser zum wiederholten Male nicht genügend gute Entwürfe für die Ecktürme des Palastes vorgelegt hatte, eines Tages mit dem Tode bedroht haben, falls er nicht bis zum nächsten Morgen qualitätvollere Pläne vorlege. Der Architekt, der nicht wusste, wie er den Ansprüchen des Kaisers  gerecht werden sollte, sei, so heißt es,  daraufhin in Verzweiflung gefallen und habe sich die ganze Nacht nur damit beschäftigt, seiner geliebten Grille einen schönen Käfig zu bauen. Als der Kaiser am nächsten Morgen kam, um zu sehen, was der Architekt unter der Todesdrohung zu Stande gebracht hatte, habe dieser sich in sein Schicksal ergeben auf sein bevorstehendes Ende vorbereitet. Der Kaiser habe aber die Zeichnung für den Grillenkäfig auf dem Tisch des Architekten entdeckt und geglaubt, dass es sich dabei sich um den Entwurf für die Türme handele. Er sei davon begeistert gewesen und habe den Architekten begnadigt.

 Ob diese Geschichte wahr ist, wird man angesichts der Art, wie man im alten China Geschichte schrieb und bestimmten Zwecken dienlich machte, wohl nie erfahren. Man kann für den armen Architekten und alle seine Kollegen nur hoffen, dass sie Übertreibungen der Art enthält, wie sie im Zusammenhang mit chinesischen Kaisern üblich waren. Aber auch wenn nicht viel Wahres daran sein sollte, so zeigt die Geschichte in jedem Fall, welch` hohen Stellenwert die Qualität der Architektur im alten China hatte. Das gegenteilige Extrem ist der vollkommene Mangel an Respekt vor der Öffentlichkeit und ihren Repräsentanten, den ungezählte Architekten in unseren Breiten und Zeiten an den Tag legen.

Ein – und Ausfälle – Das Konkrete als illegitimes Kind des Allgemeinen

Die Emanzipation des Individuums von übermäßig einschränkenden Bindungen durch das Allgemeine, die als wesentliches Merkmal der Moderne gilt, ist auf merkwürdige Weise mit eben diesem Allgemeinen verbunden. Der Gedanke vom eigenständigen Wert des Individuums gilt als eine (Spät)Frucht der christlichen Vorstellung, dass der Mensch Kind und Abbild Gottes sei. Jeder einzelne Mensch wird damit als Ableger des monotheistischen und unsichtbaren Gottes aufgefasst, der einerseits Person zugleich aber der Prototyp des Allgemeinen ist. Die Lage ist ähnlich wie in den Naturwissenschaften, wo die Entdeckung der wirklichen Eigenschaften des Konkreten, welche ebenfalls in der Moderne stattfand, auch weitgehend eine Folge des Denkens in allgemeinen (Natur)Gesetzlichkeiten ist.

 

So richtig im Sinne des Erfinders (des Allgemeinen) war diese Entwicklung allerdings nicht. Zum Individuum gehört die Freiheit, sich gegebenfalls von gewissen allgemeinen Bindungen und Verpflichtungen, darunter auch vom Glauben (an den großen Allgemeinen) lösen zu können. Und in der Naturbetrachtung, in welcher in der Umbruchszeit zur Moderne noch das Allgemeine dominierte, das die Denker der Antike formuliert hatten, weswegen man sie als Naturphilosophie bezeichnete – in der Naturbetrachtung war eine „unvoreingenommene“ Erkenntnis des Konkreten erst möglich, nachdem diese Allgemeinheiten entmachtet worden waren (man denke etwa an die ganz aus allgemeinen Erwägungen abgeleitete „Lehre“ von den vier Elementen und den entsprechenden Körpersäften, die ein Jahrtausend lang das europäische Denken beherrschte). Das Verhältnis des Individuums zum Allgemeinem ist also ambivalent. Das Konkrete scheint so etwas wie ein illegitimes Kind des Allgemeinen zu sein.

Ein- und Ausfälle – Ewige Schüler

Manche Menschen versuchen ausgerechnet dadurch groß zu werden, dass sie sich ihr Leben lang als Schüler  eines anderen bezeichnen (lassen).

Ein- und Ausfälle – Lebenstüchtigkeit und schnöde Welt

Zur Lebenstüchtigkeit gehört jedenfalls  die Fähigkeit, seine Erregung über den Unsinn und die Frechheit in der Welt so zu dosieren, dass sie einem nicht schädlich wird.

Ein- und Ausfälle – Rechtsstaat und Gerechtigkeit

Der Rechtsstaat – ein Hort der Gerechtigkeit? Nein – ein Ort eines zuvor nicht bekannten Abbaus von Ungerechtigkeit.

Ein-und Ausfälle – Descartes und sein Gottesbeweis

Descartes meinte, man könne die gedanklichen Probleme so lange zerlegen, bis lauter kleine und einfache Fragestellungen übrig bleiben, deren Antwort gewissermaßen auf der Hand liege. Damit verwendete er eine ähnliche Methode der Problembehandlung wie der Computer. Eigentlich müsste er auch zu ähnlich genauen (und letztlich ebenso unfruchtbaren) Ergebnissen wie der Computer  gelangt sein. Dass dies nicht der Fall war, lag daran, dass er seine Methode nicht eben genau anwendete, was ihn (eben doch) als Philosophen ausweist. So konnte er, der doch, um nicht das Opfer bloßer Denkgewohnheiten zu sein, erst einmal alles bezweifeln wollte, etwa zu dem Ergebnis kommen, dass etwas so wenig Zweifelsfestes wie die Existenz Gottes, über jeden Zweifel erhaben sei.

Ein- und Ausfälle – Sorge um die Starken

Die westlichen Kulturen haben sich zu Recht in besonderem Maße um die Schwachen gekümmert. Darüber haben sie allerdings tendenziell die Starken vernachlässigt. Nicht weniger wichtig als die Grenzen der Schwachen zu erweitern, ist aber, den Starken ihre Grenzen aufzuzeigen.

Ein- und Ausfälle – Wiedergeburtslehre und Ewigkeitsphantasie

In der modernen Gesellschaft verkehrt sich der Sinn der alten Wiedergeburtslehre in sein Gegenteil. Der Gedanke von der Wiedergeburt, der in Südasien beheimatet ist und bis in die europäische Antike wirkte, drückte ursprünglich die schier unendliche Größe des menschlichen Leidens aus. Dem entsprechend richtete sich alles Bestreben darauf, den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten verlassen und damit das Leiden beenden zu können. In der modernen Spaßgesellschaft hat die Wiedergeburtslehre hingegen in erster Linie die Funktion, das Leben, das als allzu kurz empfunden wird, zu verlängern, um so weitere Erlebnismöglichkeiten ausschöpfen zu können. Paradoxerweise bedienen jedoch beide Ansätze Ewigkeitsphantasien. So wie Platon aus der Wiedergeburtslehre die Unsterblichkeit der Seele ableitete, versucht der Erlebnishungrige mit ihrer Hilfe die Zumutung des Todes zu reduzieren.

Ein- und Ausfälle – Finanzkrise und Regietheater

Als besonderes Merkmal der Finanzkrise hat man die hemmungs- und rücksichtslose Selbstverwirklichung festgestellt, die sehr Wenige mit den Mitteln sehr Vieler betreiben. Diese Wenigen bedienen sich der Resourcen, die im Laufe langer Zeit im Ganzen der Gesellschaft entstanden und gesammelt wurden, um sehr persönliche Zwecke zu verfolgen, Zwecke, die nicht selten weit aus dem Rahmen fallen, innerhalb dem sich die Maßstäbe der Verhaltensmöglichkeiten bilden, welche den Vielen offenstehen. Hinzu kommt, dass sich Misserfolge in erster Linie bei den Vielen auswirken, welche den Wenigen die Mittel für ihre Aktivitäten zur Verfügung gestellt haben. Für die Wenigen selbst führen sie hingegen auffällig häufig dazu, dass sie ihre Zwecke erreichen. Man kann sich sogar des Verdachtes nicht erwehren, dass sie Dinge so gestaltet haben, dass sich auch oder gerade der Misserfolg zur ihren Gunsten auswirkt. Typisch für die Verhaltensweise der Wenigen ist im Übrigen die Bereitschaft, Gestaltungsmöglichkeiten bis zum Extrem zu belasten und dabei die Beschädigung oder gar den Zusammenbruch des Systems zu riskieren, von dem die Vielen und sie selbst leben.

 

Da besondere Verhaltensweisen in der Gesellschaft meist Ausdruck allgemeinerer Strömungen sind, findet sich das geschilderte Verhalten auch anderen Bereichen – etwa beim Regietheater.

 

Ein- und Ausfälle – Menschliche Schwäche und Normbefestigung

Traditionelle Gesellschaften nennen es göttliche Gebote, aufgeklärte überpositives Recht oder Naturrecht –  immer geht es darum, die grundlegenden Werte der Gesellschaft so weit wie möglich der freien Verfügung zu entziehen. Der Grund für diesen mystischen Aufwand ist der Zweifel an der Vernunft des Menschen. Man traut ihm nicht zu, dass er die Schlüsse, die zur Verbindlichkeit der Grundnormen führen müssen, problemlos nachvollzieht, sei es, dass er nicht in der Lage ist, seine Vorurteile zu beseitigen, sei es, dass er seinen Egoismus nicht zügeln will. So gesehen haben alle Gesellschaftssysteme autoritäre Grundlagen.

Ein- und Ausfälle – Augustinus und der Krieg

Ein Krieg ist gerecht, sagt Augustinus, wenn Gott ihn befiehlt. Sollte Augustinus, der doch als einer der Meisterdenker Europas gilt, nicht intelligent genug gewesen sein, zu wissen, dass der Befehl Gottes nur durch den Menschen formuliert werden kann?

Ein- und Ausfälle – Aussagekraft des Ungesagten

Wahrscheinlich erfährt man über das, was einen Menschen im Grunde bestimmt, weniger aus dem, was er sagt, sondern aus dem, was er nicht sagt. Denn die fraglos akzeptierten oder bewusst zurückgehaltenen Voraussetzungen einer Existenz stecken im Ungesagten.

Ein- und Ausfälle – Frühe Eindrücke und spätes Leid

Die Hirnforscher sagen, sie hätten nun die Bestätigung für die Annahme gefunden, dass frühe Eindrücke im Gehirn eines im Individuum wesentlich tiefer verankert seien als spätere. Nach ihren Messungen werden frühe und späte Eindrücke in unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet und gespeichert, erstere in einer Hirnregion, die für grundlegende Erfahrungen zuständig ist. Daraus folgt, dass spätere Eindrücke nicht die gleiche Bedeutung für den Menschen haben, wie frühere (was man sich ja immer schon irgendwie gedacht hat). Die Feststellung ist einerseits von einiger Bedeutung für die Frage, inwieweit der Mensch später noch Grundlegendes dazu lernen kann. Noch interessanter ist allerdings die Frage, was er an frühen Eindrücken später noch vergessen kann. Man denke etwa an die Menschen, die mit avantgardistischer Musik oder gar Hardrock aufgewachsen sind.

Ein- und Ausfälle – Die Juden als Gottesmörder

Man hat die Juden beschuldigt, für den Tod Jesu verantwortlich zu sein. Dieser Vorwurf, der als eine wesentliche Wurzel des Antisemitismus gilt, ist auf merkwürdige Weise schief. Denn eigentlich haben die Juden mit ihrem Beitrag zum Tode Christi einen notwendigen Beitrag zum Heilsplan des christlichen Gottes geleistet. Der Grundgedanke der christlichen Theologie ist ja, dass Christus die Menschen durch seinen Opfertod erlöst habe. Ohne die Juden, die ihn herbeigeführt haben sollen, gäbe es daher kein Christentum. Schon aus diesem Grund hätten die Christen allen Grund gehabt, gegenüber den Juden dankbar zu sein. Hinzu kommt, dass die Rolle, die den Juden bei der Erfüllung des göttlichen Heilsplanes (und dem Entstehen des Christentums) zugewiesen war, keine dankbare war. Auch dafür, dass die Juden den Part des Schurken übernommen haben, wäre daher Dank fällig gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Juden, da es um einen göttlichen Heilsplan ging, sich dagegen nur schwer wehren konnten. Wer dennoch Vorwürfe macht, muss nach den üblichen Kriterien für Vorwerfbarkeit davon ausgehen, dass die Juden die Pflicht (und die Möglichkeit) hatten, sich dem göttlichen Plan zu widersetzen. Er muss also postulieren, dass die Juden das Christentum hätten verhindern müssen.

Ein- und Ausfälle – Zur Schrittgeschwindigkeit von Konservativen und Avantgardisten

Konservative sind Menschen, die befürchten, man könne bei den Veränderungen der Gesellschaft, die natürlich auch sie für unvermeidlich halten, zu weit gehen. Sie neigen daher nach einem Schritt nach vorne dazu, zur Sicherheit noch einmal nach hinten zu schauen. Avantgardisten sind hingegen Menschen, die bei Unsicherheit darüber, ob ein Schritt nach vorne richtig war, noch einen Schritt weitergehen.

Ein- und Ausfälle – Gott und seine Sprache

Offenbarungsreligionen haben ein Stilproblem: Gottes Sprache müsste eigentlich so perfekt sein wie sein Wesen, muss aber anderseits so ungenügend sein wie die Sprache der Menschen, die Gott verstehen sollen. Die Lösung des Problems hat man im wesentlichen auf drei Weisen versucht.

 

Die einfachste Lösung des Stilproblems ist, Gott nicht selbst, sondern durch einen Propheten sprechen zu lassen, der Gottes Wort mit seinen (menschlichen) Worten wiedergibt. Hier besteht keine grundlegende Diskrepanz zwischen der Sprache des Sprechers und der seiner Adressaten. Diesen Weg hat, mit wenigen Ausnahmen (etwa bei den Zehn Geboten), das Alte Testament gewählt. Eine Mittellösung besteht darin, Gott zwar selbst sprechen zu lassen, ihn aber zu diesem Zwecke zum Menschen werden zu lassen. Diese Konstruktion liegt dem Neuen Testament zugrunde. Der dritte Ansatz geht davon aus, dass Gott den Text selbst verfasst habe und dass er durch einen Propheten (nur) verkündet werde. Dies ist im Wesentlichen die Lösung des Islam.

 

Jede der Lösungen leidet unter der religionsstilistischen Unschärferelation. Gottnähe und Stilreinheit sind nämlich nicht gleichzeitig zu haben. Je näher der offenbarte Text bei Gott angesiedelt wird, desto unreiner muss sein Stil sein und umgekehrt.

Ein- und Ausfälle – Der größte Mensch

Das wäre einer, der den Menschen das Licht (der Erkenntnis) gebracht hat, ohne sie hinter dasselbe zu führen, insbesondere jemand, der die Menschen von unverzichtbaren Normen des Zusammenlebens überzeugte, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie unverzichtbare Gesetze des Denkens missachten – Konfutius etwa.

Ein- und Ausfälle – Glaube und Politik

Wenn Glauben heißt, Gewissheit von der Wahrheit dessen zu haben, was man glaubt, dann kann dies, da Gewissheit immer eine Sache des Individuums ist, auch immer nur den Einzelnen betreffen. Dennoch gibt es Dritte, die glauben, darüber wachen zu können und zu müssen, dass der Einzelne das Richtige für gewiss hält. Möglich ist dies nur, wenn etwas ins Spiel kommt, das mehr als diese Gewissheit ist,  die Überzeugung nämlich, dass es sinnvoll sei, wenn mehrere das Gleiche glauben – mit anderen Worten Politik.

Ein- und Ausfälle – Gottebenbildlichkeit als Euphemismus

Die Antike hat die Macht des Wortes bekanntlich außerordentlich hoch eingeschätzt. Unter anderem hoffte man, dass die Dinge so sind, wie man sie benennt. Da es dabei eigentlich immer darum ging, schlechte Tatsachen verbaliter zu Guten zu machen, werden derartige Benennungen als Euphemismus bezeichnet. Es entspricht der Logik des Euphemismus, dass das Misstrauen in eine (schlechte) Sache um so größer gewesen sein muss, je höher die Worte waren, deren man sich zur Verschleierung dieses Misstrauens bediente. Ein bekanntes Beispiel für einen derart reziproken Euphemismus ist die Bezeichnung des unwirtlichen Schwarzen Meeres als „Gastliches Meer“ (Pontus Euxinus). Ein weniger präsentes Beispiel ist die Beschreibung des Menschen als gottebenbildlich, was ebenfalls eine Erfindung der Antike ist. Dabei ist dieser Fall von Euphemismus besonders eklatant. Denn da man zur Beschreibung des Menschen Anleihen beim Absoluten machte, scheint das Misstrauen in den Menschen ebenso grenzenlos gewesen sein.

Ein- und Ausfälle – Der Mensch die Krone der Schöpfung?

Der Mensch hält sich für die Krone der Schöpfung. Die Frage ist allerdings, wieso er sich dessen so sicher ist. Fest steht nur, dass er es nicht wüsste, wenn andere Kreaturen von sich das gleiche dächten.

Ein- und Ausfälle – Augustinus und die Sklaverei

Ein schönes Beispiel für Rabulistik ist Augustinus‘ Rechtfertigung des Rechtes des Siegers, den Besiegten zu versklaven (in De Civitate Dei). Handele es sich auf Seiten des Siegers um einen gerechten Krieg, so meint er, sei die Versklavung die Folge der Tatsache, dass der Besiegte dann logischerweise einen ungerechten Krieg geführt habe. Dies aber sei eine Sünde und dafür werde er mit der Sklaverei bestraft. Führe der Besiegte einen gerechten Krieg, kommt er aber auch nicht besser davon. Dann nämlich sei seine Versklavung eine Folge anderer Sünden, die ja jeder irgendwann und irgendwie – und sei es in Form der Erbsünde – einmal auf sich geladen habe. Angesichts dieser Auswegslosigkeit empfielt Augustinus dem Sklaven, sein Los wenigstens zu mildern, am besten dadurch, dass er sich mit seinem Herrn gut stelle. So könne er immerhin erreichen, dass dieser von seinen Befugnissen als Sklavenhalter keinen übermäßigen Gebrauch mache. Diese Argumentation kam den wirtschaftlichen Interessen seiner Zeitgenossen natürlich entgegen. Sie zeigt, warum man Augustinus zu den Apologeten zählt.

Ein- und Ausfälle – Freiheit und Wünsche

Zur Freiheit gehört nicht nur, dass man in der Lage ist, sich Wünsche zu erfüllen, sondern auch, Wünsche abzulehnen, insbesondere fremde Wünsche, die man für eigene hält.

Ein- und Ausfälle – Abstraktion und Schöpfertum

Das Problem der Nachgeborenen: Die Tatsache, dass man aus zeitlicher Distanz den abstrakten Kern im Werk eines schöpferischen Vorgängers relativ leicht erkennt, verleitet zu der Vorstellung, dieser sei das entscheidende Element der schöpferischen Aktivität. Der schöpferische Vorgang resultiert aber weitgehend aus der begrenzten Einsicht in die abstrakten Zusammenhänge. Er besteht in dem tastenden Versuch, sich aus der konkreten Verstrickung in einen Stoff ein Stück weit ins Allgemeine zu lösen, nicht aber darin, endgültig zum abstrakten Kern vorzudringen.

Ein- und Ausfälle – Gott und die induktive Logik

Macaulay meinte, Bacons induktive Logik sei nicht besonders originell und verdiene daher nicht so viel Beachtung. Schließlich werde sie seit Anbeginn der Menschheit praktiziert. Zum Beweis führt er an, dass ein Mensch, welchem nach dem Genuss von Fleischpastete immer schlecht wird, aus den speziellen Ereignissen sehr schnell den allgemeineren Schluss zieht, dass ihm Fleischpastete nicht bekomme. Es mag sein, dass die Methode alt ist und schon vielfach praktiziert wird. Wie wichtig es dennoch war (und noch immer ist), nachdrücklich auf sie hinzuweisen, zeigt etwa die Tatsache, dass zahllose Menschen, die unendlich viele Male Gott nicht gesehen haben,  daraus nicht etwa den Schluss ziehen, es gebe ihn nicht.

Ein- und Ausfälle – Gewissheit und Zweifel

Das Verhältnis von Gewissheit und Zweifel ist wie das von Schwerelosigkeit und freiem Fall. Obwohl ihrer Substanz nach Gegensätze kann ihr Erscheinungsbild vollkommen gleich sein. Deswegen kann man Erkenntnisse über das eine jeweils durch Beobachtungen am anderen gewinnen.

Ein- und Ausfälle – Asiatisches und westliches Menschenbild

Nach asiatischer Vorstellung ist der Mensch ein Tropfen, der von etwas aufgeworfen wird, was vom Himmel in das Meer fällt, und der bald darauf wieder in das unteilbare Meer zurückfällt. Nach westlicher Vorstellung ist der Mensch ein Samenkorn, das vom Himmel auf ein Feld fällt, dort Wurzeln schlägt und ein Individuum, ein Unteilbares wird.

Ein- und Ausfälle – Gerichtsverfahren und Individuum

Wo man meinte, dass sich der Mensch vor einem jüngsten Gericht als Einzelner zu verantworten habe, entstand die Vorstellung, dass er ein Individuum sei (vielleicht war es auch umgekehrt). Wo man hingegen annahm, der Mensch kehre nach seinem Tod in das große Ganze zurück, sah man ihn in erster Linie als Teil der Gesellschaft (wobei die Kausalität auch hier nicht gesichert ist). So gesehen bezeichnet das Gerichtsverfahren den Unterschied zwischen westlicher und östlicher Kultur.

Ein-und Ausfälle – Die sauren Früchte der modernen Architektur

Eine der „unfruchtbarsten“ architektonischen  Ideen der Moderne ist ohne Zweifel die Vorstellung, man könne aus dem gestalterischen Ideengut der Vergangenheit die ausschmückenden Details herausfiltern und dann mittels der abstrakten Strukturen bauen, die verbleiben. Solche Gebäude sind wie Früchte, die man zu früh gepflückt hat. Ihnen fehlt die Süße, die sie genießbar macht. Im Unterschied zu Früchten reifen sie allerdings nicht nach. Im Laufe der Zeit stoßen sie einem sogar immer häufiger sauer auf.

Ein- und Ausfälle – Bereicherungsdrang und Ruin

Der Mensch möchte am liebsten plötzlich – und damit notwendigerweise auf Kosten anderer – große Reichtümer erlangen, etwa durch den Fund einer Goldader, einen Lottogewinn oder eine gelungene Aktienspekulation. Seine (Sehn)Sucht nach plötzlicher Mehrung des Reichtums ist so groß, dass er in Kauf nimmt, sich bei den Vorbereitungen dafür zu ruinieren.

Ein- und Ausfälle – Vom Mauerbau zur Gewaltenteilung

Die Grundlage des Staates war einmal die Mauer. Zu ihrem Bau taten sich die Menschen zusammen, um sich gegen die zu schützen, die sich mit Gewalt Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen suchten. Letztere haben daraus inzwischen gelernt. Statt gegen die Mauern anzugehen, haben sie sich weitgehend in dieselben begeben. Aus Räubern und Banditen sind so Betrüger und Hochstapler geworden. Die Mauern wurden damit überflüssig. Seitdem ist die Grundlage des Staates die Gewaltenteilung.

Ein- und Ausfälle – Modernes Raubrittertum

Zu Zeiten der Raubritter erreichte man die Befriedigung erhöhter Ansprüche an das Leben gerne, indem man anderen das gewaltsam wegnahm, was man glaubte besitzen zu müssen. Dazu rüsteten sich Anspruchsteller und -gegner mit Hellebarden, Mauern und Türmen.


Inzwischen hatten wir Fortschritt. Heute erhält man das, was man zur Befriedigung höherer Ansprüche meint haben zu müssen, hauptsächlich, indem man sich das Ergebnis der Arbeit anderer aneignet. Dafür rüsten sich Anspruchsteller und -gegner mit Abgeordneten und Rechtsanwälten. Wie so häufig besteht der Fortschritt darin, dass man für das Verhalten in einem Konflikt, dessen Weiterbestehen man nicht verhindern kann oder will, elegantere Formen als vorher findet.

Ein- und Ausfälle – Radikalismus und die Mächtigen

Radikalismus beruht auf einem Gefühl der Ohnmacht; bei den kleinen Leuten gegenüber den Mächtigen, bei den Mächtigen gegenüber den Tatsachen.

Ein- und Ausfälle – Das Irrationale und die Tatsachen

Die Jesuiten, die Galilei so sehr zusetzten, haben sich, wie wir heute wissen, kräftig geirrt. Allerdings nicht so sehr, weil sie das kopernikanische Weltbild für falsch hielten, sondern weil sie die Folgen, die es für die Kirche haben würde, nicht richtig einschätzten. Sie meinten, dass das neue Weltbild, weil mit dem der Bibel nicht vereinbar, der Kirche mächtig schaden würde, mehr sogar als die Erzfeinde Luther und Calvin. Daher taten sie alles, um seine Durchsetzung zu verhindern. Tatsächlich hat aber das Führen einer unsinnigen, weil nicht zu gewinnenden Abwehrschlacht gegen die Tatsachen dem Ansehen der Kirche mehr Schaden zugefügt, als es das – inzwischen erfolgte – Eingeständnis tun konnte, dass das biblische Weltbild nicht den Tatsachen entspreche. Ausgerechnet die Jesuiten, die wie kaum jemand die Mechanik der Macht des Irrationalen kannten, haben übersehen, wie sehr diese Macht gefährdet wird, wenn man das Irrationale in eine Auseinandersetzung mit den Tatsachen verwickelt.

Ein- und Ausfälle – Weihnachten und die Musik

Weihnachten:  annuelle Barock-Renaissance

Ein- und Ausfälle – Zum strukturellen Konservativismus der Weltverhältnisse

Die Gegenwart ist ein Zustand zwischen Vergangenheit und Zukunft. Deshalb müssen die Hervorbringungen der jeweiligen Gegenwart notwendigerweise auf beides bezogen sein. Da die Einzelheiten der Vergangenheit bekannt, die der Zukunft aber ungewiss sind, wird jede Hervorbringung ebenso notwendig mehr von der Vergangenheit als von der Zukunft bestimmt sein, ein Umstand, den man zum Verdruss vieler Avantgardisten wohl als strukturellen Konservativismus der Weltverhältnisse bezeichnen muss.

Ein- und Ausfälle – Heine als Kritiker der „Grünen“

Der erste Kritiker der Grünen war Heinrich Heine. In „Die Bäder von Lucca“ spricht er angesichts der Ganzheitssehnsüchte der naturschwärmerischen Zeitgenossen, die ihm ein zerrissenes Gemüt vorwarfen, von „grünen Lügen“ und „erlogenen Grünlichkeiten“.

Ein- und Ausfälle – Zur geistigen Überlastung moderner Architekten

Wenn man davon ausgeht, dass das Zurückführen der prinzipiell uferlosen Produktivität des Geistes auf handhabbare Größen, womit sich der Mensch nach Luhmann in erster Linie beschäftigt (er nennt es die Reduktion der Komplexität), im Wesentlichen kompensatorischer Natur ist, dann müssen die meisten modernen Architekten kurz vor der geistigen Überlastung stehen. Ihr Hang zur extremen Reduktion der Formen zeigt ein überwältigendes Bedürfnis danach, sich die Dinge zu vereinfachen.