Archiv der Kategorie: Bayrische Musikgeschichte

Antonio Bertali (1605 – 1669) – Weihnachtsmotette „Ecce, Illuxit nobis“

Bertali ist ein Glied in der langen Kette von italienischen Komponisten, welche das Wiener Musikleben in der Barockzeit prägten. In Verona geboren kam er im Alter von 20 Jahren in die kaiserliche Hauptstadt, wo er über mehr als vier Jahrzehnte bis zu seinem Tod blieb. Bertali war am kaiserlichen Hof hoch geschätzt. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass er über 600 Werke aller Gattungen komponierte, darunter sehr viel Kirchenmusik. Von den diesen Werken weiß man heute allerdings nur noch durch alte Werkverzeichnisse. Das meiste davon ist verloren gegangen. Bertali brachte den opulenten Musikstil seiner Heimat, der unter dem Einfluss der venezianischen Musikpraxis stand, mit nach Wien. Typisch hierfür sind Vielstimmigkeit und Vielchörigkeit, wobei unter Chor nicht nur eine Mehrzahl von Sängern sondern jede selbständig agierende Gruppe von Musikanten zu verstehen ist. Diese Merkmale finden sich auch in seiner Weihnachtsmotette „Ecce, Illuxit nobis“, bei der drei Gesangssolisten, drei Blockflöten, ein sechsstimmiger Chor und Streichorchester gruppenweise miteinander konzertieren.

1869 Franz Lachner (1803 – 1890) – 5. Orchestersuite

Daß die 5. Suite von Franz Lachner im Jahre 1990 nach einem Schlaf, der länger als der des Dornröschen war, in Stuttgart wiedergespielt wurde, beruht auf einer merkwürdigen Verbindung scheinbar nicht zusammenhängender Umstände.

Franz Lachner, geboren 1803 im bayrisch-schwäbischen Rain am Lech, starb am 20.1.1890 in München. Sein Leben ist die Geschichte vom Aufstieg eines Organistensohnes aus kleinsten Verhältnissen zum (ersten) bayrischen Generalmusikdirektor, eine faszinierende, noch zu schreibende, musikalische Biographie, die das ganze 19. Jahrhundert umspannt und seine wichtigsten Protagonisten enthält. Der Schubertkreis in Wien, zu dem Lachner gehörte, spielt darin ebenso eine Rolle, wie die Intrigen, mit denen sich Richard Wagner in München etablierte und die dazu führten, daß Lachner sich aus seinen Ämtern zurückzog und das Feld Wagners Adalatus Hans von Bülow überließ.

Nach dem Urteil Robert Schumanns war Lachner „gewiß der talent- und kenntnisreichste unter den süddeutschen Komponisten“. Zu Lebzeiten als Dirigent und Komponist hochverehrt, geriet er nach seinem Tod jedoch bald in Vergessenheit. Seinem Nachruhm geschadet haben dürfte sein kritisches Verhältnis zu der seinerzeit allesbeherrschenden Neudeutschen Schule, vor allem zu ihrem Hohepriester Richard Wagner, dessen schillernde Gestalt dem biederen „Schwaben“ Lachner nicht geheuer gewesen ist. Seine Vorbilder waren seine Altersgenossen, die frühen Romantiker von Schubert bis Mendelssohn. Da er das „Pech“ hatte, sogar viele Hochromantiker zu überleben, galt er später als altmodisch und überholt.

65 Jahre nach seinem Tod war um Franz Lachner vollständige Dunkelheit. Seine insgesamt 305 Werke – Oratorien, Opern, Kammermusik, Lieder, Symphonien und zahlreiche Gelegenheitswerke – waren vergessen. Das galt auch für seine Orchestersuiten, denen er einst seinen kompositorischen Ruf verdankte. Diese seit Haydn vergessen gewesene Musikform hat Lachner wiederbelebt.

Dann aber begann sich das Blatt langsam zu wenden. im Jahre 1954 fing einer der drei Handlungsstränge an, welche sich im Jahre 1990 auf so merkwürdige Weise zur Wiederentdeckung Lachners in Stuttgart verweben sollten. Seinerzeit erhielt eine Familie im Hessischen die musikalische Hinterlassenschaft eines verstorbenen Bekannten, die aus einem Cello und einer schweren Notenkiste bestand. Es hieß, daß die Noten aus dem Besitz eines früheren Leiters der berühmten Musikabteilung der Bayrischen Staatsbibliothek stammten. Das Instrument war der Anlaß dafür, daß einer der Söhne dieser Familie – wie übrigens auch Lachner selbst – das Cellospiel erlernte. Aus der Notenkiste suchte man die besten Stücke heraus, der große Bodensatz mit Werken vergessener Meister aber blieb unbeachtet und kam auf den Dachboden, wo er in einer dunklen Ecke sein Dasein fristete. 35 Jahre stand so die Kiste auf einem hessischen Speicher herum. Weihnachten 1989, wenige Wochen vor Lachners 100. Todestag, kramte man wieder einmal in der verstaubten Kiste. Dabei stieß man auf die schön gestochenen Stahlstichnoten eines Klavierquintettes von Franz Lachner. Da niemand etwas mit diesem Namen anfangen konnte, nahm sie der noch immer cellospielende Sohn – mehr aus antiquarischem als aus musikalischem Interesse – mit nach Stuttgart, wohin er zwischenzeitlich übergesiedelt war und wo er sich seit kurzem liebhabenderweise im Orchester Pro Musica betätigte.

Wenige Tage vor Lachners 100. Todestag, von dem man nach wie vor nichts ahnte, ergab sich bei einer Gesellschaft von Musikenthusiasten zufällig eine Klavierquintettbesetzung. Man legte die ehrwürdigen alten Stahlstichnoten auf und begann Lachners Quintett zu spielen. Was dabei erklang, ließ aufhorchen. Schnell reifte der Entschluß, das Werk sobald als möglich bei einem Hauskonzert zur Aufführung zu bringen.

Bei der Suche nach einem Pianisten, der bereit war, den schwierigen Klavierpart einzustudieren, kam der zweite Handlungsstrang ins Spiel. Lachner hatte ihn gewissermaßen selbst in Gang gesetzt. Rechtzeitig hatte er nämlich einen weiteren Agenten ins Schwabenland gesandt. Aus dem Westfälischen war kurz vor dem Jubiläumsjahr seine Groß-Großnichte an den Neckar gezogen. Auch sie war dem Orchester Pro Musica beigetreten, wo sie, – als Nachfahrin Lachners unerkannt, da sie den Namen ihres Ehemannes trug – die Geige spielte. Mit der Abordnung der Geigerin in das Orchester, in dem ein Cellist einen Pianisten suchte, war die Verbindung hergestellt, die ein langfristig disponierender Zufall beabsichtigt zu haben schien. Die Geigerin entpuppte sich als ausgebildete Pianistin. Nichts war natürlicher, als daß sie den Klavierpart in Lachners Quintett übernahm.

Wenige Monate später erklang das Quintett zur Freude von Spielern und Zuhörern mit Lachners Nachfahrin am Klavier. Man wunderte sich nur darüber, daß ein so schönes und grundmusikantisches Werk und sein Schöpfer so vollkommen in Vergessenheit geraten konnten. Spontan konstituierte sich eine “ Lachnergesellschaft“ aus Publikum und Akteuren des Konzertes, die sich zum Ziel setzte, ein Orchesterwerk des vergessenen Meisters wiederzubeleben.

Doch dies war leichter gesagt als getan. Die Noten der Werke Lachners waren offenbar weitgehend auf unbekannten Dachböden versteckt, wo sie, wie gesehen, ihre Stunde mit der Geduld dessen abwarten, der die Zeit nicht zu fürchten braucht. Eine Suche bei einschlägigen Institutionen war daher zunächst erfolglos. Dann aber fand sich im Notenarchiv des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart das Orchestermaterial der 5. Suite. Es fehlte jedoch die Partitur (weswegen die Suite nie hatte aufgeführt werden können).

Nun begann die schwierige Suche nach der Partitur. Nach mehreren vergeblichen Anläufen war man fast schon entschlossen, die Aufführung der Suite aufzugeben. Da trat als deus ex machina der dritte Handlungsstrang hinzu, der auf merkwürdige Weise mit dem ersten Strang verbunden ist.

Im Frühjahr 1990 war ein Aufsatz über Franz Lachner in einer bayrischen Kulturzeitschrift erschienen. Der Autor wehrte sich darin gegen die abwertenden Äußerungen eines Musikkritikers in einer großen Münchener Zeitung, der nach der Wiederaufführung eines Orchesterwerkes von Lachner anläßlich seines 100. Todestag in München geschrieben hatte, man sehe jetzt, was das Sieb der Musikgeschichte von Lachner übriggelassen habe: nicht allzuviel, fast gar nichts. Unter dem Eindruck des Klavierquintetts teilte unser Cellist dem offensichtlich gut informierten Verteidiger Lachners spontan seine Zustimmung mit. Zugleich fragte er bei ihm an, ob er wisse, wo Noten von Orchesterwerken Lachners zu finden seien. Die Antwort kam von eben jener Musikabteilung der Bayrischen Staatsbibliothek, mit der bereits die hessische Notenkiste etwas zu tun hatte. Es stellte sich heraus, daß der Autor des Aufsatzes ein Nachfahr des Besitzers der Notenkiste heraus. Er war ebenfalls Leiters der Musikabteilung der Bayrischen Staatsbibliothek. Dort habe man den gesamten Nachlaß Lachners, teilte er gerade im rechten Augenblick mit. Kopien von Noten könne man machen. Allerdings habe man von den Orchesterwerken nur die Partitur!

Damit schloß sich der Kreis. Auf dem erstaunlichen Umweg über das Klavierquintett waren nun Orchesterstimmen und Partitur in Stuttgart wieder vereint. Könnte man es jemandem verdenken, wenn er angesichts dieses seltsamen Ablaufs der Dinge an einen Sinn in all den Zufällen dächte, wenn er davon überzeugt wäre, der vernachlässigte Meister habe bei seiner Wiederentdeckung in seinem 100. Todesjahr selbst die Hand im Spiel gehabt?

Welche Schätze Lachner’scher Musik sonst noch auf Dachböden, in Archiven und in Bibliotheken lagern, läßt sich im Augenblick nur erahnen. Es gibt nicht nur Werke von Franz Lachner wiederzuentdecken. Drei seiner Brüder, Theodor, Ignaz und Vincent, waren  ebenfalls fruchtbare Komponisten. Vincent war lange Jahre Kapellmeister in Mannheim und Karlsruhe. Ignaz, der Ur-Ur-Großvater von Lachners Stuttgarter Agentin, war unter anderem 10 Jahre (1831-1841) Kapellmeister am Hoftheater in Stuttgart, wo er auch viele eigene Werke, darunter mehrere Opern aufführte. Es scheint so etwas wie eine „schwäbische“ Bachfamilie zu geben, die der Wiederentdeckung harrt.