Ein Kampf um Clara
Schumann und Schilling und der Musikzeitschriftenkrieg zwischen Stuttgart und Leipzig
Ein musikhistorisch-wirtschaftskriminelles Liebesdrama in zwei Akten samt Prolog und Epilog
Aus Briefen und Schriften der Beteiligten zusammengestellt und erläutert von
Klaus Heitmann
Dramatis personae: Erzähler
Robert Schumann
Clara Wieck, spätere Clara Schumann
Gustav Schilling
Ort der Handlung: Stuttgart
Zeit: 1839-42
PROLOG
Erzähler
Nach Stuttgart ginge ich gern, schrieb Robert Schumann im Februar 1839 aus Wien an seine Verlobte Clara Wieck. "Ich kenne die Stadt; sie ist reizend und die Menschen viel besser und gebildeter als die Wiener". Dieser für Stuttgart ziemlich schmeichelhafte Vergleich war Schumanns Antwort auf eine Anfrage seiner Verlobten, ob er bereit sei, nach Stuttgart zu ziehen, wo sie glaubte, für ihn eine Arbeitsstelle und damit die Grundlage für die heiß ersehnte Eheschließung gefunden zu haben Der Heirat der Verlobten standen seinerzeit gerade wirtschaftliche Probleme entgegen. Vor allem ihr Vater, Schumanns ehemaliger Lehrer und Mitbegründer der Musikzeitschrift Friedrich Wieck, versuchte die Verbindung mit allen Mitteln zu verhindern, zum Einem weil er Schumann nicht für zuverlässig hielt, zum anderen weil er nicht glaubte, dass er seiner schon berühmten Tochter einen angemessen Lebensunterhalt gewährleisten könne. Clara Wieck, deren Konterfei sinnigerweise einmal unsere 100-DM Scheine schmückte, hoffte die Probleme mit der Übersiedlung nach Stuttgart endlich lösen zu können.
Trotz dieser günstigen Beurteilung ist Stuttgart, wie man weiß, keine Schumannstadt geworden und die außerordentlich unglücklich Verlobten mussten noch über 1 1/2 harte Jahre warten, bis sie, nach einem äußerst schmutzigen Prozess gegen Claras Vater den Ehebund schließen konnten. Das genannte Arbeitsplatzangebot aber – es stammte von dem Stuttgarter Musikschriftsteller Schilling – sollte Schumann noch eine Zeit lang mit Stuttgart verbinden. Es wurde zum Ausgangspunkt einer großartigen literarischen Polemik, die über zwei Jahre zwischen Stuttgart und Leipzig tobte und so heftig war, dass sie am Ende nicht nur in Strafprozessen mündete, sondern auch noch eine der daran beteiligten Musikzeitschriften zerstört auf der Walstatt hinterließ.
Wenn auch der eher miese Stuttgarter Gegenspieler Schumanns heute vergessen ist und kaum mehr als Fußnoten in der Schumannliteratur abgibt, so verdanken wir dieser Kontroverse doch einige bemerkenswerte briefliche Äußerungen Schumanns über sich, sein Verhältnis zu Clara Schumann und sein künstlerisches Selbstverständnis und die glänzende Satire "Die Verschwörung der Heller", mit der er den Streit (fast) in dichterische Höhen hob.
Die Geschichte ist aus dem Stoff, aus dem Theaterstücke oder Hollywoodfilme und aus dem – auch heute noch – so mancher Skandal gemacht sind. Zwei Temperamente, wie man sie sich nicht gegensätzlicher denken kann, stehen sich gegenüber: auf der einen Seite ein sensibler, noch wenig bekannter Komponist und ziemlich brotloser Intellektueller – auf der anderen ein mit Titeln, Orden und allen sonstigen schützenden Attributen bürgerlichen Ansehens versehener skrupelloser Musikunternehmer, der sich höchster Protektion erfreuen kann. Äußerlich scheint es um große Ziele zu gehen. Der Beobachter glaubt einem Kampf auf Biegen und Brechen um die Macht auf dem seinerzeit bedeutsamen Markt der musikalischen Publizistik beizuwohnen. Der Anspruchsvollere mag sich darüber hinaus als Zeuge eines intellektuellen Streites über die großen künstlerischen Ideen der Epoche sehen, eines Ringens der progressiven, neuromantischen Musikrichtung, zu deren Exponenten Schumann gehörte, mit einer an den Klassikern, an Haydn, Mozart und Beethoven orientierten konservativen Musikauffassung, die seinerzeit in Stuttgart mit Lindpaintner, Ignaz Lachner und Molique stark vertreten war.
In Wirklichkeit geht es, den Regeln solcher Dramen entsprechend, um eine Frau. Es ist eine höchst private Rivalität, die da verdeckt und doch vor aller Öffentlichkeit ausgetragen wird, das Nachbeben einer Konkurrenz um eine begnadete, junge und dazu noch schöne Klaviervirtuosin. Am Ende siegt trotz aller Warnungen des hellsichtigen Künstlers der Bösewicht. Er kann seine Stellung so lange halten bis er genügend Geld von denen ergaunert hat, die ihn gestützt haben und setzt sich nach Amerika ab. Sein Kontrahent aber stirbt fast gleichzeitig im Wahnsinn.
Wer war dieser Stuttgarter, den Schumann schon 20 Jahre vor seinem spektakulärem Abgang aus dem schwäbischen Hauptstadt im Jahre 1858 vollkommen durchschaut hatte und der sich dort trotzdem noch so lange halten konnte? Wie war es möglich, dass er Schumann so aus der Reserve locken konnte, dass dieser von seinem Heimatgericht wegen seiner Äußerungen über Schilling sogar mit einer Strafe belegt wurde?
Eine höchst aufschlussreiche Auskunft über diesen Dr. Gustav Schilling findet sich in der Selbstdarstellung, die er im Jahre 1842 in seiner „Sammlung durchaus authentischer Lebensnachrichten über in Europa lebende ausgezeichnete Tonkünstler, Musikgelehrte, Componisten, Virtuosen, Sänger etc.“ veröffentlichte, wobei er unverfroren und in bezeichnender Unschärfe, zugleich aber auch in plumper Überdeutlichkeit anmerkt: „Nach dem Französischen von einem Mitarbeiter, nicht vom Herausgeber bearbeitet.“
Gustav Schilling
Schilling, Gustav, Hofrath und Dr. phil. in Stuttgart, auch Mitglied mehrer gelehrten und musikalischen Gesellschaften und Vereine, Inhaber mehrer Verdienstmedaillen um Kunst und Wissenschaft u. s. w., geb. zu Schwiegershausen im Königreich Hannover am 3. November 1803. Die Liebe zur Musik entwickelte sich bei ihm unter der Pflege seines Vaters, der Geistlicher, doch auch ein guter Musiker war, sehr frühzeitig, so daß er sich bereits im zehnten Jahre öffentlich hören ließ, obgleich er sich der Musik nicht vorzugsweise hingeben, sondern sie nur als eine Nebenbeschäftigung treiben durfte. Seine reiferen Knabenjahre verflossen unter klassischen Studien und musikalischen Uebungen, indem er sich im Spiele mehrer musikalischer Instrumente vervollkommnete und hin und wieder sich auch in der Composition versuchte, bis er im Jahre 1823 die Universität Göttingen bezog, um Theologie zu studiren, welches Studium er auch drei Jahre später in Halle beendete. Die Zeit seiner akademischen Laufbahn schlich nicht unbenutzt für die schöne Kunst vorüber, und er widmete sich fleißig dem Studium des Claviers, der Orgel und der Composition.
…..
Obgleich das mit bestem Erfolge erstandene Examen unserm Candidaten der Theologie schöne Aussichten auf dem Wege der Pastoration öffnete, zog er doch vor, sich für das Lehramt vorzubereiten, da ihm die rationale Richtung seiner unter Wegscheider und Gesenius betriebenen Studien mit der ersteren Laufbahn nicht zu harmoniren schien. Später erwarb sich Schilling den Doktorgrad, nachdem er in einer Disputation „de revelatione divina“ seine Ideen über unmittelbare Offenbarung ausgesprochen hatte. Als einen Beweis der Auszeichnung erhielt er später, in Folge einer andern philosophischen Abhandlung „Relatio affectum ad summam facultatem cognoscendi“ ein zweites Diplom.
Erzähler
Auch kann man eine gewisse Unschärfe des Berichtes nicht übersehen, denn wiewohl er die Stationen von Schillings Lebens sehr genau schildert, fehlt – sicherlich nicht ohne Grund – der Hinweis darauf, an welcher Universität er diese „Diplome“ erworben haben soll.
Gustav Schilling
Als er die Erlaubnis zur Ausübung des Prediger-Amtes erhalten hatte, hielt er zahlreiche Predigten in Göttingen und den benachbarten Städten, wodurch er sich einen solchen Ruf als Redner erwarb, daß seine Vorträge stets bei vollem Hause gegeben wurden.
Erzähler
Ein erstes Beispiel von Schillings Verhältnis zum Thema Bescheidenheit
Gustav Schilling
Sein Beruf hinderte ihn jedoch in seiner musikalischen Thätigkeit nicht. Jm Jahre 1830 begab er sich nach Stuttgart und gründete daselbst ein öffentliches musikalische Lehrinstitut; in demselben Jahre schrieb er auch ein kleines musikalisches Wörterbuch besonders für Clavierspieler bestimmt. Eine Frucht der Juli Revolution war eine Schrift, welche er unter dem Titel „Was ist Schuld an den Gährungen der Zeit und wie kann denselben abgeholfen werden“ erscheinen ließ.
Erzähler
In dieser Schrift, die er König Wilhelm zu seinem Einstand in Stuttgart „in tiefster Untertänigkeit“ widmete, vertrat er – man ahnt es – einen deutlich antidemokratischen Standpunkt.
Gustav Schilling
Jm Jahre 1832 schrieb er den didactischen Roman „Guido“, der von allen Seiten sehr gut aufgenommen wurde. 1833 vollendete er sein Werk über Kanzelberedtsamkeit,
Erzähler
– ein Werk mit einem Umfang von nicht weniger als 800 Seiten, der in etwa das Maß angibt, das Schilling in seinen Schriften mit Vorliebe anstrebte –
Gustav Schilling
das ungemein Glück machte und nebst einigen siegreichen Diskussionen in öffentlichen Blättern über das Improvisiren auf der Kanzel S c h i l l i n g s Namen unter die berühmteren der theologischen Literatur setzte.
Erzähler
– man fragt sich, wie solche Siege festzustellen sind – im Übrigen ein weiteres Beispiel von Schillings Verhältnis zum Thema Bescheidenheit;
Das allgemeine musikalische Lexikon, das er mit einem Vereine von musikalischen Schriftstellern herausgab, ist das reichhaltigste Werk dieser Art und in mehre fremde Sprachen übersetzt worden. 1836 gab er sein Unterrichtsinstitut auf; in der Folge erschien weiter von ihm ein Werk über „Aestethik der Tonkunst, eine Harmonielehre, Polyphonomos, Lehrbuch der allgemeinen Musikwissenschaft; Generalbaßlehre; Geschichte der neuern Musik
Erzähler
– alles weitschweifige Werke, die bemüht sind, den oben bezeichneten Musterumfang einzuhalten –
Gustav Schilling
und mehre kleinere Arbeiten.
In der neuesten Zeit hat sich auf seine Veranlassung und seine Bemühung ein „Deutscher Nationalverein für Musik und ihre Wissenschaft“ gebildet, dessen permanenter Sekretär er ist, und der bereits die ausgezeichnetsten Namen von Musikern und Gelehrten zu seinen Mitgliedern zählt. Dieser Verein giebt unter der Redaktion des Gründers eine eigene Zeitung heraus: „Jahrbücher des deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft“, die wöchentlich einmal erscheint, und bereits zum gelesensten und werthvollsten musikalischen Journale sich aufgeschwungen hat.
Sprecher1
Eine Behauptung, die Schumann, der seit 1834 in Leipzig das Konkurrenzblatt „Neue Zeitschrift für Musik“ herausgab, nicht unwidersprochen sein lassen wollte.
In seiner Selbstdarstellung verschweigt er ein weiteres, zu Anfang seiner Stuttgarter Zeit verfasstes Werk mit dem Titel: "Aestetische Beleuchtung des königlichen Hoftheaters in Stuttgart, in dem er seinen Gedanken über die Schauspielkunst ziemlich freien Lauf läßt. Vielleicht unterschlug er dieses Opus, mit dem er offensichtlich die Stuttgarter Theaterszene zu erobern gedachte, weil in diesem Fall die Behauptung, "es sei von allen Seiten gut aufgenommen worden", selbst für einen Schilling zu dreist gewesen wäre. Der Stil dieses "zeitgemäßen Wortes an alle Theaterdirektoren, alle Künstler und das gesamte kunstliebende Publikum" hatte nämlich den Direktor des Stuttgarter Katharinenstifts und "quiescierenden Theater-Recensenten" August Zoller auf den Plan gebracht. Wie sehr Zoller – selbst ein begeisterter Schriftsteller – sich über Schilling aufregte, zeigt die Tatsache, dass er postwendend eine nicht weniger als 60-seitige Schrift unter dem Titel "Aestetische Beleuchtung der nichtaestetischen Verdunklung der Stuttgarter Hofbühne" verfasste, in der er die Phrasendrescherei und Altklugheit des damals 27-jährigen Schilling gnadenlos offen legte. Unter anderem verwahrte sich der Schulmann dagegen, dass dieser "Norddeutsche" sich herablasse, uns blödsinnigen Schwaben die Augen zu öffnen". Bemerkenswert ist, dass diese überdeutliche Kritik nicht anders als die spätere durch Schumann bei Schilling und seiner Umgebung ohne jede Wirkung blieb.
Schilling schrieb, wie gesagt, über alles, was unter seine Feder kam. Seine außerordentliche Produktivität beruht aber weitgehend darauf, dass er in immer neuen Variationen bei anderen oder sich selbst abschrieb. Unter anderem plünderte er mehrfach das 6-bändige "Universalexikon der Tonkunst", das er 1834 bis 1838 mit einigen durchaus renommierten Mitarbeitern für den Stuttgarter Buchhändler Köhler herausgegeben hatte. Auch der Vorwurf des Plagiats, der von mehreren Seiten, u.a. in der von Schumann redigierten "Neuen Zeitschrift für Musik" erhoben wurde, hinderte ihn nicht daran, abschreibenderweise ständig neue Bücher auf den Markt zu werfen. Allein von 1839 bis 1850 verfasste er auf diese Weise nicht weniger als 21 dickleibige Bücher über Musik und Musiker, was selbst wenn man berücksichtigt, dass er abschrieb, eine bemerkenswerte Fleißleistung war. Bemerkenswert ist vor allem, dass es ihm gelang, immer neue Verleger zu finden, obwohl sich die von ihm düpierten Vertragspartner in drastischer Weise öffentlich über ihn beschwerten.
Der durchaus vorhandene Erfolg des Vielschreibers beruhte wohl nicht zuletzt darauf, dass seine wichtigsten Vermarktungsinstrumente, Posten, Orden und Ehren, zugleich auch seine Waffen gegen die Plagiatsvorwürfe waren. Hinzu kam der gute Draht zu den Mächtigen. Demonstrativ trug Schilling Orden der Könige von Preußen und Belgien und verschiedene Verdienstmedaillen vor sich her. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Schumann wurde er zum Hofrat von Hohenzollern-Hechingen ernannt.
Schillings "Deutscher Nationalverein für Musik und ihre Wissenschaft", für den er den schwer angreifbaren Wahlspruch „Omnia ad majorem Dei gloriam“ ausgewählt hatte, war eine konservativ ausgerichtete Vereinigung von Musikern und Musikpublizisten, deren Aushängeschild der hochgeachtete Komponist Louis Spohr war. Auch diese Gründung – sie fand im Jahre 1839 statt – diente der Befriedigung von Schillings Schreibwut. Alle Mitglieder, zu denen ohne sein Wissen auch Schumann gemacht worden war, mussten – gegen Entgelt, wie sich versteht – die im wesentlichen von Schilling selbst bestückten "Jahrbücher" beziehen.
Diese Zeitschrift war der Punkt an der sich der Streit mit Schumann entzündete. Schilling beabsichtigte, Schumann zu seinem "Kompagnon" zu machen, ausgerechnet den Mann also, der nicht nur als Komponist die neuromantische Schule vertrat, die Schilling und der Nationalverein massiv bekämpften, sondern als verantwortlicher Redakteur der „Neuen Zeitschrift für Musik“ auch noch deren literarisches Haupt und Schillings Konkurrent auf dem Zeitschriftenmarkt war. Eine besondere Brisanz erhielt der kühne Vorstoß dadurch, dass er Clara Wieck zu seinem Werkzeug erkoren hatte. Die ahnungslose junge Frau, in die er sich zu allem Überfluss auch noch verliebt hatte, wurde damit unbewusst zur Überbringerin des Fedehandschuhs gegen ihren Verlobten.
1. AKT
Die 19-jährige Clara Wieck befand sich im Winter 1839 auf Konzertreise, die von Leipzig nach Paris führen sollte. Wegen des Streites über ihre Beziehung zu Schumann war sie – erstmals – ohne ihren Vater von zu Hause abgereist. Ende Januar kam sie nach Stuttgart, wo sie, wie alle hier gastierenden Künstler, auch Schilling kennen lernte. Für Schilling, der schon über sie geschrieben hatte, war es offenbar ein Leichtes, ihr Vertrauen zu gewinnen. Zutraulich plauderte sie auch über private Dinge. An ihren Verlobte schrieb sie danach:
Clara Wieck
An Robert Schumann
Durch Einschluß.
Schön-Laternengasse
No. 679 im 1 ten Stock
Stuttgart den 30/1 39 (Mittwoch Abends). –
Ach, wie lange lieber Robert, hab ich nicht mit Dir plaudern können und kann es auch nur jetzt wenig. Das Wichtigste nur, das mich bewegt! Nebenbei gesagt, bekam ich endlich einen Brief vom Vater, der mich nur weinen machte, denk Dir, 2 Bogen, und nichts als Vorwürfe, daß ich nichts recht mache, mir bei jeder Gelegenheit Feinde mache, und ich sollte nun einmal sehen, wie ich allein fortkäme, er käme n i c h t nach Paris, zu was auch das, ich hätte ihm ja doch immer Unrecht gegeben, und ich müßte doch längst eingesehen haben, dass wir nicht mehr zueinander passten etc: etc: ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr mich das Alles geschmerzt hat, daß der Vater nicht einmal nach 14 Tagen, die er mich nicht gesehen hatte, ein freundliches Wort für mich hatte – ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Und dann das Verwundenste hat er nicht gelassen, und seinem Zorn freien Lauf gelassen. Unter Anderem schrieb er auch, daß Doktor Schilling eine Zeitung herausgäbe, die die Deinige gleich zu Boden drückte etc: ich bekam den Brief, als ich gerade angezogen, um Hof zu gehen, nun kannst Du Dir denken, mir welch zerrissenem Herzen ich ging (zerrissen war es im ersten Augenblick, so ein Brief nach 14 Tagen kam mir zu unerwartet.) –
Nun höre also: ich machte die Bekanntschaft des Doctor Schilling, er gewann mich lieb, schrieb viel über mich, wir waren viel beisammen, und mein Verhältniß mit Dir wußte ich ihm nicht zu verbergen. Er erzählte mir viel von seiner Zeitung, und ich sagte ihm, wie sehr ich mich auf den Beginn freue, ließ aber auch fallen, daß sie alle anderen Zeitungen niederdrücken würde (Du kannst Dir wohl denken, daß mir das fortwährend im Kopfe herumging); er verstand mich, nahm mir beide Hände, und ich mußte ihm mein Verhältniß mit Dir gestehen. Was glaubst Du was er sagte? nun er sagte, wenn die Sache gut ausfiele, (woran nicht zu zweifeln, da die größten Autoritäten daran arbeiten), so wolle er Dich, (er könne die Redaction allein nicht übernehmen) als Compagnon oder so Etwas (ich hab ihn nicht recht verstanden) nehmen, und von nun an solle unser Glück sein Streben sein; er liebe mich zu sehr und da er nun einmal schon verheirathet sei, so wolle er für uns Beide handeln! Der Gehalt ist ein sehr ansehnlicher, ein Gehalt für uns genug! ich soll Dich von ihm freundlichst grüßen, und Dir sein Ehrenwort geben, daß er sein Wort halten werde, und ginge alles gut, so müßten wir heut über einem Jahr schon hier sein. Er ist so herzensgut, aber er sagt Jedem die Wahrheit heraus – das hab ich gern. Auch unsere Correspondenz hab ich ihm vertraut – bist Du bös? er meinte übrigens, kämen wir hierher, das müßtest Du ihm erlauben, daß er mich liebte. Das ich’s ja nicht vergesse, auch geküßt hat er mich – er bat so schön und hatte mich ja so glücklich gemacht, daß ich nicht anders konnte (seine Frau war aber dabei) – da bist Du doch nicht mehr bös? er ist so aufopfernd, hat mir hier Alles besorgt und das ist selten bei ihm – er ist sonst kalt zurückhaltend, doch gegen mich war er gleich so gut und freundlich. Nun aber die Hauptsache, würdest Du Dich entschließen nach Stuttgart zu gehen? ach, wie schön sind die Berge um die ganze Stadt herum, es ist entzückend, und die Menschen von Herzen gut und teilnehmend. Mich hat man hier förmlich überschüttet mit Wohltaten etc: (Ostern, nächste Ostern nämlich entscheidet sich die Sache wegen Schillings Zeitung).
Vom Vater habe ich ihm auch erzählt, und er sagte das Benehmen sei sehr sonderbar, und wolle dem Vater einmal den Text lesen in einem Brief, was ich ihm jedoch abgerathen hab. Er läßt sich vom Vater in gar nichts abhalten. Schreib mir doch gleich, wie Du über die ganze Sache denkst – er ist ein Ehrenmann und ein Mann von Wort, was er Dir also sagt, das kannst Du glauben.
Gestern gab ich Concert, so voll wie man hier sich Keines erinnern kann, und desgleichen Enthusiasmus. ….nach dem Concerte ging der Doctor Schilling nebst Frau mit zu mir, und – da haben wir noch bis 11 Uhr nur von Dir gesprochen. Er hat auch viel mit mir über Dich (über Deine Individualität und Deine geistigen Kräfte) gesprochen, doch hab ich jetzt nicht Zeit zum das Alles zu schreiben.
…
ach Gott, wie freue ich mich auf einen Brief von Dir, Du kannst es Dir es nicht denken und wie ich Dich immer mehr liebe. Denkst Du auch noch an mich? wie lebst Du, bist Du glücklich, wie ist’s mit der Zeitung? schreib mir ja über Alles, wie Du thun willst, ob Du die Zeitung lieber nur das Jahr noch in Ruhe in Leipzig läßt, wenn Du Schillings Anerbieten annimmst?
Ich brenne vor Begierde, Deine Ideen zu hören, schreib nur gleich wieder poste restante unter der nämlichen Adresse. Diesen Brief erhältst Du durch Schilling, sey ja freundlich in Deiner Antwort an ihn, er meint es aufrichtig. Du solltest ihn nur kennen, diese Gluth, die er für die Kunst hat, und wie er nur immer das Glück Anderer will.
……
So lang habe ich Dich nicht geküßt! ach, könnt ich,s doch einmal wieder, ach nur ein einziges Mal! Und herzlich Dir in die Arme fallen, Du mein Leben, meine Liebe, mein Denken, mein Alles! ich lieb Dich zu unaussprechlich, hab Dir`s schon hundertmal gesagt, und möchte Dir`s noch Millionen Mal sagen.
Schreib mir nur immer, alle 14 Tage gehe ich in Paris auf die Post und frage nach "Eduard Kreutzbauer" nicht wahr.
Erzähler
Dieser Deckname war nötig, weil die beiden wegen Claras Vater, der jeglichen Kontakt verboten hatte, nur heimlich miteinander korrespondieren konnten.
Clara Wieck
Ich bin begierig, ob Vater Sehnsucht bekommen wird? ach, ich kann nicht sagen, wie mich Vaters Brief gestimmt, ich habe alle Neigung für den Augenblick verloren (der Himmel verzeihe mir’s)! ist es aber nicht natürlich? Schon keinen Gruß von der Mutter, keine Zeile von der Nanny", es ist gar nicht, als hätte ich noch Eltern! wie man Eltern haben kann und doch Keine hat! – Nun, mein Leben ist Dir, nur an Dich gekettet, Du bist meine Stütze, meine Hoffnung! ich wanke nicht, Du bist mein Liebstes und Dich hab ich ja, Du liebst mich ja und so schön! Uns wird der Himmel nicht verlassen – Muth! laß uns handeln! – schreib mir nur gleich, ich bitte Dich, sonst verzweifel ich. In 14 Tagen muß ich den 2ten Brief von Dir holen können. Schone ja Deine Gesundheit, und sei heiter – ich kann mich gar nicht fassen, so lange nichts von Dir gehört zu haben!
Ich schrieb gerne noch vier viel mehr, doch es ist Mitternacht, mein Kopfweh läßt mich nicht mehr aufrecht.
…..
Dein Bild hab ich Schilling auch gezeigt, und er meinte, es läge ein schmerzlicher Zug in Deinem Gesicht – ach ja, er hat wohl Recht und ich hab Dir die Schmerzen gemacht! ich will Dich ja aber auch immer recht lieb haben, und All Dein Wünschen zu erfüllen, ist mein Streben, und wird es ewig bleiben. Nun mein Herzens Robert, Du Bester aller Guten, gute Nacht in Stuttgart! wer weiß, ob wir uns in einem Jahre nicht auch gute Nacht in Stuttgart sagen?
Ich küsse Dich in aller alten Liebe,
Ich, Deine treue Braut.
……
Ich werde öfters an Schilling schreiben, ich bin ihm ja so dankbar, und auf ihm ruht jetzt meine Hoffnung. ….Ich kann gar noch nicht aufhören! – Träumst Du auch wohl noch von mir? – und siehst Du den Mond auch an? heute und gestern schien er so schön, ich hab ihm so viel angesehen und dachte, Du müßtest ihn auch sehen. verzeihe meine Schrift, ich kann mal nicht anders! –
…..
– Gute Nacht nochmals –
in Paris, so Gott will –
Deine Clara
Noch einen Guten Morgenkuß.
Erzähler
Schumann erhielt Claras Brief zusammen mit einem Brief von Schilling an Clara am 5.Februar 1839 in Wien, wo er seinerseits die Möglichkeiten für den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz sondierte. Er hatte die Absicht, mit seiner Zeitschrift von Leipzig, wo er keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten mehr sah und im übrigen Friedrich Wieck im Nacken hatte, in die kaiserlich-königliche Hauptstadt mit ihrer großen musikalischen Tradition umzusiedeln, hatte hierbei aber ernüchternde Erfahrungen gemacht. Dies ist der Grund für den anfangs zitierten Vergleich Stuttgarts mit Wien, der für die württembergische Zentrale so überaus günstig ausfiel. Was Schilling und dessen Angebot anging, hielt sich seine Begeisterung freilich in Grenzen. Er kannte Schilling und seine Werke –Schilling hatte anfangs sogar einige Artikel für Schumanns Zeitschrift geschrieben – und durchschaute dessen Absicht, ihn als seinen möglichen Kritiker und wirtschaftlichen Konkurrenten auszuschalten. Was ihn hingegen ernsthaft beunruhigte, war die Tatsache, dass Schilling seine Verlobte so stark beeindrucken konnte. Gewisse Äußerungen in seinem Brief nährten zudem den Verdacht, dass Schilling sich in sie verliebt habe.
Postwendend schrieb er zurück:
Robert Schumann
Monsieur
Monsieur Eduard Kreutzbauer
Paris
Liebe gute Braut,
…..
Mittwoch den 6ten (Februar),
Gestern bekam ich Deinen Brief aus Stuttgard; kaum daß ich Schillings Hand erkannte auf der Adresse, so ahnte ich was vorgegangen war. Klärchen, Klärchen was hast Du da gemacht? Mit einem drohenden Finger sag ich Dir das, und doch hast Du’s so gut gemeint, glaubst immer etwas für mich thun zu müßen; thust so viel, so Liebes, so Schweres – Ach, Du bist ein liebenswürdiges Mädchen, hast mich wieder einmal ganz durchdrungen, daß ich gar nicht wüßte, was ich nicht Alles für Dich thun könnte – selbst mit S(chilling). mich vereinigen, obwohl erst nach einigen Kämpfen –
Ich muß Dich nähmlich in mancher Hinsicht aus Deinen schönen Träumen wecken, und zwar nicht durch Küße, wie ich in der Zukunft schon manchmal zu thun gedenke, sondern indem ich Dich ganz sanft an einer Haarflechte ziehe, bis Du aufmerkst. Die Sache ist nähmlich die: S(chilling). ist ein sehr fleißiger Bücherschreiber, ohngefähr wie Czerny ein Componist; er kann nicht leben, ohne zu schreiben und würde unglücklich sein; S(chilling). hat ein schlechtes Buch nach dem andern edirt, der Stoff fängt ihm an auszugehen, und da ist ihm nun der Gedanke einer musikalischen Zeitung gekommen, wo er zugleich recht fechten kann und pariren auf alle Angriffe, die man auf seine schlechten Bücher zu machen sich Mühe. leider nimmt. S(chilling). als ein gescheuter gewitzigter Mann kennt, das Volk zu gut, als daß er nicht das Gewicht berühmter Namen zu schätzen zu seinem Vortheil zu benutzen wüßte – kurz, er will etwas wie einen Verein gründen, schreibt in alle Zeitungen darüber, Spohr, Spontini pp. nähmen daran Theil pp; in solcher Umgebung hofft er nun das Beste auch für die Zeitung, zugleich macht er sich zum permanenten Sekretair – kurz, daß ich Dich nun ganz aus dem Traumflechten reiße! – er ist ein ganz trefflicher Speculant und fürcht` ich auch, nachdem was er bis jetzt geleistet, ein ausgezeichneter Wind- und auch Courmacher. Ich kenne Meisterstücke von ihm; er hat unerhörte Sachen gemacht, er steht in dem üblen Ruf mit seiner Bücher- und Geldmacherei- und Du Kammervirtuosin Du, Du meine dreijährige Verlobte, Du Klara Wieck mit einem Wort kannst Dir von so Einem imponiren laßen, daß Du Dich fürchtest, daß Du ihm selbst sagst, seine Zeitung würde alle anderen niederdrücken, schreibst mir, „alle großen Autoritäten nähmen daran Theil pp“ mir der ich gerade diese Sache aus der Erfahrung kenne und der schon auch sein Wort dazu gegeben, und wahrhaftig mit einem anderen und tieferen Nachklang, als es S(chilling). jemals möglich sein wird, da er noch nicht zwei Tacte geschrieben und kaum ein umfassendes, richtiges Bild der Gegenwärtigen Höhe, geschweige eine Ahnung von der Zukunft hat. Offen gestanden, Klärchen, es hat mich ein wenig von Dir gekränkt und ich dachte, ich stünde bei Dir in mehr Ansehen, als daß Du jemals an eine Compagnieschaft mit solchem Renomisten gedacht hättest. Was soll ich dazu sagen, wenn mir ein Mann wie S(chilling). schreibt „ich werde Sie unterstützen, wenn Sie mir versprechen, dieses Mädchen glücklich zu machen“, mit anderen Worten: wenn Sie, der schon zehn Bände einer Zeitschrift redigirt, mir, der noch nicht angefangen hat, dies und das versprechen, so sollen Sie (ich nähmlich), der jährlich 3-4oo Thaler schon an der Zeitschrift verdient, von mir (Schilling), der alle Jahre die drei ersten Jahre 3-400 Th. zusetzen muß, die Hälfte meines Einkommens bekommen" – ? Ist das nicht sehr anmaßend und obendrein albern und ungebildet ausgedrückt, in einer solchen Angelegenheit, wo er jedes Wort auf das Feinste und zarteste abwiegen sollte?
Wo soll denn der Gehalt herkommen? Ueberhaupt was soll eine neue Musik. Zeitschrift, die nicht aus dem Bedürfniß der Zeit hervorgeht,
Erzähler
– das Folgende werden die Stuttgarter weniger gerne hören –
Robert Schumann
… eine (Zeitschrift) vollends in Stuttgard, wo kein Musikhandel, kein Künstlerdurchzug, kein Publicum…
Erzähler
Aber das hat sich ja inzwischen geändert. Dann folgt ein Selbstbekenntnis, das jeden Musikforscher entzücken muss.
Robert Schumann
Mir gegenüber, der ich mir zutrauen kann den leisesten Fortschritt der Zeit zu sehen, als Componist immer fortschreitend und wenn auch in kleiner Sphäre die Zukunft vorbereitend, da muß ich lächeln, wenn der S(chilling) von meinen ,,geistigen Kräften" reden will, der so viel ich es weiß, kaum eine oberflächliche Vorstellung von meinem Streben hat, für dessen ganzes Kunsttreiben ich nicht einen Papillon hingebe? Nenne mich nicht widerspenstig und hochfahrend, aber ich weiß, was ich leiste und noch leisten kann, und was Andere. Andere wißen es aber von mir nicht, weil ich immer fortlerne, immer fort fleißig bin. Oder glaubst Du wirklich, eine von jenen "Autoritäten" könnte mir nur von Weitem andeuten, wo ich vielleicht in zehn Jahren in der Composition stehe? Keine, denn sie haben keine schaffende Kraft in sich und es wird ihnen erst klar, wenn ich schon längst darüber hinweg bin. Nun mein gutes seelengutes Herz, hab‘ ich nicht Dir die Wahrheit recht gesagt und bist zufrieden mit mir, so zufrieden wie ich es übrigens mit Dir bin. Es ist mir so natürlich, was zwischen Dir und S(chilling) sich vorgetragen hat – Du kamst in eine fremde Stadt, mit Deinem guten übervollen Herzen, weil Du viele Wochen Dich nicht aussprechen konntest – S(chilling) weiß schon von uns, sieht Dich, wie Du an manchen Tagen so sehr bezaubernd sein kannst, verliebt sich in Dich, übrigens in allen Ehren, sieht Dir es an den Augen an und an den Lippen, die es nicht mehr zurückhalten können, fühlt sich glücklich, von solch interessantem und berühmten Mädchen in ein Geheimnis gezogen werden, meint es vielleicht auch im Augenblick aufrichtig, verspricht Dich glücklich zu machen – Und Du neunzehnjährige Braut, die wohl weiß wie hübsch ihr ein Häubchen steht, greifst zu mit vollen Händen und bist ganz glücklich, daß Du nur Jemanden gefunden, mit dem Du hast sprechen können wie Du denkst – kurz Klärchen, liebte ich Dich je, so war’s nach Deinem Kuß an Schilling – Du hast Dir dabei gedacht „der ist meine und unsre ganze Hoffnung“ wie hübsch wenn man wieder einmal solch Menschen findet, der Dich und Deinen Schatz glücklich machen will mit höchster Aufopferung pp. So hat mein Mädchen gedacht und dabei im Geheimen speculiert. Nun Du liebe Holde unbeschreiblich holde setz Dich mir auf den Schooß mit Armen und Kopf mir auf die Schulter gelehnt, daß ich die Last so recht fühle, so recht weiß wie glücklich ich bin – Nun glaubst Du wohl, ich werde an Schilling) einen empfindlichen kalten Brief schreiben? Wie irrst Du da – den dankendsten und freundschaftlichsten erhält er, und zwar Morgen schon! Aber nur um zu thun, was Klugheit und andererseits Erkenntlichkeit fordert, für die Aufmerksamkeit, die er mir Fernstehendem mit seinem Brief erwiesen. Ueber sein Unternehmen kann ich freilich gar nicht unheilen, und es ist wohl überhaupt noch gar nicht reif. Er schreibt mir nur ganz vag und wenig sagend. Also werd ich das weitere abwarten.
Erzähler
Es folgt der schon zitierte Satz, den die sicher Stuttgarter sicher lieber hören.
Robert Schumann
Nach Stuttgard ging ich übrigens gern; ich kenne die Stadt; sie ist reizend und die Menschen viel beßer und auch gebildeter als die Wiener. Endlich was thäte ich nicht Dir zu Liebe, sobald es sich mit der Würde verträgt, die man mir als Deinem künftigen Mann schuldig ist. Also vor Allem Unabhängigkeit in jedweder Art. Verlaß Dich schon darauf, daß mein Brief an S(chilling) so sein wird, wie er sein muß. Noch Eines. S(chilling). hat, wie ich glaube, Deinen Brief an mich geöffnet; es waren außerhalb des Couverts zwei Oblaten und über diesen zwei Schnittchen Papier? Du siegelst niemals so. Vergiß nicht mir darauf zu schreiben, wenn Du Dich noch entsinnst. Beßer ist es, wir nehmen uns für die Zukunft eine andere Adresse als Kreutzbauer; schreibe mir eine andere in Deiner nächsten Antwort.
Erzähler
Die kam am 25. Februar:
Clara Wieck
Den Brief durch Schilling hatte ich nicht mit Schnittchen zugemacht – er hat ihn erbrochen – Neugierde – Eitelkeit – Undelicatesse !
Erzähler
Aber weiter mit Schumanns Brief:
Robert Schumann
Du Liebe Gute küß mich einmal!
Nichtwahr das ist doch noch anders als bei Schilling der Kuß? Nur bitte ich Dich, sei ja nicht zu freigebig damit. Fängst Du schon in Stuttgard an, was sollen da Paris und London bekommen? Halte hübsch Haus mit Deinen Küßen – so wie ich – seit unsrem Verlobungstag und noch länger kann sich Niemand auch nicht die Reizendste dieser größten Gunst rühmen, ausgenommen Du, aber Du freilich in hohem Grad – Ach Du lieber lieber Schatz –
Morgen schreib ich an Schilling und dank ihm (auch des Kußes halber) Aber wie gesagt, ich weiß gar nichts von seinen Plänen, als daß er sie bisher nicht besonders ausführte. Auch mit Lindpaintner (einem schlichten ehrlichen Mann) sprach ich über S(chilling), noch ehe ich Deinen letzten Brief hatte;
Erzähler
Lindpaintner kennt man in Stuttgart im Wesentlichen noch als Namensgeber für eine Straßenbahnhaltestelle in Stuttgart, an der man aussteigen muss, wenn man zur Familie Heitmann will. Er war über viele Jahre Hofkapellmeister in Stuttgart und im Übrigen ein sehr produktiver Komponist. Also:
Robert Schumann
Lindpaintner sagte über S(chilling)s Unternehmen „wo S(chilling) dabei ist, wird nichts Gutes“ und Lindpaintner ist noch dazu derselbe, den S(chilling) bis in die Wolken gehoben, aber wie curios – Sch(illing) hatte nähmlich Alles was er über Lindpaintner gesagt, aus den Aufsätzen von Marx
Erzähler
– der renommierte Berliner Musikwissenschaftler Adolf Bernhard Marx, der an Schillings Musiklexikon mitarbeitete, später aber ins Schumannlager wechselte – „Schilling hat also seine Ausführungen über Lindpaintner aus den Aufsätzen von Marx…
Robert Schumann
über Bach, Beethoven pp. wörtlich abgeschrieben und auf die spaßhafteste Weise auf Lindpaintner angewandt – Ist das nicht hübsch? – doch genug – Im Uebrigen ist Sch(illing) als ein sehr fleißiger und thätiger Mann bekannt und vielleicht gelingt ihm auch einmal etwas Solides – ich bin nur neugierig auf seine Antwort – Du hast mir ihn zu sehr gerühmt, als daß ich nicht glauben sollte, es wäre nicht etwas, wenn auch nur die Hälfte Wahres hinter seinen Reden. Laß nun erst sehen, wo er hinaus will – ich kann jetzt gar nichts sagen – Vielleicht hat mein Klärchen zu unsrem Glück speculirt und geküßt – sei mir nicht gram, daß ich’s so oft anbringe. Nun nicht mehr.
Erzähler
Inzwischen nagt in Schumann der Zweifel und es wächst die Wut über Schillings Verhalten. Am 10. Februar beginnt er einen Brief an Clara:
Robert Schumann
Zu Schilling habe ich kein großes Vertrauen. Sein Unternehmen ist ja noch in der Entwicklung; es werden Jahre vergehen, ehe es ihm etwas einbringt. Und soll ich Dir es offen eingestehen, meine liebe Klara, so beunruhigt mich sogar das Verhältniß, in dem Du mit ihm stehst; nicht als ob ich an Deiner Treue zweifelte; bewahre, auch nicht den leisesten Verdacht hab‘ ich da; wir haben uns nie inniger und treuer so mit ganzer Seele geliebt als gerad jetzt; das fühl ich an mir. – Aber es ist in Sch(illings) Ton so etwas Protegirendes, so etwas als ob er glaubte, wir können ohne ihn gar nicht in der Welt fort, das mir glauben macht, Du habest ihm doch zu viel eingeräumt. Auch zeigt er doch zu wenig Achtung vor mir, wenn er mir schreibt „wenn ich verspräche, Dich glücklich machen zu wollen, würde er uns beistehen“ – oder wenn er Dir sagt „sobald er sähe, daß Du mit mir nicht glücklich würdest, würde er Alles gegen uns thun“ – Wie ist das beleidigend und unzart, das eine für mich, das Andere für Dich. Unsre Liebe wäre keiner Rede werth, wenn jeder Fremde da glauben wollte, es stünde nur bei ihm, uns zu trennen. Wie darf Sch(illing) so etwas zu denken wagen, und wie kannst Du mir das wieder schreiben? Klara, wenn Du mich fragtest, ich solle Dir Deine Fehler sagen, so müßte ich lange nachsinnen – ich weiß keinen an Dir, Du hast Alles um unaussprechlich zu beglücken; Du bist mir mein Ideal eines Mädchens; nur das Eine möchte ich Dir manchmal zuflüstern, was ich Dir in den letzten Tagen unseres Abschieds sagte, erinnerst Du Dich? [——] – Ich würde unglücklich sein, wenn Dich ein Wort von dem, was ich eben sagte, nur im Leisesten betrüben könnte, und es dauert mich ja, daß ich Dein Vertrauen zu S(chilling) so wenig theilen kann, weil vor seinem bisherigen Treiben und Thun auch gar keine Achtung habe. Welche sonderbare Fügung, daß nun gerade dieser in so nahe Beziehung zu Dir getreten ist, den ich, ehe ich Deine Briefe aus Stuttgart erhielt, ehestens einmal in der Zeitung abschildern wollte. – Von ihm als Menschen weiß ich nichts; da Du ihm vertraut, muß wohl etwas an ihm sein; vielleicht ist er beßer als seine Werke, während es sonst oft umgekehrt ist; vielleicht verspricht er uns jetzt so viel, um später desto mehr halten zu können ….
Liebe Klara, ich fürchte doch, ich liebe Dich mehr als Du mich! Ach wo komme ich hin mit meinen Gedanken. Auf einmal stehst Du vor mir, die Hände auf die Schultern gelehnt siehst Du mir so treuherzig in die Augen; ach Klara, Klara wie lieb ich Dich – Aber jetzt muß ich ein wenig ausruhen.
Erzähler
Dann fährt er fort:
Robert Schumann
– Nun heißt es aufgepaßt und den Kopf in die Höhe und ja nicht durch Küße mich gestört in meinem Vortrag!
Liebe Zuhörerin, schon oft sagte ich mir: ist es Dir (mir) um das bloße Heirathen zu thun, so werden sich Künstlerinnen u. Gräfinnen genug finden; vorzüglich ältere, die auf Dich stürzen werden, willst Du (ich) aber die, die Du liebst, so muß es Dir um ein Paar Sorgen mehr oder weniger nicht zu thun sein. Dasselbe wünschte ich, daß es meine Braut dächte. – Versetze Dich liebe Zuhörerin jetzt an die Stelle meiner Braut, wie Dir bei einigem Nachdenken leicht werden wird; was würdest Du mir rathen in meiner schwierigen Lage? – Da legt die Braut auf einmal ihr Köpfchen auf meine Schultern und spricht „vor Allem, l(ieber R(obert), den Muth nicht verloren und rasch entschloßen zu Einem oder dem Anderen“. Soll ich nach Stuttgart, nach Leipzig, nach Amerika? Nun hilf mir; ich bin wirklich ein wenig krank im Kopf vom vielen Nachsinnen und Grübeln und ich möchte jetzt Hamlet nicht lesen. Hätte ich meinen alten leichten Sinn noch, wo mir Alles gelang; aber jetzt ergreift mich Alles, ärgert und kümmert mich Alles – es ist schwerer als ich geglaubt – das Heirathen – aber es gibt keine Wahl mehr zwischen uns … ich kann nicht mehr von Dir los – Gott hat mich verlaßen wenn Du mich verläßest – das Schreiben wird mir heute zu schwer – verzeihe (mir) ich kann nicht weiter, will in’s Freie – es ist mir so schwer im Herzen.
Erzähler
Den Brief schickt er erst einmal nicht ab. Allen Bedenken zum Trotz gibt er sich dem Stuttgarter Unternehmen gegenüber zunächst noch aufgeschlossen. Am 20. Februar schreibt er nach Paris:
Robert Schumann
Also in Paris würde ich – an Deiner Stelle – nicht länger als bis Ende März bleiben, und dann gleich nach London gehen.
….
Dann, wenn es Dir gefällt, bleibe aber in England so lang wie möglich, ja das ganze Jahr. Was willst Du zu Hause, in Deinem Haus, wo nimmer Frieden ist – Sind wir einmal getrennt, nun so wollen wir auch die hundert Meilen mehr ertragen lernen, die uns trennen – Du hast die Kraft dazu und ich werde Dir nicht nachstehen – Deinem Vater, der später gewiß in Dich dringen wird zurückzukommen oder vielleicht auch nachreist und Dich zurückhaben will, kannst Du ja mit gutem Recht entgegnen „ganz abgesehen von mir müßtest Du ja auch für Dich an Deine Zukunft denken". Er thut nichts für uns, hindert und verneint Alles; Also ist es an uns.
…..
Von Stuttgard hab‘ ich nun noch gar nichts erwähnt. Du wirst jetzt meine Briefe haben (gieb sie ja nicht auf, es steht zu viel darin) – Gern gehe ich dahin, sobald sich eine Deinem Künstlerrang angemessene Stellung für mich findet. Doch, zürne mir nicht, glaube ich doch, Sch(illing) hat unbedacht gesprochen und versprochen – es ist nicht viel hinter seiner Sache – doch laß sehen; damit Du mich nicht voreilig und undankbar nennst – könnte ich schon July in Stuttgard antreten, ginge es daß sich die Zeitungen vereinigen laßen (ich bringe ihm ja gegen 400 Abonnenten), kann ich ganz unabhängig von Sch(illing), was sich von selbst versteht, leben und arbeiten – so ging ich wie gesagt mit Freuden gleich von hier dahin, und auch nicht erst wieder nach Leipzig zurück. Noch habe ich keine Antwort von Sch(illing), könnte sic aber schon längst haben – Nun, laß sehen – an mir soll es nicht fehlen, und ich thue gewiß nichts ohne Deine Einwilligung.
Erzähler
Bedenken macht er jedoch hinsichtlich der Stadt Stuttgart geltend.
Robert Schumann
Das Einzige bedenke, in St(uttgart) leben wir vergraben – vielleicht daß wir anständig und bequem leben können (es ist ja auch sehr wohlfeil da)
Erzähler
– das hat sich inzwischen ohne Zweifel geändert –
Robert Schumann
– aber auch nicht darüber. Dann werden wir älter, der Muth zu größeren Unternehmungen vergeht – und wir werden dann nie aus kleinen Verhältnißen heraus kommen. Dies wenigstens ist meine Ansicht. Jedenfalls würde ich mich in nichts zu länger als 2, höchstens 3 Jahre zu Stuttgard verpflichten, und das gewiß mit Deiner Zustimmung.
Erzähler
Dazu Clara am 28. Februar:
Clara Wieck
Mit Stuttgard hast Du sehr recht, da sind wir vergraben, und gehen eher zurück als vorwärts. In meiner Hitze habe ich all diese Dinge nicht überlegt, und du hast mich angesteckt – ich habe jetzt keine Freude mehr in dem Gedanken an Schilling.
Erzähler
Inzwischen war bei ihr nämlich auch ein Brief von Schilling eingegangen, den sie mit dem folgenden Kommentar an Schumann schickt:
Gustav Schilling
14. Februar 1839
….
Nun, wie geht es denn sonst? wie mit der Zeitung? Hast Du dem Doctor geantwortet? Gestern bekam einen Brief von ihm, ich schicke Dir ihn mit, ich glaube, daß er bei Dir dieselbe Wirkung macht, als ich dabei spürte. Weiß Du, der Brief kommt mir so excentrisch vor, und ich glaube, es ist besser, nicht die ganze Hoffnung auf ihn zu setzen, und das bestätigte mir Henriette, Sie sagte, (aber nur im Vertrauen) daß er sehr wankelmüthig sei, und daß Du die Sache ja von allen Seiten beleuchtest, ehe Du eingehst; Du kannst ihm ja immer freundlich schreiben, und ihm auch ein gewisses Vertrauen zeigen. Du wirst schon Alles machen, Du weißt ja alles am besten. Schreib mir nur schnell.
Erzähler
Schumann findet den Brief alles andere als bloß exzentrisch. Im höchsten Maße alarmiert, ja völlig außer sich schreibt er spontan:
Robert Schumann
An Clara Wieck
Wien, den 23sten Februar 1839.
Sonnabend, Abends l0 Uhr.
Mein geliebtes Mädchen Klara,
Hier heißt es schnell handeln. Wir sind einer großen Gefahr entgangen. Du wirst sicher thun, um was ich Dich bitte. Der Himmel gebe nur, daß Du diesem unerhört frechen Menschen noch nicht geantwortet hast. Setze Dich gleich her und antworte Folgendes:
Herr Doctor,
So sehr ich Ihnen für ihre mir erwiesenen Gefälligkeiten verbunden bin, so kann ich Ihnen unmöglich eine Stellung zu mir einräumen, die Sie Ihrem letzten Brief nach mir gegenüber einzunehmen beabsichtigen, und die mich an dem, der mein tiefstes Vertrauen besitzt, zur Verrätherin machen würde. Davon kann keine Rede sein, wie von "Erkundigungen einziehen" pp. Ich ersuche Sie daher, mir künftighin nichts mehr zu schreiben, was wie ein Zweifel an meinem zukünftigen und durch S(chumann) genügend verbürgten Lebensglück aussehen sollte, und ich hoffe gewiß, daß Sie mich nie wieder mit ähnlichen Reden beunruhigen.
Ihre ergebene
Das ist das Mildeste, was dieser Elende verdient. Gibst Du mir aber nicht Dein Ehrenwort, daß Du ihn dieses oder wenigstens Aehnliches schreibst, so laß mich den Satz nicht vollenden, was ich dann thue. Du scheinst Sch(illings). Brief gar nicht ordentlich gelesen haben. Klara, glaubst Du wohl, daß Du nie, dass niemals ein Mädchen frecher beleidigt worden ist. Den Brief behalte ich an mir – ich will Dir die einzelnen Stellen daraus abschreiben, so sehr es mich anwidert.
Gustav Schilling
„Einen Punct vor unserem Scheiden, der mich erröthen macht, glaube ich nicht berühren zu dürfen – sie kennen oder ahnen doch seinen Grund, und ahnen sie ihn nicht, nun – verzeihen Sie mir – so bin ich mir selbst zu viel, um Ihnen solchen zu offenbaren“
Robert Schumann
Lies ja recht aufmerksam – bemerke wie er Dir immer näher rückt mit seinen
gemeinen Händen –
Gustav Schilling
„Meine Liebe zu Ihnen ist nicht jener Art pp pp.- und die Thränen, die Sie selbst meine Frau, vielleicht in einer trüben, doch eigentlich bewußtlosen Ahnung dessen, was war und was ist, vergießen sahen, mögen Zeugen davon sein“
Robert Schumann
Sieh, hier wird er schon Sündhaft; er gibt Dir zu verstehen, er wolle seine Frau verlaßen – höre nun weiter:
Gustav Schilling
„So sehr ich die Kunst schätze und liebe, eine so unverwischbare Verachtung durchlebt mich gegen die gewöhnlichen Künstler“
Robert Schumann
Hier kommt er schon mir näher und meint mich unter dem Künstler -.
Gustav Schilling
„und der Sieg, den Ihre Erscheinung über mich gewonnen, ist ein Werk der Liebe – dieser Liebe, vor dessen Fesseln ich selbst aus Lebensprincip mich jetzt bewahrte – lachen Sie mich aus pp
Robert Schumann
Ja lachen – das ist nicht zum Lachen. Hiermit will er Dir also weiß machen, Du wärest seine erste Liebe. Aber wie hohl, wie qlebig, fad ist seine Verführungskunst. Weiter: Du mußt mir heute still stehen –
Im nachfolgenden wälzt sich (verzeihe das Wort) Schlamm über Schlamm
Gustav Schilling
„Mein Haus, meine Arm stehen Ihnen unter allen Umständen und zu jeder Zeit offen“
Robert Schumann
Nachdem er Dir nun zu verstehen gegeben, dass er seine Frau verlaßen will, versucht er nun Deine Treue an mir wankend zu machen,
„Ueber Robert" (dieser erfrecht sich mich so zu nennen) „erlauben sie mir genaue Erkundigungen „einzuziehen“. Molique ist gekommen u. spricht nicht viel Gutes über S(chumanns) Eifer pp
Aber die Frechheit steigt mit jeder Zeile zur Empörenden:
Gustav Schilling
Würdig muß er Ihrer sein
Robert Schumann
[das sagt er Dir, Dr. Sch(illing) sagt Dir Cl(ara)Wieck das] –
Gustav Schilling
„Ich muß Sie glücklich wißen, alles uebrige im Leben Ihnen zu schaffen brauchten wir wohl keinen Dritten mehr.
Robert Schumann
Das ist satanisch doppeldeutig – Er will, Du sollst in sein Haus ziehen nach Stuttgard – weißt Du es anders auszulegen?
Dann spricht er sündhaft unklar und wie ein Bösewicht verworren:
Gustav Schilling
„Daß wir uns der Bestimmung des Himmels selbst entreißen können, ward uns der freie Wille“
Robert Schumann
Damit will er Dich in Deinem Abfall von mir stärken, und seinen von seiner Frau beschönigen. Ein entsetzlicher Hallunke, der.
Zuletzt kömmt endlich der förmliche Antrag an Dich
Gustav Schilling
„Haben Sie wohl die Großartigkeit des Geschäfts von Groß gesehen? Mit diesem "Mann kämen wir (Du u. er) in Verbindung“
Robert Schumann
Ich bin erschöpft; habe den ganzen Tag nachgedacht, was hier das Beste zu thun, und nur deshalb nicht an ihn geschrieben, was Du eigentlich von mir hättest fordern sollen, um Dich nicht durch meinen Brief zu compromittieren, da Du, jetzt zerstreut, ihm am Ende, was aber Gott verhütet haben möge, freundlich geantwortet –
Scheint Dir jetzt der Brief, den Du an ihn schreiben sollst, noch zu milde? Es ist unmöglich, Du kannst dieses hohle, grob verhüllte Liebespasquill nicht ordentlich gelesen haben, Du hättest Dich auf der Stelle hinsetzen müßen und antworten stolz wie vom Himmel herab mit Blitzen und vernichtend – Weg mit dem auf ewige Zeiten, Gott, wie hätte der unser Glück untergraben können, wäre er nicht ein gar zu dummer Betrüger und Verführer, der uns für Kinder hält. Jetzt raffe Dich auf, mein hehres Mädchen – ich weiß Du hast das Beste gewollt, daß Du Dich ihm anvertraut – halte uns beide für nicht so arm, erkenne Deine Kraft glaube der meinigen, kommt sie auch Deiner nicht gleich – wir haben etwas im Herzen und vom Geist, das uns Niemand rauben kann – Nie wieder an Anderer Beistand gedacht! Es sei Dir eine Erfahrung für Dein ganzes Leben! Du bist, so herzensgütig und unerfahren, in die Nähe der Gemeinheit gekommen – Ich ahnte Alles, ich wußte an einer Empfindung für Dich, wie ich sie nie so wie in den letzten Tagen gehabt, daß Du in Gefahr warst.
Morgen mehr. Für heute schlaf wohl, Du Gute Einzige.
Erzähler
Schumann lässt die Sache aber keine Ruhe. Gleich morgens schreibt er weiter:
Robert Schumann
Sonntag früh.
Gibst Du mir aber nicht Dein Ehrenwort, Sch(illing) so zu antworten wie ich Dir angab, so schreib ich folgendes an ihn:
– "Sie haben sich Jago’s Rolle ausgelesen, nur ohne dessen Klugheit. Bleiben Sie in Ihrem Winkel und fangen Fliegen; mögen Sie sich nie wieder zwischen Künstler unsres Gleichen suchen sie sich aber nie wieder hinfür zu drängen. Sollten Sie es einmal wieder wagen, so würde ich – Sie eben zertreten, wie eine Spinne.
„Ihren Brief werde ich im Nothfall Ihrer bemitleidenswerten Frau Gemahlin zustellen“.
R.S
Erzähler
Einmal in Rage, vergisst er sich sogar gegenüber seiner Verlobten:
Robert Schumann
Aber Du schreibst schon, sonst müßte ich mich auf einige Zeit von Dir trennen, bis Du Deiner ganzen Sinne wieder Herr bist. Den Brief, den Dir Sch(illing) dann auf Deinen wieder schreiben wird und worin er sagen wird „Du verkennst ihn, er bete Dich an, er wolle nur Dein Bestes pp. und was so ein Hauptspitzbube Alles erheuchelt -, diesen Brief schickst Du mir gleich und dann werde ich Dir schreiben, was zu thun ist.
Du mußt aber durchaus meine drei Briefe von der Post hohlen (sie könnten ja auch in unrechte Hände kommen), damit Du siehst, wie ich gleich über Sch(illing) gedacht. Ich lege Dir hier noch einen Briefanfang vom 10ten bei, den ich nicht fortschickte, weil ich dachte, er könne Dich verwirren und betrüben. Jetzt, wo Du Deine Lage gewiß klarer übersiehst, darfst Du ihn lesen und wirst mich deshalb nicht weniger lieben. –
Erzähler
Es handelt sich um den oben mitgeteilten Brief vom 10. Februar.
Robert Schumann
Schreibt Sch(illing) aus Rache an Deinen V(ater) und entdeckt ihm, was er von uns weiß, so mache Dich auf einen Brief vom V(ater) gefaßt: antworte Deinem V(ater) gleich, daß Sch(illing) Dir einen frechen Brief und geradezu Heirathsantrag geschickt, und nur aus Rache handle. Auch ist möglich, daß Dein V(ater). auf Sch(illing).’s Brief Dich schnell aufsuchen wird und unsre Briefe verlangen. Sei also auf Alles gefasst. Ich für meinen Theil habe mir vorgenommen, keine Briefe von Deinern V(ater) wieder anzunehmen; ich erspare mir das Lesen und ihm die Antwort, die er verdient. Sonst, was könnte uns denn so ein Sch(illing) schaden? Klärchen, wer wird sich denn gleich so imponiren laßen? Wo hast Du denn Deine fünf schönen Sinne gehabt? Ich sehe doch, ich werde Dich in Zukunft doch manchmal auszuzanken haben.
Also nochmals ernst und streng:
Du schreibst, wie ich Dir sagte, an Sch(illing), er wird Dir antworten, Du schickst mir den Brief – ehe Du ihm wieder schreibst und dann will ich schon handeln. Fort mit diesem, der gehört nicht unter uns, da sind wir unter die Wölfe gerathen – der ist ja ein Hauptstümper von Menschen, ein in hohe Floskeln eingewickelter Schmutzgeist ist der, ein halber Ehebrecher, ein recht alberner eingebildeter Don Juan – Hättest Du nur S(chillings)s. Brief ordentlich gelesen, und verstündest Alles, Du müßtest Dich zu mir flüchten u. sagen „schütze mich vor diesem Bösewicht“ – Ich kann es gar nicht vergeßen – ich zittere am ganzen Körper –
Leid thut es mir nur um Deine Mignon, die Sch(illing) vielleicht zu Dank verpflichtet ist
Erzähler
Schilling hatte die junge Stuttgarterin Musikschülerin Henriette Reichmann mit Clara zusammengebracht; sie reiste mit ihr nach Paris.
Robert Schumann
Du schreibst mir so viel Liebes von ihr, daß ich sie wohl kennen lernen möchte. Sollte ich aber im Geringsten gewahren, daß sie ein Werkzeug Schillings (nach seinem Plan ist sie das), so möchte ich in Dich dringen, daß Du sie von Dir läßt. Ich habe durch meine Schmerzen, die ich um Dich gelitten, ein Recht über Dich. Du kennst mich mild, ich kann auch fürchterlich strenge sein – also Du mußt auch diese lassen, sobald ein Schatten von Verdacht auf sie fallen sollte.
….
Erzähler
Offenbar haben Angst. Eifersucht und Wut Schumann über die genannten drastischen Formulierungen und Drohungen hinaus noch zu einigen weiteren Äußerungen hingerissen, die er unkenntlich gemacht hat. Darauf bezieht sich die folgende Bemerkung:
Robert Schumann
Verzeihe das Ausgestrichene oben; es war etwas Othello’sches. Ich war in sehr mißmuthiger Stimmung, als ich überhaupt den Brief schrieb, und hab‘ mir seit Kurzem vorgenommen, nie wieder etwas Mißmuthiges in die Fremde zu schicken, weil es, wenn es am anderen Ort ankommt, an der Quelle schon verwischt wieder sei.
Erzähler
Nachdem er sich dergestalt die Not von der Seele geschrieben hat, scheint Schumann festzustellen, dass auch das, was er stehen ließ, seinem Vorsatz nicht eben gerecht wird, nichts Missmutiges in die Fremde zu schicken. Unter dem gleichen Datum schreibt er den Brief in abgemilderter Form praktisch noch einmal neu. Insbesondere fehlt nun die Drohung, sich unter Umständen zeitweilig von Clara trennen zu wollen. Der Vergleich beider Fassungen ist aufschlussreich dafür, wie Schumann die delikate Situation mit schriftstellerischen Mitteln handhabt.
Robert Schumann
Robert Schumann
Schönlatterngassen Nro 6/9
Mademoisell e Clara Wieck
Pianiste de S.M. l’Empereur d’Autriche
chez Mademoiselle Emilie List
a
Paris
Rue des Martyrs Nro. 43
POSTE RESTANTE
Wien den 23sten Februar 1839.
Sonnabend.
Noch zittere ich am ganzen Körper vor solch unerhörter Frechheit, wie jedes Wort in Sch(illings) Brief eine ist. Wir sind einer großen Gefahr entgangen. Wär‘ es ein weniger alberner Bösewicht gewesen, der sich unserer annehmen wollen: es wäre vielleicht um unser ganzes Lebensglück geschehen. Aber der Mann ist zu ungeschickter Don Juan. Mit ihm darfst Du in keiner Verbindung mehr stehen. Doch klug schreib ihm noch einmal, dann nach längerer Zeit noch einmal, dann schweige ganz. Ich wollte ihm erst in Deinem Namen antworten – doch auch nichts ohne Deinen Willen thun; eigentlich müßtest Du es von mir fordern, daß ich es thäte; schreibe mir also darüber, wie Du ihm antworten mußt, wirst Du schon gut machen. Siehst Du aber denn nicht was der Mann mit Dir vorhat? das ist ja der infamste Heuchler und Verführer, wie man sie nur in Romanen aufzuweisen hat. Siehst Du nicht, wie er in seinem Brief immer weiter geht, wie er die "Thränen seiner Frau" erwähnt, aus denen er sich nichts macht, wie er Dir immer näher rückt, wie er sagt "wie er die gewöhnlichen Künstler" hasse, womit er mich meint, wie er um Dich zu rühren das Andenken seines "seligen Vaters" anbringt, womit er Dir zu verstehen gibt, er habe einiges Geld um ein, ja zwei Frauen zu ernähren, wie er sagt dazu, daß Dir "sein Haus und Arm" offen stände, wie er endlich nebenbei über mich "Erkundigungen einziehen will", wie er endlich ganz frech, unerhört frech wird "ich muß Sie glücklich wissen, alles Uebrige im Leben zu Schaffen brauchten wir wohl keinen Dritten mehr", wie er es noch weitertreibt und schreibt, „daß wir uns der Bestimmung des Himmels selbst entreißen können“, wo mit er auf Klöster anspielt, und endlich wie er Dir geradezu seine Hand anbietet, wenn er von Groos sagt „haben Sie die Großartigkeit des Geschäfts gesehen“ „mit diesem Manne kämen wir in Verbindung pp“, und wie er endlich zuletzt seiner Sache ziemlich gewiß scheint und Dich bittet „ihm ja Alles zu schreiben, Alles ganz genau“ – jeder Zoll ein Lump an diesem – sieh Dir diese Worte nur genau an – so schamlos hat Dich noch Niemand beleidigt – Nun aber sieh, wie ich Alles schon nach den Briefen (die ich) von Stuttgard erhielt, richtig durchschaut. Es war mir etwas Beunruhigendes in der Art wie Du mich beruhigen wolltest – ich ahnte, ich fühlte es so stark, daß etwas geschehen war. In dieser Unruhe, die mich bis vor wenigen Tagen gepeinigt (keine Eifersucht), schrieb ich Dir am 10ten schon den Brief, den ich Dir hier beilege; ich schickte ihn nicht fort, weil ich doch glaubte, er könne Dich am Ende verwirren, oder beängstigen oder betrüben. Jetzt da ich sehe, daß Du Deiner Lage Meisterin bist, kannst Du ihn lesen und wirst mich darum nicht weniger lieben. Damit Du über die Worte die ich beim Abschied sagte, nicht im Zweifel bist, es waren diese, ich weiß sie buchstäblich „Du läßest Dich doch leicht einnehmen“ – Du antwortetest mir damals „jetzt nicht mehr“ weißt Du noch? Wie Du Alles so gut gemeint hast zu unsrem Besten, das weiß ich wohl. Aber dies sei Dir eine Warnung für alle alle Zeiten. Und wieder ist es bei mir zum festen Entschluß geworden, und ich bitte Dich daß Du ihn theilst, daß wir Niemandem mehr von uns und unsrer Zukunft vertrauen, und wär er auch noch in weicheren Schafspelzen als dieser Wolf, dem wir zeitig genug entgangen – also Niemanden, Niemandem mehr, hörst Du. Das glaube nur nicht, daß ich dir irgend einen Vorwurf machen wollte, Du würdest mich ganz elend machen wenn ich das Geringste sähe das Du böse wärest über ein Wort von dem obigen – wie Du mir treu bist so kann es kein Mädchen kein Engel im Himmel weiter sein, wie Du liebst, so kannst Du es nur so über alle Worte edel – Ich habe keine Worte für Dich, da müßtest Du mich manchmal in meinen heiligen Stunden belauschen, da müßtest Du mich im Traum sehen, wenn ich von Dir träume – da weiß ich nicht was ich sagen soll – und auch das schöne Bewußtsein hab ich, daß ich Dir auch makellos treu geblieben bin – und nun stürze ich Dir wieder mit meiner ganzen Liebe an den Hals und fühle, daß ich Dich habe. War ich je stolz auf Dich, so war ich’s nach Deinem letzten Brief. Nie hast Du mir schöner geschrieben. Bleibe mir so, meine Klara, hörst Du? Fürchte und schäme Dich nicht, mir es zu gestehen, wenn Dich Jemand beleidigt – fordere von mir dasselbe – Und nun die letzten Worte über jenen gemeinen Heuchler, der sein Weib verlassen will – Nicht daß er Dich liebt, ergrimmt mich, nicht daß er mir feindlich gesinnt, – sondern das ist das Empörende, daß er Dich, eine Liebende, eine Braut, von der er es selbst weiß dass sie treu liebt, von dem Geliebten abtrünnig machen will- das ist so empörend so frech von Einem, den Du kaum zehn Tage lang kennst, daß ich koche vor Wuth und dann wieder so dumm auch, Dir gegenüber, Mir gegenüber, zwei Künstlern, die ein anderes Seelenleben zusammen durchlebt, als es Millionen andre Liebende – Dies überlege Dir nur Alles, dann schreibe ihm und dann mir ob ich ihm schreiben soll, „Du habest mir seinen Brief geschickt“ – Was könnte uns denn das schaden oder verhindern, was er Alles nur schreibt, um Dich sich ihm gehorsam zu erhalten, damit Du Furcht vor ihm haben solltest. Also zerreiß dies übrigens auch gar nicht Dir schmeichelndes Band, da Du über solchen gemeinen Bücherschmierer eigentlich gar keinen Vortheil hast – solche gehören gar nicht zu uns Künstlern und sind vornehm zu behandeln – das Eine wäre, daß er, [Dir] was Du ihm vertraut, Deinem Vater wieder schriebe und Dein V(ater) erbitterter würde – dies eine hätten wir zu fürchten – dann aber schreib auch Deinem V(ater), welchen frechen Brief er Dir geschrieben und daß Sch(illing). nur gemeine Rache ausübe, wenn er sich gegen uns bei Deinem V(ater) ausspräche. Schreib also an ihn das erstemal kalt, das zweitemal abweisend, und das drittemal gar nicht.
Erzähler
Besonders schwächt Schumann die Passage über Henriette Reichmann ab, wo er zuvor noch den Befehlston angeschlagen hat.
Clara Wieck
Leid thut mir Deine Mignon, die Sch(illing) dankbar sein muß, der sie Dir zugeführt hat. Du schreibst nur so Liebes von Ihr, daß ich sie wohl kennen möchte. Hast Du sie geprüft, so behalte sie um Dich.[Zweifelst] /Glaubst/ Du aber, daß sie Sch(illing) hinter Deinem Rücken von Dir und uns wieder erzählt, (das hat Sch(illing), wie ich gleich glaubte, eigentlich gewollt), so gib wohl Acht, dass Dich Deine Güte später nicht etwa reut. –
Erzähler
Zur Erinnerung. In der ersten Fassung hieß es: „Ich habe durch meine Schmerzen, die ich um Dich gelitten, ein Recht über Dich. Du kennst mich mild, ich kann auch fürchterlich strenge sein – also Du mußt auch diese lassen, sobald ein Schatten von Verdacht auf sie fallen sollte.“
Dann aber schickt er beide Fassungen mit dem Bemerken ab, die zweite – also die mildere – Fassung zuerst zu lesen; außerdem fügt er den angefangenen Brief vom 10. Februar bei, den er nicht abgesandt hatte. Offenbar kam es ihm darauf an, dass Clara seine Zweifel an ihr und seine Drohungen auf indirekte Weise doch mitbekommt. Und Clara hat sie sehr wohl verstanden.
Erzähler
Am 7. März antwortet Clara auf das Briefterzett:
Clara Wieck
Deinen Vorgestrigen und Gestrigen Brief hab ich erhalten, und Du irrst sehr, wenn Du glaubst, ich habe eine Thräne wegen Deines Briefes an Schilling geweint, wohl aber Viele Thränen um Deinen Brief an mich. Ich hätte nicht geglaubt, daß Du so wenig Glauben an mich hättest, mich für so wankelmüthig hälst, glaubst, ich werde Dich in Paris vergessen, mich von einem Franzosen oder Engländer herumbringen lassen ect: ect: Du weißt noch nicht, welch treue Braut Du an mir hast, und wie fest meine Liebe zu Dir steht; kenntest Du sie, so hättest Du nicht schreiben können "Aber Du schreibst schon, sonst möchte ich mich auf einige Zeit von Dir trennen, bis Du Deiner ganzen Sinne wieder Herr bist". So hast Du mich noch nicht gekränkt, und diese Worte kann ich nicht vergessen! Ich bin mich meiner Unschuld bewußt, und kann vor Gott jedes Wort verantworten, was ich mit Schilling gesprochen, und auch Dir mein heiliges Ehrenwort geben, daß zwischen mir und Schilling nichts vorgefallen ist, dass ich Dir nicht geschrieben hätte. Du kennst mein Vertrauen zu Dir noch nicht, sonst hätte nicht der geringste Verdacht gegen mich in Dir aufkommen können, und daß Du mir so schreibst? mir, die Dich so unaussprechlich, so wahr, und so vertrauungsvoll liebt! wie hast Du mein Herz verwundet! ach, Du thatest es doch gewiß in der Hitze? Daß ich den Brief von Schilling nicht sehr aufmerksam gelesen, hast Du wohl Recht, doch hätte ich ihn aufmerksam gelesen, ich hätte doch nicht Alles so genommen wie Du, Du kannst aber Recht haben, Du hast mehr Menschenkenntniß als ich. Einige Stellen muß ich Dir doch auseinander setzen: "Einen Punkt vor unserem Scheiden, der mich erröthen macht, glaube ich nicht berühren zu dürfen pp“: Wir waren am Mittag vor meiner Abreise zusammen zu Tisch, mit noch einigen Freunden, Schilling war sehr lebhaft, und in der Lebhaftigkeit des Gesprächs vergaß er zu essen und trank Etwas mehr als er wohl vertragen konnte, so daß er sich nach Tisch niederlegen mußte, und uns auch nicht auf die Post begleitete. Das ist der Punkt, den er nicht berühren zu dürfen glaubt. Es ist zu weitläuftig noch mehr aus einander zu setzen. Deine Auslegung ist allerdings sehr richtig; ich habe Alles genommen, als in der eifrigsten Freundschaft geschrieben, und glaube doch nicht, daß er so schlechte Ideen hat, sich von seiner Frau trennen, Das, was er schreibt von "würdig sein etc:" hast mich allerdings auch sehr verdrossen, doch hielt ich Alles für die eifrigste Freundschaft. Natürlich antwortete ich ihm bald darauf, wie immer sehr freundlich; Da, auf einmal, bekomme ich vor einigen Tagen den Brief, den Du an Schilling geschrieben, nebst einigen höchst kränkenden Worten von Schilling darunter, die ich Dir zu seiner Zeit einmal mittheile. Mich überkam gleich der Gedanke, er könne dem Vater unser ganzes Geheimniß entdecken, und ich schrieb gleich an ihn, und zwar sehr kalt, doch auf eine Weise, daß er eigentlich weder gut noch böse auf mich zu sprechen sein kann. Du kannst Dir aber meinen Schrecken denken, als Du mir die Antwort an ihm schickst und die Meinige schon fort war. Schreibt er mir wieder, so schreib ich ihm jedoch noch Deine Antwort. Du meintest also, ich würde Ihm gute Worte geben? oh, Du kennst noch wenig meinen Stolz! – Ich bin noch sehr unerfahren, da hast Du Recht, doch des Wankelmuthes darfst und sollst Du mich nicht anklagen – das ist nicht wahr! – Du schreibst, Du müßtest darauf achten, daß sich niemand in Deinen Besitz dräinge! schlimm genug, wenn Du Darauf achten mußt, wenn Du Kein festeres Mädchen hast. – Ach, mein lieber, lieber Robert, schreib mir nur, daß Du Alles in der Hitze geschrieben. Du hast mich so muthlos gemacht; der Gedanke Deinen Glauben und Dein höchstes Vertrauen zu besitzen ermuthigte mich zu Allem, und nun – ich fühle mich seit gestern wie vernichtet! Die Worte, Du könntest Dich auf einige Zeit von mir trennen – den Eindruck vergess ich nicht! bist Du es denn wirklich der das schrieb?
Erzähler
Und dann zeigt sich, welch eine außerordentlich kluge Frau sie mit ihren 19 Jahren ist. Der Brief fährt fort:
Clara Wieck
Nun lieber guter Robert, eine andere Seite. Thue jetzt, als hätte ich Dir die vorhergehende Seite nicht geschrieben, sieh mich recht freundlich und lieb an, und umarme mich wieder mit alter Zärtlichkeit, ich thue es auch! Und wenn du mich noch so sehr betrübst, ich habe Dich doch mit jeder Minute lieb und weiß gewiß, daß Du mir vieles in der Hitze schriebst. Fühle den innigsten liebevollsten Kuß! nicht wahr, ich bin doch noch Dein treues festes Mädchen – [und] Du verzeihst mir die vorhergehende Seite? ich bin wieder heiter, und schreib mir nur bald wieder dann werde ich wieder ganz glücklich und heiter sein. Glaube mir nur, keine viertels Secunde lebe ich, ohne an Dich zu denken – Du wirst meinen letzten Brief haben, wo ich Dir ja mein Herz ausschüttete, so viel ich es konnte. Wegen der Henriette sey ganz ruhig sie war es ja, die mich zuerst auf Sch(illings) Unaufrichtigkeit aufmerksam machte, und die ihn gar nicht mag, und auch nichts weniger als sein Werkzeug ist; nur das unsrige ist sie, sie liebt mich und Dich, ehrt dich ganz außerordentlich, und nun also Keinen anderen Gedanken mehr.
…….
Erzähler
Im Übrigen war es inzwischen auch Clara wie Schuppen von den Augen gefallen. Noch bevor sie Roberts Brandbrief erhalten hat, schreibt sie am 25.Februar:
Clara Wiek
Schilling hast Du ganz treffend geschildert und ich habe nach ruhiger Ueberlegung dasselbe gefunden. Henriette hatte mir ihn schon vorher so geschildert. Sieh nur im Eifer, unsere Zukunft zu sichern, konnte ich so blind sein, und, ich glaube den Menschen so gerne, daß ich auch Diesem glaubte. Ich finde ihn doch für Dich zu roh und Du mußt unabhängig sein, da hast Du ganz Recht. Geschmerzt hat mich, daß Du glaubst, ich habe Dich nicht für hoch genug gehalten, um allein ein Blatt zu halten. Du mußt nur denken, daß alles Alles das in der Eile geschah und daß nicht blos Schilling von Erdrückung aller Zeitungen sprach sondern Vater auch davon schrieb, so daß ich ganz verdreht wurde und in meiner Herzensangst gegen meine Überzeugung sprach. Nicht wahr, Du verzeihst mir? eben so gut weiß ich, daß Du mit Deinem Geist alle diese Leute übersiehst und sehe immer mehr ein, wie tief Sch(illing) unter Dir steht, was ich uebrigens schon vorher wußte – ich hatte wohl blos den pekuniären Vorteil gesehen, nicht an Anderes gedacht. Erstaunen mußt ich über Deine Menschenkenntnis, denn Deine Schilderung Sch(illings) gar doch gar zu treffend. Nicht wahr‘ Du vergißt mir meine Uebereilung?
Erzähler
Die Causa Schilling sollte die beiden noch einige Wochen beschäftigen. Beide schreiben Briefe an Schilling, und auch zwischen ihnen sind noch einige Missverständnisse und Irritationen auszuräumen. Selbst Mitte des Jahres ist die Sache noch nicht ausgestanden. Am 22. Juni 1839 schreibt Schumann in neu entflammter Wut aus Leipzig an Clara, die noch immer in Paris ist:
…
Nun noch etwas Unangenehmes. Erst vor einigen Tagen empfing ich den beifolgenden Brief, der in Wien liegen geblieben war; ich muß darauf antworten und laß ihn durch Reuter’n folgendermaßen schreiben: "Hrn. Dr. G(ustav) .S(chilling) in St(uttgart) wird hiedurch angezeigt, daß ein von ihm vom 1.sten März nach Wien datirter, Hrn. Sch(illing) u(nd). Frl. W(ieck) betreffender Brief erst jetzt eingegangen ist – zugleich mit der Warnung, daß Hr. Dr. S(chilling). sich nie in seinem Leben wieder einfallen laßen möge, Frl. W(ieck). oder Hrn. S(chumann) mit dummfrecher Zudringlichkeit schriftlich oder irgend wie lästig zu fallen, in dem sonst von den bewussten, ihren Schreiber vollständig charakterisierenden Documenten der für nötig gefundene Gebrauch gemacht werden wird. Leipzig, d. 26sten Juni 1839". Wie ist es fatal, daß mir diese Antwort erst jetzt zugekommen ist! Aber schweigen dürfen wir darauf nicht. Im Uebrigen überhebst Du mich jeder weiteren Bemerkung über diesen Brief.
Erzähler
Auch Othello`sches und Zweifel an Clara kommen in ihm wieder hoch.
Robert Schumann
Noch Eines; hat Dir Sch(illing) wirklich auf Deinen Brief, von dem Du mir eine Copie geschickt, nicht wieder geschrieben? Gesteh mir die Wahrheit, Klara! Du bist ja ganz unschuldig; ich will nur wissen, wie weit er die Frechheit getrieben. Also die Wahrheit, Klara! – Schillings Brief zeige weder Henrietten noch Ermilien; ich schäme mich bitter, mit so einem Mann nur je in Berührung gewesen zu sein; Du kennst mich und wirst den Brief zu würdigen wissen.
Erzähler
Stuttgart ist für ihn inzwischen ein Ort derartigen Horrors, dass er seine Clara, welche die Sache wesentlich entspannter sieht, auf keinen Fall mehr dort hinlassen will:
Robert Schumann
Wirst Du es für Eifersucht halten, wenn ich Dich bitte, die Idee nach Stuttgart zu reisen u(nd). dort Concert zu geben, mir zur Liebe aufzugeben? Nein, gewiß nicht. Gesteh ich es Dir, so befremdet mich aber Dein Gedanke; Du thust es Henrietten zurück zu geleiten, nicht wahr? Wie gern gönnte ich Euch Euer Zusammenbleiben so lang wie möglich. Mit meinem Willen gehst Du aber nie nach Stuttgart ohne mich. Bei ruhiger Überlegung wirst Du einsehen, wie ich hier richtig fühle. Und wenn Du dort Millionen erobern könntest, ich ließ dich nicht hin. Nun genug. Die Welt ist ja groß und meine herrliche Künstlerin wird ja mit Freunden überall aufgenommen. Also lasst uns bald nur etwas anderes aussinnen, und ja recht überlegen; es ist gar zu wichtig.
Erzähler
Clara antwortet darauf am 27. Juni nicht ohne Vorwurf:
Clara Wieck
Der Brief von Schilling ist so gemein, daß Einem nichts mehr zu sagen übrig bleibt – ich mußte lächeln, das ist die Frechheit zu weit getrieben. Seine Frau „ist ein gutes Weib die aber nicht glücklich mit ihm ist, sie ist zu gemüthlich zu noble für ihn [ – – – – – – -l Doch genug jetzt von Diesem. – Ich gebe Dir Hiermit mein heiliges Wort, daß weder ich noch Henriette wieder einen Brief von Schilling erhalten haben, sieh, Robert, jetzt hab ich Dich doch auf einem Zweifel wieder ertappt, den Du hattest; Du dachtest, ich würde Dir das verheimlichen, und das war nicht recht. Du besitzest ja mein tiefstes Vertrauen, vor Dir habe ich gar kein Geheimniß mehr, und das weißt Du nicht? nicht das Kleinste – nicht das leiseste Gefühl verhehle ich Dir – das glaube mir nur, und das mußt Du glauben‘ sonst bin ernstlich böse.
Erzähler
Wirklich böse kann sie ihm aber dann doch nicht sein und fährt unmittelbar danach fort:
Clara Wieck
Was Du mir doch immer für schöne Briefe schreibst, so voll Innigkeit und Liebe, ich kann Dir doch nicht halb so viel schönes und Liebes sagen, aber ich fühle gewiß eben so wie Du und das weißt Du auch, nicht wahr mein Herzgeliebter Robert? küsse mich doch wieder einmal Du lieber guter treuer Mann. Ich liebe Dich doch wie nur Du es wissen kannst, und ein liebend Weib bekommst Du an mir, häuslich auch, ob ich jedoch Alles recht machen werde? nun ich lerne es nach und nach – [und] Du lehrst es mich.
2. AKT
Erzähler
Soweit das private Vorspiel. Offensichtlich motiviert durch Schillings Eingriff in seine Privatsphäre nahm Schumann den Fedehandschuh eben dort auf, wo ihn Schilling hingeworfen hatte. Er blieb seinem Widersacher mit seiner Zeitschrift auf den Fersen. Ende 1840 und Anfang 1841 erschienen in der NZfM zwei äußerst scharfe Kritiken über zwei "grundlegende" und wie immer geschwätzige Werke Schillings, einer "Aesthetik der Tonkunst" und einer "Kompositionslehre". Durch satzweise Gegenüberstellung führten die Autoren, es waren Freunde Schumanns, den Nachweis, dass Schilling andere Werke seitenweise abgeschrieben hatte. Sein erstaunlich ungeniertes Verfahren illustriert die Umformulierung des folgenden Satzes. Er lautet im Original: "Man hat von dem Rhythmus, welches griechische Wort technisch geworden ist, manche Definitionen gegeben…" Bei Schilling heißt es:
Gustav Schilling
Auf die verschiedenste Weise schon hat man das griechische Wort Rhythmus, das vollkommen technisch geworden ist, zu erklären versucht."
Erzähler
Und so geht es in einem fort. Schumann kostet es in seiner Zeitschrift über vier Folgen weidlich aus.
Dieser Schlag saß. Schilling sah sich zur Verteidigung genötigt. Eilig veröffentlichte er unter dem Titel "Schumanns NZfM und ich" eine – wie immer weitschweifige – Apologie –
Gustav Schilling
um das Treiben einer gemeinen Clique aufzudecken und von dem Kot, den sie um sich wirft, meine Schuhe zu reinigen.
Erzähler
Man spiele, so beschwert er sich um keinen Superlativ verlegen mit ihm
Gustav Schilling
das miserabelste Spiel, das je wohl in der Critik gespielt worden ist.
Erzähler
Nach dem Muster, das sich schon immer großer, heute vielleicht sogar zunehmender Beliebtheit erfreut, drehte er den Spieß dreist herum. Der Autor eines Buches über die Kanzelberedsamkeit zieht alle Register der Rhetorik und versucht zu beweisen, dass der Angriff eigentlich dem Nationalverein und seiner Kunstauffassung gelte. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, dadurch an die nationale Gesinnung seiner Leser zu appellieren, dass er dem Juden Marx, den er als Verfasser der Kritiken vermutet,
Gustav Schilling
jüdische Impertinenz und Schacherklugheit
Erzähler
bescheinigt. Schumann hingegen drohte er mit dem
Gustav Schilling
strafenden Gericht.
Erzähler
Seine Anhänger versucht er auf geradezu schmierendkommödiantische Weise durch Mitleid zu mobilisieren:
Gustav Schilling
Nicht buhle ich um Lob meiner Arbeiten, und der mag austreten, den je ich um Empfehlung derselben gebeten; vollkommen ist keines Menschen Werk; also auch nicht das meine, das, wenn es gelungen ist, seine Bahn schon findet; am allerwenigsten wäre mir an dem Lob der ,,Neuen Zeitschrift für Musik“ gelegen, denn auch vom Lob noch möchte ich lernen können; aber diese Zeitschrift hat es nicht bei Lob oder Tadel meiner Werke gelassen – sie hat, über Beschuldigungen hinaus, deren Ungrund das strafende Gericht darthun wird, auch mein Recht auf die Gesellschaft in Zweifel gezogen, und hier kann die Gesellschaft nur richten, die ich darum flehe. Des Neides Geifer, der Lästerzunge Gift, der Gemeinheit noch gemeineren Spott, gegen mich selbst nur gerichtet, würde mit Stolz ich unbemerkt lassen, denn beflecken könnte er mich nicht; aber daß unter der Maske der Ehrlichkeit er sich aufwirft als Richter über mein Seyn und zum Zeugen die Liebsten einer Gemeinde, welche selbst ich stiftete, zusammenruft, um doch allein nur eben diese Gemeinde zu zerstreuen, und dann aus ihren Trümmern ein Jerusalem für sich zu bauen – wer kann dem ruhig zusehen?
Erzähler
Schumann antwortete "um auf das marktschreierische Treiben dieses Pfuschers" noch deutlicher aufmerksam zu machen, mit einer Zusammenstellung von Fundstellen, an denen man weiteres über Schillings Plagiate nachlesen könne, darunter auf die Warnungen der Stuttgarter Buchhändler Metzler und Köhler, die sich über "Raubauszüge" aus dem Universallexikon beschweren, dessen Rechte Köhler besaß.
Von Schilling folgte ein "Letztes Wort" mit einem Bandwurmsatz von 267 Worten. Lange konnte er seine Feder allerdings nicht im Zaum halten. Schon kurz nach dem "letzten Wort" kam der erste Ausflug auf die dichterische Ebene. Er schrieb einen
Gustav Schilling
Bericht
des chinesisch-neuromatischen Oberinspekteurs Schuh-Wah-Kah-
Man an den kaiserlichen Gouverneur Zo-Il-Reb-Ji über die Beaufsichtigung der Composition und musikalischen Presse im himmlichen, d.h. neuromantischen Reiche.
(Mitgeteilt von dem wegen Untreue entlassenenen Geheimschreiber Trh-Ruh.)
Glorreicher Erzmandarin! Erhabener Generalgeistinspekteur! Seelenauge der musikalischen Composition und Presse, der Du geziert bist mit dem Glanze des Pfauenschweifs und bewaffnet mit dem Schwamm der Vergessenheit, ähnlich den geheimnisvollen Göttern der Unterwelt! Inbegriff der Geheimnisse der Kunst! Fächer der Lieblichkeit! Löwe und Leuchte alles künstlerischen Rechts!
Du hast mir in Deiner Huld und Gnade befohlen, zur Stärkung des öffentlichen Geistes die Beaufsichtigung der musikalischen Composition, Virtuosität und Presse in den verschiedenen Provinzen des himmlischen, d.h. unseres neuromantischen Reichs mit Sorgfalt zu inspicieren, und darauf zu sehen, dass die Befehle der Göttlichen, deren Namen wir nicht auszusprechen vermögen, überall strenge gehandhabt werden. Bin ich, der Geringste aller Sterblichen, gleich auch unwerth eines solchen Vertrauens, so habe ich mich dennoch gerüstet mit dem Panzer des Gehorsams, und auf dem Rosse meines Eifers bin ich einhergerannt, Dir vorerst zu berichten, wie es damit bestellt ist in der Provinz Teuto-Schwa, die da liegt am Saumes des eisigen Norden, verwandten Sees und Deiner Herrlichkeit seeligen Reichsitzes.
Du weist, edler Herr des Geistes und der Gedanken! besser als Dein Knecht, daß die Bücher- Werk- und Werkchen-Schreiber dieser Provinz unlängst sich noch herausgenommen hatten, eigene Gedanken und Formen und Meinungen zu haben. Das hätte nun weiter auch nichts auf sich gehabt, da die Anmaßung dieser Leute von je her so weit ging, ihre beschränkten Ansichten und Kräfte dem hohen Genius der heiligen Mandarine an die Seite zu setzen zu wollen; aber auch nicht bloß für sich behalten wollten dieselben neuerdings noch diese Gedanken, sondern auf ihre alberne und veraltete Weise der Presse und dem Volk selbst übergeben; und darum ist denn in diesem Reiche von uns, Deiner heiligen Mandarine, weslich verordnet worden, dass eine Einrichtung bestehe, wornach Niemand mehr Geist haben darf, als wir ihm erlauben, und nicht mehr Einsicht, als für seine Rangstufe schicklich, also gar keine, dieweil solche Rangstufe weit unter denen steht, die solches verordnen. Du wirst uns loben – und was wir demüthiglichst erflehen – ob solcher göttlichen Ordnung, weil offenbar ja unsere Gesellschaft nicht mehr bestehen könnte, wenn herauskäme, dass etwa so ein Schreiber oder Componierer ein Mann von wenn auch blos gesundem Menschenverstand, und ein Mandarin (mein Herz zerknirscht bei dem Gedanken, aber ich muss der Vollständigkeit halber Deiner Herrlichkeit die Idee wiederzugeben wagen, welche dies verruchte Rotte wohl hegt) – ein Dummkopf seyn könnte. Alles was die entfernte Idee einer solchen unwahrscheinlichen Möglichkeit auch nur nach dem tausendsten Schlusse bei dem hundertsten Mann des Publikums, wenn auch nicht erregen, so doch nur anhauchen könnte, muss entschieden zurückgewiesen und unterdrückt werden. Ein jeder Componist, Schreiber oder Virtuos muß und soll schreiben, spielen und singen, was wir die Mandarine wollen, nicht mehr und nicht weniger, noch unmöglicher etwas Anderes sonst —-! Herr Du willst nicht, daß ich Deinen erhabenen Willen hier ausspreche und die herkömmliche Ordnung berühre, wornach wir so einem Sterblichen dann die Schwere des Unmuths unseres erhabenen unsterblichen Genius fühlen zu lassen haben.
Allerdings mit Recht hast Du, erhabener Generalinspektor!, mit Mißmuth bemerkt, daß die für diesen Zweck anhero bestellt gewesenen Wächter der Provinz Teuto-Schwa von diesen heiligen und heilsamen Principien noch nicht genügend durchdrungen und begeistert worden sind. Diese alten Wächter des Geistes und ihre Genossen gehören, so weit sie noch am Leben, noch zu der Schule, welche sich streng an die Vorschriften hielt, die von dem erhabenen Mandarinenrathe jenes himmlischen Reichs gegeben wurden, welches bestand, ehe die donnernde und krachende Posaune Deines gewaltigen und erhabenen Reichssitzes für gut fand, weil zu weit und mühselig war, von dort immer die Befehle und Gesetze zu holen, ein neues solches Reich hier auf Erden gleich zu gründen, und da wir uns Gesandte und inspirierte Abkömmlinge von jenem wahrhaften ewigen himmlischen Reiche nennen, denen die Offenbarung geworden, in dem neuromantischen wiederhallen lassen, was sich dort ergeben, so scheint es kaum rathsam fast, mit ernergischerer Strenge gegen diese alten Heiligen zu verfahren, als die Klugheit des neuen Throns gegen den älteren gebietet; doch hoffe ich nicht Grund und Vertrauen, daß nachgerade der heilige Glaube dieser unserer eigenen Antecessoren bald dahinschwinden und sie begreifen lernen werden, wie selbst ein alter Beamter Gedanken aufgeben und annehmen muß, um dem neuen, der einmal sitzt auf seinem Stuhle und Recht spricht für Alle, wohlgefällig zu erscheinen. Denn eben weil der Buchstabe und Ton tötet und der Geist belebt, muß man mit Geist den Buchstaben und Ton töten, damit der Buchstabe und Ton den getöteten Geist nicht belebe, wie unser eigener geheiligter Missionär Mar-Kslaw sagt in seiner Geheimlehre von der Verwandlung der alten Musiklehre in die neue. Es liegt ein tiefer Sinn in diesen sinnlosen Worten, und wer das Wortspiel nicht versteht, der ist auch nicht würdig, berufen zu werden, mit Worten und Tönen zu spielen.
Erzähler
Mit Mar-Kslaw ist der abtrünnige Adolf Bernhard Marx gemeint, den er für den Autor der genannten Kritiken in der NZfZ hält.
Clara Wieck
So habe ich, Licht unserer Zeit! Schlagschatten des Thrones! edler Erzmandarin! getreulich geforscht, ob in dieser Provinz Teuto-Schwa nunmehr ein besserer Zustand eingetreten und die vermessenen Componirer, Schreiber und Virtuosen genügend gedemüthigt sind und ihre Finger verstrickt in den Saum von dem Schleppkleide Deines hohen, erhabenen Willens. Höher aber schlägt vor Freude mein Herz und tiefer schwimmt mein Geist in dem freilich etwas gelb gefärbten Meere des Entzückens über das was ich Dir jetzt noch zu verkünden habe.
Erzähler
Es folgt eine nicht weniger verschachtelte lange Suada über die Rolle von Marx im neuromantischen Reiche. Die Chinoiserie endet schließlich mit:
Gustav Schilling
Ich küsse den Saum Deines Kleides, indem ich mich sieben Mal zu Erde werfe und den Staub mit meiner Stirn berühre. Mögen die Götter Dich beglücken in Geist, Herz und Magen, und unser neuromantisches himmliches Reich bewahren vor jeder Revolution, die, unsere Mutter, uns gleichwohl anwidert wie dem Fische die trockene Erde! – Ich bleibe
Dein unterwürfigster Sklave
Schuh-Wah-Kah-Man
Mandarin der 12. Rangstufe
Erzähler
Bevor die Auseinandersetzung weitere dichterische Blüten trieb, hatte das strafende Gericht das Wort. Auf Klage Schillings wurde Schumann am 25.6.1842 vom Leipziger Stadtgericht wegen Beleidigung zu einer Gefängnisstrafe von sechs Tagen verurteilt, die auf Appellation in eine Geldstrafe von 5 Talern umgewandelt wurde. U.a wurde Schumann die Bemerkung angekreidet: "Ich kann mich leider von dem wertlosesten aller Kupfermünzen, von diesem Hohenzollern-Hechingischen Schilling nicht losreißen."
Schilling kostete seinen Triumph aus und ging alsbald wieder zum literarischen Angriff über. Wohlbewandert in den Machenschaften der Heuchler begann er in seiner Zeitschrift eine Serie über "Die musikalische Tartüffe unserer Zeit". Als erstes nimmt er sich Marx vor, dem er ausführlich Doppelzüngigkeit, mangelnde Loyalität und alle möglichen sonstigen Charaktermängel vorwirft. Als nächstes ist Schumann dran:
Gustav Schilling
II. R. Tartüffe
Herr R. Tartüffe ist Redakteur einer Zeitung, ja Redakteur en chef! und das klingt groß in den fränkischen Nachbarstaaten. Er ist Doctor der eleganten Kunstphilosophie oder der Philosophie wegen seiner eleganten Kunsttalente, und klingt das dort nicht groß, so klingt es umso interessanter und was interessant ist, muß wahr seyn. Hr. R. Tartüffe ist der beste Schauspieler zugleich, wenn das Drama des Lebens Kenntnisse, Güte des Herzens, Geschicklichkeit und was dergleichen zum Inhalt hat. Man sehe den Ernst, selbst wenn bis in später Stunde noch der Wein seine Wangen färbt, und gleichwohl ist sein Herz immer froh und sein Benehmen sehr verbindlich, wie der Klang seiner Stimme schmeichelnd. Gehe ihn hart an, und er sagt, dass er nichts erwidert; sende Früchte in sein Journal und er erschöpft sich in Danksagungen und bittet flugs um noch mehr der Schüsseln, weil keine lehrreicher, weil keine interessanter als die Deinen; aber setze um alles in der Welt keinen Zweifel in sein Wort, sonst wird seine Presse Dein Haupt und Herz zerquetschen, und rufst Du Ach!, Weh! so bittet er Dich tausendmal um Entschuldigung und fleht, ihm nicht die Unbill beizurechnen, da er sie nicht, sondern sein todtes Blatt sie Dir angetan, und dieses ein anderes Ding, denn er selbst im Augenblick gewesen. Auch erzähle in seiner Gegenwart nicht etwa eine rührende Geschichte von jenem frivolen Componisten, der falsche Quinten gemacht, Dissonanzen nicht aufgelöst und für Instrumente geschrieben hat, was kein Vernünftiger je gelesen noch gespielt: er wird sonst Wehe! schreien und fluchen, und seine Augen wie seine Feder werden übergehen in Zähren der Klage und des Jammers, wenn er selbst auch nicht weiß warum, oder wenn er selbst auch eben vorher sollte etwa für Clarinette Sätze molto vivace geschrieben haben wie: (folgt Notenbeispiel)
Oder war dergl. für Violine, Horn oder Oboe. Bitte ihn übrigens um Empfehlung eines Deiner Werke in seinem Journale, und Du wirst Hören, wie gern, wie willig er zu Allem bereit ist, wenn Du nur etwas Muth hast, recht lange zu warten, oder den Muth, mit ihm in einer Form zu arbeiten, wo das Versprechen dann nicht etwa mehr war, denn eine bloße Ironie. Sorge aber darob nicht, Du siehst ja, der Mann ist in Verzweiflung, daß er nicht anders handeln konnte. O des gequälten Opfers von tausend Rücksichten! und der Pein, nicht vom eigenen Wissen und Willen, sondern von gemieteten im 100 blonden und braunen Köpfen abzuhängen. – Sieh doch, Alles bietet Dir der Mann zum Ersatz an, Alles – nur das nicht, was Du brauchst, oder gar ein öffentliches Ehrenwort, denn von dieser Wonne ward ihm selbst ja so wenig zugemessen, daß er für sich kaum noch genug daran hat, und für die Anderen, die mit ihm austauschen in diesem Artikel, wie viel weniger für Dich, einen Mitcomponisten. Verzichte nur einen Augenblick auf das Verlangen, die Ehrbarkeit, Wahrheit und was dergl., was in der Kunst, Wissenschaft, dem Künstler so schön steht, und Du kannst nicht mehr zweifeln an der Herzensgüte von R. Tartüffe, denn Du wirst Dich überzeugen, was nicht Alles er alsdann noch und in welcher Menge er für Dich Übrig hat. Und höre nur welcher geistreiche, treffende Witz in jedem seiner Worte, der belustigt, entzückt und Dich niemals verläumdet, wenn Du anwesend bist, und aussieht wie lauter Arabesken und Kinderscenen. Auch welche Galanterie, welche zarte Aufmerksamkeit für junge aufstrebende Talente. Sie können die Lieder weiter tragen, den Sinfonienruhm, und sind leichtgläubig, verführbar noch; darum muß ihnen lieb getan, muß ihnen der literarische Markt geöffnet werden, damit ihre Kraft sich erstarke, und zum Dank für solche Güte, die einen wohlfeilen Artikelkauf hiermit abmacht, auch etwas von der Unerforschlichkeit, von dem großen, unerreichbaren Genius der Familie Tartüffe mit einfließt. O – wie die allseitige Überzeugung davon so wohl tut. Sieh – mein Hund ist ein Dummes Thier, aber er bellt, wenn ich komme, und ist`s auch nur gebellt, so ist´s doch gebellt, und es gibt ein Bellen, das Anderen in den Ohren gellt, während es dem Einen Sphärenmusik scheint. Hr. R. Tartüffe hat begriffen die unendliche Harmonie dieser und zahlt daher hohe Preise in Ziffer und Wert für ihr Conzert, zumal Anfang und Ende derselben einer Sinfonie eigener Erfindung so ähnlich sieht, wie die Unwahrheit der Lüge. Denn das ist auch der Grundzug des Charakters, in welchem sein Organ, das sich Zunge der Zeit genannt, hervortritt, und hat mein Conterfei nicht getroffen die Wahrheit, oder willst Du seine Zeichen und Farben nicht sehen, noch verstehen, so denke, daß auch in der Lüge eine Wahrheit ist, – und daß „nicht verstehen“ schon „verstehen“ heißt.
Erzähler
Schillings Erfolg beim strafenden Gericht ließ Schumann keine Ruhe. Er machte den Fehler, Schilling auf das juristische Gebiet zu folgen, indem er seinerseits eine Klage in Stuttgart abhängig machte. Doch die Stuttgarter Richter hielten – vorläufig noch – zu ihrem Hofrat. Schumanns Klage wurde im August 1842 zurückgewiesen. Offenbar sah Schumann ein, dass dieser Ausflug auf das wenig durchsichtige Terrain der juristischen Auseinandersetzung, auf dem er schon einmal gescheitert war, ein Fehler war. Sehr schnell besann er sich auf seine eigentlichen Waffen und holte – erstmalig eigenhändig – zum einem Schlag aus, der seinen Widersacher schwer anschlagen sollte. In der NZfM erschien am 27.9.1842 der – von Schumann mit seinem Pseudonym "Florestan" gezeichnete – Artikel "Die Verschwörung der Heller". In dieser glänzenden Satire verlagert Schumann -listig auf seine inkriminierte monetäre Bemerkung über Schilling zurückgreifend – das ganze Geschehen in das Münzwesen.
Robert Schumann
Die Verschwörung der Heller.
Romanze in Prosa.
Von Florestan.
Das Volk der Moneten ist ein weithin bekanntes. Ihre Bedeutung in der modernen Welt, die merkwürdigen Schicksale einzelner Stämme, die kaum zu verfolgenden Irrfahrten der Einzelnen, ihre geheimnisvollen Wanderungen von Palästen zu Hütten, über Land und See – wer über all dies nachgedacht, wird zugeben müssen, es verlohne sich des Studiums der Geschichte diese Volkes, seines Charakters und vor allem seiner Sprache. Von den tausend abenteuerlichen Geschichten, die ich von ihnen weiß, erzähle ich heute eine nur: die Verschwörung der Heller gegen die Goldstücke.
Es war einmal ein ‚Heller, dem war`s nicht recht, daß er kein Goldstück war. In dem immens bevölkerten Staat, dem er angehörte, war sein Zeichen 0,1. Wir wollen ihn der Kürze halber auch so nennen. 0,1 war, wie gesagt, ein geborner Heller. Schon von früher Jugend an war sein höchster Wunsch, nur einmal in die Nähe eines Fürsten zu kommen. Einmal schon ganz nahe daran, erkannte ihn der Fürst und warf ihn unwillig wieder einem Armen in den Hut. Von da an bemächtigte sich des 0,1 ein ungemeiner Haß gegen alles was mehr war denn er. Hätte übrigens der Fürst das seltsame Gepräge unseres Helden genauer betrachtet, wer weiß, ob er nicht das scurrile Monstrum in sein Münzcabinett aufgenommen. Die Vorderseite von 0.1 zeigte nämlich einen Doppelkopf, von der eine genau einem Don Quichotte, der andere einem Stück Bösewicht ähnlich sah. Auf dem Revers stand aber mit großen Buchstaben: Omnia ad majorem Dei Gloriam. Die letzte Inschrift auf dem kleinen Ding nahm sich aus ungefähr wie jener Riesen-Orden, den einmal ein launiger König seinem eitlen Narren zur Strafe umgehangen, und den er an einem großen über den ganzen Corpus weggehenden Band nun sein Lebelang hinter sich herzuziehen hatte.
Das bisherige Leben von 0,1 war bis hierher im Ganzen ein einsames und contemplatives: Niemand wusste von ihm. Später war er durch Zufall in einen Klingelbeutel und von da in die Tasche eines Geistlichen gekommen, mit dem sogar einmal die Kanzel betreten. Es war doch etwas. Denn eine ungemessene Eitelkeit, ein unbezwingliches Verlangen, in die Kreise größerer und Mächtigerer zu gelangen, waren wie gesagt hervorstechende Charaktereigenschaften unseres Helden.
Ein Zwischenfall stachelte seinen Wunsch nur noch mehr in die Höhe. Eine schöne Dukatin hat sich in den Schatz des Diakons verirrt; ihre wunderschöne helle goldene Stimme machte das größte Aufsehen, und oft in Nächten erklang sie durch die Stille der Pfarrwohnung und entzückte alle Moneten, die da aufgehäuft lagen. Heller sah, hörte, verliebte sich in sie, und er warf sich nun eifrig auf die Musik aus doppelten Gründen, einmal weil sie gerade Mode in der Nation war, die von jeher ein großes Klangtalent hatte, dann auch, weil er so der schönen Dukatin näher zu rücken, ihr sogar durch öffentliche Lobeserhebungen nützen zu können glaubte; denn etwas musste er doch jedenfalls von der Höhe und Tiefe der Töne verstehen, um sich darüber auslassen zu können.
Nirgend aber wüthet das Schicksal wohl grimmiger, als in der Münzenwelt; kaum dass sich ein paar Individuen flüchtig kennengelernt, reißt eine unerbittliche Hand die Befreundeten auseinander. Der Glücklichen, die sehr lange mit einander verkehren, bei einander bleiben dürfen, gibt es nicht zu viele. So ward auch 0,1 von der schönen Sängerin bald getrennt und kam in die Privatkasse eines schwäbischen Bürgersmannes. Aber das Bild der Sängerin wich nicht aus seinem Kopfe; er entwarf allerhand Pläne, sich bei ihr wieder in Erinnerung zu bringen, und kam endlich auf den kühnsten, auf ein Buch, auf ein „Universal-Central-Lexikon aller denkwürdigen Münzen, ihrer Curse, ihrer Schicksale etc“ – Kupfer versteht sich zu rasseln, und 0,1 ließ es in Gesellschaft einiger Anderen nicht daran fehlen, sein Unternehmen in der Welt bekannt zu machen, für das er auch einige gehenkelte Thalerstücke und Schaumünzen zu interessieren verstand. Das Buch schwoll mit der Zeit zu einem riesigen an und das allgemeine Urteil lief darauf hinaus, es vereinige so viel Gutes und Schlechtes, vermische Dummes und Wahres in so lächerlicher Weise, wüsste so wenig über den gegenwärtigen Zustand des Münzwesens, daß nur unsere Nachkommen zu bedauern wären, die solchen Büchern etwa Glauben schenkten. Namentlich zeichneten sich 0,1` eigene Artikel aus durch eine gelehrte dunkle Gespreiztheit, die an Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheim erinnerten, der man es ansah, der Verfasser suche Gegenstände zu erforschen, die er nie vor Augen gehabt. Auch unparteiisch war der Foliant nicht sonderlich (in wie konnt` er das); so war z.B. ein Freund des Heller, auch ein Heller, unmäßig gelobt, während der und jener seltene Carl`s und Augustd`or aus dem und jenem Jahre gar nicht genannt war etc. Was aber den schlimmsten Schatten auf 0,1 warf, war daß der im Arbeitsfeuer ganz fremde Aufsätze für seine eigenen angesehen, mit anderen Worten, daß er wie ein Rabe tapfer zusammen gestohlen, überall her, auch Schlechtes und Mittelmäßiges nicht verschont, um so leichter der Entdeckung zu entgehen.
Die Sache endete nicht gut; der Verleger des Lexikon`s schrieb gegen seinen eigenen Redacteur, die in`s Unternehmen gelockten einzelnen Schau- und gehenkelten Thalerstücke zogen sich einzeln zurück, es gab Zank über Zank. Die Sensation, die das Buch auf die Gebildeten und Mächtigen des Adels hervorbringen sollte, war auch nicht die gehoffte. Im Gegenteil, man sagte sich offen: Einem Heller steht kein Urteil über einen Louisd`or zu.
Dies brachte den 0,1 immer mehr gegen die Goldstücke auf, und schon da stiegen in ihm allerlei Plänen auf, wie sie am besten aus der Welt zu schaffen seien. Auch Pläne anderer Art in Menge fuhren ihm durch den Kopf; er schrieb Bücher über Bücher, machte aus dem Lexikonfoliaten einen Oktavband, aus diesem eine Taschenausgabe, er machte Opertexte, er erläuterte Bibelstellen, er wäre gerne Theaterintendant geworden, er wollte eine Musikhandlung errichten. Von allen diesen gewann endlich die Oberhand einen „Verein gegen das Betteln“ zu gründen; denn so glaubte er am ersten aus der niedrigen Sphäre zu kommen, in der er nun einmal festsaß. Der Verein war bald constituiert; Ehrenmitglieder wurden ernannt (correspondierende verstanden sich ohnehin); es wurde ihnen erklärlich gemacht, wie nur durch solche Maßregeln ein allgemeiner Wohlstand befördert, der Stolz und Reichthum einiger Hochmütigen gebrochen würde. Die Ehrenmitglieder selbst wurden es unter der Bedingung, daß sie auf eine herauszugebende „Zeitung“ abonnieren mussten. Ein mitleidiger Großer ließ sich auf „submissestes“ Ansuchen des Hellers sogar herab, selbigen vergülden zu lassen und ihm den Titel eines „gefürsteten Hellers“ beizulegen; kurz Nulleins jubelte.
Freunden und Leiden wechselten jetzt in dem Leben unseres Helden; nur dahin konnte er es trotz der Vergüldung und des Titel nicht bringen, daß ihn die Goldstücke für ihresgleichen genommen hätten. Hätte ihn ein einziger einmal: „Bruder Louisd`or“ angeredet, er wäre der glücklichste gewesen; ja eine bloße Verkennung konnt` es ihn schon machen.
Je klarer bald der eigentliche Zweck des Gründers des „Bettelvereins“ wurde, – je mehr man sah, wie es dem Heller in der Reibung mit edlerem Metall nur um seinen eigenen Glanz, wie es ihm um die Ehrenmitglieder d.h. den Abonennten seiner Zeitung zu thun war (am liebsten hätte er gleich die ganze Welt zum Ehrenmitglied gemacht), – je mehr zerfiel der Verein in sich selbst, und der gefürstete Heller befand sich bald wieder unter seines Gleichen, und namentlich verschmolz er in Freundschaft mit einem plumpen, groben Dreierstück, welchem Bunde sich später, wenn auch nur im Geheimen, ein außer Kurs gesetzter Gulden anschloß. Denn nirgends in der Welt gilt der Spruch: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ mehr als in der Münzenwelt. Oder ihr hättet nie die Unruhe eines Louisd`or bemerkt, wenn er sich zufällig in niedriger Gesellschaft befindet, wie er sich bald davon macht und nicht ruht bis er wieder unter seines Gleichen und in die prächtige Umgebung gekommen, die ihm von Haus aus gebührt. Zwar er kann auch Glück stiften in der ärmlichen Hütte des Bauern; viel öfter aber Unglück. Kurz „Gleich und Gleich gesellt sich gern“. –
Wir müssen das Gepräge der anderen Bundesgenossen unseres 0,1 etwas genauer betrachten. Auf der Vorderseite des ersteren befand sich ein ungeheurer Goliathskopf, dessen Ausdruck zwischen Dummheit und Auswendig-gelernt-haben schalkhaft hin- und herwiegte; auf der Kehrseite standen die Worte: “Ich bin mir selbst der Höchste“. Der andere zeigte ein ganz entgegengesetztes Gesicht, einen schlau-schmunzelden Jesuiten auf der Vorderseite, auf der hintern einen von starken Winde bewegten Mantel mit dem bekannten I.H.S.V.
Wir kommen jetzt dem eigentlichen Zeitpunkt der Verschwörung immer näher. Auf den vielen Kreuz- und Querzügen, die 0,1 und der Dreier im Lande herum machten, begegneten sie sich denn einmal in einer Weinstube. Sie waren außer sich vor Freude, denn sie hatten sich früher noch nicht persönlich gesehen und kannten sich nur aus ihren Schriften. Dreier war nämlich ein leidenschaftlicher Anhänger des alten Münzwesens, namentlich des niederländischen; ihm war nichts Recht an der Neuzeit; am liebsten hielt er sich bei kaum noch erkennbaren alten Münzen auf, und hatte über eine jetzt erst entdeckte sogar ein Schriftchen ediert. Die neuen Freunde verschlangen sich einander beinahe vor Achtungsbezeugungen, obgleich keiner vom anderen viel hielt, beide in dem Hass gegen das übermüthige Gold zusammentrafen. Sie waren so glücklich, die ganze Nacht nebeneinander liegen zu dürfen, wo sich dann ungefähr folgendes Gespräch entspann:
Der Heller: Bruder, das hochmütige Wesen einiger Goldstücke fängt an, mir nach und nach fürchterlich zu werden.
Bruder auch mir entgegnete der Dreier.
0,1: Hab` ich nicht alles gethan, unseren Stand zu Ehren zu bringen? Hab` ich nicht hundert schlaflose Nächte zugebracht? Ist mein „Universal-Central-Lexikon“ nicht vom Tajo bis zur Newa bekannt? Und was hab`ich davon? Überall Verkennung, nicht als – . Hier weinte der gefürstete Heller einige bittere Tränen; aber, sich schnell in die Höhe richtend, setzte er hinzu: Bruder, es muß anders werden.
Der Andere sann lange nach; in diesem Goliathkopfe erschienen Gedanken nun wie Zugvögel, alle Jahre zweimal höchstens. Am liebsten aber träumte er von vergangenen Zeiten, und donnerte nur zuweilen wie aus dem Schlafe fahrend einen Fluch auf die Jetztwelt.
Der Heller fuhr leiser fort, da ihm jener nicht antwortete: Bruder – eine Verschwörung –„. Er flüsterte immer leiser; ich hörte nur noch die letzten Worte: – und dann, wenn wir oben auf dem Throne sitzen, dann soll dieses verhaßte Gold unsere Füße blank scheuern, und wir wollen uns erlaben an seiner Erniedrigung, und Du wirst mein erster Souvereign“.
Aber entgegnete vergnügt der Andere, einen Degen und Perücke beding` ich mir aus, wie bei meinen geliebten niederländischen hohen Ahnen. Und dann noch, Freund: wollen wir nicht den Ex-Jesuiten mit in das Komplott ziehen – -?
Er setzte dies dem Heller genauer auseinander. Jener gab nur ungern nach, „denn der Schlaukopf könnte ihnen leicht über den eigenen wachsen“. Endlich schlugen beide ein. Der Plan des Angriffs gegen das Gold wurde noch erwogen, Stunde und Ort bestimmt. Man schied in der freundschaftlichsten Aufregung.
Der gefürstete Heller machte jetzt die letzten und höchsten Anstrengungen, und bot alles Kupfer, dessen er im Lande ansichtig wurde, zum Kampf gegen das Gold auf. Die Verschwörung sollte in ***, als dem verhaßtesten Orte, wo das meiste Gold versammelt war, ausbrechen; man wollte es da in Masse angreifen, hoffte es durch die Last des Kupfers ganz zu zerdrücken, in jedem Falle gehörig zu entstellen.
Eines Abends, – so erzählte mir ein gütiger, sehr reicher Mann – als ich mich kaum schlafen gelegt, höre ich in meinem Cabinet, wo meine wenigen Kostbarkeiten beieinander liegen, ein sonderbares grobes Gepolter, und zwischen hindurch fröhliche Klänge wie von Goldstücken. Ich leuchtete in die Stube und habe da einen komischen Anblick.
Ein Haufen meist außer Cours gesetzter Kupfermünzen wälzt sich schreiend und schimpfend nach einem Kranz offen daliegender schöner Goldstücke zu, zwischen denen auch einige Perlen und Edelsteine lagen. Mir war es zunächst um die letzteren zu thun, die sich weniger verteidigen, leicht beschädigt werden könnten. Mit Gold hat es schon weniger Gefahr. Offenbar war es die Absicht des groben Kupfers, meine Lieblinge anzugreifen, die lachend dem Heerzug entgegensahen. Endlich war mir das Lärmen zu toll; ich werfe das Kupfer in seine Kiste und setze es in die eine Schale meiner Geldwage, und das Gold in die andere.
Lumpenpack, seht was ihr seid!
Da zog das wenige Gold das Kupfer lachend und deckenhoch in die Höhe, daß Wage und Kiste polternd herunterfielen und das erschreckte Kupfer sich unter Tisch und Stühle zitternd verkroch. Es war ein lustiger Anblick.
Was weiter aus den Rädelsführern geworden, weiß ich nicht. Der Ex-Gulden soll, Pläne brütend, in einem Jesuitenkloster festsitzen, den vergüldeten Heller will man in einem Kaufladen als Rarität mittendurch festgenagelt gesehen haben, wie man es mit falschen Geld macht; der Dreier aber soll sich unweit von Berlin in der Sandwüste dort verloren haben.
EPILOG
Erzähler
Mit dieser "Romanze in Prosa" setzte Schumann den Schlussstein in das mittlerweile imposante publizistische Streitgebäude. Schumann war zwar vor den weltlichen Instanzen unterlegen. Er hatte aber den Krieg der Zeitschriften gewonnen.
Noch im Jahre 1842 musste Schilling seine Zeitschrift einstellen, wenige Monate nachdem er sie in der Vorankündigung des neuen Jahrgangs als "das wahrhafte Archiv" bezeichnet hatte, "aus welchem die künftige Musikgeschichte einzig und allein ihre verlässlichsten Akten und Data zu schöpfen hat". Schumanns NZfM hingegen wurde zur führenden Musikzeitschrift Deutschlands und wird noch heute fortgeführt. Mit diesem Sieg war Schumanns "Interesse" an Schilling beendet. Künftig würdigten er und seine Zeitschrift Schilling keines weiteren Wortes mehr.
Schilling weiteres Schicksal entsprach Schumanns erster Einschätzung. Im Januar 1857, ein halbes Jahr nach Schumann Tod, verschwand Schilling plötzlich "mit einem ansehnlichen Geldbetrag" aus Stuttgart und flüchtete vor der mittlerweile doch hellhörig gewordenen Stuttgarter Justiz nach Amerika. Das erstaunte Stuttgarter Publikum erfuhr aus der "Schwäbischen Chronik", dass ihr "in allen Kreisen bekannter" Mitbürger seine Schreibarbeiten inzwischen erheblich vereinfacht hatte. In den letzten Jahren hatte er statt Bücher (ab)zuschreiben nur mehr ungedeckte Wechsel unterschrieben. Schillings hinterlassene Schulden beliefen sich auf nicht weniger als 170 000 Gulden, was damals ein Vermögen war. Er begab sich nach New York und schrieb dort wieder über Musiker. Nach drei Jahren musste er wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten nach Kanada flüchten, kehrte aber später wieder in die USA zurück, wo er 1881 in Nebraska starb.
Es fragt sich, wie es möglich war, dass sich ein Betrüger wie Schilling so lange im damals ja noch eher kleinstädtischen Stuttgart halten konnte, dessen Bürger Schumann wegen ihrer Bildung doch so gelobt hatte. Immerhin betrieb er seine unseriösen Geschäfte in aller Öffentlichkeit. Sicherlich, Titel, Orden, Ehren, Beziehungen zu hohen Häusern – das waren schon immer auch die Schutzschilde, hinter denen Hochstabler und Betrüger öffentlich ihren Geschäften nachgingen. Bei den pietistischen Schwaben dürften darüber hinaus das theologische Mäntelchen des Dr. Schilling und der Anschein der Gelehrsamkeit seine Wirkung nicht verfehlt haben. Dennoch bleibt es erstaunlich, dass ein Mann, den Schumann bereits 20 Jahre vor seinem unrühmlichen Abgang aus Stuttgart vollkommen durchschaut hatte, die Schwaben so lange ungeschoren an der Nase herumführen konnte.
Den Text gibt es auch als Buch:
http://www.epubli.de/shop/buch/Kampf-um-Clara-Klaus-Heitmann-9783737509923/47870
Aber Achtung: Im Buch (ich habe die 4te Auflage) ist mehr Inhalt als hier.
Zum Beispiel fehlt hier der Text von Gustav Schilling „Die ‚Neue Zeitschrift für Musik‘ von Schumann und ich“.
Rezension:
Das Buch ist soso.
Es ist in den Stellen gut, wo der eingebaute Text gut ist: so z.B. im 1. Akt, weil die romantischen Briefe zwischen Clara und Robert etwas unglaubliches Romantisches haben: einfach schön!
Aber das Buch ist in den Stellen schlecht, wo der eingebaute Text schlecht ist: so z.B. im 2. Akt, weil die Attacken zwischen Schilling und Schumann einfach nicht schön sind. Also Beispiel: die „Verschwörung der Heller“, ist einfach nur träge zu lesen. Dort ist keine Poetik oder Lyrik. Es ist schlicht als Satire gemeint, um Schillings Unfug zu attackieren.
Das Buch auch kein richtiges Ende.
Mich hätte z.B. die Hochzeit von Robert und Clara interessiert.
Sonstiges:
Ich finde es schade, dass im Buch die Quellenangaben nicht ordentlich gegeben wurden. Wo z.B. findet man Schillings Text „Die ‚Neue Zeitschrift für Musik‘ von Schumann und ich“, also wo hat Schilling es publiziert?