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Edward Elgar (1857 – 1934) Introduktion und Allegro für Streichquartett und Streichorchester

Nachdem Elgar im Jahre 1899 nach langer Durststrecke in eher fortgeschrittenem Alter mit den Enigma-Variationen den Durchbruch als Komponist geschafft hatte, begann eine beispiellose öffentliche Karriere. Er wurde mit Ehren überhäuft und avancierte binnen Kurzem geradezu zum nationalen Helden. Kompositionsaufträge kamen von allen Seiten, nicht zuletzt vom englischen Königshaus, für das er unter anderem seine fünf patriotischen  Märsche „Pomp and Circumstances“ schrieb, die seinen imperialen Weltruhm begründeten. Mit dem Erfolg kamen aber auch die künstlerischen Krisen. Sein Freund und Verlagslektor Jaeger, der ihn schon drei Jahre zuvor angehalten hatte, mehr zu komponieren, schrieb ihm Anfang Januar 1905: „Ich mache mir Sorge um Deine Muse, denn ich fürchte, dass wir immer weniger von Dir bekommen werden. Dies ist die Gefahr des künstlerischen und sozialen Erfolges (vor allem des sozialen Erfolges natürlich). Dies macht mich traurig und natürlich all die, welche Dich ehrlich lieben und bewundern. Wir wissen, dass Du leben musst. Aber England ruiniert alle seine Künstler.“

Offenbar hat Elgar die Sorge seiner Liebhaber ernst genommen. Wenige Wochen später schreibt er zurück an Jaeger: „Ich mache das Streicher-Ding rechtzeitig für das Konzert des (London)- Symphonie Orchesters. Intro: & Allegro – keine große Ausarbeitung stattdessen aber ein Teufel von einer Fuge … mit allen möglichen Scherzen & Kontrapunkten.“ Bei dem „Streicher-Ding“ handelt es sich um das kurze aber sehr gehaltvolle Werk für Streichquartett und  Streichorchester.

Das Werk beginnt mit der für Elgar typischen fallenden Quarte, die sich durch das ganze Stück zieht. Im weiteren Verlauf greift  Elgar auf eine Melodie zurück, die er drei Jahre zuvor während eines Urlaubs im walisischen Ynys Lochtyn gehört und notiert hatte. Im Programmtext für die Uraufführung schrieb er dazu: „Die Notiz war bis vor Kurzen vergessen als sie mir weit unten im Tal unseres Flusses Wye wieder in Erinnerung gerufen wurde,  wo ich ein Lied hörte, das dem ähnelte, welche mich in Ynys Lochtyn so angenehm berührt hatte. Der Sänger vom Wye erinnerte mich unwissentlich an meine Notiz.“ Die volksliedhafte „walisische“ Melodie wird von der Bratsche des Soloquartetts vorgetragen, wird nach und nach vom Orchester und schließlich vom Soloquartett übernommen. Das Allegro verarbeitet das thematische Material der Einleitung bei verdoppeltem Tempo in komplexer Weise, bis alles in einer Fuge dem Höhepunkt zustrebt. Durch die dichte Themenverarbeitung und die Kombination von Soloquartett und Streichorchester gelingt es Elgar dabei, ein außerordentlich intensives Klangerlebnis zu erzeugen.

Elgars Ehefrau Alice schreibt nach der Uraufführung, die am 8. März 1905 in London stattfand, an Jaeger: „Das neue Streicherstück war ziemlich faszinierend. Viele halten es für das beste Stück, das er geschrieben hat.“ Offenbar noch mehr Eindruck machte beim notorisch patriotischen englischen Publikum allerdings der dritte Marsch „Pomp and  Circumstances“, der bei dieser Gelegenheit ebenfalls erstmals gespielt wurde. Alice schreibt dazu: „Der neue Marsch ist spannend – die pazifistischsten Freunde waren bereit zu kämpfen!“