Archiv der Kategorie: Dvorak

1879 Antonin Dvroak (1841 – 1904) Violinkonzert a-moll

Am 15. November 1878 erschien in der „Berliner Nationalzeitung“ ein Artikel des bekannten Musikkritikers Louis Ehlert über Dvorak, der das Leben des Komponisten nachhaltig verändern sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Dvorak zwar schon viel komponiert, war aber so gut wie unbekannt geblieben. Ehlert lobte nun Dvorak an Hand seiner ersten „offiziellen“ Publikationen – es handelte sich um die erste Staffel der „Slawischen Tänze“ und die Gesangs-Duette „Klänge aus Mähren“ – als eines der wenigen ganzen Talente, das ihm seit langem untergekommen sei (im Gegensatz zu den vielen Viertel- und Achtelbegabungen, mit denen er es in der zeitgenössischen Musik in der Regel zu tun habe). Die wichtigeren neueren Komponisten, so meinte Ehlert, seien „furchtbar ernst“. Man müsse sie studieren, und nachdem man sie studiert habe, einen Revolver kaufen, um seine Meinung über sie zu verteidigen. Dvorak hingegen sei ein Musiker, über den man sich so wenig streiten könne wie über den Frühling. Seine Musik flute mit einer himmlischen Natürlichkeit dahin, habe Humor, Leichtigkeit und erquickende Frische und sei dazu wirkungsvoll und farbig gesetzt. Er sage zwar nicht, daß man es hier schon mit Genie zu tun habe, dafür müsse man weitere Werke abwarten, aber es handle sich um etwas Erfreuliches.

 Der Artikel löste ein mediales Interesse an Dvorak aus, wie es heute ein Auftritt in einer großen Publikumsshow des Fernsehens bewirken kann. Dvorak war mit einem Mal berühmt und erhielt zahlreiche Anfragen nach Kompositionen. Noch im Januar 1879 wurde sowohl von seinem Verleger Simrock als auch – unabhängig davon – von seinem Freund Halir aufgefordert, ein Violinkonzert zu schreiben, von Halir, der Geiger war, natürlich mit dem Wunsch, das Werk auf der Taufe heben zu dürfen. Beflügelt durch so viel Anerkennung und sicher auch unter dem Eindruck des Violinkonzertes seines Mentors Brahms, das Joseph Joachim damals gerade uraufgeführt hatte, machte sich Dvorak auch alsbald an die Arbeit. Schon im Herbst 1879 war das Violinkonzert fertiggestellt.

 Bevor das Werk in den Druck ging, sollte es aber Joseph Joachim, die größte Geigenautorität der Zeit, noch durchsehen und insbesondere die Solostimme auf Spielbarkeit überprüfen. Joachim, dem einige der wichtigsten Violinkonzerte seiner Zeit, darunter auch das von Brahms, gewidmet wurden, hatte es – vielleicht aus diesem Grunde – nicht besonders eilig. Ganze frustrierende zwei Jahre ließ er sich Zeit mit der Prüfung des Konzertes, um Dvorak am 14. August 1882 „in aller Aufrichtigkeit mitzuteilen“, dass er das „Violin-Konzert in seiner jetzigen Gestalt noch nicht reif für die Öffentlichkeit“ halte. Er bemängelte vor allen die „orchestrale dicke Begleitung“. Im September 1882 trafen sich Dvorak und Joachim schließlich in Berlin, wo sie das Konzert zwei Mal durchspielten. Joachim, so schrieb Dvorak danach an einen Freund, habe das Konzert gut gefallen „Nur im Finale muss ich noch was ändern und an manchen Stellen die Instrumentation milder machen“. Und er fügte hinzu “Mir war es sehr lieb, daß die Geschichte einmal fertig wird.“

Damit waren aber noch nicht alle Hürden genommen. Im November 1882 fand eine Probeaufführung mit dem Orchester des Berliner Konservatoriums statt, dessen Chef Joachim war. Danach bemängelte Simrocks Hausfreund Robert Keller, der erste Satz sei zu kurz ausgefallen. Außerdem könne er, da er unmittelbar in den zweiten Satz übergehe, nicht für sich abschließen. Er forderte, daß der Satz um ein Drittel verlängert werden müsse. Dagegen wehrte sich Dvorak vehement in einem Brief an Simrock, in dem er schrieb, Keller sei „diesmal doch zu weit gegangen“ sei. Trocken stellte er fest, er habe zur Verlängerung des ersten Satzes keine Lust. Zur Bekräftigung seiner Meinung, „dass die zwei ersten Sätze so bleiben können, wenn nicht müssen“, berief er sich auf keinen geringeren als Pablo Sarasate, die zweite große Geigenautorität der Zeit, dessen Meinung auch noch eingeholt worden war. Allenfalls im dritten Satz, verteidigte sich der Meister, könnten noch Kürzungen vorgenommen werden.

Die offizielle Uraufführung des Werkes fand schließlich vier Jahre nach der ersten Fassung am 14. Oktober 1883 in Prag statt. Der Solopart wurde aber weder von Halir noch von Joseph Joachim, dem auch dieses Konzert gewidmet ist, sondern von dem jungen Tschechen Frantisek Ondricek gespielt. Joseph Joachim scheint das Werk weiterhin nicht so recht gefallen zu haben. Jedenfalls hat er es trotz der Widmung nie öffentlich gespielt.

 Das Violinkonzert, das anfangs auch wirtschaftlich einige Schwierigkeiten hatte – Simrock klagte bei späteren Honorarverhandlungen, es liege „einfach fest auf Lager“ – , ist noch ganz von der (böhmischen) Seite Dvoraks bestimmt, die Ehlert so begeisterte. Das musikalische Material kommt vom heimischen Tanz und Lied und ist geprägt von jenem slawischen, Schwermut und Munterkeit auf so eigenartige Weise vermischenden Melos, das die Werke Dvoraks aus dieser Schaffensperiode generell kennzeichnet. An einigen Stellen zollt Dvorak dabei seinen großen Vorgängern Respekt, indem er die „Jahrhundertwerke“ von Beethoven, Mendelssohn und Brahms zitiert. Das „böhmische Violinkonzert“ ist sicher kein „furchtbar ernstes“ Werk, über das man mit der Pistole streitet. Es ist aber eine erfreuliche und dennoch ernst zu nehmende Komposition. Und diese Kombination geht -  insofern wissen wir, die wir weitere Werke des Meisters abwarten konnten, heute mehr als Ehlert – nur dann auf, wenn Genie im Spiel ist.

Weitere Texte zu Werken Dvoraks  und rd. 70 weiterer Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1895 Antonin Dvorak (1841-1904) Konzert für Violoncello und Orchester

Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Komponisten der klassisch-romantischen Periode erkannte Dvorak die großartigen Möglichkeiten, die das Cello als Konzertinstrument besitzt. Bereits eines seiner ersten größeren Werke ist ein – unbekannt gebliebenes – Werk für dieses kraftvolle Instrument. Dreißig Jahre später, gegen Ende seines kompositorischen Schaffens, sollte er auf dem Höhepunkt seiner Meisterschaft das Cellokonzert überhaupt schreiben. Dvoraks Förderer Brahms, der es “nur” zu einem Doppelkonzert für Violine und Cello brachte, sagte darüber kurz vor seinem Tod bedauernd, hätte er gewußt, daß man solche Musik für dieses Instrument schreiben könne, hätte er auch ein Cellokonzert geschrieben. 

Das Werk, das weitgehend symphonisch aufgefaßt ist, ist die letzte Frucht von Dvoraks Aufenthalt in Amerika, in dem auch sein zweiter “Welthit”, die “Symphonie aus der Neuen Welt” und das unter Liebhabern der Kammermusik nicht minder populäre “Amerikanische Streichquartett” (mit diversen Lieblingsstellen der Cellisten) entstanden. Dvorak hatte seine geliebte böhmische Heimat im Jahre 1892 verlassen, um die Leitung des New Yorker Konservatoriums zu übernehmen. Angezogen hatte den Komponisten, der am Anfang seiner Karriere einige Hungerjahre durchleben mußte und daher ziemlich geldbewußt war, nicht zuletzt ein Gehaltsangebot aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das – ähnlich den heutigen Gegebenheiten – alle Maßstäbe des alten Kontinentes sprengte. Sein Honorar für acht Monate Tätigkeit pro Jahr in New York sollte nicht weniger als das 25-fache des Jahresgehaltes betragen, das er als Kompositionsprofessor am Prager Konservatorium erhielt.  

Nach vier Jahren in Amerika zog es Dvorak aber mit aller Macht zurück in die Heimat. In der schönen neuen Welt hatte es nicht nur immer wieder Probleme mit dem Geld gegeben, weil die Geschäfte des New Yorkers Handelsmagnaten Thurber, der das Konservatorium weitgehend finanzierte, in der Wirtschaftskrise Anfang der 90-er Jahre schlecht gingen. Dvorak vermißte auch seine Freunde und seine Familie, allen voran seine Kinder, die in Böhmen zurückbleiben mußten. Vom Heimaturlaub im Jahre 1895 kehrte er vertragswidrig nicht nach Amerika zurück.  

Dass Dvorak während der letzten Monate seines Aufenthaltes in Amerika in Gedanken bereits wieder zu Hause weilte, zeigt sich nicht zuletzt im Cellokonzert. Anders als in den sonstigen Werke, die in der New Yorker Zeit entstanden, verzichtet er hier nicht nur weitgehend auf amerikanische Elemente. Nachdem in den vorangegangenen Jahren hauptsächlich “Weltmusik” entstanden war, ist das Cellokonzert wieder ganz von böhmisch- romantischem Geist getränkt.  

Hinzu kommt eine rührende familiäre Anspielung, die Dvorak außerordentlich wichtig war. Während der Komposition des gefühlsbetonten zweiten Satzes erfuhr Dvorak, daß seine geliebte Schwägerin, die Gräfin Josefine Kaunic, schwer krank daniederlag. Ähnlich wie Bruckner 12 Jahre vorher die Nachricht vom Todes Richard Wagners in der Coda des langsamen Satz seiner siebten Symphonie verarbeitete, erinnert Dvorak im langsamen Satz des Cellokonzertes auf dezente Weise an seine Schwägerin. Zu Josefine Kaunic hatte Dvorak eine besondere Beziehung. Der Schwester seiner späteren Frau hatte er schon in den 60-er Jahren, der Zeit, in der das erste Cellokonzert entstand, eine – unerwiderte – Liebe entgegengebracht. Josefine war damals Schauspielerin am neu gegründeten Prager Interimstheater, der ersten national- tschechischen Bühne, in dessen Orchester der junge Dvorak die Bratsche spielte. 

Im langsamen Satz des zweiten Cellokonzertes zitiert Dvorak nun – in eine andere Tonart versetzt – aus Josefines Lieblingslied “Laß mich in Ruhe” (Op. 81). Kurz nach seiner Rückkunft aus Amerika, wo er die Komposition des Konzertes eigentlich schon abgeschlossen hatte, änderte er den Schluß des Werkes noch einmal, indem er das Liedzitat hier erneut, diesmal in der Originaltonart einarbeitete. Außerdem ließ er das Cellosolo nun entgegen aller Finalsatz-Tradition auf gänzlich unspektakuläre Weise in wehmutsvoller Stille verklingen.  

Der Grund hierfür ist ohne Zweifel darin zu suchen, daß Josefine wenige Wochen zuvor verstorben war. Dies erweisen nicht nur Einzelheiten der Komposition, etwa die schweren in dumpfen Baßpizzicati endenden „Herztöne“ der Schlußpartie des Cellosolos, deren letzter aus der gerade geltenden Tonart heraus wie in das Nichts fällt, eine Stelle, die in der Partitur mit „morendo“ bezeichnet ist und der ein großes Lamento des Cellos auf einem Ton folgt. Es zeigt dies auch die Vehemenz, mit der sich Dvorak gegen eine Veränderung eben dieses Schlusses durch den bekannten tschechischen Cellisten Hanus Wihan wehrte. Wihan, dem das Werk gewidmet ist und der darin eine fulminante Kadenz vermißte, hatte selbst eine Kadenz für den Schluß des Werkes komponiert. Gegenüber seinem Verleger Simrock, der sie in der Erstausgabe drucken wollte, schrieb Dvorak am 3. Oktober 1895, er werde ihm das Werk nur überlassen, wenn er sich dafür verbürge, daß “niemand, auch nicht mein verehrter Freund Wihan, ohne mein Wissen und Erlaubnis Änderungen vornehmen werde – also auch keine Kadenz einfüge, die Wihan im letzten Satz gemacht hat. … Das Finale schließt allmählich diminuendo wie ein Hauch – mit Reminiszensen an den ersten und zweiten Satz, das Solo klingt bis zum pp aus – dann ein Anschwellen – und die letzten Takte übernimmt das Orchester und schließt in stürmischen Ton. Das war meine Idee und davon kann ich nicht ablassen“.

1884 Antonin Dvorak (1841 – 1904) Symphonie Nr. 7 d-moll

Antonin Dvoraks Aufstieg vom Metzgerssohn aus dem böhmischen Dorf Nelahozeves zum internationalen Musikstar ist wesentlich einem Brief von Johannes Brahms zu verdanken. Der junge Musikus, der in den bescheidensten Verhältnissen lebte, bildete sein Talent im Stillen. In einem Alter, das Mozart schon nicht mehr erreichte, war er, wiewohl fleißig komponierend, noch so gut wie unbekannt. Im Jahre 1877 aber – er war bereits 36 Jahre alt – wandte er sich an den acht Jahre älteren und schon berühmten Kollegen Brahms und bat ihn um Vermittlung des Kontaktes zu dessen Verleger. Brahms schrieb daraufhin an Fritz Simrock und empfahl ihm Dvorak als „sehr talentvollen Menschen“. Dabei vermerkte er: „Nebenbei arm! Und bitte ich das zu bedenken!“

Simrock nahm sich des unbekannten Tschechen an. Er verlegte dessen volkstümliche Gesangsduette „Klänge aus Mähren“. Diese wurden auf Anhieb ein großer Erfolg. Danach schmiedete er das folkloristische Eisen, das so heftig glühte, kräftig weiter. Dvorak bekam sofort den Auftrag, in Anlehnung an die „Ungarischen Tänze“ von Brahms „Slawische Tänze“ zu komponieren. Die 16 Tänze, die Dvorak vorlegte, wurden zum Grundstein für einen Komponistenruhm, der sich bis nach Amerika verbreiten sollte. Vorderhand verdiente sich Dvorak damit sein erstes nennenswertes Honorar, 300 Mark, die er stolz in seinem Stammcafé vorzeigte.

Die Kunde von dem musikantischen Böhmen erreichte Anfang der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts auch das viktorianische England. 1884 lud die Londoner Philharmonic Society Dvorak zu einem Besuch auf die Insel ein. Dort konnte er insbesondere mit seinem anrührenden „Stabat Mater“, welches unter dem Eindruck des Todes von drei seiner Kinder entstanden war, einen triumphalen Erfolg verbuchen.

Zurück in die Heimat nahm Dvorak, den man in England bald den böhmischen Brahms nannte, den Auftrag der Philharmonic Society an, eine neue Symphonie zu komponieren. So entstand im Jahre 1884 seine siebte Symphonie. Die Uraufführung fand im April 1885 in St. James Hall in London unter seiner eigenen Leitung statt und hatte, wie Dvorak seinem Verleger – nicht zuletzt unter dem Aspekt, seine Honorarforderung zu begründen – mitteilte, „einen überaus glänzenden Ausgang“.

Die Frage der Honorierung der Symphonie führte in der Folge zu einer bemerkenswerten Kontroverse zwischen Verleger und Komponist. Dvorak, der sich bis dato mit dem beschieden hatte, was ihm gegeben wurde, hatte durch seine Erfolge in England erfahren, dass er so etwas wie einen Marktwert hatte. Das Angebot von Simrock, das sich auf 3000 Mark belief, lehnte er ab und verlangte unter Berufung auf seine Verpflichtungen als Familienvater das Doppelte. Simrock antwortete mit einem Klagelied darüber, wie schlecht die großen Werke Dvoraks gingen. „Schreiben sie mir zwei neue Hefte Slawische Tänze zu vier Händen“, verlangte er, „das wird Ihnen viel leichter wie eine Symphonie, macht Ihnen nicht den vierten Teil der Arbeit und Mühe und ich zahle Ihnen lieber 2000 Mark dafür, wie 3000 für die Symphonie.“

Dvorak blieb bei seinem Standpunkt. Gegen Simrocks Wunsch, gängige, insbesondere „bloß“ folkloristische Werke zu komponieren, wandte er ein, dies führe zu dem Resultat: „keine Symphonien, keine großen Vokalwerke und keine Instrumentalmusik schreiben, nur hier und da vielleicht ein paar Lieder, Klavierstücke oder Tänze und ich weiß nicht alles was herausgeben: und das kann ich als Künstler, der etwas bedeuten will, eben nicht!“ Und wieder fügte er hinzu: „Bitte bedenken Sie, dass ich ein armer Künstler und Familienvater bin und tun Sie mir nicht Unrecht“.

Beide Parteien beharrten noch eine Zeitlang auf ihren Positionen bis man sich nach weiteren hin- und her gewechselten Briefen auf einen Kompromiss einigte. Danach sollte Dvorak nach Art eines Kompensationsgeschäftes noch zwei weitere Hefte „Slawische Tänze“ liefern und für alles 8000 Mark erhalten.

Dieser Honorarstreit spiegelt ein Dilemma, aus dem sich Dvorak unter anderem mit der siebten Symphonie zu befreien suchte. Seine populär gewordenen Werke hatten ihm den Ruf eines Musikers eingebracht, der stark an lokaler Folklore orientiert sei. Tatsächlich hatte Dvorak nicht zuletzt unter dem Einfluss des seinerzeit aufkeimenden tschechischen Nationalbewusstseins so etwas wie eine „Slawische Periode“ durchlaufen, wovon auch seine früheren Symphonien beeinflusst waren. Mit Werken wie der siebten Symphonie drängte er, ohne seine Herkunft zu verleugnen, aus dem lokalen Rahmen in die internationale Musikwelt, hin auch zu seinem Freund Brahms, dem er zeitlebens in Dankbarkeit verbunden blieb.

Weitere Texte zu Werken Dvoraks und rd. 70 weiterer Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis