Schlagwort-Archive: Christentum

Ein- und Ausfälle – Die Juden als Gottesmörder

Man hat die Juden beschuldigt, für den Tod Jesu verantwortlich zu sein. Dieser Vorwurf, der als eine wesentliche Wurzel des Antisemitismus gilt, ist auf merkwürdige Weise schief. Denn eigentlich haben die Juden mit ihrem Beitrag zum Tode Christi einen notwendigen Beitrag zum Heilsplan des christlichen Gottes geleistet. Der Grundgedanke der christlichen Theologie ist ja, dass Christus die Menschen durch seinen Opfertod erlöst habe. Ohne die Juden, die ihn herbeigeführt haben sollen, gäbe es daher kein Christentum. Schon aus diesem Grund hätten die Christen allen Grund gehabt, gegenüber den Juden dankbar zu sein. Hinzu kommt, dass die Rolle, die den Juden bei der Erfüllung des göttlichen Heilsplanes (und dem Entstehen des Christentums) zugewiesen war, keine dankbare war. Auch dafür, dass die Juden den Part des Schurken übernommen haben, wäre daher Dank fällig gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Juden, da es um einen göttlichen Heilsplan ging, sich dagegen nur schwer wehren konnten. Wer dennoch Vorwürfe macht, muss nach den üblichen Kriterien für Vorwerfbarkeit davon ausgehen, dass die Juden die Pflicht (und die Möglichkeit) hatten, sich dem göttlichen Plan zu widersetzen. Er muss also postulieren, dass die Juden das Christentum hätten verhindern müssen.

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Kommt ein neues Mittelalter?

 

 

 

Die Situation kommt einem irgendwie bekannt vor: Es gibt eine weltumspannende Kultur, die in hohem Maße liberal, rational, realistisch und offen ist. Gedanklich gibt es kaum eine Frage, die nicht gestellt wird. Politisch sind fast alle Möglichkeiten durchdacht. Zur Ordnung der Verhältnisse unter den Menschen entwickelt sich ein für alle verbindliches Recht, die Stellung der Frau verstärkt sich, der Wohlstand ist beachtlich, die religiösen Leidenschaften sind domestiziert, die Kunst orientiert sich an den Tatsachen und das Kulturgebiet ist ein Sicherheitsraum, der in hohem Maße befriedet ist. Die Menschen sind neugierig, kreativ, unternehmungslustig und experimentierfreudig. Sie versuchen die Welt zu verstehen und ihre Möglichkeiten zu nutzen, wobei sie bis an die Grenzen des Möglichen, nicht selten auch des Vernünftigen gehen. Der gesellschaftliche Zustand ist keineswegs perfekt. Man konnte aber erwarten, dass er der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung sein würde. Die Rede ist von der antiken Kultur.

 

Dann aber wächst an den Rändern der hegemonialen Kultur eine Bewegung heran, in der sich vor allem die Unbefriedigten, Enttäuschten und Benachteiligten sammeln. In der Folge werden die Fragestellungen reduziert, der Blickwinkel verengt sich, die Realität geht verloren und man richtet den Blick auf das, was jenseits derselben sein soll. Die Bewegung wächst und unterminiert die herrschende Kultur. Als die (Macht)Verhältnisse auf der Kippe stehen, schlägt sich ein Herrscher aus der hegemonialen Kultur, der das Potential der neuen Bewegung für seine Zwecke zu nutzen weiß, auf die andere Seite (er wird dafür das Prädikat „Der Große“ bekommen). Von da an wird die liberale Kultur abgebaut. In der Folge erodiert die politische Organisationskraft, der Sicherheitsraum bricht zusammen, der Sinn für das Recht schwindet, die Kunst verarmt, insbesondere verliert sie den Bezug zur Realität, die höhere Wirtschaft und der Wohlstand verfallen und die Frau wird zum Wesen zweiter Klasse. Man befindet sich im Mittelalter.

 

In der Neuzeit bemühte man sich, den Stand des Altertums wieder zu erreichen. Es war ein langwieriger Prozess. Noch über Jahrhunderte schlug man sich die Köpfe über Religionsfragen ein. Nicht weniger lange brauchte es, bis die Rationalität wieder Einzug in die Politik halten konnte. Das Pflänzlein des Rechtes trieb nur langsam wieder aus und größere Sicherheitsräume entstanden erst neu, nachdem man den Krieg und die Drohung mit ihm auf eine kaum mehr zu überbietende Spitze getrieben hatte. Ganz zuletzt kam die Emanzipation der Frau wieder in Gang.

 

Mittlerweile werden wieder fast alle Fragen gestellt; einige halten wir für beantwortet, manche haben wir ad acta gelegt. Politisch haben wir die Systeme der Antike verfeinert und ergänzt. Der Einzelne ist so frei wie nie, die Frauen sind weitgehend emanzipiert, der Wohlstand ist breiter denn je, über Religionen wird nur noch in Randbereichen gestritten und das innere Leben der Gesellschaft ist weitgehend durch das Recht geregelt. Das Gebiet, in dem unsere Kultur herrscht, ist durch überregionale Sicherheitssysteme befriedet. Für die Beziehungen zwischen den Staaten, traditionell eine Domäne ziemlich ungefilterten Eigeninteresses, beginnen sich Rechtsnormen zu entwickeln. Selbst den Krieg, der alle Leidenschaften entfesselt, hat man teilweise verrechtlichen können. Die Menschen sind neugierig und kreativ und man erforscht alles. Dabei haben sich unzählige neue Möglichkeiten aufgetan. Der Zustand ist nicht perfekt und es sind neue Probleme entstanden – psychische etwa und der Verlust der Kontrolle über die Folgen der Veränderungen, die wir bewirken. Man hätte aber erwarten können, dass es auf dieser Basis weitergeht.

 

Nun aber wächst an den Randbereichen der hegemonialen Kultur, die inzwischen global geworden ist, erneut eine Bewegung, in der sich Unbefriedigte, Enttäuschte und Benachteiligte sammeln. Auch diese Bewegung reduziert die Fragestellungen, entwertet die Realität, verengt den Blickwinkel auf das Religiöse und entrechtet die Frau. Nach einer Inkubationszeit, in der sie regional eingekapselt war, beginnt auch sie rasant zu wachsen. Schließlich wird sie global und setzt sich das Ziel, die herrschende Kultur zu überwältigen. Dabei legen ihre glühendsten Anhänger eine Entschlossenheit an den Tag, die in der herrschenden Kultur fremd geworden ist. Die Schranken, welche eine liberale Kultur der Monopolisierung von Überzeugungen setzt, gelten der neuen Bewegung wenig. Man fragt nicht viel nach Recht, insbesondere nicht nach einem geordneten Verfahren für die Umgestaltung der Gesellschaft. Mit anderen Worten: wir haben die besten Voraussetzungen für ein neues Mittelalter.

 

Auf die Antike konnte ein Mittelalter nur folgen, weil die liberale Kultur ihre Kraft verlor, nicht zuletzt, weil sich der Irrationalismus, vor allem durch die Absorbtion weniger entwickelter Kulturen, in ihr selbst wieder etablierten konnte. Sieht es heute so viel anders aus? Es fehlt nur noch ein neuer Konstantin, der die ungebändigte Kraft der neuen Bewegung nutzt, weil er ein Großer werden will.

Ein- und Ausfälle – Die Afrikaner und das Absolute

Im Jahre 1845 reiste der Theologe Johannes Rebmann aus Gerlingen, der spätere Entdecker des Kilimanscharo, nach Schwarzafrika, um den (absoluten) Weltgeist, den sein Landsmann Georg Friedrich Hegel aus der Nachbarstadt Stuttgart ein paar Jahre zuvor entdeckt hatte, auf die riesige Weltregion südlich der Sahara aufmerksam zu machen. Rebmanns Versuche, die Bevölkerung Kenias davon zu überzeugen, dass das Christentum im Besitz der einzigen Wahrheit sei, waren aber nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Nach zwei Jahrzehnten hatte er gerade einmal acht Menschen getauft. Enttäuscht schrieb er in die schwäbische Heimat, wo man den Besitz der Wahrheit zu schätzen weiß, die Neger hätten überhaupt keinen Sinn für das Absolute. Offenbar hatten die störrischen Afrikaner eher einen Sinn für das Relative (auch des Christentums), was möglicherweise damit zusammenhing, dass sie vom Weltgeist übersehen worden waren.

Ein- und Ausfälle – Kepler und Kircher

Zwei Figuren, die für das Werden des geistigen Europas in der Zeit des Wechsels vom magisch religiösen zum (natur)wissenschaftlichen Weltbild exemplarisch sind: Johannes Kepler ist der Europäer, der mühevoll den Weg aus den deduktiven Gedankengeflechten der alten Autoritäten in eine tatsachenorientierte Zukunft bahnt (wobei er nach anfänglichen platonischen „Experimenten“ zu den ersten mathematisch formulierten astronomischen Naturgesetzen, eben den Kepler`schen Gesetzen kam).   Athanasius Kircher ist der nicht weniger exemplarische Typus des unermüdlichen, unendlich neugierigen und vielfältig interessierten Europäers, der die Theoriegebäude der Vergangenheit erhalten aber mit den neuen Möglichkeiten der Tatsachenerkenntnis in Einklang zu bringen sucht (weswegen er etwa im Streit zwischen dem geo- und dem heliozentrischen Weltbild eine Kompromisslösung vertrat, wonach ein Teil der Planeten um die Sonne, die meisten aber um die Erde kreisten). Es war eine Zeit des Ringens um die Weltsicht Europas, bei der Kircher, der fast der Nachfolger Keplers als Hofmathematiker in Wien wurde, schließlich unterlag und in Vergessenheit geriet. Dass man sich heute wieder für Kircher interessiert, hat offenbar etwas damit zu tun, dass seine Art der Verbindung von Fakten und Irrationalismus wieder auf dem Vormarsch ist.

Ein- und Ausfälle – Das „Theater“ von Dydima

Sieben Jahrhunderte lang saßen in Dydimä, dem wichtigsten Orakel Klein-Asiens, ein paar schlaue Leute in einer Kulisse von riesigen Säulen und dachten sich zweideutige Sprüche für ratsuchende Menschen aus. Dann baute man in den gewaltigen Tempel eine kleine Kirche, stellte das Orakel unter Strafe und verbreitete eine ebenso lange Zeit Bibelsprüche. Die Verfasser all der Sprüche waren sich, da sie Profis waren, natürlich darüber im Klaren, dass alles Theater war. Warum das Schauspiel dennoch so lange gegeben wurde? Weil sich die Empfänger der Botschaften, zumal angesichts der schönen Kulisse, daran mit Inbrunst als Laienschauspieler beteiligten.

Aphrodithe und Jesus

Aphrodisias hieß einst ein Ort in der Ebene des Flusses Dandalas im Südwesten Kleinasiens, an dem das Leben und die Künste im Altertum in höherer Blüte als an anderer Stelle standen. Von Alters her stand hier ein Heiligtum der Aphrodite, zu dem die Menschen von weit her pilgerten, um der schönen Göttin Reverenz zu erweisen. Der Ort hatte alles, was zu einer antiken Stadt gehörte: ein großes Theater und ein noch größeres Stadion, zwei prächtige Badeanlagen, ein repräsentatives Rathaus, eine Bibliothek, säulengesäumte Prunkstraßen und einen weiten Marktplatz, auf dem zahlreiche Statuen standen. Alles war aus mächtigen Blöcken mit viel Marmor und fest wie für die irdene Ewigkeit gebaut. Feinster Schmuck bedeckte die Bauten, insbesondere in Form der Arkanthusranke, die sich unter prächtigem Blattwerk wie das Leben immerfort verzweigt, sich aber zugleich immer auch in prallen Blütensternen sammelt oder zu prächtigen Fruchtständen einrollt 

In der Stadt gab es eine Bildhauerschule, in der man Statuen mit komplexem, feinem Faltenwurf schuf, die bis ins ferne Rom und sogar nach Afrika exportiert wurden. In der philosophischen Schule diskutierte man unter den steinernen Portraits der Denker Griechenlands die Weisheitslehren der Antike und sinnierte über die Stellung des Menschen in der Welt. Berühmte Ärzte versuchten den verwickelten Tatsachen des menschlichen Körpers auf die Spur zu kommen. Man veranstaltete Festspiele mit Wettkämpfen zu Ehren Aphrodites, die Menschen von weit her anzogen. Der Mittelpunkt der Stadt aber war der große Tempel der Göttin der Liebe, dessen weiten Bezirk man durch ein Doppeltor aus alabasterfarbenem Marmor mit prachtvoll gedrehten Säulen und ausuferndem Rankenwerk betrat.

 

Der Reichtum und die Größe der Stadt beruhten auf dem Bedürfnis der Verehrer Aphrodites, sich gegenüber der Göttin großzügig zu zeigen. Manch reich gewordener Bürger, darunter auch frei gelassene Sklaven, gaben ihr Vermögen, um zu ihrer Schönheit beizutragen. Großzügig war vor allem das julisch-claudische Kaiserhaus, das die Stadtpatronin als seine Ahnherrin ansah. Es hatte sich dafür einen Stammbaum zurechtgezimmert, der bis nach Troja reichte, dessen Schutzgöttin die schöne Dame ebenfalls war. Den Höhepunkt der Bautätigkeit aber erlebte Aphrodisias während der Regierung des Kaisers Hadrian, einer Zeit, in der sich Schönheitstrunkenheit und Größe auf eine Weise paarten, welche die Welt nicht wieder sah. Das Rankenwerk, das sich über die öffentlichen Gebäude zog, wurde nun besonders plastisch. Im Überschwang siedelte man darin allerhand Figuren, Getier und Fabelwesen an.

 

Im vierten Jahrhundert trat an die Stelle der Göttin der Liebe der Liebe Gott. Der Tempel der Aphrodite wurde, indem man allerhand Säulen verrückte, in eine geschlossene christliche Basilika verwandelt, wobei sein Charme verloren ging. Neben der Kirche entstand in kleinteiliger und etwas ungelenker Bauweise ein Bischofspalast. Im langgezogenen Stadion trennte man das eine Ende ab, um einen kleineren Versammlungsraum zu schaffen. Der betörende Name der Stadt musste weichen. Auf die Idee, sie Agapepolis, Stadt der – christlichen – Liebe, zu nennen, kam offenbar niemand. Fortan trug sie die raue Bezeichnung Stauropolis, Stadt des Kreuzes. Anstelle des windungsreichen Arkanthus brachte man an den Gebäuden nun die geraden Balken des Kreuzes an, die von einem schlichten Kreis umschlossen waren.

 

Im Zeichen des Kreuzes, unter dem der Vorrang des Geistes über die Sinne postuliert wurde, hatte man wenig Verständnis für die Unterhaltungen und Lustbarkeiten, die einst im Namen der sinnlichen Göttin abgehalten worden waren. Daher verloren die Einrichtungen, die der Schaustellung oder der Feier, Pflege und Übung des Körpers gedient hatten, bald ihre Funktion. Die Stadt hatte nun wenig, was die Menschen hätte anziehen können. Das urbane Leben schmolz dahin. Die Bereitschaft der Bürger, sich für öffentliche Bauten zu engagieren, verebbte, zumal ihre Mittel mangels des Interesses der Fremden an der Stadt immer weniger wurden. So stand die öffentliche Bautätigkeit mehr oder weniger still. Der Ort lebte noch einige Zeit von der Substanz, welche die lebenskräftigen Vorfahren hinterlassen hatten. Anfang des neuen Jahrtausends war dieses Erbe aber so weit verbraucht, dass der Rest des städtischen Lebens beim Erscheinen der Türken in sich zusammenbrach.

 

Die neuen Herren, die aus den Steppen Asiens kamen, wo sie in Zelten lebten, wussten wenig vom Leben in einer Stadt. Ihre Vorstellungen über die Rolle des Geistes in der Welt, die aus der gleichen Quelle, wie die der Christen stammten, waren unter den strengen Lebensbedingungen der arabischen Wüste, wo ihre geistigen Vorfahren herkamen, noch enger als die der Christen geworden. Sie hatten daher noch weniger Sinn für die Zurschaustellung von Körperlichkeit. So zerschlugen sie die Statuen, welche die christliche Zeit überlebt hatten. Auch sonst wussten die Türken mit den Resten der Stadt nicht viel anzufangen. Vermischt mit übrig gebliebenen Christen lebten sie noch eine Zeit lang zwischen den gewaltigen steinernen Blöcken der öffentlichen Bauten der antiken Stadt. Irgendwann wurde der Ort aber ganz verlassen und in der Nachbarschaft entstand eine jener türkischen Siedlungen, die wenig öffentlichen Raum kennen. Die riesigen Reste der alten Stadt ragten nun merkwürdig sinnlos aus der Ebene des Dandalas heraus.

 

Erbeben vollendeten, was im Namen des Geistes begonnen worden war. Die Gebäude, die für eine irdene Ewigkeit gemacht schienen, brachen zusammen. Die stolzen Säulen und die prächtigen Portale stürzten zu Boden, wo ihre Teile chaotisch umher lagen

 

In unserer Zeit, in der man Verschüttetes, insbesondere der Sinne, gerne ausgräbt, befreite man die Stadt vom Schutt und richtete manche Säule wieder auf. Heute heißt die Stadt erneut Aphrodisias und man pilgert wieder von weit her zu den prachtvoll-traurigen Resten dessen, was einmal für eine schöne Frau errichtet worden war.

Ein-und Ausfälle – Die nackten Tatsachen von Ephesus

In Ephesus, der Wirkungsstätte des Apostels Paulus, fand man in prachtvoll ausgestatten Hanghäusern Fresken, in denen unbekleidete Menschen dargestellt waren. Die frühen Christen fühlten sich durch die ungeschminkte Darstellung der menschlichen Mitte gestört, weswegen sie dieselbe unkenntlich machten. Seitdem war der Mensch dort und an den sonstigen Stätten, an denen der Apostel  wirkte, in eine obere und eine untere Hälfte geteilt, die nichts miteinander zu tun zu haben schienen.