Die Träume der Cellisten ähneln ein wenig denen der Archäologen. Sie hoffen darauf, ein ungeöffnetes Pharaonengrab zu finden, in dem ein Cellokonzert liegt. Das hat seinen Grund darin, dass es im Reich der Musik nicht nur generell wenige Werke für dieses Instrument gibt, sondern dass vor allem Konzerte aus älterer Zeit gänzlich Mangelware sind. Bis weit in das 19. Jahrhundert war Haydn der einzige Komponist erster Ordnung, welcher ein Konzert für das Violoncello geschrieben hat. Die kleine Reihe der ganz großen Musiker, welche ein Solokonzert für dieses Instrument geschaffen haben, setzt sich nach ihm erst wieder mit Robert Schumann fort, der im Jahre 1850 ein Werk dieser Gattung komponierte. Allerdings war man sich auch bei Haydn lange im Unklaren darüber, ob es von ihm (noch) Solowerke für Violoncello gibt. Man hatte zwar das wundervoll reife Konzert in D-Dur, das nicht zuletzt angesichts seiner herausragenden Verarbeitung und klassischen Ausgewogenheit als sein Werk galt. Da unter dem Namen Haydns aber auch zahlreiche Werke anderer Komponisten liefen und man kein Autograph hatte, war unklar, ob dieses Werk tatsächlich aus seiner Feder stammte. Viele hielten es für ein Werk Anton Krafts, der in den 80er Jahren des 18. Jahrhundert Solocellist in Haydns Orchester war. Erst seit man im Jahre 1950 ein Manuskript dieses Konzertes mit der Handschrift Haydns fand, geht man davon aus, dass es authentisch ist.
Wie Howard Carter beim Öffnen des Grabes von Tutanchamun dürfte sich daher Oldeich Pulkert gefühlt haben, als er im Jahre 1961 in die Tiefen des Prager Nationalmuseums vordrang und dort in den Archivalien des Fürsten Kolovrat-Krakovski auf Abschriften des Cellokonzertes in C-Dur von Josef Haydn stieß. Die kostbaren Papiere stammten aus dem südböhmischen Schloss Radenin, dessen ansehnliche Bibliothek auf das Prager Museum übergegangen war.
Dass Haydn ein solches Werk komponiert hatte, war den Cellisten bekannt. Ähnlich wie die Altertumsforscher Tutanchamun vor Carters Grabfund (nur) aus den Königsannalen kannten, wusste auch die Musikwelt vor Pulkerts Ausgrabung von der Existenz des Konzertes nur aus den diversen Listen der Werke Haydns. Diese Erwähnungen waren, anders als bei vielen sonstigen Kompositionen, welche mit Haydn in Verbindung gebracht wurden, auch gut fundiert. Der Meister hatte das Stück nämlich in seinem persönlichen Werkverzeichnis, dem sog. „Entwurfskatalog“, eigenhändig mit den charakteristischen Anfangstakten vermerkt. Das Werk selbst aber war spurlos verschwunden. Dem entsprechend schlug die ersehnte Wiederentdeckung bei den chronisch unterversorgten Cellisten auch in ähnlicher Weise ein wie die Ausgrabung Carters bei den Ägyptologen.
Wann genau das C-Dur Konzert entstanden ist und für wen es geschrieben wurde, ist, wie so vieles bei Haydn, nicht sicher. Der Meister hat den „Entwurfskatalog“ erst mit Beginn seiner Tätigkeit als erster Kapellmeister beim Fürsten Esterhazy im Jahre 1765 begonnen und nachgetragene Werk aus früherer Zeit nicht datiert. Insbesondere die Wasserzeichen des Notenpapiers der Abschrift sprechen jedoch dafür, dass das Werk schon in den Jahren zwischen 1761 und 1765 komponiert wurde, als Haydn noch Vizekapellmeister im Hause Esterhazy war. Was den Solisten angeht, so dürfte das Konzert für den damaligen – noch recht jungen – Solocellisten der Esterhazyischen Kapelle, Josef Weigl (1740–1820), geschrieben worden sein. Darauf deutet vor allem, dass sich in der Sammlung des Fürsten Kolovrat-Krakovski auch noch ein Cellokonzert unter dem Namen Weigls fand, das vom gleichen Kopisten abgeschrieben wurde. Wer auch immer der Adressat des Konzertes war, er muss ein exzellenter Techniker gewesen sein. Das Werk, das sich über weiter Strecken in Regionen bewegt, in denen die Bratsche oder gar die Geige zu Hause sind, verlangt insbesondere in seinem fulminanten Schlusssatz Fertigkeiten, die bei Cellisten seinerzeit aus dem Rahmen gefallen sein dürften.
Das C-Dur Konzert zeichnet sich – anders als das eher elegische D-Dur Konzert, das im Jahre 1783 entstand. durch jugendliche Frische und einen geradezu unbändigen Elan aus. Es zeigt dass Haydn, der damals noch damit beschäftigt war, seinen symphonischen Stil zu entwickeln, in Sachen Konzert schon einen Höhepunkt der Meisterschaft erreicht hatte. Formgeschichtlich markiert es eine wichtige Durchgangsstation auf dem Weg vom Ritornell-Konzert in der Nachfolge Vivaldis, bei dem sich Solo- und Tuttipartien sowie kantable und virtuose Passagen wiederholend abwechseln, hin zum klassischen Konzert mit seinem Dualismus der Themen und deren verwobener Verarbeitung im Sinne des Sonatenhauptsatzes. Nach dem ersten Satz, der, von leidenschaftlich lyrischen Passagen durchsetzt, in sturm-und-drang-artiger Weise nach vorne drängt, wird im zweiten Satz eine weit ausschwingende anmutige Melodie ausgebreitet. Dem folgt in scharfem Gegensatz ein wilder und äußerst effektvoller Rausschmeißer, welcher sich in manisch-perpetuomobiler Weise scheinbar endlos fortsetzen will. Geradezu exemplarisch demonstriert Haydn in diesem Konzert nicht nur die virtuosen Möglichkeiten sondern auch das außerordentlich weite Klangspektrum des Violoncellos, das von sonorer Tiefe bis in die höchsten Höhen reichend zum erzählenden Soloinstrument geradezu prädestiniert erscheint. Angesichts dieser Vorgaben ist es umso erstaunlicher, wie wenige der größten Komponisten es in dieser Funktion verwendet haben. Noch Johannes Brahms, der nur ein Doppelkonzert für Cello und Violine zustande brachte, bekannte fast anderthalb Jahrhunderte nach Haydns Cellokonzert in C-Dur, er habe erst nach dem Jahrhundertwerk, das Dvorak für das Cello kurz vor dem Ende des 19 Jh. komponierte, erkannt, welches solistische Potential in diesem Instrument stecke.
Angesichts der Musizierlust, die in Haydns erstem Cellokonzert zum Ausdruck kommt, ist leicht nachzuvollziehen, dass sein Schöpfer nicht lange nach der Komposition des Konzertes das musikalische Spitzenamt am Hofe Esterhazy übertragen bekam. Ebenso wenig verwundert, dass sich das Werk, nachdem es am 19. Mai 1962 in Prag mit Miloe Sadlo und dem tschechoslovakischen Radio-Sinfonieorchester erstmalig wieder erklang, sofort auf den Konzertpodien etablierte.
Der Traum der Cellisten vom unentdeckten Pharonengrab ist mit dem Fund des C-Dur Konzertes übrigens noch nicht ausgeträumt. Zwar hat man ein weiteres (kleines) Konzert in D-Dur, das vor der Entdeckung des C-Dur Konzertes als das einzig sichere Werk dieser Gattung aus der Feder Haydns galt, inzwischen wieder aus den Werkverzeichnissen gestrichen. Durch die Annalen geistern aber noch drei weitere Konzerte des Meisters, welche der Wiederentdeckung im Archiv eines Klosters oder eines Duodezfürsten des k&k-Reiches oder auch in den Bibliotheken der vielen Häuser in ganz Europa harren, in denen man Haydns Genius zu schätzen wusste.