Monatsarchiv: September 2010

Ein- und Ausfälle – Gott und sein Erscheinungsbild

Die abrahamitischen Religionen haben mit der Entfernung der anthropomorphen Götter“bilder“, wie sie etwa die Antike kannte, eine offensichtliche gedankliche Schwäche in der Gotteskonzeption beseitigt: den Widerspruch zwischen der Gestalt Gottes (oder gar der Götter) und den Fähigkeiten und Funktionen, die ihm zugesprochen wurde. Ein Weltschöpfer etwa, der in menschlicher oder gar tierischer Gestalt daherkommt, ist nicht besonders überzeugend, da doch jedem die Begrenztheit der menschlichen (und tierischen) Möglichkeiten vor Augen steht. Allenfalls Fabelwesen, wie sie etwa die südasiatischen Religionen kennen, konnten diesen Widerspruch etwas abmildern (weswegen die Götter dort etwa zahlreiche Arme haben; dieses Phänomen findet sich auch bei indianischen Göttern). Die abrahamitischen Religionen haben die Überbrückung dieser Kluft optimiert, indem sie die absoluten Qualitäten Gottes und sein „Erscheinungsbild“ in Einklang brachten. Sie machten ihn unsichtbar, „unvorstellbar“ (und also auch nicht darstellbar), mit der Folge, dass seine Mängel nicht mehr sofort ins Auge sprangen. Daher haben sie mit einer gewissen logischen Konsequenz auf die Religionen herabgesehen, die diesen Widerspruch nicht gelöst haben. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass die abrahamitischen Religionen einen so großen Erfolg bei den Intellektuellen hatten. (Allerdings hatte das Christentum zu diesem Dünkel das geringste Recht, da es insbesondere mit der Christusgestalt das anthropomorphe Element durch die Hintertür wieder eingeführt und dazu mit der Dreifaltigkeit einen logisches Durcheinander der Extraklasse schuf.). Insofern haben die abrahamitischen Religionen so etwas wie gedanklichen Fortschritt gebracht. Tatsächlich hat die Beseitigung dieses Widerspruches den wirklichen – realistischen – Logikern denn auch das Leben ziemlich schwer gemacht.

Ein- und Ausfälle – Islam und Gewalt

In einen Prozess, der 2008 in Deutschland gegen einen eine Gruppe von Islamisten geführt wurde, haben die Angeklagten mit einer Ausführlichkeit, die aus Stolz zu resultieren schien, über ihre Pläne berichtet, möglichst viele Amerikaner umzubringen. Auf die Frage, ob sie ihr letztendlich gescheitertes Unterfangen bereuten, gab einer ihrer Anwälte an, daran hindere sie ihre religiöse Überzeugung.  In diesem Satz kommt wohl einer der grundsätzlichsten Unterschiede zwischen (aufgeklärtem) Christentum und Islam zum Ausdruck: die gänzlich unterschiedliche Haltung zum Töten von Menschen. Wenn es um Verstöße gegen religiöse Normen geht, denkt man in islamischen Kulturen recht schnell an die Tötung dessen, der gegen die Norm verstoßen haben soll. Der Koran selbst liefert eine Reihe von Beispielen dafür  (sogar der bloße Abfall vom Glauben wird mit dem Tod bedroht). Und da Politik und Religion in islamischen Kulturen nur sehr unvollkommen getrennt sind, ruft man auch in politischen Dingen schnell nach dem Tod des Gegners(wenn man ihn nicht gleich herbeiführt – ggfs unter Vernichtung möglichst vieler auch unbeteiligter Menschen). Bezeichnend hierfür ist, dass es hier kein Problem zu sein scheint, Sätze wie „Allah ist groß“ und „Tod den Amerikanern etc“ unmittelbar nebeneinander zu stellen. Natürlich hat auch das Christentum in Sachen Normverstoß und Tötungssanktion alles andere als eine reine Weste. Im aufgeklärten Christentum allerdings hat sich die Verbindung dieser beiden Elemente weitgehend gelöst – woraus allerdings auch resultiert, dass man die christlichen Gesellschaften, die diese Verbindung noch nicht vollständig gelöst haben, indem sie etwa noch die Todesstrafe kennen, als wenig aufgeklärt und damit insofern als dem Islam nahe stehend charakterisieren muss.

1919 Edward Elgar (1857-1934) Konzert für Violoncello und Orchester e-moll

Edward Elgars Cellokonzert teilt – zumindest in Deutschland – das Schicksal seines Schöpfers: es wird, nicht anders als der Meister selbst, von der Musikpublizistik äußerst stiefmütterlich behandelt. Der Self-made-Man gilt, wiewohl er die englische Kunstmusik nach einer Durststrecke von 200 Jahren wieder zurück auf die internationale Bühne brachte, offenbar als Figur einer randständigen Region der europäischen Kunstmusik, weswegen er in den gängigen Musikführern meist nur kursorisch abgehandelt wird. Sein Cellokonzert wird dabei sogar häufig überhaupt nicht erwähnt. In der Praxis erfreut sich das Werk hingegen erheblicher Beliebtheit. Wesentlich dazu beigetragen hat Elgars Landsmännin Jaqueline du Pré. Sie spielte das Stück im Alter von 17 Jahren erstmals bei ihrem spektakulären öffentlichen Debüt im Jahre 1962. In ihrer nur elf Jahre dauernden Weltkarriere, die durch die Erkrankung an Multipler Sklerose plötzlich abgebrochenen wurde, hat sie das Werk immer wieder aufgeführt und ihm dabei ihren persönlichen Stempel aufgedrückt. Legendär ist die Filmaufnahme aus dem Jahre 1967, die sie als entrückte, teilweise wie in Trance spielende zugleich aber äußerst präsente Interpretin des Werkes unter der Leitung ihres jungen Ehemannes Daniel Barenboim zeigt.

Das viersätzige Konzert hat in mancher Hinsicht einen problematischen Hintergrund. Man hat im Zusammenhang mit ihm immer wieder von herbstlicher Tönung und von einer Stimmung des Abschiednehmens und der Resignation gesprochen. Tatsächlich markiert das Werk einen Wendepunkt sowohl in Elgars Leben als auch in seiner künstlerischen Karriere. Es entstand unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, einem Ereignis, in dem Elgar das Ende der Epoche des kunstbegeisterten imperialen Englands sah, dessen musikalischer Repräsentant er gewesen ist. Man hat daher die gedämpfte Stimmung des Konzertes als Ausdruck der Trauer über den Untergang einer Lebensform interpretiert.

Für Elgar selbst ging seinerzeit ebenfalls eine Epoche zu Ende. Bedingt durch die wirtschaftlichen Probleme, welche der Krieg nach sich zog, war auch er gezwungen, seinen Lebensstil ändern. Er konnte sich etwa das großzügige Landhaus Severn, welches er auf dem Höhepunkt seines Ruhmes erworben hatte, nicht länger leisten. Wenige Monate nach der Fertigstellung des Cellokonzertes starb auch noch seine über alles geliebte Frau Alice, die für den eher scheuen Komponisten, der angesichts seiner autodidaktischen Bildung immer wieder von Selbstzweifeln geplagt wurde, gerade auch in Hinblick auf seine schöpferische Tätigkeit die wichtigste Stütze war. Mit ihrem Tod verlor Elgar jegliche Motivation zur Komposition größerer Werke. Erst zehn Jahre später verspürte er wieder nachhaltigere schöpferische Impulse. Der inzwischen betagte Komponist begann auf Anregung von George Bernhard Shaw, mit dem er befreundet war, mit der Arbeit an einer dritten Symphonie und beschäftigte sich mit einer Oper. Die angefangenen Projekte wurden jedoch durch seinen Tod im Jahre 1934 unterbrochen. Das Cellokonzert ist daher das letzte bedeutende Werk aus der Feder des Komponisten geblieben.

Auch das Werk selbst hatte zunächst mit einigen Problemen zu kämpfen. Es fing damit an, dass die Vorbereitung der Uraufführung, die am 27. Oktober 1919 unter denkbar schlechten Vorzeichen stand. Die Präsentation erfolgte im Rahmen des Konzertes, mit dem das London Symphonie Orchestra die Saison eröffnete. Der Hauptteil sollte dabei von dessen neuen Dirigenten Albert Coates, das Cellokonzert von Elgar dirigiert werden. Da Coates einen guten Einstand haben wollte, nahm er die Probenzeit, die zur Verfügung stand, fast ganz für sich in Anspruch. Elgar konnte sein Werk am Tag vor der Uraufführung mit einem Orchester, dessen Dienstzeit bereits abgelaufen war und das dazu die Noten noch nicht gesehen hatte, nur hastig durchspielen. Auch die Zeit für die Einspielspielprobe am folgenden Tag überzog Coates mit ausgiebiger Arbeit am „Waldweben“ von Richard Wagner, einem Komponisten, dem Elgar im Übrigen sehr viel verdankte. Der Meister kam erst zum Zug, als die Probenzeit schon um eine halbe Stunde überschritten war. Nur die Rücksicht auf den seinen Freund Felix Salmond, der den Solopart spielte, hielt Elgar davon ab, der Forderung seiner Frau nachzugeben, die Aufführung abzusagen. Hinzu kam, dass die Londoner kurz nach dem Kriege Anderes im Sinn hatten, als auf ein neues Werk des patriotischen Autors von „Pomp and Circumstances“ zu warten, den sie kurz zuvor noch so hoch gefeiert hatten. Das Konzert war daher schlecht besucht. Der Kritiker des „Observer“ stellte denn auch nicht nur dies bedauernd fest, sondern vor allem, dass Coates Teil des Konzert zwar wunderbar gewesen sei, sich aber „bei Elgar ein so großartiges Orchester wohl noch nie so schlecht dargestellt habe.“ Die Reaktion auf das Konzert war insgesamt eher zurückhaltend.

Nichtsdestoweniger hat das Werk die Musikpodien der Welt erobert. Viele räumen ihm nach dem Konzert von Dvorak den zweiten Platz auf der Rangliste der Werke ein, welche die Ausdrucksmöglichkeiten des Violoncellos auszuschöpfen wissen. Tatsächlich ist ja auch kein anderes Instrument so sehr dazu geeignet, die elegische Stimmung zum  Ausdruck zu bringen, welche in diesem Werk vorherrscht.

Weitere Texte zu Werken von Elgar und zahlreichen anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

Ein- und Ausfälle – Bausünde oder Bauverbrechen?

Der Begriff „Bausünde“ ist eine viel zu harmlose Beschreibung dessen, was gewisse(nlose) Investoren und ihre architektonischen Helfer der (Um)Welt antun. Er klingt zu sehr nach Vergeltung im Jenseits, an die bzw. an das dieser Menschentypus vermutlich sowieso nicht glaubt. Davon abgesehen ist bei dieser Art von Verfehlung die Möglichkeit von Vergebung konotiert. Richtiger wäre es, von Baudelikten –  dementsprechend in schweren Fällen von Bauverbrechen – zu sprechen. Damit wäre auch klargestellt, dass die Strafe im Hier und Jetzt zu erfolgen hätte.