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Ein- und Ausfälle – Menschliche Schwäche und Normbefestigung

Traditionelle Gesellschaften nennen es göttliche Gebote, aufgeklärte überpositives Recht oder Naturrecht –  immer geht es darum, die grundlegenden Werte der Gesellschaft so weit wie möglich der freien Verfügung zu entziehen. Der Grund für diesen mystischen Aufwand ist der Zweifel an der Vernunft des Menschen. Man traut ihm nicht zu, dass er die Schlüsse, die zur Verbindlichkeit der Grundnormen führen müssen, problemlos nachvollzieht, sei es, dass er nicht in der Lage ist, seine Vorurteile zu beseitigen, sei es, dass er seinen Egoismus nicht zügeln will. So gesehen haben alle Gesellschaftssysteme autoritäre Grundlagen.

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Ein- und Ausfälle – Der größte Mensch

Das wäre einer, der den Menschen das Licht (der Erkenntnis) gebracht hat, ohne sie hinter dasselbe zu führen, insbesondere jemand, der die Menschen von unverzichtbaren Normen des Zusammenlebens überzeugte, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie unverzichtbare Gesetze des Denkens missachten – Konfutius etwa.

Ein und Ausfälle (China 7)

Man kann sich Bücher ausdenken, die ihren Ursprung im Himmel haben, wie am westlichen Ende des eurasischen Kontinents, oder Texte allgemein geachteten Weisen der Vergangenheit zuschreiben, wie am östlichen Ende des Kontinents. Sozialtechnisch ist es das gleiche Verfahren. Es geht es jeweils darum, Texte die Normen generieren sollen, im „Jenseits“ zu verankern, um dem Führungspersonal, das im Diesseits agiert, die Arbeit zu erleichtern. Das zeigt vor allem die Tatsache, dass der weitere Umgang mit diesen Texten in Ost und West sehr ähnlich ist. In beiden Kulturen sind die Grundbücher meist allgemein bis nichts sagend gehalten und lassen daher allerhand Deutungen zu. Besonders deutlich wird dies bei den Konfutius zugeschriebenen „Frühlings- und Herbstannalen“, die für die chinesische Sozialgeschichte so wichtig wurden. Sie enthalten nicht viel mehr als eine wenig aussagekräftige Aufzählung historischer Ereignisse. Die nähere Ausführung der Grundbücher ist in Ost und West jeweils nachgeordneten Werken vorbehalten, welche die Grundbücher unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeitumstände auslegen. Im Westen nannte man diese Tätigkeit ursprünglich Theologie, im Osten Kommentierung. Auch hier ist das Verfahren bei den „Frühlings- und Herbstannalen“ besonders aufschlussreich. Die Kommentatoren ziehen aus dem Ursprungstext selbst dann noch ausgedehnte sozialpädagogische Lehren, wenn derselbe praktisch ohne Inhalt ist. Im Prinzip hat sich an dieser sozialen Steuerungstechnik bis heute nichts geändert. Nur dass wir neuere soziale Grundtexte nicht mehr heilige Bücher sondern Gesetze, das Spitzenwerk etwa Grundgesetz nennen. Auch diese Texte sind möglichst allgemein gehalten und werden von Anwendungsinstitutionen wie Gerichten und Kommentatoren konkretisiert und an den jeweiligen Bedarf angepasst, wobei nicht selten die kürzesten und allgemeinsten Paragraphen die längste Kommentierung erfahren.