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1791 Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur KV 622

Die meisten Musikliebhaber dürften sich schon einmal gefragt haben, welche Musik wir von Mozart noch bekommen hätten, wenn er weitere zwanzig oder gar vierzig Jahre gelebt hätte. Die Frage stellt sich insbesondere angesichts der singulären Werke, welche dieser scheinbar grenzenlos kreative und entwicklungsfähige Musiker in seiner späten Schaffensphase komponierte. Vor allem die Werke seines letzten Lebensjahres verleiten zu Spekulationen darüber, wie es wohl weiter gegangen wäre. Denn nicht nur in der „Zauberflöte“ hört man neue Töne, etwa in der Art Harmonieführung in den Terzetten der drei Damen und der drei Knaben. Auch das Requiem, das in seiner Unvollendetheit wie ein Symbol für das plötzlich abgebrochene Schaffen Mozarts dasteht, lässt neue Perspektiven der Ausdruckskraft erahnen. Und schließlich ist da das Klarinettenkonzert, welches Mozart zwei Monate vor seinem Tod vollendete.

Mit dem Konzert für Klarinette hat Mozart das Referenzwerk für dieses Instrument und eines seiner beliebtesten und eindrucksvollsten Stücke überhaupt geschaffen. Bis heute ist es das Klarinettenkonzert schlechthin. Vor allem in dem inzwischen legendären langsamen Satz hat Mozart die emotionalen und atmosphärischen Möglichkeiten des Instrumentes maßstabsetzend ausgelotet. Ein vergleichbar bedeutendes Werk für dieses Instrument ist nur noch das Klarinettenquintett von Johannes Brahms, das genau 100 Jahre später entstand.

Die Klarinette war damals ein noch sehr junges Instrument. Ihre heutige Form bildete sich erst um die Mitte des 18. Jh. heraus. Mozart lernte die Klarinette 1778 in Mannheim kennen. Begeistert schrieb er seinerzeit an seinen Vater: „Ach wenn wir nur clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfonie mit flauten, oboen und clarinetten einen herrlichen Effekt macht.“ Noch im Mannheim schrieb er seine Konzertante Symphonie für Bläser, bei der die Klarinette als Soloinstrument eingesetzt ist. Fortan integrierte er die Klarinette schrittweise in seine Kompositionen.

In Wien lernte Mozart dann den Klarinettisten Anton Stadler kennen, mit dem er nicht nur in musikalischen Dingen verbunden war. Stadler war offenbar eine labile Persönlichkeit, trank und ging dem Glückspiel nach und pumpte ausgerechnet Mozart, dessen finanzielle Verhältnisse selbst nicht eben geordnet waren, um erhebliche Mengen Geld an. Aber er war auch ein ausgezeichneter Musiker. Bekannt war er vor allem dafür, dass er die tiefen Register der Klarinette beherrschte. Um den Tonraum zu erweitern, ließ er das Instrument sogar durch Verlängerung zur Bassetklarinette weiterentwickeln. Mozart schrieb für ihn zwei bedeutende Werke, 1789 das Klarinettenquintett und 1791 eben das Klarinettenkonzert, beide wohl für die Bassetklarinette.

Der Plan für die Komposition des Konzertes war vermutlich in Prag entstanden, wohin Mozart Ende August 1791 mit seiner Frau und seinem Adlatus Franz Xaver Süßmayr gereist war, um an der Uraufführung seiner Oper „Titus“ im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. teilzunehmen. Dort traf er mit Stadler zusammen, der an der Aufführung mitwirkte. Offenbar sagte er ihm dabei die Komposition des Konzertes zu, das bei einer Benefizveranstaltung am 16. Oktober 1791 in Prag aufgeführt werden sollte. Mitte September kehrte Mozart zurück nach Wien und hatte noch zwei Wochen, um die letzten Teile der „Zauberflöte“ zu schreiben und deren Uraufführung am 30. September vorzubereiten. Eine Woche danach berichtete er nach der Rückkunft aus dem Theater seiner Frau Constance, die in Kur war, brieflich begeistert vom Erfolg der Oper, die täglich gespielt wurde. Zur Feier des Tages, schreibt er, „ließ ich mir …..schwarzen koffé hollen, wobey ich eine herrliche Pfeiffe toback schmauchte; dann instrumentierte ich fast das ganze Rondo vom Stadler“ (gemeint ist der letzte Satz des Klarinettenkonzertes, der, bedenkt man Mozarts Arbeitspensum bis zur Uraufführung der Zauberflöte, wohl nach dieser entstanden sein dürfte, was die gute Stimmung erklären könnte, die in ihm herrscht). Acht Tage später war, wie gesagt, die Aufführung des Konzertes angesetzt. Bis dahin mussten die Stimmen noch ausgeschrieben und nach Prag geschickt werden. Stadler muss das nicht eben einfache Werk also praktisch vom Blatt gespielt haben, was zeigt, wie gut er gewesen ist.

Im gleichen Brief finden sich übrigens interessante Bemerkungen über Stadler und Süßmayr. Mozart schreibt, er sehe nun ein, „dass er [Süßmayr] ein Esel ist – versteht sich, nicht der Stodla [wienerisch für Stadler], der ist nur ein bissel ein Esel, nicht viel – aber der [Süssmayr] – Ja der ist ein rechter Esel.“ Der Hintergrund dieser Bemerkung ist nicht bekannt. Mozart  war sich aber offenbar darüber im Klaren, dass Stadler nicht ganz seriös war, scheint aber, da auch er Künstler und zugleich (Billiard)Spieler war, ein gewisses Verständnis für ihn gehabt zu haben. Dass Stadler nicht sonderlich zuverlässig war, zeigt denn auch die Tatsache,  dass er das Autograph des Konzertes alsbald versetzte, wodurch es verloren gegangen ist. Bis heute weiß man daher nicht sicher, ob das Konzert tatsächlich, wie allgemein angenommen, für Stadlers Bassetklarinette geschrieben ist.

Das Klarinettenkonzert sollte Mozarts letztes Instrumentalwerk bleiben. Danach beschäftigte er sich im Wesentlichen nur noch mit „seinem“ Requiem, das der brave Süßmayr, für den Mozart offenbar weniger Verständnis hatte, nach dem Tod des Meisters, der  am 5.12.1791 eintrat, sehr achtbar vollendete.

Weitere Texte zu Werken Mozarts und rd. 70 weiterer Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis