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Ein- und Ausfälle – Wiedergeburtslehre und Ewigkeitsphantasie

In der modernen Gesellschaft verkehrt sich der Sinn der alten Wiedergeburtslehre in sein Gegenteil. Der Gedanke von der Wiedergeburt, der in Südasien beheimatet ist und bis in die europäische Antike wirkte, drückte ursprünglich die schier unendliche Größe des menschlichen Leidens aus. Dem entsprechend richtete sich alles Bestreben darauf, den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten verlassen und damit das Leiden beenden zu können. In der modernen Spaßgesellschaft hat die Wiedergeburtslehre hingegen in erster Linie die Funktion, das Leben, das als allzu kurz empfunden wird, zu verlängern, um so weitere Erlebnismöglichkeiten ausschöpfen zu können. Paradoxerweise bedienen jedoch beide Ansätze Ewigkeitsphantasien. So wie Platon aus der Wiedergeburtslehre die Unsterblichkeit der Seele ableitete, versucht der Erlebnishungrige mit ihrer Hilfe die Zumutung des Todes zu reduzieren.

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Ein- und Ausfälle – Platons Wiedergeburtslehre

Jede soziale Gruppe versucht, ihre Interessen mit ihren Mitteln zu sichern. Die Philosophen etwa bauen Gedankengebäude für die Allgemeinheit, vergessen aber nicht, sich darin ein ordentliches Zimmer für den Eigengebrauch zu reservieren. So hat Platon im „Symposion“ die turnusmäßige Wartezeit, nach der die Seelen der Kreaturen – durch Erschauen des wahren Seins – jeweils die Chance des Aufstiegs in der Hierarchie der Wiedergeburten erhalten, für Philosophen von 10.000 auf 3.000 Jahre verkürzt (dies gilt allerdings nur für zuverlässige Mitglieder der Zunft: Voraussetzung ist nämlich, dass sie im tausendjährigen Kreislauf dreimal hintereinander das gleiche Philosophen-Leben gewählt haben). Er selbst hat sich in diesem Gedankengebäude gleich eine Zweizimmerwohnung gesichert. Der genannte Vorteil gilt nämlich auch für Päderasten, die auf Weisheitssuche sind.