Archiv der Kategorie: Zelter (Carl Friedrich)

1823 Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809- 1847) Konzert für zwei Klaviere und Orchester E-Dur

Anders als die meisten seiner großen Vorgänger und Nachfolger, die aus eher kleinen Verhältnissen kamen, wuchs Mendelssohn in einer sehr wohlhabenden und intakten großbürgerlichen Familie auf. Ihm fehlte es von Haus aus an nichts und er hätte sich, wie so viele „Erben“, auf den Genuss dessen beschränken können, was in seinem Umfeld schon vorhanden war. Umso beeindruckender ist, mit welchem Ergeiz und mit welcher Ernsthaftigkeit sich der junge Felix bereits im Knabenalter der aufwendigen Prozedur einer umfassenden musikalischen Ausbildung unterzog, zumal dies seinerzeit eher Sache derer war, die darauf angewiesen waren, mit Musik Geld zu verdienen, oder sich gesellschaftlich  noch zu etablieren gedachten.

Mendelssohns besonderer Impetus hat neben hoher Begabung ohne Zweifel nicht zuletzt mit seinem familiärem Umfeld zu tun, wo sich Musikbegeisterung und Leistungsbereitschaft auf besondere Weise paarten. Die außerordentliche Wertschätzung, die man in der Familie Mendelssohn der Musik entgegenbrachte, zeigt sich bereits bei Felix` Großvater Moses Mendessohn, dem großen Philosophen der Spätaufklärung. Im elften Kapitel seines Traktates „Über die Empfindungen“ aus dem Jahre 1755 heißt es über die Musik: „Göttliche Tonkunst! Du bist die einzige, die uns mit allen Arten von Vergnügen überrascht! Welch süße Verwirrung von Vollkommenheit, sinnlicher Lust und Schönheit!“ Betrachtet man rückblickend Mendelssohns Gesamtwerk, so will es einem erscheinen, als habe der Enkel diese Worte zum Motto für sein kompositorisches Schaffen genommen. Möglicherweise bedingt durch die glücklichen Umstände, unter denen er aufwuchs, ging sein kreativer Impuls eher dahin, Vollkommes und Schönes zu gestalten als Ausdrucksmöglichkeiten für das Problematische zu suchen.

Leistungsbereitschaft war bei den Mendelssohns Familientradition und hatte ohne Zweifel nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die jüdische Familie in der protestantischen Mehrheitsgesellschaft etablieren wollte. Schon Moses Mendelssohn war nicht nur ein bedeutender Denker und „ein vortrefflicher Theoretiker der Musik“ – so Gerbers Lexikon der Tonkünstler von 1790 – sondern auch Direktor einer Seidenfabrik. Seine Söhne gründeten und führten mit großem Engagement eine Bank, welche der Familie binnen kurzem erheblichen Wohlstand brachte. Auch die Mutter des Komponisten stammte aus einer erfolgreichen Bankiersfamilie. Felix Mendelssohns Eltern taten alles, um auch bei ihrem hochbegabten Jungen die Bereitschaft zu fördern, etwas Besonderes zu leisten. Ihr Bildungsplan war allerdings durchaus nicht auf die Musik eingeengt. Dazu gehörte etwa auch das Erlernen alter und neuer Sprachen und des Zeichnens, aber auch des (Brief)Schreibens, Gebiete auf denen Felix ebenfalls erstaunliche Leistungen erbrachte. Als sich aber das außerordentliche musikalische Talent ihres Jungen herauskristallisierte, legten sie besonderes Gewicht auf die Förderung dieser Fähigkeit. Im Gleichschritt mit seiner ebenfalls musikalisch hochbegabten Schwester Fanny erhielt Felix Unterricht von erstklassigen Musikpädagogen. Zugleich sorgten die Eltern dafür, dass die jungen Musikadepten auch die nötigen Erfolgserlebnisse hatten. In ihrem großzügigen Berliner Haus konnten sie die Bühne bieten, auf dem bei den sog. Sonntagskonzerten die jeweils neuesten Werke der Kinder, darunter mehrere Singspiele von Felix  zur Aufführung kamen. Hinzu kam die Ermunterung durch ein soziales Umfeld, das von ihm begeistert war. Bekanntlich schenkte selbst der alternde Goethe dem Jungen seine volle Aufmerksamkeit.

Der frühreife Knabe konnte denn auch von der Musik nicht genug bekommen. Felix begnügte sich nicht mit dem Klavierspiel, sondern studierte parallel dazu gleich auch noch die Violine. Im Alter von zehn Jahren begann er dazu mit musiktheoretischem Unterricht beim Berliner Musikpatriarchen Carl Friedrich Zelter. Zelter befasste das Kind mit so grundlegenden und kniffeligen musikalischen Techniken wie Bezifferter Bass, Fuge und Kontrapunkt, in denen  Felix fleißig Übungsarbeiten fertigte. Ermuntert durch seinen Lehrer fing er aber auch gleich damit an, durchkomponierte Werke im Stile der Klassiker zu schreiben. Bereits in seinem ersten Jahr als Kompositionsschüler schrieb er fast 60 Stücke.

Das Spektrum der Werke des jungen Mendelssohn ist außerordentlich weit und ist in seiner vollen Breite erst in den letzten Jahrzehnten bekannt geworden. Das erste Verzeichnis seiner Werke von 1882 unterdrückte das Jugendwerk und enthielt nur 350 Kompositionen, das neue Verzeichnis von 2009 listet hingegen 750 Werke auf. Zu den Jugendwerken gehören auch zwei Konzerte für zwei Klaviere und Orchester in E-Dur bzw. As-Dur, die Mendelssohn im Alter von 14 bzw. 15 Jahren komponierte. Sie wurden wie die meisten Werke aus dieser Zeit für die Sonntagskonzerte geschrieben.

Das Konzert in E-Dur vollendete Mendelssohn im Oktober 1823 und schenkte es seiner Schwester wohl zum Geburtstag. Als Modell scheint ihm Beethovens 5. Klavierkonzert gedient zu haben, zu dem es verschiedene Parallelen aufweist. Erstmals gespielt wurde das Stück von Felix und Fanny am 7. Dezember des gleichen Jahres bei einer Sonntagsmusik in Anwesenheit des berühmt-berüchtigten Salonklaviervirtuosen Kalkbrenner. Mangels Orchester spielten sie dabei auch die Orchestertutti. Ein weiteres Mal spielten die beiden das Werk ein Jahr später zu Fannys Geburtstag am 14. November 1824. Unter den Zuhörern war diesmal der Klaviervirtuose Ignaz Moscheles, den Felix` Mutter anschließend darum bat, ihrem Sohn Unterricht zu geben. Dabei zeigte Felix ihm auch das inzwischen fertig gestellte zweite Doppelkonzert in As-Dur. Moscheles notierte in seinem Tagebuch: „Der fünfzehnjährige Felix ist einer Erscheinung, wie es keine mehr gibt! Was sind alle Wunderkinder neben ihm? Sie sind eben Wunderkinder und sonst nichts; dieser Felix Mendelssohn ist ein reifer Künstler…“.

Im Doppelkonzert in E-Dur zeigt Mendelssohn nicht nur, dass er voller beglückender melodischer Einfälle ist, kompositorische Finessen wie verschachtelte Fugatos und mehrstimmige Engführungen beherrscht und Themen hoch komplex verarbeiten kann. Das Werk spiegelt auch die geradezu symbiotische Beziehung, welche in menschlicher in künstlerischer Hinsicht zwischen den beiden Geschwistern bestand. In den beiden Ecksätzen werfen sich die beiden Solisten mal improvisationsartig und übermütig, mal streng und formal die Bälle auf gleicher Ebene zu, wobei jeder ausreichend Gelegenheit erhält, technische Brillianz zu demonstrieren. Im langsamen Mittelsatz erscheinen aber zwei deutlich unterschiedene Temperamente. Er wird von einem langen lyrischen Solo des ersten Klaviers eingeleitet, dass weiblich schwärmerische Züge trägt. Dies  kann man wohl  der Schwester zuordnen. Es folgt ein ebenso langes Solo des zweiten Klaviers von deutlich zupackenderem Charakter. Darin dürfen wir sicherlich das Selbstverständnis des Bruders dargestellt sehen. Im dritten Teil musizieren die Beiden schließlich selig in geschwisterlicher Harmonie vereint.

Mendelssohn scheint das E-Dur Konzert besonders geschätzt zu haben, was möglicherweise auch mit dem Bezug zur Schwester zu tun hat. Anders als die meisten anderen Werke seiner frühen Jugend hat er es später nicht verworfen. 1830 überarbeitete er das Stück sogar und führte es mit Moscheles in England auf. Auch Moscheles hielt das Werk in Ehren und spielte es 13 Jahre nach Mendelssohns Tod noch einmal für seine Kollegen am Leipziger Konservatorium, wohin Mendelssohn, der das Konservatorium gegründet hatte, seinen ehemaligen Lehrer als Klavierlehrer geholt hatte. Dabei gab Moscheles den Namen des Komponisten in Anspielung auf die Frühbegabung Mendelssohns zunächst mit F. Knospe an, wahrscheinlich weil er ein unbefangenes Urteil seiner Kollegen hören wollte. Danach lag das Konzert in einem hundertjährigen Dornröschenschlaf im Mendelssohn-Nachlass in der Berliner Staatsbibliothek. Da diese nach dem  zweiten Weltkrieg im Ostteil der alten Reichshauptstadt lag, war es für den Westen zunächst nicht zugänglich. Anfang der 50-er Jahre des 20. Jh. kam dann im Rahmen von Bücherschmuggelgeschäften zwischen Ost- und Westberlin eine Mikrofilmaufnahme der beiden Doppelkonzerte nach New York. Seitdem wird das Werk wieder gerne gespielt.

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1875 ff Georges Bizet (1838-1875) – Carmen-Suiten Nr.1 und 2

Im Jahre 1888 verfasste Friedrich Nietzsche nach dem zwanzigsten Besuch von Bizets Oper „Carmen“ in Turin einen „Brief“, in dem er einen fulminanten Generalangriff auf seinen früheren Abgott Richard Wagner und den Wagnerismus startete. In der brillianten Schrift, die unter dem Titel „Der Fall Wagner“ veröffentlicht wurde, lobt er „ridendo dicere severum“ (Lachend das Ernste sagend) den vermeintlichen französischen Kleinmeister Bizet „auf Kosten“ des selbsternannten deutschen Großmeisters Wagner. Wagners Musikdrama des „feuchten Nordens“, dessen Helden die Erlösung durch (Senta)sentimentale höhere Jungfrauen suchten, die in heiligen Hallen wandeln, stellt Nietzsche Bizets trocken-mediterranes „Meisterstück“ um die männerverzehrende „femme fatale“ Carmen gegenüber, die in einer andalusischen Zigarettenfabrik arbeitet. Für Nietzsche ist Wagner der „décadant“, der die Musik falsch und krank gemacht habe und den Geist vernebele. Bizet Musik dagegen, die den Geist frei mache, erscheint ihm vollkommen. „Sie kommt“, schreibt er, „leicht, biegsam und mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie schwitzt nicht.“ Im Gegensatz zum Polypen der Musik, der unendlichen Melodie Wagners, baue und organisiere sie; sie werde fertig.

 

Als sich Nietzsche derart enthusiastisch über die Carmen-Musik äußerte, war ihr Schöpfer schon lange tot. Das Lob hätte Bizet ohne Zweifel lieber dreizehn Jahre früher gehört, nämlich im Jahre 1875 als sein Meisterstück in Paris erstmals zur Aufführung kam. Seinerzeit gab es für ihn aber nichts als Enttäuschungen. Während Wagner in Bayreuth der Fertigstellung eines eigenen  Opernhauses entgegensah, hatte Bizet schon Schwierigkeiten, ein fertiges Haus zu finden, daß seine Oper aufführen wollte. Der Direktor der Opéra Comique in Paris, wo die Uraufführung des hochdramatischen Werkes unpassenderweise stattfinden sollte, fand seinen Inhalt, der auf einer Erzählung von Prosper Mérimée beruht, skandalös und verzögerte die Produktion. Nachdem sich dieses Problem durch den Abgang des Operndirektors gelöst hatte, gab es Komplikationen beim Einstudieren des Werkes. Das Orchester beschwerte sich über die technischen Schwierigkeiten der Partitur, der Chor darüber, daß er nicht nur zu singen, sondern auch zu agieren hatte. Die Uraufführung am 3. März 1875 wurde vom Publikum kalt aufgenommen. Die Kritik bemängelte neben dem „unsittlichen“ Libretto einen Mangel an Melodik; die Singstimmen seien dem Durcheinander und Lärm des Orchesters völlig ausgeliefert. Man warf Bizet ausgerechnet Wagnerismus vor, was in Frankreich seinerzeit rufschädigend war. Wagner galt als der musikalische Repräsentant des deutschen Kaiserreiches, welches sich wenige Jahre zuvor „auf Kosten“ Frankreichs gebildet hatte. Bizet, der schon mit seinen vorangegangenen musikdramatischen Versuchen keinen Erfolg erzielen konnte, hat den erneuten Tiefschlag nicht verkraftet. Geschwächt durch den Stress der Vorbereitungsarbeiten und mutlos durch die enttäuschende Aufnahme starb er drei Monate nach der Uraufführung im Alter von 36 Jahren an einer seit langem schwelenden Halskrankheit.

 

Bizets „Carmen“ ist mittlerweile die meistgespielte Oper überhaupt. Ihr Aufstieg begann schon einige Zeit bevor Nietzsche Wagner leicht maliziös an Bizet maß. Noch im Jahre 1875 wurde sie mit großem Erfolg in Wien gespielt. Von dort begann ihr einzigartiger Siegeszug durch die Welt. Da ihre Musik, nach Nietzsches Feststellung, „baut, organisiert und fertig wird“, hat man aus ihr später leicht zwei Suiten fertigten können, welche die mittlerweile allbekannten Themen enthalten. Bei Wagners unendlicher Melodie dürfte dies – Antiwagnerianer mögen sich bestätigt fühlen – nicht so ohne weiteres möglich sein.