Archiv der Kategorie: Elgar (Edward)

Edward Elgar ( 1857-1934) – Pomp and Circumstances March Nr. 1

Elgar komponierte für seine marsch-affinen Landsleute in der Zeit von 1901 bis 1930 fünf „Pomp and Circumstances Military-Marches“ – ein weiteres Stück war bei seinem Tode skizziert und wurde posthum vervollständigt. Die merkwürdige Formulierung „Pomp and Circumstances“ stammt aus einer Passage im dritten Akt von Shakespeares Tragödie „Othello“, in welcher die soldatische Titelfigur im Furor der Eifersucht alles davon schwinden sieht, was ihm im Leben wichtig war, darunter auch das „Gepränge und das ganze Drum und Dran“ des gloriosen Krieges. Als Elgar diese Worte zur Betitelung seiner ersten vier Märsche, die bis 1904 entstanden, übernahm, hatte der Krieg in der Vorstellung der europäischen Völker und gerade auch in England noch die Aura des Gloriosen. Daher waren die Märsche außerordentlich populär. Vor allem der Marsch Nr. 1. traf den Nerv der Insulaner. Er musste schon bei seiner ersten Aufführung in den legendären Londoner Promenaden-Konzerten zwei Mal wiederholt werden, was es noch nie gegeben hatte und offenbar auch nie wieder gab. Der getragenen Melodie des Mittelteils wurde später der Text „Land of Hope and Glory“ aus einem Gedicht von Elgars Altersgenossen Arthur Christopher Benson unterlegt, in welcher die Größe und Freiheit Englands gefeiert wird, die nach der zwischenzeitlichen Aufgabe der traditionellen splendid isolation und Integration in Europa neuerdings manche wieder herbeisehnen. In dieser Form wurde sie so etwas wie eine der inoffiziellen Nationalhymnen des Landes. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg war es freilich mit der naiven Kriegsbegeisterung, die sich in Bensons Gedicht noch ziemlich unverblümt manifestiert, auch in Great Britain vorbei, wodurch Elgar zeitweilig ins Abseits geriet. Der 1. Pomp and Circumstances Marsch blieb aber populär. Er gehört heute etwa zum festen Bestandteil der volksfestartigen „Last Night of the Proms“.

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1919 Edward Elgar (1857-1934) Konzert für Violoncello und Orchester e-moll

Edward Elgars Cellokonzert teilt – zumindest in Deutschland – das Schicksal seines Schöpfers: es wird, nicht anders als der Meister selbst, von der Musikpublizistik äußerst stiefmütterlich behandelt. Der Self-made-Man gilt, wiewohl er die englische Kunstmusik nach einer Durststrecke von 200 Jahren wieder zurück auf die internationale Bühne brachte, offenbar als Figur einer randständigen Region der europäischen Kunstmusik, weswegen er in den gängigen Musikführern meist nur kursorisch abgehandelt wird. Sein Cellokonzert wird dabei sogar häufig überhaupt nicht erwähnt. In der Praxis erfreut sich das Werk hingegen erheblicher Beliebtheit. Wesentlich dazu beigetragen hat Elgars Landsmännin Jaqueline du Pré. Sie spielte das Stück im Alter von 17 Jahren erstmals bei ihrem spektakulären öffentlichen Debüt im Jahre 1962. In ihrer nur elf Jahre dauernden Weltkarriere, die durch die Erkrankung an Multipler Sklerose plötzlich abgebrochenen wurde, hat sie das Werk immer wieder aufgeführt und ihm dabei ihren persönlichen Stempel aufgedrückt. Legendär ist die Filmaufnahme aus dem Jahre 1967, die sie als entrückte, teilweise wie in Trance spielende zugleich aber äußerst präsente Interpretin des Werkes unter der Leitung ihres jungen Ehemannes Daniel Barenboim zeigt.

Das viersätzige Konzert hat in mancher Hinsicht einen problematischen Hintergrund. Man hat im Zusammenhang mit ihm immer wieder von herbstlicher Tönung und von einer Stimmung des Abschiednehmens und der Resignation gesprochen. Tatsächlich markiert das Werk einen Wendepunkt sowohl in Elgars Leben als auch in seiner künstlerischen Karriere. Es entstand unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, einem Ereignis, in dem Elgar das Ende der Epoche des kunstbegeisterten imperialen Englands sah, dessen musikalischer Repräsentant er gewesen ist. Man hat daher die gedämpfte Stimmung des Konzertes als Ausdruck der Trauer über den Untergang einer Lebensform interpretiert.

Für Elgar selbst ging seinerzeit ebenfalls eine Epoche zu Ende. Bedingt durch die wirtschaftlichen Probleme, welche der Krieg nach sich zog, war auch er gezwungen, seinen Lebensstil ändern. Er konnte sich etwa das großzügige Landhaus Severn, welches er auf dem Höhepunkt seines Ruhmes erworben hatte, nicht länger leisten. Wenige Monate nach der Fertigstellung des Cellokonzertes starb auch noch seine über alles geliebte Frau Alice, die für den eher scheuen Komponisten, der angesichts seiner autodidaktischen Bildung immer wieder von Selbstzweifeln geplagt wurde, gerade auch in Hinblick auf seine schöpferische Tätigkeit die wichtigste Stütze war. Mit ihrem Tod verlor Elgar jegliche Motivation zur Komposition größerer Werke. Erst zehn Jahre später verspürte er wieder nachhaltigere schöpferische Impulse. Der inzwischen betagte Komponist begann auf Anregung von George Bernhard Shaw, mit dem er befreundet war, mit der Arbeit an einer dritten Symphonie und beschäftigte sich mit einer Oper. Die angefangenen Projekte wurden jedoch durch seinen Tod im Jahre 1934 unterbrochen. Das Cellokonzert ist daher das letzte bedeutende Werk aus der Feder des Komponisten geblieben.

Auch das Werk selbst hatte zunächst mit einigen Problemen zu kämpfen. Es fing damit an, dass die Vorbereitung der Uraufführung, die am 27. Oktober 1919 unter denkbar schlechten Vorzeichen stand. Die Präsentation erfolgte im Rahmen des Konzertes, mit dem das London Symphonie Orchestra die Saison eröffnete. Der Hauptteil sollte dabei von dessen neuen Dirigenten Albert Coates, das Cellokonzert von Elgar dirigiert werden. Da Coates einen guten Einstand haben wollte, nahm er die Probenzeit, die zur Verfügung stand, fast ganz für sich in Anspruch. Elgar konnte sein Werk am Tag vor der Uraufführung mit einem Orchester, dessen Dienstzeit bereits abgelaufen war und das dazu die Noten noch nicht gesehen hatte, nur hastig durchspielen. Auch die Zeit für die Einspielspielprobe am folgenden Tag überzog Coates mit ausgiebiger Arbeit am „Waldweben“ von Richard Wagner, einem Komponisten, dem Elgar im Übrigen sehr viel verdankte. Der Meister kam erst zum Zug, als die Probenzeit schon um eine halbe Stunde überschritten war. Nur die Rücksicht auf den seinen Freund Felix Salmond, der den Solopart spielte, hielt Elgar davon ab, der Forderung seiner Frau nachzugeben, die Aufführung abzusagen. Hinzu kam, dass die Londoner kurz nach dem Kriege Anderes im Sinn hatten, als auf ein neues Werk des patriotischen Autors von „Pomp and Circumstances“ zu warten, den sie kurz zuvor noch so hoch gefeiert hatten. Das Konzert war daher schlecht besucht. Der Kritiker des „Observer“ stellte denn auch nicht nur dies bedauernd fest, sondern vor allem, dass Coates Teil des Konzert zwar wunderbar gewesen sei, sich aber „bei Elgar ein so großartiges Orchester wohl noch nie so schlecht dargestellt habe.“ Die Reaktion auf das Konzert war insgesamt eher zurückhaltend.

Nichtsdestoweniger hat das Werk die Musikpodien der Welt erobert. Viele räumen ihm nach dem Konzert von Dvorak den zweiten Platz auf der Rangliste der Werke ein, welche die Ausdrucksmöglichkeiten des Violoncellos auszuschöpfen wissen. Tatsächlich ist ja auch kein anderes Instrument so sehr dazu geeignet, die elegische Stimmung zum  Ausdruck zu bringen, welche in diesem Werk vorherrscht.

Weitere Texte zu Werken von Elgar und zahlreichen anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1899 Edward Elgar (1857 – 1934) – Enigma Variationen

England war lange Zeit ein Land ohne Komponisten. Anders als auf dem Kontinent, wo es eine ununterbrochene Reihe großer Komponistenpersönlichkeiten gibt, brach die musikschöpferische Tradition auf der Insel, die insbesondere in der Renaissance und im Frühbarock bedeutende Meister hervorgebracht hatte, nach dem Tode Henry Purcells im Jahre 1695 weitgehend ab. Fast zwei Jahrhunderte lang hatten Komponisten aus England allenfalls regionale Bedeutung. Das Land nahm an der fulminanten Entwicklung der europäischen Kunstmusik in dieser Zeit nur als Importeur teil. Gegen Ende 19. Jahrhunderts begann dann aber das, was man später die „Englische Musikalische Wiedergeburt“ nannte. Deren ausdrückliches Ziel war, der deutschen Vorherrschaft auf dem Gebiet der Musik Paroli zu bieten. Seitdem hat England den Vorsprung Kontinentaleuropas, insbesondere Deutschlands auf diesem Gebiet in einer Weise aufzuholen versucht, die an die gleichzeitigen Versuche Deutschlands erinnert, mit den Engländern in Sachen Flotte gleichzuziehen. Die herausragende Figur dieser Entwicklung war Edward Elgar, den man gerne mit den gleichzeitigen großen „Deutschen“ Richard Strauss und Gustav Mahler in einem Atemzug nannte. Er war für die Chor- und Instrumentalmusik Englands das, was Benjamin Britten ein weiteres halbes Jahrhundert später für die englische Oper werden sollte.

 

Elgar kam aus der Laienszene der mittelenglischen Provinz, wo er sich vor allem als Orchesterspieler betätigte. Sein Vater war Musikalienhändler und Klavierstimmer. Eine richtige musikalische Ausbildung hat er nie erhalten. Seine Neigung zum Komponieren zeigte sich aber schon im Kindesalter. Bis zu seinem 40. Lebensjahr komponierte Elgar, der sich autodidaktisch vor allem am Vorbild der kontinentalen Spätromantiker, nicht zuletzt Wagners, bildete, meist kleinere Werke für die regionale Musikszene, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Wegen der mangelnden Anerkennung war er schon der Verzweifelung nahe, als der Durchbruch mit den Enigma – Variationen kam. Das Werk entstand im Jahre 1898, als Elgar 41 Jahre alt war. Später wuchs Elgar vor allem wegen seiner „Staatsmusiken“ in die Rolle des musikalischen Repräsentanten des ausgehenden britischen Empires, etwa mit den 5 bekannten Märschen „Pomp and Circumstances“, die seinen Namen in alle Welt getragen haben. Er galt als der Komponist, der die von Prunk und nicht selten Gefühlsseligkeit begleitete grandseniorale Selbstsicherheit der Weltmacht zum Ausdruck brachte. Als Liebling des Establishments erhielt er alle Ehren, mit denen die englische Nation ihre Heroen auszuzeichnen pflegte. Unter anderem wurde er geadelt und mit Doktorhüten überhäuft, darunter auch mehrfach mit solchen juristischer Fakultäten, obwohl er vermutlich weniger mit der Jurisprudenz zu tun hatte als manch anderer Musikus. Nach dem ersten Weltkrieg machte man Elgar die Überbetonung des Nationalen zum Vorwurf. Da er im übrigen auch die neueren Entwicklungen der kontinentalen Musik ablehnte, geriet er zeitweilig ins Abseits.

 

Die Enigma Variationen wurden im Sommer 1899 London erstmals gespielt. Der Dirigent der Uraufführung war der große Pianist und Wagner – Dirigent Hans Richter, der Elgars Talent erkannt hatte. Das Werk hat die Phantasie der Musikwelt von Anfang an in ganz besonderem Maße entzündet.

 

Der Komposition liegt eine „Original Melodie“ zugrunde, die Elgar als Enigma, als Rätsel, bezeichnet hat. Dieses Thema wird in 14 Variationen kunstvoll verarbeitet. Der Komponist hat die Variationen jeweils mit codierten Überschriften versehen, bei denen es sich um Namen oder Initialen handelt. Das „Rätsel“ dieser Überschriften ist im wesentlichen gelöst. Sie stehen meist für Personen aus dem unmittelbaren Umfeld Elgars, die im einzelnen bekannt sind. Die liebevollen Töne der ersten Variation etwa gelten seiner Frau, der er wesentlich verdankte, dass er das Komponieren aus Frustration nicht vorzeitig aufgab. Andere Variationen betreffen Freunde. Elgar merkte dazu in einem Brief an seinen Lektor an, er habe die jeweilige Variation so geschrieben, wie er geglaubt habe, dass diese Personen sie komponiert haben würden, wenn sie so idiotisch gewesen wären zu komponieren. In der 7. Variation sollen die begrenzten pianistischen Fähigkeiten eines befreundeten Architekten dargestellt sein, in der 8. Variation das Lachen einer Bekannten und die Atmosphäre ihres Hauses aus den 18. Jahrhundert und in der 9. die Diskussion zwischen Elgar und dem Lektor seines Musikverlages über Beethovens langsame Sätze. Die 11. Variation befasst sich mit den Versuchen des Bulldoggen eines befreundeten Organisten, gegen den Strom des Flusses Wye, in den er gefallen war, wieder an Land zu schwimmen. Rätselhaft ist nur der Inhalt der 13. Variation, die mit drei Sternchen betitelt ist. Elgar zitiert hier aus Mendelssohns Konzertouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“. Das hat die Vermutung genährt, dass diese Variation seine frühere Verlobte Helen Weaver betrifft, die ihn 1883 verlassen hatte und nach Neuseeland gesegelt war. Die Erinnerung an das seelische Trauma, das sie verursachte, soll sich auch in anderen sentimental gestimmten Werken Elgars spiegeln (etwa in seinem Violinkonzert). In der letzten Variation, die er auf Anraten Richters und seines Lektors nach der Uraufführung deutlich ausbaute, hat sich Elgar selbst porträtiert.

 

Das eigentliche Rätsel des Werkes resultiert aus einer Bemerkung, die Elgar im Programmheft der Urauffühung machte. Danach soll dem Enigma ein „dunkler Spruch“ zugrunde liegen, den er nicht erläutern werde. Die offensichtlichen Verbindungen zwischen dem Thema und den Variationen, so schrieb er, seien oft nur oberflächlich. „Weiter und durch die ganze Anordnung geht ein anderes und größeres Thema“.

 

Diese rätselhaften Andeutungen haben ein ganzes Heer von musikalischen Detektiven in Gang gesetzt, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Rätsel des Werkes zu knacken.

 

Die meisten Autoren haben nach einer Melodie gesucht, die sich in versteckter Form durch die Variationen zieht. Man ging dabei davon aus, dass das „offizielle“ Thema nur der Kontrapunkt zu dieser Melodie sei (tatsächlich klingt es ja auch wie eine Gegenmelodie). Das Rätsel der Komposition wäre demnach die – vermutlich einmalige – Tatsache, dass Elgar ein Musikstück geschrieben hätte, dessen eigentliches Thema nie gespielt wird. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang Themen aus Bachs „Agnus Dei“, Mozarts „Cosi fan tutte“ und der „Prager Symphonie“, Beethovens „Pathétique“, Schumanns Klavierquartett, und Brahms` „Vier ernste Gesänge“, Werken also gerade der deutschen Großmeister, welche die Entwicklung der Musik in der Zeit der englischen Unfruchtbarkeit weitergetrieben hatten, die Elgar beendete. Im Gespräch waren auch immer wieder das notorisch tiefsinnige „Dies Irae“ und das melancholische, altschottische Lied „Auld Lang Syne“ (Nehmt Abschied, Brüder). Passend zu Elgars imperialistischem und staatstragendem Image hat man aber auch „Britannia Rule the waves“ und „God save the Queen“ in die Diskussion geworfen. Die Vielfalt der angebotenen Themen zeigt, dass sich die Interpreten, wie im Falle von Rätseln nicht selten, einige Freiheiten genommen haben.

 

Andere haben vermutet, dass dem Werk kein musikalisches, sondern ein gedankliches Thema zu Grunde liege, etwa „Freundschaft“, dass Elgar damit die schwierige Suche nach sich selbst und seinem künstlerischen Ausdruck darstellen wollte oder dass das Enigma ein Anagramm sei (etwa aus Buchstaben des Namens seiner Frau). Wieder andere haben nicht nur ein Rätsel, sondern gleich mehrere gesucht und dazu heftig in Elgars Biographie gestöbert. Noch in neuester Zeit (1999) hat ein Elgar Liebhaber ein 150 Seiten starkes Buch geschrieben, in dem er glaubt, dem Rätsel endgültig auf die Spur gekommen zu sein.

 

Es kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Komposition – abgesehen davon, dass Variationen immer suchbildhaft und damit rätselartig sind – überhaupt kein besonderes Rätsel enthält. Es könnte sein, dass Elgar in seiner Frustration zu diesem „letzten“ Mittel griff, um das Interesse an seiner Musik zu wecken. Dafür spricht, dass der Komponist immer nur nebulöse Äußerungen über das Rätsel machte und trotz des außerordentlichen allgemeinen Interesses nichts zu seiner Lösung hinterließ; außerdem, dass die Übertitelung des Variationenthemas mit „Enigma“ erst nachträglich auf die Partitur kam (und zwar von seinem – deutschen – Lektor Jaeger, dem Nimrod der 9. Variation, der wohl im Auftrag Elgars handelte). In diesem Falle wäre das Enigma entweder eine nachträgliche Selbstinterpretation, was bei Künstlern, die ihren Rezipienten gelegentlich auf die Sprünge helfen wollen, nicht ungewöhnlich ist. Oder es wäre ein außerordentlich geschickter Werbegag, der die Neigung der Menschen nutzt, sich in solche Botschaften besonders zu vertiefen, die von vorneherein nicht zu verstehen sind.