Archiv der Kategorie: Konzert

Nino Rota (1911-1979) Konzert für Posaune und Orchester

Der Italiener Nino Rota ist vermutlich der bekannteste klassische Komponist, den niemand kennt. Viele seiner Kompositionen sind weltberühmt. Dennoch dürften die meisten Liebhaber der klassischen Musik mit seinem Namen nicht viel anfangen können.

Rota war ein musikalisches Wunderkind vom Schlage eines Mozarts. Sein erstes Werk war ein Oratorium, welches er als Elfjähriger geschrieben hatte. Es wurde im Jahre 1923 in Mailand und Paris aufgeführt. Mit dreizehn Jahren schrieb Rota die Musik zu einer dreiaktigen musikalischen Komödie, die auch im Druck erschien. Kein geringerer als sein Landsmann Arturo Toscanini empfahl ihm einige Jahre später, zur weiteren Ausbildung in die neue Welt zu gehen, wo man seinerzeit gerne auch unbegrenzte kulturelle Möglichkeiten vermutete. Dort vervollständigte Rota von 1930 bis 1932 seine musikalischen Kenntnisse, um danach aber doch in sein altes Heimatland zurückzukehren, wo er eine akademische Karriere aufnahm. Diese führte ihn an das Liceo musicale in Bari, dessen Leiter er über fast drei Jahrzehnte war. Von diesem eher abgelegenen Ort aus entfaltete er eine weltweite musikalische Wirksamkeit, die mit den höchsten Ehrungen bedacht wurde.

In Amerika dürfte Rota auf die neuen Möglichkeiten der musikkünstlerischen Betätigung gestoßen sein, welche die seinerzeit dort mächtig aufblühende Filmindustrie bot. Er begann Filmmusik zu komponieren und wurde wegen seiner großen Vielseitigkeit und der ausgeprägten Fähigkeit, schnell maßgeschneiderte Klanglösungen für bestimmte Zwecke zu liefern, bald zu einem der gefragtesten Komponisten seiner Zeit für Filmmusik. Im Laufe seines Lebens schrieb er rund 170 „sound tracks“, darunter für so berühmte Filme wie „Der Pate“ – dafür erhielt er einen Oskar -,  „La Dolce Vita“ oder „Krieg und Frieden“. Alle großen italienischen Regisseure nahmen seine Dienste in Anspruch. Besonders eng war seine Zusammenarbeit mit Federico Fellini, der ab 1950 alle seine Filme musikalisch von Rota ausstatten ließ.

 Bei aller Arbeit für das neue Medium hat Roti das alte europäische Erbe nicht vernachlässigt. Sein „klassisches“ Oeuvre ist nicht weniger umfangreich als sein filmusikalisches. Er komponierte Werke für alle traditionellen Gattungen, unter anderem zehn Opern, drei Symphonien und dreizehn Solokonzerte. Mit den mitunter abgehobenen Bestrebungen der musikalischen Avantgarde seiner Zeit war er durchaus vertraut. Er war befreundet mit Igor Strawinsky und hat hier und da auch Ausflüge in die Zwölftonmusik unternommen. Von der Filmmusik kommend hat er aber nie vergessen, dass Musik einem Zweck dient. Daher hielt er bei aller moderner Flexibilität im Umgang mit dem musikalischen Material an einem so traditionellen Prinzip wie dem fest, dass die Musik für einen Hörer gedacht ist und daher für diesen verständlich sein müsse. Dies gilt auch für sein Konzert für Posaune und Orchester aus dem Jahre 1966. Die phantasiereiche thematische Verarbeitung bleibt hier, auch wenn sie in eine Orgie von farbgebenden Dissonanzen eingebettet ist, für den Hörer immer nachvollziehbar und transparent. Schwerpunkt dieses Werkes ist ohne Zweifel der tiefsinnige langsame Satz, der von gutgelaunt-musikantischen Ecksätzen eingerahmt ist.

Rotas Konzert für Posaune ist eines der wenigen Solowerke für dieses Instrument. Insbesondere hat keiner der großen Klassiker ein Konzert für die Posaune geschrieben. Dies ist umso erstaunlicher, als dieses Blechblasinstrument eine unbegrenzte harmonische Flexibilität besitzt – sie war ursprünglich neben den Streichinstrumenten das einzige Orchesterinstrument, welches ohne weiteres alle Tonarten spielen konnte. Hinzu kommt, dass die Posaune auch ausgesprochen sangliche Qualitäten hat, was Rotas Konzert eindrucksvoll demonstriert.

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Violinkonzert D-Dur

Beethovens Violinkonzert ist heute allen Musikliebhabern bekannt und unumstritten als eines der ganz großen Werke dieser Gattung anerkannt. Dies war keineswegs immer so Die Uraufführung des Werkes im Jahre 1806 in Wien war kein großer Erfolg. Der Kritiker der Theater Zeitung gestand demselben zwar manche Schönheit zu, machte gegen die Kompositionsweise Beethovens aber grundsätzliche Bedenken geltend. Er bemängelte „daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten …Man fürchtet …, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabey fahren. Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse.“

 Nach der Uraufführung geriet das Werk alsbald in Vergessenheit. Zu Lebzeiten des Komponisten wurde es nur noch einmal gespielt – 1812 von Tomasini in Berlin. Nach Beethovens Tod kam es 1828 zu einer Aufführung durch Baillot in Paris und 1834 in Wien durch Vieuxtemps. Erst der Jahrhundertgeiger Josef Joachim brachte das Werk ins Bewusstsein einer breiteren musikalischen Öffentlichkeit. Joachim spielte es erstmals 1844 im Alter von 13 Jahren unter der Leitung von Mendelssohn in London, dann erst wieder 1852 in Berlin und 1853 unter Schumann in Düsseldorf. Heute, wo das Konzert vermutlich täglich irgendwo aufgeführt wird, wo man es dazu immer wieder im Rundfunk hört und es in zahlreichen Einspielungen jedem jederzeit zur Verfügung steht, ist diese Aufführungsfrequenz kaum mehr nachzuvollziehen.

 Den Grund für den holperigen Werdegang der Anfangszeit hat man zum Einen darin gesehen, dass das Werk technisch ziemlich sperrig ist. Beethoven war Pianist und nicht sonderlich mit dem vertraut, was auf der Geige gut zu machen ist. Anders als etwa im Violinkonzert von Mendelssohn, dem nächsten Meilenstein der konzertanten Violinliteratur, liegt in Beethovens Werk für den Solisten Manches nicht eben bequem. Wichtiger als die technischen Schwierigkeiten, die, wie im Falle Josef Joachims, schon bald die Teenager bewältigten, dürften für den mangelnden Erfolg aber stilistische Gründe und konzerttechnische Gewohnheiten verantwortlich gewesen sein. Das Feld der konzertanten Violinliteratur beherrschten seinerzeit die Geiger Rhodes, Kreutzer und Viotti, die in erster Linie ihre eigenen Konzerte aufführten (Rhodes schrieb 13, Kreutzer 19 und Viotti 29 Violinkonzerte). Das Spielen fremder Werke war daher eher die Ausnahme. Vor allem aber waren die  Konzertbesucher und die Kritiker von diesen Geigenmeistern gewohnt, Doppelgriffe, kniffliges Passagenwerk, Staccato-Läufe, G-Saitenkantilenen und allerhand sonstige virtuose Kunstgriffe zu hören. Außerdem spielte das Orchester bei diesem „brillanten“ Kompositionsstil nur die Rolle des Dekorateurs. Beethoven, der mit den Werken dieser Geigerkomponisten durchaus vertraut war, verzichtete in seinem einzigen Violinkonzert aber geradezu demonstrativ auf derartige Schauelemente und schuf ein Werk von apollinischer Schönheit und klassischem Ebenmaß, in dem jedes Detail aus der musikalischen Grundsubstanz abgeleitet ist. Das Orchester ist dabei integraler Bestandteil eines Geschehens, das in symphonischer Weise durchgeführt wird. Über siebzig Mal erklingt etwa in immer neuen Zusammenhängen das pochende Anfangsmotiv, mit dem – gänzlich ungewohnt – die Pauke das Konzert eröffnet. Beethoven hatte aus kompositionsimmanenten Gründen sogar die Vorstellung, dass sich die Pauke mit diesem Motiv an der Kadenz beteiligen sollte, die traditionell ganz der Zurschaustellung des Solisten vorbehalten ist. Zwar hat Beethoven für das Violinkonzert, wie für alle seine originalen Konzerte, keine Kadenz geschrieben, um dem Solisten freie Hand zur Selbstdarstellung zu geben. Er hat jedoch für die Klavierfassung des Konzertes, die er auf Verlangen des Verlegers Muzio Clementi im Jahre 1807 erstellte, eine Kadenz unter Beteiligung der Pauke geschrieben und damit erkennen lassen, was er für musikalisch angemessen hielt. Eine derartige Kompositionsweise zielt nicht auf einen Hörer, der staunen, sondern auf einen, der in einem komplexen musikalischen Geschehen mitdenken will. Beim heutigen Publikum, dem die Komplexität vertraut ist, welcher die Musikentwicklung später noch zustreben sollte, ist dies sicher weit mehr der Fall als zu Zeiten Beethovens. Es dürfte bei dieser Art vom Komposition daher auch nicht Verwirrung oder Ermüdung, sondern neben dem Genuss der musikantischen Schönheiten auch ein intellektuelles Vergnügen am Nachvollzug der kunstvollen motivischen Verarbeitung verspüren.

1938 Francis Poulenc (1899 – 1963) – Konzert für Orgel, Streicher und Pauke, g-moll

Konzerte für Orgel und Orchester sind eine Rarität. Mit Ausnahme von Händel und dem frühen Haydn hat sich keiner der großen klassischen Komponisten mit dieser reizvollen Kombination befasst. Selbst eine ausgewiesene Orgelgröße wie Johann Sebastian Bach hat kein Konzert für die Königin der Instrumente hinterlassen. Das Gleiche gilt für Anton Bruckner, dessen Liebe zu diesem Instrument gar so weit ging, dass er einen Raum direkt unter der Orgel des Stiftes St. Florian für seine letzte Ruhestätte wählte. Der merkwürdige Mangel an Orgelkonzerten mag ursprünglich damit zu tun gehabt haben, dass sich die alten Orgeln wegen ihres regelmäßigen Standortes in Kirchen wenig für die Konzertaktivität eigneten, welche sich eher im weltlichen Rahmen der Paläste und Konzerthallen abspielte. Durch die Neuerungen des großen französischen Orgelbauers Cavaillé-Coll, insbesondere der Einführung von Instrumentalstimmenregistern, entwickelte sich die Orgel dann im 19. Jh. auch noch selbst zu einem pseudo-orchestralen Instrument. Dies führte zwar verstärkt zu einer weltlichen Orgelmusik, welche – ausgehend von César Franck – gerade in Frankreich in den gewaltigen „symphonischen“ Orgelwerken von Vierne, Widor und Dupré gipfelte. Angesichts ihrer eigenen Ausdrucksmöglichkeiten glaubte man nun aber auch umso mehr, dass die Königin der Instrumente sich selbst genug sei. Zusätzlich von einem Orchester begleitete Konzerte blieben die große Ausnahme. Daran änderte sich zunächst auch nichts, nachdem die Orgel ab Ende des 19. Jh. immer mehr in Säle und Salons auswanderte.

Auch Francis Poulenc hatte mit der Orgel als Konzertinstrument eigentlich wenig im Sinn. Dass er sein Orgelkonzert schrieb, beruhte eher auf einem Zufall. Die Idee zu einem solchen Werk stammte von der Prinzessin Edmond de Poliniac. Die „Prinzessin“ war eine von zwanzig Kindern des reichen amerikanischen Nähmaschinenfabrikanten Singer. Sie unterhielt mit dem Prinzen Edmond de Poliniac, mit dem sie in „Lavendelehe“ verbunden war, in Paris einen musikalischen Salon, in dem sich alles traf, was in Frankreich künstlerisch etwas zu sagen hatte (Marcel Proust fand hier weitgehend den Stoff für seinen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“). Die Amerikanerin war eine große Mäzenin des französischen Musiklebens zwischen den Weltkriegen. Als solche beauftragte sie im Jahre 1934 Jean Francaix mit der Komposition eines Orgelkonzertes. Francaix war aber mit Filmmusik voll beschäftigt und schlug Poulenc als „Aushilfe“ vor, der für die Prinzessin gerade sein burleskes Konzert für zwei Klaviere geschrieben hatte.

Poulenc begann mit der Komposition im Jahre 1936, tat sich damit aber ziemlich schwer. Einer programmatischen Forderung von Jean Cocteau entsprechend komponierten er und seine Gesinnungsgenossen von der „Groupe des six“ in einem lockeren, ironischen und häufig ins Surreale führenden antiromantischen Stil mit allerhand Anklängen an die Unterhaltungsmusik vom Jazz über das Vaudeville bis zum Jahrmarkt. Typisch dafür waren unter anderem „falsche Noten“, Töne, welche neben den Tönen liegen, die man nach der gewohnten Harmonik erwarten konnte, gleichzeitig aber so nah, dass man die richtigen Töne noch erahnen kann. Dieser Stil schien Poulenc für ein Orgelkonzert aber nicht geeignet, zumal er sich unter dem Eindruck des Todes eines nahen Freundes inzwischen dem Katholizismus und damit ernsteren Themen zugewandt hatte. Im Mai 1936 schrieb er an die Prinzessin: „Das Konzert hat mir viel Schmerz bereitet … Es ist nicht vom gefälligen Poulenc des Konzerts für zwei Klaviere, sondern eher vom Poulenc auf den Weg ins Kloster, sehr nach Art des 15. Jh., wenn man so will.“  Auf der Suche nach einem geeigneten Zugang blieb die Komposition ein Jahr liegen. Als Poulenc das Werk im Jahre 1938 abschloss, schrieb er an die Prinzessin: „Endlich erhalten Sie Ihr Konzert. Das Wort „endlich“ resümiert für mich die Freude darüber, dass ich mit meinem Gewissen gänzlich im Reinen bin, mehr noch, mit meinem künstlerischen Gewissen, denn das Werk ist jetzt wirklich auf den Punkt gebracht – niemals seit ich Musik schreibe, habe ich solche Probleme gehabt, meine Ausdrucksmittel zu finden.“

Die erste Aufführung des Werkes fand am 16. Dezember 1938 im Palais „Singer-Poliniac“ in Paris unter der Leitung der großen Dirigentin und Musiklehrerin Nadia Boulanger statt. Ein halbes Jahr später erfolgte die erste öffentliche Präsentation im Salle Gaveau in Paris. Die öffentliche Reaktion war nicht besonders gut. An Nadia Boulanger schrieb Poulenc danach enttäuscht: „Die Franzosen hassen die Orgel.“  Noch im Jahre 1947 bemerkte er anlässlich einer Aufführung des Werkes durch Charles Munch, der das Werk in Amerika populär machte: „Publikum und Kritik schätzen das Werk nicht sonderlich. Man hat sicher eine Sintflut von falschen Noten erwartet.“

Poulenc selbst, der von sich sagte, er kenne künstlerisch „sowohl das Milieu der Pfarrer  als auch das der Taugenichtse“, räumte dem Konzert einen wichtigen Platz in seinem oft als janusköpfig charakterisiertem Gesamtwerk ein. „Wenn man eine genaue Vorstellung von meiner seriösen Seite haben will“, so schrieb er, „muss man sich dieses Werk anschauen, ebenso wie meine religiösen Werke.“ Kirchenmusik im eigentlichen Sinne ist das Orgelkonzert allerdings nicht. Dafür steht es dem Jahrmarkt, auf den Poulenc auch hier nicht ganz verzichten wollte, dann doch wieder zu nahe. Die Analytiker haben in dem Werk im Übrigen allerhand Anklänge an die niederländische Polyphonie des 15. Jh. und an barocke Musik von Buxtehude bis Bach, aber auch an Tschaikowsky und Strawinsky gefunden. Dies entspricht durchaus der Neigung Poulencs, vorhandenes musikalisches Material aus seinem ursprünglichen Kontext zu nehmen und damit gewissermaßen „falsche Zitate“ zu erzeugen, ein Verfahren, das seine Kritiker gerne als eklektisch etikettieren, das man aber auch als den Versuch verstehen kann, sich im allgemeinen kulturellen Kontext zu platzieren.

Der Bewertung des Orgelkonzertes hat wie die des ganzen kompositorischen Schaffens von  Poulenc im Laufe der Zeit eine interessante Wandlung erlebt. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde die Musik von Poulenc, der keine reguläre akademische Ausbildung genossen hatte, vor allem wegen seiner konsequenten Weigerung, die Errungenschaften der radikalen musikalischen Avantgarde zu übernehmen, gerne als „amateurhafte Nettigkeit ohne intellektuelle, innovative Ambition“ angesehen. Man konstatierte einen Mangel an „linguistischer Komplexität“ und nahm den Komponisten, ähnlich wie im Falle von Francaix, nicht richtig ernst. Mit dem Verblassen der avantgardistischen Errungenschaften hat sein Gesamtwerk in neuerer Zeit eine gänzlich andere Einschätzung erfahren. Inzwischen halten maßgebliche Autoren Poulenc für die wichtigste französische Musikerpersönlichkeit zwischen Impressionismus und Moderne.

In Deutschland hat sich die Bedeutung Poulencs und des Orgelkonzertes noch nicht überall herumgesprochen. In den gängigen Konzertführern wird der Komponist meist nur am Rande und pauschal mit seinen zeitweiligen Mitstreitern von der „Groupe des six“ gewürdigt. Das Orgelkonzert wird dabei nicht besonders erwähnt. Sogar ein neueres Handbuch der Orgelmusik erlaubt sich, das Orgelkonzert zu übergehen. In der Musikpraxis und bei den Hörern gewinnt das Werk von Poulenc hingegen zunehmend an Beliebtheit. Eines seiner populärsten Werke ist dabei inzwischen das Orgelkonzert, was abgesehen von der originellen Besetzung sicher auch mit seinem Mangel an „linguistischer Komplexität“ zu tun hat.

1778 Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Konzert für Flöte und Harfe C-Dur, KV 299

Mozart schrieb das Konzert während seines Aufenthaltes in Paris im Jahre 1778 für den Herzog von Guines und seine Tochter. Der Herzog war nach Mozarts Darstellung ein „unvergleichlicher“ Flötist, seine Tochter spielte offenbar recht gut Harfe und war Mozarts Kompositionsschülerin. Von den Doppelpaarung Herzog/Tochter und Flöte/Harfe war Mozart aber nicht eben begeistert. Zum einen waren Flöte und Harfe die beiden Instrumente, die er am wenigsten liebte. Zum anderen unterrichtete er nicht gerne. Die Lehrtätigkeit war für ihn ein notwendiges Übel zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes und zur Anbahnung von Kontakten zu möglichen Auftraggebern von Kompositionen. Daher nahm er Angebote zum Unterricht nur sehr ungern an, und dies obwohl die Pariser Reise gerade dazu diente, dringend benötigtes Geld zur Begleichung von Schulden seiner Familie zu beschaffen. Gegenüber seinem Vater schrieb er dazu aus Paris: „Sie dürfen nicht annehmen, dass es Faulheit ist – nein! – sondern weil es ganz wider mein Genie, wider meine Lebensart ist – Sie wissen, dass ich sozusagen in der Musik stecke – dass ich den ganzen Tag damit umgehe – dass ich gern speculiere, studiere, überlege; nun bin ich hier durch diese Lebensart dessen behindert.“ Hinzu kam, dass die Tochter des Herzogs wenig Interesse am Komponieren zeigte und dazu offenbar auch nicht sonderlich begabt war. Seinem Vater gegenüber klagte Mozart: „Sie ennuiert sich gleich, aber ich kann ihr nicht helfen… Sie hat gar keine Gedanken, es kömmt nichts“. Der Herzog wiederum, von dem sich Mozart finanziell Einiges versprochen hatte, erwies sich als Geizhals. Er bezahlte das Konzert für Flöte und Harfe nicht nur monatelang nicht, sondern versuchte nachträglich auch noch, den Preis für den Kompositionsunterricht der Tochter zu drücken. Als er die junge Dame verloben konnte, war nämlich die Notwendigkeit weiteren Unterrichts entfallen. Der hohe Herr wollte den kleinen deutschen Angestellten nun mit drei Louisd´or abspeisen, was der selbstbewusste 22-Jährige entrüstet zurückwies.

Auch ansonsten war Mozart mit den Verhältnissen, die er fünfzehn Jahre nach seinem letzten Besuch in der französischen Metropole vorfand, alles andere als zufrieden. Seine Briefe an den Vater sind voller Klagen – über demütigende Behandlung durch die aristokratischen Auftraggeber, über den „unbeschreiblichen Dreck“ auf den Strassen, die großen Entfernungen in der Stadt und die hohen Preise. „Überhaupt hat sich“, so schreibt er,  „Paris viel verändert, die Franzosen haben lange nicht mehr so viel Politesse als vor 15 Jahren, sie gränzen jetzt stark an die Grobheit, und hoffärtig sind sie abscheulich.“ Auch den Geschmack und die Bildung der Franzosen in Sachen Musik fand er wenig entwickelt. Was die Musik angehe, so schreibt er, „bin ich unter lauter vieher und bestien …Ich danke Gott, wenn ich mit gesundem gusto davon komme, ich bette alle tag gott, daß er mit die Gnade gebe, daß ich hier standhaft aushalten kann, daß ich mir und der deutschen Nation Ehre mache…“. 

Von all diesen Problemen spiegelt sich im dem Konzert für Flöte und Harfe ebenso wenig wie von der mangelnden Liebe Mozarts zu den beiden Soloinstrumenten. Es ist ein ausgesprochen heiteres Werk, das so locker mit immer neuen Gedanken spielt, das man meinen könnte, der Lehrer habe seiner gedankenarmen Schülerin zeigen wollen, wie eine Komposition auszusehen habe.

 Die Kombination von solistischer Harfe und Flöte ist in der Musikgeschichte so gut wie einmalig geblieben. Dies ist umso erstaunlicher als der Zusammenklang der beiden Instrumente  wunderbar stimmig ist. Insbesondere wenn man eine historische Flöte verwendet, haben sie einen ähnlich seidenweichen Ton. Die feine Stimmung, die hier dabei herausgekommen ist,  hat ihr Pendant in der dekorativen Delikatesse des Pariser Salons, welche sich bei allen Vorbehalten Mozarts gegen den französischen Stil dann doch in diesem Werk  spiegelt.

1896 Enrico Bossi (1861- 1925) Orgelkonzert a-moll

Die Komponisten der italienischen Romantik sind, soweit es sich nicht um Opernkomponisten handelt, hierzulande kaum bekannt. Dies zeigte sich sehr deutlich als vor einigen Jahrzehnten die „Messa per Rossini“ gefunden wurde, die Verdi anlässlich des Todes von Rossini im Jahre 1868 gemeinsam mit zwölf der berühmtesten Komponisten Italiens komponierte. Außer Verdi selbst war selbst den Musikkennern keiner der anderen Komponisten ein Begriff, wiewohl diese, wie die Uraufführung des Werkes in Stuttgart im Jahre 1988 zeigte, offensichtlich sehr versierte Könner waren. Ähnliches gilt für den Italiener Enrico Bossi, der zu den Spätromantikern zu zählen ist. Er war zu seiner Zeit ein hochberühmter Organist und Orgeltheoretiker, ein erfolgreicher Komponist sowie ein geachteter Kompositionslehrer an verschiedenen großen Instituten seines Heimatlandes. Konzertreisen führten ihn weit in die Welt hinaus – er verstarb auf der Rückreise von einer Reise nach Amerika im Jahre 1925 auf einem Schiff im Atlantik.

Bossi, der einer Dynastie von Organisten entstammt und auch eine solche begründete, hinterließ ein großes Ouevre mit Werken aller Gattungen. Berühmt waren vor allem seine Vokalwerke, deren Gegenstand die großen Themen der christlich-abendländischen Überlieferung und Geschichte waren. Einen Schwerpunkt seines Gesamtwerkes bilden naturgemäß Kompositionen für Orgel. Darunter ist auch ein Orgelkonzert aus dem Jahre 1896 mit der aparten Besetzung Orgel, Streichorchester, vier Hörner und Pauken. Das dreisätzige Stück ist, wiewohl es nicht eben viele große Orgelkonzerte gibt, so wenig bekannt wie sein Autor. In einem wichtigen deutschsprachigen Orgelmusikführer etwa wird es nicht erwähnt. Dabei handelt es sich um ein wahrhaft eindrucksvolles Werk reifster Spätromantik, das die expressiven Möglichkeiten der romantischen Orgel, die Bossi in Italien einführte, voll zur Geltung bringt. Zarte Passagen, die den aufkommenden musikalischen Impressionismus ahnen lassen, stehen neben gewaltigen Klangapotheosen und erdbebenartigen Tiefen, singuläre Tonszenarien, wie sie nur die Königin der Instrumente erzeugen kann. Bemerkenswert sind die dichte thematische Verarbeitung, die hohe harmonische Flexibilität mit phantasiereichen Modulationen und die bei aller Komplexität wunderbar schlüssige Form. Insoweit hat offensichtlich die zeitgenössische mitteleuropäische Symphonik und die Harmonik Richard Wagners Pate gestanden. Das Orchester ist der kongeniale Partner des Soloinstrumentes. Es ist nicht nur auf das Dichteste in das musikalische Geschehen verwoben, sondern auch mit großen Soli betraut, so die tiefen Streicher, die dabei bis zu vierfach geteilt werden, oder das fulminant schmetternde Hornquartett.

Alles in Allem ist nicht nachzuvollziehen, wieso dieses mitreißende Werk in unseren Breiten bislang keinen Nachhall gefunden hat.

1756 Josef Haydn (1732–1809) Konzert für Orgel und Orchester C- Dur Hoboken Verz. XVIII:1

Haydns Orgelkonzert in C-Dur ist ein Werk seiner Frühzeit als Musiker. Gerade über diese Zeit ist aber noch weniger bekannt als über Haydns Leben insgesamt. Wir wissen nur aus einem autobiographischen Brief aus dem Jahre 1776 von ihm selbst, dass er, nachdem er im Alter von 17 Jahren wegen Stimmbruchs aus den Chorknabendienst am Wiener Stephansdom entlassen wurde, zunächst auf der Straße stand und sich „in Unterrichtung der Jugend ganze 8 Jahr Kummerhaft herumschleppen“ mußte. „Durch dieses Elende brot“, so merkt Haydn an, „gehen viele genien zu grund, da ihnen die Zeit zum studieren manglet.“ Auch er selbst wäre diesem Schicksal nicht entgangen, wenn er seinen „Compositions Eyfer nicht in der Nacht fortgesetzt hätte.“ Seine ersten Biographen berichten, dass sich Haydn in dieser Zeit weitgehend autodidaktisch an Hand von zwei Klassikern der Kompositionslehre fortgebildet habe, dem Kontrapunktlehrbuch „Gradum ad parnassum“ von Johann Josef Fux aus dem Jahre 1725 und Johann Mathessons „Der vollkommene Kapellmeister“ von 1739. Starken Einfluss auf sein musikalisches Verständnis hatten auch die ersten sechs Sonaten von Carl Philippp Emanuel Bach, einem wichtigen Wegbereiter des empfindsamen Stils. Haydn sagte einmal: „Wer mich gründlich kennt, der muß finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke.“ Vor allen aber, so heißt es in seiner biographischen Skizze von 1776, „schrieb ich fleißig, doch nicht ganz gegründet, bis ich endlich die Gnade hatte, von dem berühmten Herrn Porpora … die ächten Fundamente der Setzkunst zu erlehrnen.“ Haydn war zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr im Übrigen ein musikalischer Gelegenheitsarbeiter, der hier und dort einsprang, wo ein nicht unbegabter Musiker benötigt wurde.

Ein Gelegenheitswerk ist auch das Orgelkonzert in C-Dur, welche nach Haydns eigener, allerdings fast 50 Jahre später erfolgten Datierung im Jahre 1756 entstand. Das Werk soll nach Angaben des frühen Haydn-Biographen Griesinger für die Zeremonie des feierlichen Klostergelübtes seiner Schülerin Therese Keller geschrieben worden sein, die am 12. Mai 1756 stattfand. Ebenfalls nach diesen Angaben waren zwischen Lehrer und Schülerin zarte Bande gewachsen, die aber durch die Entschlossenheit der Eltern des Mädchens, ihre zweite Tochter im Kloster unterzubringen, jäh unterbrochen wurden. Ähnlich wie Mozart und Dvorak heiratete Haydn später die Schwester seiner frühen Liebe, was auch in seinem Fall nur die zweitbeste Wahl war. Haydns Ehe wird sogar als sehr unglücklich geschildert.

Vielleicht ist dieser emotionale Aspekt der Grund dafür, dass Haydn das Orgelkonzert – und ein Salve Regina, das möglicherweise für den gleichen Anlass entstand – fast fünfzig Jahre lang aufbewahrte. Erst im Jahre 1803, sechs Jahre vor seinem Tod, bot er das Werk dem Verleger Breitkopf an, und zwar – was bei Haydns ausgeprägtem Geschäftssinn auffällt – ohne hierfür eine Gegenleistung zu verlangen. Griesinger, der die Verhandlungen mit Breitkopf führte, teilte diesem mit, er solle ihm von Haydn sagen, "welch` alten Bart es habe.“ Später schreibt er noch, das Konzert sei „vielleicht über die Epoche des heutigen Geschmacks aber in seiner Art und für den Sammler Haydn`scher Musik gewiß merkwürdig.“

Das ungewöhnlich lange Werk ist ein Dokument der Zeit des stilistischen Umbruchs, in der Haydn aufwuchs, und der Suche nach seinem persönlichen Stil, welcher wesentlich den Stil der Epoche prägen sollte. Reste überkommener formaler Strukturen und Floskeln barocker Rhetorik finden sich daher neben Elementen des aufkommenden galanten Stils. Eine besondere persönliche Note ist, wie allgemein beim frühen Haydn, noch nicht festzustellen. Auffällig ist allerdings, dass es sich bei dem Werk nicht, wie bei den Orgelkonzerten dieser Zeit üblich, um bloße unterhaltsame Spielmusik handelt, sondern dass immer wieder, selbst im tänzerischen 3/8 Takt des Finales, ernste Töne zu hören sind. Möglicherweise hat dies mit dem besonderen Anlass des Entstehens und Haydns persönlicher Betroffenheit zu tun.

Weitere Texte zu Werken von Haydn und zahlreichen anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

Um 1715 Georg Philipp Telemann (1681 – 1767)Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher

Telemann hat man lange für einen flachen Vielschreiber und musikalischen Großunternehmer gehalten, der eine Art Fließbandverfahren zur Herstellung von klingender Massenware praktizierte. Diese Bewertung kam im 19. Jh. auf und stützte sich hauptsächlich auf dem ungeheureren Umfang des Telemann`schen Gesamtwerkes, das größer als das von Bach und Händel zusammen ist, die auch nicht gerade im Ruf mangelnder Fruchtbarkeit stehen. Das Urteil kontrastiert allerdings auf`s Deutlichste mit der Wertschätzung, welche die Kenner in ganz Mitteleuropa dem umtriebigen Sachsen zu seinen Lebzeiten entgegen brachten – Johann Sebastian Bach etwa erhielt seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig erst, nachdem Telemann abgesagt hatte. Es beruhte auch nicht auf einer wirklichen Kenntnis seiner Kompositionen. Eine solche war schon deswegen kaum möglich, weil man diese Werke im 19. Jh. nicht spielte. Außerdem waren die Noten – eine Folge seiner Beliebtheit – über halb Europa verstreut und im Übrigen weitgehend verschollen. Telemanns Werk war daher auch nicht annähernd zu überblicken. Eine systematische Erfassung erfolgte erst in den letzten Jahrzehnten und selbst diese ist noch voller Lücken. Seitdem hat sich die Einschätzung dieses Komponisten deutlich gewandelt. Je mehr Werke aus den Archiven von Kirchen und Fürstenhäusern gezogen werden, desto deutlicher wird, welch ein außerordentlich einfallsreicher Musiker er war und dass er sich immer auf der Höhe der musikästhetischen Fragestellungen seiner Zeit befand. 

Neben seinem riesigen kirchenmusikalischen Werk hat Telemann auch eine Fülle von Instrumentalmusik für alle möglichen Anlässe geschrieben, darunter eine große Zahl von Konzerten. Bekannt sind heute rund 100 Werke allein dieser Gattung. Weit mehr gelten als verschollen. Bemerkenswert ist die große Breite der Formen. Es gibt drei und viersätzige Konzerte, Werke im französischen oder in Vivaldis Stil, Solo- Doppel- und Gruppenkonzerte mit bis zu vier Soloinstrumenten und Concerti grossi. Auch bei der Besetzung herrscht eine große Vielfalt mit zum Teil sehr aparten Kombinationen, etwa mit so seltenen Instrumenten wie Violetten, Clarinen oder Chalumeaux.

Dem ungeachtet nahm Telemann gegenüber der Form des Konzertes eine skeptische Haltung ein. In einem autobiographischen Text von 1731 begründete er dies damit, dass „ich in den meisten Concerten … zwar viele Schwierigkeiten und krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und noch schlechtere Melodie antraff, wovon ich die erstere hasste, weil sie meiner Hand und Bogen unbequem waren und wegen Ermangelung der letzteren Eigenschaften (Harmonie und Melodie), als wozu mein Ohr durch die Frantzösischen Musiquen gewöhnt war, nicht lieben konnte noch imitieren mochte.“ Sein eigenes künstlerisches Credo formulierte er demgegenüber in den Versen:

Ein Satz, der Hexerey in seine Zeilen fasst,

Ich meine, wann das Blatt viel schwehre Gänge führet,

Ist musicierenden fast immer Last,

wobei man offtmals genug Grimassen spühred,

ich sage ferner so: Wer vielen nutzen kann,

Thut besser, als wer nur für wenige schreibet;

Nun dient, was leicht gesetzt, durchgehend jedermann:

Drum wirds am besten seyn, dass man bei diesem bleibet.“ 

Dieses Bekenntnis hat in einer Zeit, in der man „schwer-gängige“ Musik liebte, sicher dazu beigetragen, dass Telemann als künstlerisches Leichtgewicht angesehen wurde. Heute neigt man eher zu der Ansicht, dass er ein Vorläufer der Frühklassik war, die unter anderem mit der  Empfindsamkeit ein ähnliches Musikideal propagierte.

Das viersätzige Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher dürfte wie die meisten seiner Konzerte in Telemanns Zeit als städtischer Musikdirektor in Frankfurt in den Jahren 1712-1721 entstanden sein. Im Vordergrund stehen auch hier nicht der Wettstreit der „Parteien“ oder die virtuose Zuschaustellung der Solisten, sondern die thematische Verknüpfung von Solo und Tutti und damit die Verständlichkeit der Komposition. Jeder der vier Solisten hat dennoch seinen großen Auftritt. Zusammen entwickeln sie dann eine barocke Klangpracht, die ihres Gleichen sucht. Telemanns programmatischen Vorstellungen entsprechend gibt es natürlich genügend Harmonie und gute Melodien. Das gilt in besonderem Maße für den langsamen Satz, in dem  vor dem Hintergrund einer Siciliano-Begleitung auf höchst empfindsame Weise ein liedhaftes Motiv weit ausgesponnen wird. Angesichts dieses eindrucksvollen und zugleich unterhaltsamen Werkes versteht man nur zu gut, warum Telemann in seiner Zeit so außerordentlich hoch geschätzt wurde. Erstaunlich ist allerdings, dass das Stück heute kaum bekannt ist und selten gespielt wird. Dies ist eigentlich nur damit zu erklären, dass das alte Pauschalurteil über diesen großen Musiker noch immer nachwirkt.

 

1791 Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur KV 622

Die meisten Musikliebhaber dürften sich schon einmal gefragt haben, welche Musik wir von Mozart noch bekommen hätten, wenn er weitere zwanzig oder gar vierzig Jahre gelebt hätte. Die Frage stellt sich insbesondere angesichts der singulären Werke, welche dieser scheinbar grenzenlos kreative und entwicklungsfähige Musiker in seiner späten Schaffensphase komponierte. Vor allem die Werke seines letzten Lebensjahres verleiten zu Spekulationen darüber, wie es wohl weiter gegangen wäre. Denn nicht nur in der „Zauberflöte“ hört man neue Töne, etwa in der Art Harmonieführung in den Terzetten der drei Damen und der drei Knaben. Auch das Requiem, das in seiner Unvollendetheit wie ein Symbol für das plötzlich abgebrochene Schaffen Mozarts dasteht, lässt neue Perspektiven der Ausdruckskraft erahnen. Und schließlich ist da das Klarinettenkonzert, welches Mozart zwei Monate vor seinem Tod vollendete.

Mit dem Konzert für Klarinette hat Mozart das Referenzwerk für dieses Instrument und eines seiner beliebtesten und eindrucksvollsten Stücke überhaupt geschaffen. Bis heute ist es das Klarinettenkonzert schlechthin. Vor allem in dem inzwischen legendären langsamen Satz hat Mozart die emotionalen und atmosphärischen Möglichkeiten des Instrumentes maßstabsetzend ausgelotet. Ein vergleichbar bedeutendes Werk für dieses Instrument ist nur noch das Klarinettenquintett von Johannes Brahms, das genau 100 Jahre später entstand.

Die Klarinette war damals ein noch sehr junges Instrument. Ihre heutige Form bildete sich erst um die Mitte des 18. Jh. heraus. Mozart lernte die Klarinette 1778 in Mannheim kennen. Begeistert schrieb er seinerzeit an seinen Vater: „Ach wenn wir nur clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfonie mit flauten, oboen und clarinetten einen herrlichen Effekt macht.“ Noch im Mannheim schrieb er seine Konzertante Symphonie für Bläser, bei der die Klarinette als Soloinstrument eingesetzt ist. Fortan integrierte er die Klarinette schrittweise in seine Kompositionen.

In Wien lernte Mozart dann den Klarinettisten Anton Stadler kennen, mit dem er nicht nur in musikalischen Dingen verbunden war. Stadler war offenbar eine labile Persönlichkeit, trank und ging dem Glückspiel nach und pumpte ausgerechnet Mozart, dessen finanzielle Verhältnisse selbst nicht eben geordnet waren, um erhebliche Mengen Geld an. Aber er war auch ein ausgezeichneter Musiker. Bekannt war er vor allem dafür, dass er die tiefen Register der Klarinette beherrschte. Um den Tonraum zu erweitern, ließ er das Instrument sogar durch Verlängerung zur Bassetklarinette weiterentwickeln. Mozart schrieb für ihn zwei bedeutende Werke, 1789 das Klarinettenquintett und 1791 eben das Klarinettenkonzert, beide wohl für die Bassetklarinette.

Der Plan für die Komposition des Konzertes war vermutlich in Prag entstanden, wohin Mozart Ende August 1791 mit seiner Frau und seinem Adlatus Franz Xaver Süßmayr gereist war, um an der Uraufführung seiner Oper „Titus“ im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. teilzunehmen. Dort traf er mit Stadler zusammen, der an der Aufführung mitwirkte. Offenbar sagte er ihm dabei die Komposition des Konzertes zu, das bei einer Benefizveranstaltung am 16. Oktober 1791 in Prag aufgeführt werden sollte. Mitte September kehrte Mozart zurück nach Wien und hatte noch zwei Wochen, um die letzten Teile der „Zauberflöte“ zu schreiben und deren Uraufführung am 30. September vorzubereiten. Eine Woche danach berichtete er nach der Rückkunft aus dem Theater seiner Frau Constance, die in Kur war, brieflich begeistert vom Erfolg der Oper, die täglich gespielt wurde. Zur Feier des Tages, schreibt er, „ließ ich mir …..schwarzen koffé hollen, wobey ich eine herrliche Pfeiffe toback schmauchte; dann instrumentierte ich fast das ganze Rondo vom Stadler“ (gemeint ist der letzte Satz des Klarinettenkonzertes, der, bedenkt man Mozarts Arbeitspensum bis zur Uraufführung der Zauberflöte, wohl nach dieser entstanden sein dürfte, was die gute Stimmung erklären könnte, die in ihm herrscht). Acht Tage später war, wie gesagt, die Aufführung des Konzertes angesetzt. Bis dahin mussten die Stimmen noch ausgeschrieben und nach Prag geschickt werden. Stadler muss das nicht eben einfache Werk also praktisch vom Blatt gespielt haben, was zeigt, wie gut er gewesen ist.

Im gleichen Brief finden sich übrigens interessante Bemerkungen über Stadler und Süßmayr. Mozart schreibt, er sehe nun ein, „dass er [Süßmayr] ein Esel ist – versteht sich, nicht der Stodla [wienerisch für Stadler], der ist nur ein bissel ein Esel, nicht viel – aber der [Süssmayr] – Ja der ist ein rechter Esel.“ Der Hintergrund dieser Bemerkung ist nicht bekannt. Mozart  war sich aber offenbar darüber im Klaren, dass Stadler nicht ganz seriös war, scheint aber, da auch er Künstler und zugleich (Billiard)Spieler war, ein gewisses Verständnis für ihn gehabt zu haben. Dass Stadler nicht sonderlich zuverlässig war, zeigt denn auch die Tatsache,  dass er das Autograph des Konzertes alsbald versetzte, wodurch es verloren gegangen ist. Bis heute weiß man daher nicht sicher, ob das Konzert tatsächlich, wie allgemein angenommen, für Stadlers Bassetklarinette geschrieben ist.

Das Klarinettenkonzert sollte Mozarts letztes Instrumentalwerk bleiben. Danach beschäftigte er sich im Wesentlichen nur noch mit „seinem“ Requiem, das der brave Süßmayr, für den Mozart offenbar weniger Verständnis hatte, nach dem Tod des Meisters, der  am 5.12.1791 eintrat, sehr achtbar vollendete.

Weitere Texte zu Werken Mozarts und rd. 70 weiterer Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1816 Louis Spohr (1784 – 1859) Konzert für Violine und Orchester Nr. 8 (in Form einer Gesangsszene)

Der Braunschweiger Spohr konnte sich eines außerordentlich vielfältigen und erfolgreichen  Musikerlebens erfreuen. 20-jährig  wurde er auf einen Schlag berühmt durch einem Auftritt mit seinem zweiten Violinkonzert in Leipzig. Hier, heißt es, sei zum ersten Mal der Zauber der Geigenromantik zu hören gewesen. Der Kritiker Friedrich Rochlitz schrieb nach diesem Konzert, Spohr „neige am meisten zum Großen und in sanfter Wehmut Schwärmenden“, ein Dictum mit dem Spohr nicht zuletzt wegen seiner Neigung zum „Cromatisieren“ immer wieder charakterisiert werden sollte. Ein Jahr später führte sein Auftreten in Gotha dazu, dass man ihm zum Konzertmeister der dortigen Hofkappelle berief, eine Stelle, die er sieben Jahre ausfüllte. Es folgten, unterbrochen von ausgedehnten Konzertreisen als Geigenvirtuose durch ganz Europa, Kapellmeisterstellen in Wien, Frankfurt und Dresden, wo Spohr Gelegenheit hatte, seinen kompositorischen Wirkungskreis wesentlich auszuweiten. Durch Vermittlung Carl Maria von Webers erhielt Spohr 1822 schließlich die Stelle des Hofkapellmeisters in Kassel. Am hessischen Hof war er  35 Jahre lang der Mittelpunkt eines Musiklebens, das er zu einer außerordentlichen Blüte führte.

Spohr war von  Haus aus eher der Tradition, insbesondere Mozart verpflichtet. Dies hat ihm von Seiten von Publizisten, die dem Fortschritt huldigten, den Vorwurf eingebracht, reaktionär oder zumindest biedermeierlich zu sein, eine Beschreibung, für die sein norddeutsch-korrekter und eher verschlossener persönlicher Habitus möglicherweise einige Ansatzpunkte gab. Ob dies eine zutreffende Beschreibung ist, ist aus heutiger Sicht aber fraglich. Spohr ist sicher eine Grenzfigur zwischen Klassik und Romantik. Wie wenig reaktionär er war, zeigt aber die Tatsache, dass sich keineswegs den neuen Tendenzen in der Musik seiner Zeit verschloss. Unter anderem und führte sehr früh die Opern des jungen Wagners auf.

Spohr war bis zu seinem Lebensende rastlos tätig und komponierte für fast alle Gattungen der Musik. Aus dem umfangreichen Gesamtwerk ragen allerdings die Werke für sein Instrument heraus. Er schrieb 21 Violinkonzerte und zahlreiche weitere Werke, bei denen die Geige im Vordergrund steht, darunter viel Kammermusik. Eine Spezialität sind dabei seine Doppelquartette und ein Quartettkonzert. Gerühmt werden vor allem seine sehr geigerisch empfundenen langsamen Sätze.

Von den Violinkonzerten, die einmal so populär waren, dass sie die Rezeption des singulären Konzertes von  Beethoven erschwerten, hat das 8. Konzert besondere Berühmtheit erlangt. Spohr führte das Werk erstmals am 28. September 1816 in der Mailänder Scala auf. Darüber schreibt er  in seiner Selbstbiographie: „Gestern fand unser Concert im Theater della Scala statt … Das Haus, obgleich vorteilhaft für Musik, verlangt doch in seiner gewaltigen Größe einen sehr kräftigen Ton und ein großes einfaches Spiel. Auch ist es schwer, den Geigenton dort zu hören, wo man immer nur Stimmen zu hören gewohnt ist. Diese Betrachtung und die Ungewissheit, ob die Art meines Spieles und meine Composition auch den Italienern gefallen würde, machte mich bei diesem Debüt in einem Lande, wo man mich noch nicht kennt, etwas furchtsam; da ich indessen schon nach den ersten Takten bemerkte, daß mein Spiel Eingang fand, so schwand diese Furcht bald und ich spielte nun völlig unbefangen. Auch hatte ich die Freude zu sehen, dass ich in dem neuen, in der Schweiz geschriebenen Concerte, welche die Form einer Gesangs-Szene hat, den Geschmack der Italiener sehr glücklich getroffen habe und dass besonders die Gesangsstellen mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurden. Dieser lärmende Beifall, so erfreulich und aufmunternd er auch für den Solospieler ist, bleibt doch für Componisten ein gewaltiges Ärgernis. Es wird dadurch aller Zusammenhang gestört, die fleißig gearbeiteten Tutti bleiben völlig unbeachtet und man hört den Solospieler in einem fremden Tone wieder anfangen, ohne dass man weiß, wie das Orchester dahin moduliert hat.“

Die Aufführung war der Höhepunkt einer fast zweijährigen Konzertreise durch Deutschland, die Schweiz und Italien, die Spohrs internationalen Ruf begründete. Nach einem Konzert, das er am 18. Oktober 1816 in Venedig gegeben hatte, besuchte ihn sogar der große Paganini. Ein Teil der Presse baute Spohr in der Folge als dessen Gegenspieler auf. Spohr schreibt in seiner Selbstbiographie, in einer  Rezension habe es geheißen, dass „er die italienische Lieblichkeit mit aller Tiefe des Studiums, welcher unserer Nation eigen sei, verbinde und dass man mir den ersten Rang unter den jetzt lebenden Geigern einräumen müsse“, ein Lobspruch, der ihm zwar die durchaus nachteilige Gegnerschaft der zahlreichen Anhänger des italienischen Wundermannes einbringe, der aber andererseits „auch den eitelsten Künstler zufrieden machen könnte.“

Weitere Texte zu Werken von rd. 70 Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1844 Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Konzert für Violine und Orchester e-moll

 

Mit Mendelssohns Violinkonzert verbindet man wie selbstverständlich die Vorstellung von Vollendung und Abgerundetheit. Das Werk, das zum klassischen Repertoire wie die Geige zum Orchester gehört, ist wie kaum ein anderes Musikstück aus einem Guss. Es erscheint in sich völlig stimmig und klingt so, als ob nur so und nicht anders sein könne. Dazu ist es so geigerisch, als ob es von der Geige selbst erfunden worden wäre.

 

Die Entwicklungsgeschichte des Werkes war aber eher langwierig. Der Plan zu dieser Komposition keimte bereits sechs Jahre vor seiner Vollendung. Am 30.6.1838 schreibt Mendelssohn an seinen Freund Ferdinand David, den Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters, dem der Komponist seinerzeit vorstand: „Ich möchte dir wohl auch ein Violin Concert machen für den nächsten Winter; eins in e-moll steckt mir im Kopf, dessen Anfang mir keine Ruhe lässt.“ Offenbar hatte ihn David im Sommer 1839 an das Versprechen erinnert. Jedenfalls antwortet ihm Mendelssohn am 24. Juli 1839: „Das ist gar zu hübsch von dir, dass du mich zu einem Violin Concert stempeln willst; ich habe die allergrößte Lust dir eins zu machen, und wenn ich ein Paar gut gelaunte Tage hier habe, so bringe ich dir etwas der Art mit. Aber leicht ist die Aufgabe freilich nicht; brillant willst du’s haben und wie fängt unser eins das an? Das ganze erste Solo soll aus dem hohen e bestehn.“

 

Fertig gestellt wurde das Werk nach Vorarbeiten aber dann im Wesentlichen erst im Sommer 1844 in Bad Soden im Taunus, wo der vielbeschäftigte Komponist mit der Familie Ferien machte. Danach folgten aber noch diverse Änderungen, über die er intensiv mit David korrespondierte. So bat Mendelssohn, wie sich aus einem Brief vom 18. Dezember 1844 ergibt, nicht nur um Rat in geigerischen Dingen für Änderungen bei der Solostimme. Er war sich etwa auch unsicher über die Wirkung der Pizzicato Begleitung im langsamen Satz. „Ich bitte dich“, schreibt er dazu, „zeige doch auch Gade diese Stelle in der Partitur und sage mir seine Meinung. Lacht mich auch nicht gar zu sehr aus; ich schäme mich wirklich selbst, aber ich kann’s einmal nicht besser, und werde einmal das Tappen nicht los.“ David machte in der Folge einige detaillierte Änderungsvorschläge, die Mendelssohn im Wesentlichen annahm.

 

Zur erfolgreichen ersten Aufführung des Werkes kam es schließlich am 13. März 1845 durch David bei einem Konzert des Gewandhausorchesters in Leipzig. Mendelssohn erlebte den Triumph nicht selbst, da er sich nach Aufgabe seiner ungeliebten Tätigkeit als preußischer Generalmusikdirektor in Berlin zunächst einmal in Frankfurt, der Heimat seiner Frau, der wieder gewonnenen (kompositorischen) Freiheit erfreute. Er dirigierte aber die zweite Aufführung am 23. Oktober 1845 in Leipzig. Kaum drei Wochen später wurde das Werk in Dresden unter bemerkenswerten Umständen nochmals gespielt. Bei dem Konzert, das Robert Schumann organisiert hatte, sollte eigentlich Schumanns Klavierkonzert uraufgeführt werden. Clara Schumann, die für den Solopart vorgesehen war, fiel jedoch krankheitshalber aus, weswegen man kurzfristig Mendelssohns Violinkonzert ins Programm nahm. David, der seinerseits verhindert war, schickte seinen damals 14-jährigen Schüler Josef Joachim, mit dem Mendelssohn im Frühjahr 1844 bereits Beethovens Violinkonzert in London aufgeführt hatte. Für Joachim bedeutete dies den Durchbruch zu einer Karriere, in deren Verlauf er zum führenden Geiger seiner Zeit werden sollte.

 

Mendelssohns Violinkonzert ist das Werk eines Meisters auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Zum Eindruck der Abgerundetheit trägt nicht zuletzt bei, dass die drei Sätze nach dem Vorbild Carl Maria von Webers nahtlos ineinander übergehen und auch die Kadenz des ersten Satzes, die in Solokonzerten immer in der Gefahr ist, ein Eigenleben zu entwickeln, wie selbstverständlich in das Werk eingegliedert ist. Sie ist so platziert, dass sie als notwendig zur Abrundung des musikalischen Geschehens erscheint. Daher beginnt sie nicht erst kurz vor dem Ende des ersten Satzes, sondern ungewöhnlicherweise schon nach der Durchführung, wodurch sie zugleich die Überleitung zur Reprise bilden kann. Davon abgesehen ist die Kadenz auskomponiert und damit der Willkür sowie einem eventuellen übermäßigen Selbstdarstellungsdrang des Interpreten entzogen. Das Werk ist im Übrigen auch deswegen so rund, weil Mendelssohn peinlich darauf achtete, dass es sich gut spielt. Bei David fragte er brieflich an, ob eine Änderung, die er noch vorgenommen hatte, auch „ganz bequem“ sei, damit sie „recht fein gespielt werden kann.“ Großen Wert legte er auch immer wieder darauf, dass bestimmte Passagen „mundgerecht“, „gut spielbar“ und „spielgerecht“ oder „nicht ermüdend“ sind. Am Ende stand schließlich eine runde Sache, ein – sehr romantischer – Violinklassiker par excellence.

 

1932 Francis Poulenc (1899- 1963) – Konzert für 2 Klaviere und Orchester

Francis Poulenc war Mitglied eines französischen Künstlerkreises, in dem gegen Ende des ersten Weltkrieges im Rahmen der allgemeinen künstlerischen Aufbruchstimmung der Zeit die Forderung nach einer neuen, spezifisch französischen Musik aufkam. Das Hauptanliegen dieses Kreises war, die Musik von den Einflüssen deutscher Romantik in der Nachfolge Wagners zu befreien. Als germanisch beeinflusst in diesem Sinne galt dabei auch die impressionistische Musik Debussys, die man heute eher als Markenzeichen französischen Geistes ansieht. Die romantische Musik, so hieß es, sei „nebulös“ und „dunstig“, habe keine Struktur und keinen Rhythmus, wirke wie eine Droge und gaukle eine quasireligiöse Sphäre von Ernsthaftigkeit und Unantastbarkeit vor. Dagegen stellte man die „klassischen“ französischen Ideale der Klarheit, Einfachheit, Weltlichkeit und Unterhaltsamkeit, die man vor allem bei Komponisten wie Couperin und Rameau verwirklicht sah. Das literarische Sprachrohr der Gruppe war Jean Cocteau, der die Maximen der Bewegung im Jahre 1918 unter Berufung auf die Musik von Eric Satie in der Schrift „Le Coq et L`Arlequin“ formulierte, wobei „Le Coq“ für den gallischen Hahn steht und „L`Arlequin“ in der (Neben)Bedeutung eines aus Resten zusammenkochten Gerichtes gemeint ist. Zwei Jahre später konstatierte der Kritiker Henri Collet, Cocteaus Vorstellungen würden in besonderem Maße von den jungen französischen Komponisten Poulenc, Honnegger, Milhaud, Durey, Auric und Tailleferre verwirklicht. In Anlehnung an die „Fünf“ des russischen „Mächtigen Häufleins“ um Rimski-Korsakow bezeichnete Collet die Gruppe als die „Six“. Unter dieser griffigen Bezeichnung ging die Gruppe, die wegen ihrer antiavantgardistischen Position zum Gegenstand heftiger Kontroversen wurde, trotz recht unterschiedlicher Ausrichtung und Entwicklung ihrer Mitglieder in die Musikgeschichte ein.  

Poulenc galt als reinster Vertreter der neuen gallischen Richtung. Tatsächlich hielt er sich in seiner ersten Kompositionsphase (bis 1921) unter dem Einfluss Cocteaus, mit dem er befreundet war, eng an die Vorgaben, die in „Le Coq et L`Arlequin“ aufgestellt worden waren. Dazu gehörte die Verwendung von Elementen der Trivialmusik, insbesondere des französischen Varietés, die Ablehnung komplizierter thematischer Entwicklungen und harmonischer Ableitungen, der Vorrang der Melodie vor Harmonie, Klang und Form und das Prinzip der „Ideenkette“, das heißt der Aneinanderreihung unterschiedlicher, nur locker miteinander verknüpfter Ideen.

Poulencs Konzert für zwei Klaviere entstand im Jahre 1932, als sich der Komponist von Cocteaus Vorstellungen schon weitgehend gelöst hatte und auch Elemente der romantischen Tradition verwendete. Dennoch sind die Kriterien Cocteaus noch erkennbar. Das Konzert ist eine unterhaltsame Aneinanderreihung der unterschiedlichsten musikalischen Elemente und Assoziationen. Im ersten Satz finden sich Anklänge an das französische Varieté, aber auch an Prokofieff, Strawinsky und einen Romantiker wie Rachmaninow. Gegen Ende des Satzes schweift die musikalische Phantasie gar ins ferne Asien ab. Balinesische Klänge, die Poulenc auf der Pariser Weltausstellung von 1931 begegnet waren, erzeugen eine exotische Atmosphäre (mittels der Sechstonreihe, parallelen Quarten und hypnotischen Wiederholungen). Im zweiten Satz kommt, nur mäßig verfremdet, Mozart, das Ideal klassischer „Unterhaltsamkeit“, ins Spiel, wird aber bald in die Klangwelt Poulencs übergeführt. Hier und da werden Chopin und Rachmaninow dazu gemischt. Der dritte Satz ist ein Feuerwerk der unterschiedlichsten Ideen. Wieder hört man Klänge des Varieté, aber auch von Jazz à la Gershwin, Rachmaninow erscheint erneut und auch das balinesische Motiv kommt zurück. Das Wunder des kleinen, vor „französischem“ Esprit nur so sprühenden Werkes ist, auf wie kunstvolle Weise Poulenc das disparate Material zusammengefügt, im wahrsten Sinne des Wortes also „komponiert“ hat.

1850 Robert Schumann (1810-1856) – Cellokonzert a-moll, Op. 129

Anfang September 1850 verließ Schumann das ungeliebte Dresden und zog nach Düsseldorf, wo er die Dirigentenstelle des „Allgemeinen Musikvereines“, eines im Wesentlichen aus Laien bestehenden Orchesters übernommen hatte. Noch ganz in der Hochstimmung, die ein freundlicher Empfang in Düsseldorf und die Aussicht auf eine befriedigende berufliche Tätigkeit ausgelöst hatten, komponierte er in wenigen Tagen (10. bis 16. Oktober) sein Cellokonzert. Das Werk, das tatsächlich wie aus einem Guss erscheint, ist eines der wenigen großen Konzerte für dieses sympathische Instrument. Dessen Möglichkeiten hatten die großen Klassiker mit Ausnahme von Haydn und Boccherini erheblich unterschätzt und es darum eher stiefmütterlich behandelt. Schumanns Konzert aber leistet Wiedergutmachung. Das durchkomponierte "einsätzige" Werk ist gekennzeichnet durch zarte Lyrik und feurigen Schwung, vor allem aber durch jenen elegischen Ton, den das Cello wie kein anderes Instrument zum Ausdruck bringen kann. Das Orchester tritt, wiewohl mit wichtigen, gelegentlich an den off-beat des Jazz erinnernden Akzenten betraut, in diesem echten Virtuosenkonzert eher in den Hintergrund. Das Soloinstrument aber wird in höchst effektvoller Weise in Szene gesetzt, bis hin zu jenem fulminanten Schluss, der dem Solisten einen guten Abgang garantiert.

Schumann selbst hat das Werk nie gehört, erstaunlicherweise weil sich kein Cellist fand, der es spielen wollte. Die Uraufführung fand erst nach seinem Tode, nämlich im Jahre 1860 anlässlich des Gedenkens an seinen fünfzigsten Geburtstag im Leipziger Gewandhaus statt.

Schumann scheint Übrigens geahnt zu haben, dass sich die Cellisten möglicherweise zieren würden, das Konzert zu spielen. Jedenfalls hat er „zur Sicherheit“ noch eine Fassung für Violine gefertigt. Letztendlich haben sich aber doch die Cellisten des Werkes bemächtigt, zu deren Standardrepertoire es seit Langem gehört.

 

 

 

1810 Bernhard Romberg (1767 – 1841) – Konzert für Flöte und Orchester h-moll, Op. 30

Bernhard Romberg ist heute fast nur noch den Cellisten ein Begriff. Zu seiner Zeit aber war er hochberühmt. Er galt als einer der größten Meister auf dem Cello und hatte auch als Komponist einen guten Namen.

 

Romberg entstammte einer westfälischen Musikerfamilie. Die ersten Jahrzehnte seines Lebens teilte er musikalisch mit seinem Vetter, dem Geiger Andreas Romberg, mit dem zusammen er meistens genannt wird. Beide gingen schon als Kinder gemeinsam mit ihren Vätern auf große Konzertreisen. Später spielten sie im Orchester des Fürstbischofs von Köln, wo sie Beethoven kennen lernten. Die Vettern besuchten den Meister im Jahre 1796 in Wien, wo Bernhard mit Beethoven dessen erste und zweite Cellosonate aufführte, die soeben entstanden waren. Erst im Jahre 1799 teilte sich der Lebensweg der beiden Rombergs. Während Andreas seßhaft wurde, setzte Bernhard das Leben eines reisenden Virtuosen fort. In teilweise jahrelangen Konzerttourneen kam er bis in die entferntesten Winkel Europas.

 

Es scheint, daß sich Romberg, der sich einen beachtlichen Wohlstand erspielte, in jenen politisch unruhigen Zeiten auch weit abseits der üblichen Künstlerrouten lukrative Märkte eröffnete. Nachdem ihn die französische Revolution aus dem Rheinland vertrieben hatte, reiste er, als Napoleon West- und Mitteleuropa durcheinanderschüttelte, jahrelang durch den Osten des Kontinentes. In Kiew etwa, wo es seinerzeit noch keinerlei öffentliches Musikleben gab, habe er, so berichtete ein Zeitgenosse, für ein Konzert in einem Adelshaus nicht weniger als 1000 Dukaten erhalten. Zur Nachahmung wurde Rombergs Fischzug freilich nicht   empfohlen. Kiew, so hieß es in dem gleichen Bericht, sei inzwischen vollständig abgebrannt.

 

Wie viele Instrumentalvirtuosen war Romberg auch als Komponist aktiv. Er schrieb vornehmlich für sein eigenes Instrument, dessen Möglichkeiten von den großen Meistern der Zeit – Haydn und Boccherini ausgenommen – erheblich unterschätzt und daher kaum für Solowerke genutzt wurden. Romberg schloß die Lücke und schrieb allein zehn Cello-Konzerte, von denen einige noch heute zum Grundbestand der Celloliteratur gehören. Neben weiteren Werken für dieses Instrument komponierte er auch für andere Besetzungen. So gibt es von ihm mehrere Opern, Symphonien, Solokonzerte und allerhand Kammermusik. Viele seiner Werke sind durch seine Reisen geprägt. Romberg hat Stücke mit russischem, moldavischem, polnischem, schwedischem, norwegischem und spanischem Einschlag geschrieben.

 

Welchen Rang Romberg zu seiner Zeit einnahm, zeigt die wohlwollende Beachtung, die ihm die zeitgenössische Musikpublizistik schenkte. Über seine Konzerte und die Aufführung seiner Werke wurde regelmäßig berichtet. 1801 heißt es in der „Allgemeinen Musikzeitung“ von „Breitkopf und Härtel“, Romberg sei „als Komponist und Kunstkenner der erste Violoncellospieler auf dem Erdboden“. 1805 bezeichnet ihn die gleiche Zeitschrift als „den trefflichsten aller lebenden Violoncellisten“, ihn nennen, heiße ihn loben. Und ein Rezensent aus dem Jahre 1812 meinte: „Möchten so viele moderne Componisten, die sich in ihren affektierten Künsteleyen in Rauch und Nebel verlieren, Herrn Romberg nachahmen, dessen Concerte immer voller Charakter sind, in denen nie ein schöner Gesang, nie eine natürliche, doch an der Quelle der Tonkunst geschöpfte, Harmoniefolge vermißt wird“.  

 

Das Konzert für Flöte und Orchester entstand im Jahre 1810 offenbar als Auftragswerk für einen russischen Musikliebhaber. Das hochvirtuose Werk, das packende Dramatik ebenso wie anrührende Melodik enthält, zeigt, auf welch‘ solidem Fundament die großen Namen der klassischen Zeit standen, die heute mehr oder weniger als die alleinigen Repräsentanten dieser Epoche der Musikgeschichte angesehen werden.

1806 August Ritter – Sinfonia Concertante für zwei Fagotte und Orchester

Über die Person August Ritters kann man nur spekulieren. Unter diesem Namen gibt es bisher offenbar nur die Sinfonia Concertante, deren Manuskript mit 1806 datiert ist. Dem Namen, der Zeit und dem Kompositionsstil nach könnte der Komponist der Musikerfamilie Ritter entstammen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der berühmten Mannheimer Hofkapelle eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Zum Ritter-Clan gehörten zumindest zwei Fagottisten (so viele haben es jedenfalls bis in die Musiklexika gebracht). Einer hieß Adam Ritter, scheint aber nicht komponiert zu haben. Bei dem anderen handelt es sich um Georg Wenzel Ritter, der von 1748 bis 1808 lebte und den Ruf hatte, einer der größten Meister seiner Zeit auf dem „Bläsercello“ zu sein (Mozart, der Georg Wenzel Ritter 1778 in Mannheim kennen lernte und ihn kurz darauf in Paris wiedertraf, schrieb dort für ihn und drei seiner Mannheimer Kollegen seine Konzertante Symphonie für vier Bläser, die aber in Paris nicht zur Aufführung kam, was Mozart mit den Worten bedauerte: „Wo sind allzeit so 4 Leut zusamm?“). Georg Wenzel Ritter komponierte auch im Stil der Mannheimer Schule, von dem auch das vorliegende Doppelkonzert geprägt ist. Unter anderem schrieb er zwei Fagott-Konzerte (allerdings jeweils nur für ein Fagott) und einige Fagott-Duette. Er wird aber nirgends mit dem Vornamen August in Verbindung gebracht. Mangels weiterer Anhaltspunkte führt die Spur daher nicht weiter.

Leider gibt auch der Fundort des Manuskriptes keinen Hinweis auf die Person August Ritters. Es entstammt der Bibliothek des Adelshauses von Bentheim-Steinfurt in Westfalen: Dort fanden sich eine ganze Reihe von Bläserkonzerten, darunter auch mehrere Fagottkonzerte, was sicher damit zu tun hat, daß zwei der dortigen Grafen selbst praktizierende Bläser waren. Ein Hinweis auf August Ritter hat man in den dortigen Archiven aber (noch) nicht entdeckt.

Das kleine Steinfurter Adelsgeschlecht unterhielt in seinem münsterländischen Wasserschloss im 18. Jahrhundert einen jener Duodez-Musenhöfe, von denen es insbesondere in Mitteleuropa eine ganze Reihe gab. Die künstlerischen Ambitionen dieses Hofes gingen allerdings weit über das hinaus, was für ein Territorium von der Größe Bentheim-Steinfurts üblich war. Man leistete sich bemerkenswert viel und gutes musikalisches Personal. Im Jahre 1805 beschäftigte man nicht weniger als 43 Instrumentalisten, darunter besonders viele Bläser, und 7 Sänger. Die Musiker hatten im „Bagno“, den prachtvollen, mit Lustbauten versehenen Gartenanlagen des Schlosses regelmäßig zu konzertieren und ansonsten „mit Fleiß und accuratesse“ der Tafel aufzuspielen. Ein Beobachter sprach dem Steinfurter Hof im Jahre 1802 „unter den westfälischen Städten in der Krone geselliger Freuden den Königsdiamanten“ zu.

Die Steinfurter legten Wert darauf, auf dem neuesten Stand der künstlerischen Entwicklung zu sein. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hieß dies nicht zuletzt, dem „Mannheimer gout“ zu folgen, wozu neben dem ausgebildeten Sonatenhauptsatz auch die Flexibilisierung der musikalischen Dynamik gehörte (im Gegensatz zur Terrassendynamik der Barockzeit). Wie genau es der Arbeitgeber dabei mit den  Anforderungen an seine musikalischen Arbeitnehmer nahm, lässt sich etwa aus dem Arbeitsvertrag des böhmischen Geigers Anton Janitsch ersehen, der in Steinfurt im Jahre 1796 als Konzertmeister angestellt wurde. Dort heißt es: „Besonders ist das Pianissimo, piano crescendo, metzoforte, forte, fortissimo, nach dem wahren Sinn der composition, wodurch dieselbe das rechte leben bekommt, genau zu observieren, und daran das ganze Orchester mehr, und mehr zu gewöhnen“.

 

Im Stil einer durch die Mannheimer Schule gegangenen Klassik ist auch die Sinfonia Concertante von August Ritter gehalten. Mit dieser stilistischen Haltung war das Werk zwar wenn es, wie auf dem Manuskript vermerkt, aus dem Jahre 1806 stammen sollte, nicht mehr ganz auf dem letzten Stand der Entwicklung, die damals insbesondere mit Beethoven in Wien in eine neue Richtung ging. Mit ihrer heiteren Musizierlust und schlüssigen Verarbeitungsweise liegt das Werk aber ganz auf der Linie der reisenden Virtuosen jener Zeit, zu denen wahrscheinlich auch August Ritter gehörte.

Karl Stamitz (1745-1801) – Konzert für Bratsche und Orchester

Karl Stamitz ist der Sohn des Begründers der Mannheimer Schule, Johann Stamitz. Er wuchs in der kurpfälzischen Metropole auf, wo ihm die führenden Musiker Cannabich, Holzbauer und Richter neben Geigen- und Bratschenspiel auch die „Mannerheimer Manieren“ beibrachten, darunter die Mannheimer Rakete – ein schnell aufsteigendes Motiv –  und die Mannheimer Walze – eine langes Orchestercrescendo. Acht Jahre war er dann 2. Violinist in der Mannheimer Hofkapelle, wobei er deren gesamtes Repertoire kennen lernte. Im Alter von 25 Jahren ging Stamitz als reisender Virtuose auf Wanderschaft. Unter anderem lebte er längere Zeit in Paris und London. Stamitz komponierte naturgemäß Solowerke für seine Instrumente, darunter das Bratschenkonzert, welches  zum Kernbestand der Literatur für dieses Instrument gehört. Darüber hinaus schrieb er aber auch Konzerte für alle möglichen anderen Instrumente, insgesamt rund 60 Solokonzerte und 30 Doppelkonzerte. Hinzu kommen 51 Symphonien und eine Menge Kammermusik. Stamitz’ Musik ist weitgehend dem empfindsam-galanten Stil der Mannheimer Schule verpflichtet. Sie ist eingängig und unkompliziert und verzichtet auf gelehrte Komplikationen. Schon zu seinen Lebzeiten waren seine stimmungsvollen langsamen Sätze berühmt. Dass dies es zu Recht der Fall war, zeigt der zweite Satz des Bratschenkonzertes.