Archiv der Kategorie: Gruppenkonzert

Antonio Vivaldi (1680 – 1741) Konzert für zwei Violinen, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Hörner, Fagott und Streichorchester C-Dur, RV 556

Unter den rund fünfhundert Konzerten, welche Vivaldi verfasste, ragt das Concerto RV 556 durch seine opulente Besetzung hervor. Es ist eines seiner rund 30 „Concerti con molti Istromenti“, eine Gattung für welche der Venezianer das Urheberrecht beanspruchen kann. Die meisten dieser Konzerte sind für vier bis sieben Solisten komponiert, wobei Vivaldi auch mit sehr aparten Soloinstrumenten wie Schalmei, Mandoline und Trumscheit experimentiert. Im Konzert RV 556 sind dem Streichorchester neun Solisten gegenübergestellt. Nur in einem Konzert geht der Venezianer darüber hinaus und sieht  sechzehn Soloinstrumente vor (RV  555).

Das Konzert RV 556 weist den bekannten Vivaldi-Duktus auf. Ein liedhafter Mittelsatz wird von Ecksätzen eingerahmt, bei denen sich längere Solopassagen mit wiederkehrenden Orchesterblöcken (Ritornelle) abwechseln, die von einfachen sequenziellen Motiven beherrscht sind. Die große Zahl an Soloinstrumenten gibt Vivaldi aber die Möglichkeit, die konzertanten Prozesse zu potenzieren. Um die erste Violine, die – streckenweise assistiert von der zweiten Geige – im Vordergrund steht, gruppieren sich in verschiedenen Konstellationen solistisch hervortretende Bläserpaare, womit immer wieder neue besondere Effekte erzeugt werden. Den Mittelsatz allerdings bestreitet die erste Violine unterstützt vom Continuo Cello al-leine mit einem ergreifenden Gesang.

Auch wenn es aus heutiger Sicht nicht so erscheint, hat Vivaldi auch in diesem Konzert ungewöhnliche Instrumente eingesetzt. Klarinetten waren zu dieser Zeit ein Novität. Sie waren Ende des 17. Jahrhunderts von dem Nürnberger Instrumentenbauer Johann Christoph Denner entwickelt worden, konnten sich aber nicht zuletzt wegen ihrer schwierigen Technik erst Mitte des 18. Jahrhunderts richtig durchsetzen. Vivaldi war einer der ersten, der sie in Italien verwendete, am frühesten offenbar in seinem Oratorium „Juditha triumphans“ von 1716.

Über den Hintergrund und den Zeitpunkt der Entstehung dieses Werkes ist nichts bekannt. Die Betitelung „Per la Solennità de San Lorenzo“ deutet darauf hin, dass Vivaldi es für das Patronatsfest von San Lorenzo verfasste, einem Benediktinerinnen Kloster, welches exklusiv für Töchter der venezianischen Patrizier bestimmt war. Da diese sich Einiges leisten konnten, wurde das Fest mit der ganzen verschwenderischen Pracht gefeiert, welche das barocke Venedig entfalten konnte, darunter mit eigens dafür komponierten Musikwerken. Dies mag der Grund dafür sein, dass Vivaldi auch bei der Besetzung des Werkes nicht sparsam sein brauchte.

Während von Deutschland mit den Klarinetten musiktechnischer Fortschritt über die Alpen kam, wirkte Vivaldi in umgekehrter Richtung als Stilbildner. Mit seinen „Concerti con molti Istromenti“ hat der Venezianer, der europaweit berühmt war, nicht zuletzt in Deutschland Wirkungsgeschichte geschrieben. Johann Sebastian Bach etwa, der sich schon in seiner Weimarer Zeit intensiv mit Werken des Venezianers beschäftigte, übernahm in seinen „Six concerts Avec plusieurs Instruments“, die unter der Bezeichnung „Brandenburgische Konzerte“ Berühmtheit erlangt haben, nicht nur die multiple Besetzung sondern auch die Ritornell-Form der Vivaldi’schen Konzerte.

 

Um 1715 Georg Philipp Telemann (1681 – 1767)Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher

Telemann hat man lange für einen flachen Vielschreiber und musikalischen Großunternehmer gehalten, der eine Art Fließbandverfahren zur Herstellung von klingender Massenware praktizierte. Diese Bewertung kam im 19. Jh. auf und stützte sich hauptsächlich auf dem ungeheureren Umfang des Telemann`schen Gesamtwerkes, das größer als das von Bach und Händel zusammen ist, die auch nicht gerade im Ruf mangelnder Fruchtbarkeit stehen. Das Urteil kontrastiert allerdings auf`s Deutlichste mit der Wertschätzung, welche die Kenner in ganz Mitteleuropa dem umtriebigen Sachsen zu seinen Lebzeiten entgegen brachten – Johann Sebastian Bach etwa erhielt seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig erst, nachdem Telemann abgesagt hatte. Es beruhte auch nicht auf einer wirklichen Kenntnis seiner Kompositionen. Eine solche war schon deswegen kaum möglich, weil man diese Werke im 19. Jh. nicht spielte. Außerdem waren die Noten – eine Folge seiner Beliebtheit – über halb Europa verstreut und im Übrigen weitgehend verschollen. Telemanns Werk war daher auch nicht annähernd zu überblicken. Eine systematische Erfassung erfolgte erst in den letzten Jahrzehnten und selbst diese ist noch voller Lücken. Seitdem hat sich die Einschätzung dieses Komponisten deutlich gewandelt. Je mehr Werke aus den Archiven von Kirchen und Fürstenhäusern gezogen werden, desto deutlicher wird, welch ein außerordentlich einfallsreicher Musiker er war und dass er sich immer auf der Höhe der musikästhetischen Fragestellungen seiner Zeit befand. 

Neben seinem riesigen kirchenmusikalischen Werk hat Telemann auch eine Fülle von Instrumentalmusik für alle möglichen Anlässe geschrieben, darunter eine große Zahl von Konzerten. Bekannt sind heute rund 100 Werke allein dieser Gattung. Weit mehr gelten als verschollen. Bemerkenswert ist die große Breite der Formen. Es gibt drei und viersätzige Konzerte, Werke im französischen oder in Vivaldis Stil, Solo- Doppel- und Gruppenkonzerte mit bis zu vier Soloinstrumenten und Concerti grossi. Auch bei der Besetzung herrscht eine große Vielfalt mit zum Teil sehr aparten Kombinationen, etwa mit so seltenen Instrumenten wie Violetten, Clarinen oder Chalumeaux.

Dem ungeachtet nahm Telemann gegenüber der Form des Konzertes eine skeptische Haltung ein. In einem autobiographischen Text von 1731 begründete er dies damit, dass „ich in den meisten Concerten … zwar viele Schwierigkeiten und krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und noch schlechtere Melodie antraff, wovon ich die erstere hasste, weil sie meiner Hand und Bogen unbequem waren und wegen Ermangelung der letzteren Eigenschaften (Harmonie und Melodie), als wozu mein Ohr durch die Frantzösischen Musiquen gewöhnt war, nicht lieben konnte noch imitieren mochte.“ Sein eigenes künstlerisches Credo formulierte er demgegenüber in den Versen:

Ein Satz, der Hexerey in seine Zeilen fasst,

Ich meine, wann das Blatt viel schwehre Gänge führet,

Ist musicierenden fast immer Last,

wobei man offtmals genug Grimassen spühred,

ich sage ferner so: Wer vielen nutzen kann,

Thut besser, als wer nur für wenige schreibet;

Nun dient, was leicht gesetzt, durchgehend jedermann:

Drum wirds am besten seyn, dass man bei diesem bleibet.“ 

Dieses Bekenntnis hat in einer Zeit, in der man „schwer-gängige“ Musik liebte, sicher dazu beigetragen, dass Telemann als künstlerisches Leichtgewicht angesehen wurde. Heute neigt man eher zu der Ansicht, dass er ein Vorläufer der Frühklassik war, die unter anderem mit der  Empfindsamkeit ein ähnliches Musikideal propagierte.

Das viersätzige Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher dürfte wie die meisten seiner Konzerte in Telemanns Zeit als städtischer Musikdirektor in Frankfurt in den Jahren 1712-1721 entstanden sein. Im Vordergrund stehen auch hier nicht der Wettstreit der „Parteien“ oder die virtuose Zuschaustellung der Solisten, sondern die thematische Verknüpfung von Solo und Tutti und damit die Verständlichkeit der Komposition. Jeder der vier Solisten hat dennoch seinen großen Auftritt. Zusammen entwickeln sie dann eine barocke Klangpracht, die ihres Gleichen sucht. Telemanns programmatischen Vorstellungen entsprechend gibt es natürlich genügend Harmonie und gute Melodien. Das gilt in besonderem Maße für den langsamen Satz, in dem  vor dem Hintergrund einer Siciliano-Begleitung auf höchst empfindsame Weise ein liedhaftes Motiv weit ausgesponnen wird. Angesichts dieses eindrucksvollen und zugleich unterhaltsamen Werkes versteht man nur zu gut, warum Telemann in seiner Zeit so außerordentlich hoch geschätzt wurde. Erstaunlich ist allerdings, dass das Stück heute kaum bekannt ist und selten gespielt wird. Dies ist eigentlich nur damit zu erklären, dass das alte Pauschalurteil über diesen großen Musiker noch immer nachwirkt.

 

1932 Francis Poulenc (1899- 1963) – Konzert für 2 Klaviere und Orchester

Francis Poulenc war Mitglied eines französischen Künstlerkreises, in dem gegen Ende des ersten Weltkrieges im Rahmen der allgemeinen künstlerischen Aufbruchstimmung der Zeit die Forderung nach einer neuen, spezifisch französischen Musik aufkam. Das Hauptanliegen dieses Kreises war, die Musik von den Einflüssen deutscher Romantik in der Nachfolge Wagners zu befreien. Als germanisch beeinflusst in diesem Sinne galt dabei auch die impressionistische Musik Debussys, die man heute eher als Markenzeichen französischen Geistes ansieht. Die romantische Musik, so hieß es, sei „nebulös“ und „dunstig“, habe keine Struktur und keinen Rhythmus, wirke wie eine Droge und gaukle eine quasireligiöse Sphäre von Ernsthaftigkeit und Unantastbarkeit vor. Dagegen stellte man die „klassischen“ französischen Ideale der Klarheit, Einfachheit, Weltlichkeit und Unterhaltsamkeit, die man vor allem bei Komponisten wie Couperin und Rameau verwirklicht sah. Das literarische Sprachrohr der Gruppe war Jean Cocteau, der die Maximen der Bewegung im Jahre 1918 unter Berufung auf die Musik von Eric Satie in der Schrift „Le Coq et L`Arlequin“ formulierte, wobei „Le Coq“ für den gallischen Hahn steht und „L`Arlequin“ in der (Neben)Bedeutung eines aus Resten zusammenkochten Gerichtes gemeint ist. Zwei Jahre später konstatierte der Kritiker Henri Collet, Cocteaus Vorstellungen würden in besonderem Maße von den jungen französischen Komponisten Poulenc, Honnegger, Milhaud, Durey, Auric und Tailleferre verwirklicht. In Anlehnung an die „Fünf“ des russischen „Mächtigen Häufleins“ um Rimski-Korsakow bezeichnete Collet die Gruppe als die „Six“. Unter dieser griffigen Bezeichnung ging die Gruppe, die wegen ihrer antiavantgardistischen Position zum Gegenstand heftiger Kontroversen wurde, trotz recht unterschiedlicher Ausrichtung und Entwicklung ihrer Mitglieder in die Musikgeschichte ein.  

Poulenc galt als reinster Vertreter der neuen gallischen Richtung. Tatsächlich hielt er sich in seiner ersten Kompositionsphase (bis 1921) unter dem Einfluss Cocteaus, mit dem er befreundet war, eng an die Vorgaben, die in „Le Coq et L`Arlequin“ aufgestellt worden waren. Dazu gehörte die Verwendung von Elementen der Trivialmusik, insbesondere des französischen Varietés, die Ablehnung komplizierter thematischer Entwicklungen und harmonischer Ableitungen, der Vorrang der Melodie vor Harmonie, Klang und Form und das Prinzip der „Ideenkette“, das heißt der Aneinanderreihung unterschiedlicher, nur locker miteinander verknüpfter Ideen.

Poulencs Konzert für zwei Klaviere entstand im Jahre 1932, als sich der Komponist von Cocteaus Vorstellungen schon weitgehend gelöst hatte und auch Elemente der romantischen Tradition verwendete. Dennoch sind die Kriterien Cocteaus noch erkennbar. Das Konzert ist eine unterhaltsame Aneinanderreihung der unterschiedlichsten musikalischen Elemente und Assoziationen. Im ersten Satz finden sich Anklänge an das französische Varieté, aber auch an Prokofieff, Strawinsky und einen Romantiker wie Rachmaninow. Gegen Ende des Satzes schweift die musikalische Phantasie gar ins ferne Asien ab. Balinesische Klänge, die Poulenc auf der Pariser Weltausstellung von 1931 begegnet waren, erzeugen eine exotische Atmosphäre (mittels der Sechstonreihe, parallelen Quarten und hypnotischen Wiederholungen). Im zweiten Satz kommt, nur mäßig verfremdet, Mozart, das Ideal klassischer „Unterhaltsamkeit“, ins Spiel, wird aber bald in die Klangwelt Poulencs übergeführt. Hier und da werden Chopin und Rachmaninow dazu gemischt. Der dritte Satz ist ein Feuerwerk der unterschiedlichsten Ideen. Wieder hört man Klänge des Varieté, aber auch von Jazz à la Gershwin, Rachmaninow erscheint erneut und auch das balinesische Motiv kommt zurück. Das Wunder des kleinen, vor „französischem“ Esprit nur so sprühenden Werkes ist, auf wie kunstvolle Weise Poulenc das disparate Material zusammengefügt, im wahrsten Sinne des Wortes also „komponiert“ hat.