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1849 Robert Schumann (1810- 1856) – Konzertstück für vier Hörner und großes Orchester Op. 86

Schumanns Leben und Schaffen ist auf Grund seiner krankhaften bipolaren Veranlagung, die letztlich zur Tragödie führt, von außerordentlichen Schwankungen bestimmt. Phasen tiefster Depression folgen solche eines manischen Schaffensdrangs, in denen er in schier unfassbarer Geschwindigkeit Meisterwerke produziert. Eine solche Hochphase ist etwa die Zeit nach seiner hart erkämpften Eheschließung mit Clara Wieck im Jahre 1839. Im darauf folgenden Jahr schreibt er nicht weniger als 138 Lieder. Noch im Glück der ersten Ehejahre ist 1842 ist das Kammermusikjahr, in denen er fünf herausragende Werke dieser Gattung komponiert. Zwei Jahre später befindet er sich in einem psychischen Tief. Er gibt die Redaktion der von ihm gegründeten, inzwischen hoch angesehenen „Neuen Zeitschrift für Musik“ und damit die Basis seiner wirtschaftlichen Existenz auf. Enttäuscht darüber, dass ihm nach dem Weggang Mendelssohns nach Berlin nicht die Leitung der Gewandhauskonzerte übertragen wurde, übersiedelt er auch noch von Leipzig, wo er künstlerisch gut etabliert war, nach Dresden. In der königlichen Residenzstadt plagt ihn schon bald das Gefühl, dass für ihn dort nicht das richtige musikalische Pflaster ist. Die Musikpflege konzentriert sich hier im Wesentlichen auf die Oper, mit der sich Schumann bislang praktisch nicht beschäftig hatte. Schumann verfällt in Apathie und Depression und sucht verzweifelt nach anderen Wirkungsstätten. Versuche, sich in Wien und Berlin zu etablieren, scheitern. Daraufhin versucht Schumann, in der Oper Fuß zu fassen. Ein packt eine Reihe von Opernprojekten an, die aber nicht über die Ouvertüren hinausgelangen. Seine einzige mit viel Mühe fertig gestellte Oper „Genoveva“ hat nicht den Erfolg, den er sich erhofft hatte. Seiner Doppelbegabung entsprechend beschäftigt er sich aber weiterhin mit musikalisch-literarischen Projekten. Sie gipfeln 1849 in den abschließenden Arbeiten an seinen Faust-Szenen, mit denen er sich über zehn Jahre befasst hatte. Offenbar beflügelt durch die Beschäftigung mit dem Olympier gerät Schumann dabei wieder in eine manische Phase und steigert sich in einen wahren Schaffensrausch. Ähnlich wie bei Mozart entstehen als Abfallprodukte der „musikdramatischen“ Arbeit Werke aller möglicher Gattungen, Chor- und Klavierstücke, Lieder, Kammermusik und Orchesterkompositionen. Auf diese Weise geht das Jahr 1849 als das „fruchtbare Jahr“ in seine schöpferische Biographie ein. „Niemals“ schreibt Schumann, „war ich tätiger, nie glücklicher in der Kunst. Manches habe ich zum Abschluss gebracht, mehr noch liegt an Plänen für die Zukunft vor. Teilnahme von fern und nah gibt mir das Bewusstsein, nicht ganz umsonst zu wirken.“

Eines der „Nebenprodukte“ dieser Phase ist das Konzertstück für vier Hörner und Orchester. An ihm zeigt sich besonders plastisch, wie Schumann arbeitet, wenn er im Rausch ist. Die Skizze des immerhin 20-minütigen Werkes, die den musikalischen Ablauf festlegt, fertigt er in nur drei Tagen (18. bis 20. Februar 1849). Bis zum 11. März ist die Instrumentierung fertig und bereits am 17. März bietet er es dem Verleger Simrock als etwas an, „was bis jetzt, glaube ich, nicht existiert“. In der Tat ist das Werk, das Schumann an anderer Stelle als „etwas ganz kurioses“ bezeichnet und für eines seiner besten hielt, ein Unikum. Das Horn war bis dato im Wesentlichen ein Orchesterinstrument, das sich gut mit den anderen Instrumenten mischte. Solowerke waren eine Rarität. Von den großen Meistern hatte nur Mozart ein Hornkonzert komponiert. Schumann schreibt nun aber nicht nur ein Konzertstück für dieses Orchesterinstrument, sondern sieht auch noch gleich vier Hörner als Soloinstrument vor. Damit führt er das Horn nicht nur als Chorinstrument in die Orchesterliteratur ein, sondern bricht auch eine Lanze für das Ventilhorn.

Das Ventilhorn war um 1814 von den deutschen Instrumentenbauern Schölzel und Blühmel entwickelt worden. Im Gegensatz zum herkömmlichen Naturhorn, das nur in bestimmten Tonarten rein spielen konnte, stand dem Horn durch die Verwendung des Ventils die ganze chromatische Palette zur Verfügung. Die Erfindung führte daher zu einer wesentlichen Erweiterung der harmonischen Möglichkeiten des Instrumentes. Die Meinungen darüber, ob dies erstrebenswert sei, gingen seinerzeit weit auseinander. Kritiker sprachen von einer Entmannung des Instrumentes. Sie beklagten, man habe ihm seinen Charakter geraubt und es zu einer Allerweltskreatur gemacht. Schumann sah dagegen die Möglichkeit, das Horn als das schlechthin romantische Instrument nun auch uneingeschränkt im Rahmen der komplexen romantischen Harmonik einzusetzen. Interessanterweise sind im Orchestersatz aber Naturhörner vorgesehen.

Ungeduldig wollte Schumann das Konzertstück noch im Frühling 1849 in Leipzig zur Aufführung bringen, was aber scheiterte. Nach einer Aufführung in privatem Kreise im Oktober 1849 in Dresden fand die Uraufführung schließlich am 25. Februar 1850 im Gewandhaus in Leipzig statt.

Das Werk ist weit mehr als ein bloßes Konzertstück. Es handelt sich vielmehr um ein ausgereiftes dreisätziges Konzert, in dem die Motive in der für Schumann typischen Weise satzübergreifend verklammert sind. Die Anforderungen an die Solisten sind erheblich, was vermutlich der Grund dafür ist, dass es wenig gespielt wird. Ein Blogger schreibt hierüber im Internet: „Als ehemaliger Hornist macht mich schon der bloße Gedanke an dieses horrend schwere Stück nervös. Ein erster Hornist, der das Stück live spielt, braucht Nerven, die stärker als Stahl sind. Es ist das musikalische Äquivalent zu einem Drahtseilakt ohne Netz über hungrigen Löwen und einem Pool voller Haifische.“