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Antonin Dvorak (1841-1904) Symphonie Nr. 9 e-moll – Aus der Neuen Welt

Dvoraks musikalischer Horizont reicht von eingängiger slawischer Folklore bis zur hochkomplexen spätromantischen Musiksprache. Sein Verleger Simrock, der Dvoraks Tätigkeit vor allem unter kaufmännischen Gesichtspunkten sah, hätte dessen musikalische Produktion am liebsten auf die kurzen Werke des lokalen Genres beschränkt, die sich bestens verkaufen ließen. Dvorak ließ sich aber nicht in der folkloristischen Ecke festnageln und wollte „als Künstler, der etwas bedeuten will“, auch große und schwierige Werke komponieren. So entstanden seine anspruchsvollen kammermusikalischen Werke und nicht zuletzt seine kompositionstechnisch sehr ambitionierte siebte Symphonie, mit der er seinem Mentor und Förderer Johannes Brahms nacheiferte. In seiner neunten Symphonie fand Dvorak dann die Symbiose der beiden musikalischen Pole. Das Werk ist kompositorisch komplex und zugleich eingängig und enthält allerhand Folklore. Da zur böhmisch-mährischen nun noch Elemente amerikanischer Volksmusik kommen, ist die Komposition darüber hinaus auch kosmopolitisch. Die Symphonie sollte Dvoraks größter Erfolg und weltweit eine der populärsten Kompositionen der klassischen Musikliteratur werden. Sie schaffte es sogar in den Weltraum. Neill Amstrong, ein paratypischer Repräsentant des Geistes der Neuen Welt, hatte davon bei der ersten Mondlandung eine Aufnahme im Astronautengepäck.

Das Werk wurde von Anfang an begeistert aufgenommen. Über die Uraufführung, die 1893 standesgemäß in New York, dem Hauptort der Neuen Welt stattfand, schrieb Dvorak an Simrock: „Der Erfolg der Symphonie am 15. und 16. Dezember war ein großartiger, die Zeitungen sagen, noch nie hätte ein Componist einen solchen Triumph [gehabt]. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von New York besetzt, die Leute applaudierten so viel, daß ich aus der Loge wie ein König!? alla Mascagni in Wien (lachen Sie nicht!) mich bedanken musste…“. Anschließend wurde das Werk sofort überall in der Welt, in der alten wie in der neuen, gespielt. Simrock war damit natürlich mehr als zufrieden.

Die „Symphonie aus der Neuen Welt“, Dvoraks letztes Werk dieser Gattung, ist die erste Frucht seines Aufenthaltes in New York, wo er in den Jahren 1892 bis 1895, nicht zuletzt angezogen durch ein opulentes Gehalt, die Stelle des Direktors des National Conservatory of Music innehatte. Diese Institution hatte einige Jahre zuvor in gut amerikanischer Mäzenatentradition Jeannette Thurber, die Gattin eines self-made Millionärs, gegründet. Den ausgewiesenen Lokalidiomatiker Dvorak hatte man geholt, um mit seiner Hilfe ein eigenständiges, von Europa unabhängiges amerikanisches Musikidiom zu kreieren. Dvorak widmete sich der gestellten Aufgabe, indem er sich mit der Musik der indigenen indianischen Bevölkerung und der Afro-Amerikaner beschäftigte, die nach seiner Vorstellung die Basis einer künftigen amerikanischen Musik sein sollte. Elemente ihrer musikalischen Praktiken sind denn auch in die neue Symphonie eingeflossen. Besonders deutlich ist dies im zweiten Satz, in dem nach landläufiger Auffassung die Weiten der amerikanischen Prärie geschildert werden – Dvorak selbst übertitelte sie allerdings mit „Legende“. Seinem Hauptthema liegt eine pentatonische Tonleiter zu Grunde, wie sie in der indianischen Musik aber auch in den Spirituals der schwarzen Sklaven verwendet wurde. Insbesondere rhythmisch hat Dvorak auch Elemente aus den Frühformen des Jazz aufgenommen, etwa mit der besonderen Betonung der Synkope. Zugleich trägt Dvorak aber auch der Tatsache Rechnung, dass der amerikanische melting pot in erster Linie von Europa geprägt ist. Dem entspricht, dass die musikalische Textur mit den Mitteln avancierter europäischer Kompositionstechnik entwickelt wird und dass insbesondere im letzten Satz Folklore aus der alten Welt anklingt. Im stürmisch voranschreitenden Optimismus des ersten Satzes mag man im Übrigen die Gestimmtheit der europäisch-amerikanischen Kolonisatoren erkennen. Er ist gekennzeichnet durch ein auftrumpfendes Hauptthema, welches das ganze Werk durchzieht. Die Symphonie aus der neuen Welt ist somit ein exemplarisches künstlerisches Produkt des amerikanischen melting pots und seines Pioniergeistes.

Vergleicht man Dvoraks Neunte mit den symphonischen Werken, welche seinerzeit die alte Welt hervorbrachte, fällt auf, dass sie offensichtlich unterhaltsam sein will. Dementsprechend sind die Themen prägnant und symmetrisch formuliert und werden in leicht fasslichen meist vier- bzw. achttaktigen Phrasen präsentiert und variiert. Dvorak ist mit dieser Kompositionshaltung sicher auch auf die Erwartungen eines amerikanischen Publikums eingegangen, welches mit den Verfeinerungen des europäischen Musikidioms vom Ende des 19. Jh. vermutlich nicht viel hätte anfangen können. Er dürfte damit aber auch die Richtung auf die Unterhaltungsmusik befördert haben, in welche sich die amerikanische Musik in der Folge vornehmlich entwickeln sollte. Ob allerdings die schreitende  Pizzicato-Basslinie im zweiten Satz der Symphonie eine Vorform des „walking bass“ ist, der vierzig Jahre später zu einem der Markenzeichen des Jazz werden sollte, bleibt Spekulation.

1895 Antonin Dvorak (1840-1904) – Konzert für Violoncello und Orchester

Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Komponisten der klassisch-romantischen Periode erkannte Dvorak die großartigen Möglichkeiten, die das Cello als Konzertinstrument besitzt. Bereits eines seiner ersten größeren Werke ist ein – unbekannt gebliebenes – Werk für dieses kraftvolle Instrument. Dreißig Jahre später, gegen Ende seines kompositorischen Schaffens, sollte er auf dem Höhepunkt seiner Meisterschaft das Cellokonzert überhaupt schreiben. Dvoraks Förderer Brahms, der es „nur“ zu einem Doppelkonzert für Violine und Cello brachte, sagte darüber kurz vor seinem Tod bedauernd, hätte er gewußt, daß man solche Musik für dieses Instrument schreiben könne, hätte er auch ein Cellokonzert geschrieben.

 

Das Werk, das weitgehend symphonisch aufgefaßt ist, ist die letzte Frucht von Dvoraks Aufenthalt in Amerika, in dem auch sein zweiter „Welthit“, die „Symphonie aus der Neuen Welt“ und das unter Liebhabern der Kammermusik nicht minder populäre „Amerikanische Streichquartett“ (mit diversen Lieblingsstellen der Cellisten) entstanden. Dvorak hatte seine geliebte böhmische Heimat im Jahre 1892 verlassen, um die Leitung des New Yorker Konservatoriums zu übernehmen. Angezogen hatte den Komponisten, der am Anfang seiner Karriere einige Hungerjahre durchleben mußte und der daher ziemlich geldbewußt war, nicht zuletzt ein Gehaltsangebot aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das – ähnlich den heutigen Gegebenheiten – alle Maßstäbe des alten Kontinentes sprengte. Seine Honorar für acht Monate Tätigkeit pro Jahr in New York sollte nicht weniger als das 25-fache des Jahresgehaltes betragen, das er als Kompositionsprofessor am Prager Konservatorium erhielt.

 

Nach vier Jahren in Amerika zog es Dvorak aber mit aller Macht zurück in die Heimat. In der schönen neuen Welt hatte es nicht nur immer wieder Probleme mit dem Geld gegeben, weil die Geschäfte des New Yorkers Handelsmagnaten Thurber, der das Konservatorium weitgehend finanzierte, in der Wirtschaftskrise Anfang der 90-er Jahre schlecht gingen. Dvorak vermißte auch seine Freunde und seine Familie, allen voran seine Kinder, die in Böhmen zurückbleiben mußten. Vom Heimaturlaub im Jahre 1895 kehrte er vertragswidrig nicht nach Amerika zurück.

 

Daß Dvorak während der letzten Monate seines Aufenthaltes in Amerika in Gedanken bereits wieder zu Hause weilte, zeigt sich nicht zuletzt im Cellokonzert. Anders als in den sonstigen Werke, die in der New Yorker Zeit entstanden, verzichtet er hier nicht nur weitgehend auf amerikanische Elemente. Nachdem in den vorangegangenen Jahren hauptsächlich „Weltmusik“ entstanden war, ist das Cellokonzert wieder ganz von böhmisch- romantischem Geist getränkt.

 

Hinzu kommt eine rührende familiäre Anspielung, die Dvorak außerordentlich wichtig war. Während der Komposition des gefühlsbetonten zweiten Satzes erfuhr Dvorak, daß seine geliebte Schwägerin, die Gräfin Josefine Kaunic, schwer krank daniederlag. Ähnlich wie Bruckner 12 Jahre vorher die Nachricht vom Todes Richard Wagners in der Coda des langsamen Satz seiner siebten Symphonie verarbeitete, erinnert Dvorak im langsamen Satz des Cellokonzertes auf dezente Weise an seine Schwägerin. Zu Josefine Kaunic hatte Dvorak eine besondere Beziehung. Der Schwester seiner späteren Frau hatte er schon in den 60-er Jahren, der Zeit, in der das erste Cellokonzert entstand, eine – unerwiderte – Liebe entgegengebracht. Josefine war damals Schauspielerin am neu gegründeten Prager Interimstheater, der ersten national- tschechischen Bühne, in dessen Orchester der junge Dvorak die Bratsche spielte.

 

Im langsamem Satz des zweiten Cellokonzert zitiert Dvorak nun – in eine andere Tonart versetzt – aus Josefines Lieblingslied „Laß mich in Ruhe“ (Op. 81.). Kurz nach seiner Rückkunft aus Amerika, wo er die Komposition des Konzertes eigentlich schon abgeschlossen hatte, änderte er den Schluß des Werkes noch einmal, indem er das Liedzitat hier erneut, diesmal in der Originaltonart einarbeitete. Außerdem ließ er das Cellosolo nun entgegen aller Finalsatz-Tradition auf gänzlich unspektakuläre Weise in wehmutsvoller Stille verklingen.

 

Der Grund hierfür ist ohne Zweifel darin zu suchen, daß Josefine wenige Wochen zuvor verstorben war. Dies erweisen nicht nur Einzelheiten der Komposition, etwa die schweren in dumpfen Baßpizzicati endenden „Herztöne“ der Schlußpartie des Cellosolos, deren letzter aus der gerade geltenden Tonart heraus wie in das Nichts fällt, eine Stelle, die in der Partitur mit „morendo“ bezeichnet ist und der ein großes Lamento des Cellos auf einem Ton folgt. Es zeigt dies auch die Vehemenz, mit der sich Dvorak gegen eine Veränderung eben dieses Schlusses durch den bekannten tschechischen Cellisten Hanus Wihan wehrte. Wihan, dem das Werk gewidmet ist und der darin eine fulminante Kadenz vermißte, hatte selbst eine Kadenz für den Schluß des Werkes komponiert. Gegenüber seinem Verleger Simrock, der sie in der Erstausgabe drucken wollte, schrieb Dvorak am 3. Oktober 1895, er werde ihm das Werk nur überlassen, wenn er sich dafür verbürge, daß „niemand, auch nicht mein verehrter Freund Wihan, ohne mein Wissen und Erlaubnis Änderungen vornehmen werde -also auch keine Kadenz einfüge, die Wihan im letzten Satz gemacht hat. … Das Finale schließt allmählich diminuendo wie ein Hauch – mit Reminiszensen an den ersten und zweiten Satz, das Solo klingt bis zum pp aus – dann ein Anschwellen – und die letzten Takte übernimmt das Orchester und schließt in stürmischen Ton. Das war meine Idee und davon kann ich nicht ablassen“.