Archiv der Kategorie: Ringparabel

Ein- und Ausfälle – Nathans Weisheit

Man kann aus der Verwandtschaft der drei nahöstlichen Religionen, weise wie Nathan, den Schluss ziehen, dass ihnen ein gemeinsamer wahrer Kern zugrunde liege; oder man kann, was als unweise gilt, aus dem Umstand, dass jede die Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, schließen, dass alle drei (gleich) weit davon entfernt sind.

Ein-und Ausfälle – Sprengkaft von Lessings „Natan der Weise“

Nach der Ringparabel in Lessings „Nathan der Weise“ soll der (originale) „Ring“, den jede der drei großen Offenbarungsreligionen vom Vater erhalten zu haben meint, die geheime Kraft haben, „vor Gott und den Menschen angenehm zu machen“. In einem Halbsatz streut Lessing allerdings mit fast schon maliziöser Beiläufigkeit ein, das gelte (nur) für den, „der ihn in dieser Zuversicht trug“. Tatsächlich enthält diese Einschränkung, die bei Boccaccio, der die Ringparabel auf die große europäische Bühne brachte, noch fehlt, eine Menge Sprengstoff. Denn sie reduziert die Kraft des Ringes weitgehend auf ein (sozial)psychologisches Phänomen. Kein Wunder, dass Lessing in einer Notiz, die sich in seinem Nachlass fand, feststellte, er „kenne keinen Ort in Deutschland, wo dieses Stück jetzt aufgeführt werden könnte“. In Deutschland kann man den „Nathan“ inzwischen überall spielen, wenn auch mancherorts möglicherweise nur deswegen, weil man das Gewicht des Nebensatzes nicht realisiert. Gerade dieser dürfte aber der Grund dafür sein, dass es in der Welt zunehmend mehr Orte gibt, an denen man das Stück nicht aufführen könnte.