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1896 Edward Grieg (1843 – 1907) Hochzeitstag auf Troldhaugen

In Jahre 1884 fasste Grieg, der bis dahin zwischen Bergen, Oslo und Kopenhagen gependelt hatte, den Entschluß, sich in Bergen, wo er geboren und aufgewachsen war, einen festeren Wohnsitz zu verschaffen. Er folgte damit dem Vorbild seines Entdeckers und Mentors Ole Bull, der seinen Lebensmittelpunkt nach einem unsteten Leben als Geigenstar, Mäzen und politischer Phantast einige Jahre zuvor ebenfalls nach Bergen gelegt hatte. Bull hatte sich, seiner exzentrischen Persönlichkeit entsprechend, auf der Insel Lysoen in beherrschender Lage eine große Villa erstellt, in der er ohne Rücksicht auf die unpratentiösen Konventionen seiner Heimat, der er an sich tief verbunden war, alle möglichen Baustile zusammenführte, denen er im Rahmen seiner Weltkarriere begegnet war. Das Ergebnis war eine etwas bizarre „nordische Alhambra“ mit maurischen, russischen, jüdischen und allerlei sonstigen Stilanklängen. Grieg hingegen baute sich eines jener leicht verspielten hölzernen Landhäuser, die in der norwegischen Bürgerschicht – noch heute – beliebt sind. Der Bauplatz war, den außerordentlichen landschaftlichen Gegebenheiten Bergens gemäß, perfekt. Man platzierte das Haus auf eine kleine Anhöhe am Ende eines Landvorsprunges im buchten- und inselreichen Nordas See. So konnte man durch den parkartigen Garten von drei Seiten auf die zauberhafte Seenlandschaft blicken, die im Übrigen auch von einem Turmgeschoß im Rundblick zu bewundern war. Das Innere des idyllischen Häuschens bestand im Wesentlichen aus einem größeren, salonartigen, mit Gemälden und Nippes ausstaffierten Wohnzimmer, welches von einem Flügel beherrscht wurde. Grieg nannte das Anwesen, das nur als Sommerhaus diente, Troldhaugen, was so viel wie Hügel der Trolle heißt.

Die Villa Troldhaugen, die, wie Bulls „Alhambra“, heute noch unverändert existiert, entspricht ganz dem Bild vom bürgerlichen Idylliker, das man sich lange Zeit von Grieg machte. Am Zustandekommen dieses Künstlerbildes waren vor allem die „Lyrischen Stücke“ für Klavier beteiligt, die der Norweger zur Freunde seiner begeisterten, über ganz Europa und Amerika verbreiteten Anhängerschaft in großer Zahl komponierte. Der Erfolg dieser intimen pianistischen Genreminiaturen, die der bürgerliche Amateur technisch gut bewältigen konnte, beruhte nicht zuletzt darauf, daß man sich beim Spielen und Hören gewissermaßen in die Wohnstube des Komponisten und damit nach Troldhaugen versetzt fühlen konnte. Die Nachfrage danach war so groß, daß Griegs Verleger in die zehn Hefte, die davon nach und nach herauskamen, schließlich auch alle möglichen kleineren Werke gemütvollen Inhaltes aus Griegs musikalischer Feder packte. Dazu gehört unter anderem „Hochzeitstag auf Troldhaugen“, das 1896 im achten Band der „Lyrischen Stücke“ (Op. 65) und später auch in Orchesterfassung erschien. Die Komposition war ursprünglich überhaupt nicht zur Veröffentlichung vorgesehen und hatte weder mit Troldhaugen noch mit einer Hochzeit zu tun, von der auf Troldhaugen ohnehin keine stattfand. Es handelte sich vielmehr um ein Gelegenheitswerk, welches Grieg anlässlich des 50. Geburtstages von Nancy Giertsen, einer nahen Freundin seiner Familie, komponierte und das später auf sein Intimitätsimage „umfrisiert“ wurde.

Grieg selbst war nicht sonderlich zufrieden mit dem Image des musikalischen Idyllikers und den daraus resultierenden Produktionsanforderungen, wiewohl dies sicherlich die Finanzierung seiner Villa erleichterte. Er hätte wohl lieber das Ansehen des Beherrschers der größeren musikalischen Form gehabt, eines Künstlers, der gewichtigere Probleme aufwirft; wahrscheinlich auch ein wenig vom Ruf einer schrägen Künstlernatur eines Ole Bull. In einem Brief aus dem Jahre 1896 nannte er die Notwendigkeit, lyrische Stücke zu schreiben, eine „infame Krankheit“ und beklagte: „Das was ich komponieren will, wird (dadurch) nicht komponiert und was ich nicht komponieren will, wird komponiert.“ Besonders „infam“ mochte ihm dabei erscheinen, daß kein Werk sein öffentliches Erscheinungsbild mehr bestimmte als das ewig wohlgelaunte „Hochzeitstag auf Troldhaugen“, zumal er sich bei diesem Stück, dessen ursprünglichem Zweck entsprechend, einige kompositorische Plattheiten geleistet hatte. Ganz abgesehen davon dürften die Tage ungetrübter Laune auf Troldhaugen, das nun einmal in Europas Regenhauptstadt liegt, für den notorisch kränkelnden Grieg selbst im Sommer eher die Ausnahme gewesen sein.

Weitere Texte zu Werken von Grieg und rd. 70 anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis