Archiv der Kategorie: Kunstmusik

1816 Louis Spohr (1784 – 1859) Konzert für Violine und Orchester Nr. 8 (in Form einer Gesangsszene)

Der Braunschweiger Spohr konnte sich eines außerordentlich vielfältigen und erfolgreichen  Musikerlebens erfreuen. 20-jährig  wurde er auf einen Schlag berühmt durch einem Auftritt mit seinem zweiten Violinkonzert in Leipzig. Hier, heißt es, sei zum ersten Mal der Zauber der Geigenromantik zu hören gewesen. Der Kritiker Friedrich Rochlitz schrieb nach diesem Konzert, Spohr „neige am meisten zum Großen und in sanfter Wehmut Schwärmenden“, ein Dictum mit dem Spohr nicht zuletzt wegen seiner Neigung zum „Cromatisieren“ immer wieder charakterisiert werden sollte. Ein Jahr später führte sein Auftreten in Gotha dazu, dass man ihm zum Konzertmeister der dortigen Hofkappelle berief, eine Stelle, die er sieben Jahre ausfüllte. Es folgten, unterbrochen von ausgedehnten Konzertreisen als Geigenvirtuose durch ganz Europa, Kapellmeisterstellen in Wien, Frankfurt und Dresden, wo Spohr Gelegenheit hatte, seinen kompositorischen Wirkungskreis wesentlich auszuweiten. Durch Vermittlung Carl Maria von Webers erhielt Spohr 1822 schließlich die Stelle des Hofkapellmeisters in Kassel. Am hessischen Hof war er  35 Jahre lang der Mittelpunkt eines Musiklebens, das er zu einer außerordentlichen Blüte führte.

Spohr war von  Haus aus eher der Tradition, insbesondere Mozart verpflichtet. Dies hat ihm von Seiten von Publizisten, die dem Fortschritt huldigten, den Vorwurf eingebracht, reaktionär oder zumindest biedermeierlich zu sein, eine Beschreibung, für die sein norddeutsch-korrekter und eher verschlossener persönlicher Habitus möglicherweise einige Ansatzpunkte gab. Ob dies eine zutreffende Beschreibung ist, ist aus heutiger Sicht aber fraglich. Spohr ist sicher eine Grenzfigur zwischen Klassik und Romantik. Wie wenig reaktionär er war, zeigt aber die Tatsache, dass sich keineswegs den neuen Tendenzen in der Musik seiner Zeit verschloss. Unter anderem und führte sehr früh die Opern des jungen Wagners auf.

Spohr war bis zu seinem Lebensende rastlos tätig und komponierte für fast alle Gattungen der Musik. Aus dem umfangreichen Gesamtwerk ragen allerdings die Werke für sein Instrument heraus. Er schrieb 21 Violinkonzerte und zahlreiche weitere Werke, bei denen die Geige im Vordergrund steht, darunter viel Kammermusik. Eine Spezialität sind dabei seine Doppelquartette und ein Quartettkonzert. Gerühmt werden vor allem seine sehr geigerisch empfundenen langsamen Sätze.

Von den Violinkonzerten, die einmal so populär waren, dass sie die Rezeption des singulären Konzertes von  Beethoven erschwerten, hat das 8. Konzert besondere Berühmtheit erlangt. Spohr führte das Werk erstmals am 28. September 1816 in der Mailänder Scala auf. Darüber schreibt er  in seiner Selbstbiographie: „Gestern fand unser Concert im Theater della Scala statt … Das Haus, obgleich vorteilhaft für Musik, verlangt doch in seiner gewaltigen Größe einen sehr kräftigen Ton und ein großes einfaches Spiel. Auch ist es schwer, den Geigenton dort zu hören, wo man immer nur Stimmen zu hören gewohnt ist. Diese Betrachtung und die Ungewissheit, ob die Art meines Spieles und meine Composition auch den Italienern gefallen würde, machte mich bei diesem Debüt in einem Lande, wo man mich noch nicht kennt, etwas furchtsam; da ich indessen schon nach den ersten Takten bemerkte, daß mein Spiel Eingang fand, so schwand diese Furcht bald und ich spielte nun völlig unbefangen. Auch hatte ich die Freude zu sehen, dass ich in dem neuen, in der Schweiz geschriebenen Concerte, welche die Form einer Gesangs-Szene hat, den Geschmack der Italiener sehr glücklich getroffen habe und dass besonders die Gesangsstellen mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurden. Dieser lärmende Beifall, so erfreulich und aufmunternd er auch für den Solospieler ist, bleibt doch für Componisten ein gewaltiges Ärgernis. Es wird dadurch aller Zusammenhang gestört, die fleißig gearbeiteten Tutti bleiben völlig unbeachtet und man hört den Solospieler in einem fremden Tone wieder anfangen, ohne dass man weiß, wie das Orchester dahin moduliert hat.“

Die Aufführung war der Höhepunkt einer fast zweijährigen Konzertreise durch Deutschland, die Schweiz und Italien, die Spohrs internationalen Ruf begründete. Nach einem Konzert, das er am 18. Oktober 1816 in Venedig gegeben hatte, besuchte ihn sogar der große Paganini. Ein Teil der Presse baute Spohr in der Folge als dessen Gegenspieler auf. Spohr schreibt in seiner Selbstbiographie, in einer  Rezension habe es geheißen, dass „er die italienische Lieblichkeit mit aller Tiefe des Studiums, welcher unserer Nation eigen sei, verbinde und dass man mir den ersten Rang unter den jetzt lebenden Geigern einräumen müsse“, ein Lobspruch, der ihm zwar die durchaus nachteilige Gegnerschaft der zahlreichen Anhänger des italienischen Wundermannes einbringe, der aber andererseits „auch den eitelsten Künstler zufrieden machen könnte.“

Weitere Texte zu Werken von rd. 70 Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

Ein – und Ausfälle – Ornament und Instrumentierung

Ein Bauwerk ohne Ornament ist wie ein Orchesterwerk ohne Partitur. Bei der Komposition eines Orchesterwerkes erstellt der Komponist zunächst nur das Particell. Es enthält den Ideengang, also die musikalische Essenz seines Werkes; bei einem Bauwerk würde man sagen, die technische Grundstruktur, die man benötigt, um den Zweck des Gebäudes zu erreichen. Sein eigentliches Gesicht erhält das Werk aber erst mit der Instrumentierung, das heißt mit dem  Erstellen der Partitur. Denn darin legt der Komponist fest, in welcher Weise die musikalischen Gedanken in Erscheinung treten sollen; in der Baukunst würde man sagen, wie die Außenhaut des Bauwerkes aussehen soll. In der Musik ist klar, dass die instrumentale Auskleidung eine eigene Kunst ist, die das Werk um einen wesentlichen Bestandteil bereichert. Ihre Notwendigkeit resultiert dabei durchaus nicht nur aus dem Zweck, den Ideengang zu verdeutlichen. Der Instrumentalisierung kommt vielmehr eigenständige ästhetische Bedeutung zu. In der Baukunst hat sich hingegen der Gedanke breit gemacht, dass sich die (Erscheinungs)Form im Wesentlichen aus der (Grund)Funktion des Bauwerkes ergeben soll. Auf  die Musik übertragen wäre dies die weitgehende Reduktion der kompositorischen Tätigkeit auf das Erstellen des Particells. Die Folge sind architektonische Werke ohne rechtes Gesicht.