Archiv der Kategorie: Weihnachtsoratorium

Giovanni Paisiello (1740–1809) – Weihnachtsmotette „Pastorali jam concentu“

Paisiello ist eine jener zahlreichen italienischen Künstler, welche den italienischen Stil weit über ihr Heimatland verbreitet haben. Seine musikalische Heimat war Neapel, das im 18. Jh. eines der Hauptzentren der Musikpflege in Italien war. In der süditalienischen Metropole erhielt er seine musikalische Prägung und verbrachte hier seine ersten und letzten Lebensjahrzehnte, wobei er sich in jenen politisch unruhigen Zeiten mit den unterschiedlichsten Herrschern zu arrangieren wusste. Dazwischen war er acht Jahre in führender Stellung am Hof Katharinas II. in St. Petersburg. Außerdem komponierte für den König von Polen, für Kaiser Josef II. in Wien sowie für Napoleon in Paris. Paisiello war im Wesentlichen ein Opernkomponist. Er schrieb rund 100 Werke dieser Gattung, wobei der Schwerpunkt bei der komischen Oper lag. Das Spektrum der musikdramatischen Themen ist außerordentlich weit. Die Auflistung seiner Operntitel gleicht einem Gang durch die Kulturgeschichte des 18. Jh. Paisiello verfasste aber auch eine ganze Reihe kirchenmusikalischer Werke. Dazu gehört die weihnachtliche Motette „Pastorali jam concentu“, welche die Stimmung der außerordentlich phantasievollen neapolitanischen Krippen zu beschwören scheint.

Gottfried August Homilius (1714 – 1785) – Weihnachtsoratorium – Die Freude der Hirten über die Geburt Christi

Homilius  ist einer der zahlreichen Komponisten, welche im 18. Jh. in den verstreuten kleinen und großen Residenzen Mitteleuropas wirkten, im Laufe der Zeit aber mehr oder weniger in Vergessenheit gerieten. Dabei spielte  der Sachse – um ein paar Jahrzehnte versetzt – in Dresden eine Rolle, welche der Johann Sebastian Bachs in Leipzig entspricht. Ähnlich wie Bach, dessen Schüler er gewesen sein soll, war er über drei Jahrzehnte Kantor und Musikdirektor der Hauptkirchen der Stadt, leitete mit dem Kreuzchor einen Knabenchor, der, wie der Leipziger Thomanerchor, auf eine Geschichte von einem halben Jahrtausend zurückblicken konnte, und war Leiter der dazu gehörigen Schule. Wie Bach komponierte er auch eine große Anzahl kirchenmusikalischer Werke. Weltliche Stücke allerdings, das unterscheidet ihn von Bach, hat er nur wenige geschrieben.

Der Schwerpunkt des Oeuvres von Homilius liegt bei Kantaten, bei denen er sich an die tradierten Muster hielt, die auch Bach verwendete. Wie die zahlreichen Abschriften zeigen, welche man an verschiedenen Orten gefunden hat, waren diese Werke zu seiner Zeit sehr beliebt. Dem entsprechend hoch wurde er von Zeitgenossen eingeschätzt. Manche hielten ihn für den größten Kirchenkomponisten seiner Zeit in Deutschland. An einigen Orten wurden seine Werke, die stilistisch zwischen Barock und Frühklassik stehen, bis in das 19. Jh. aufgeführt.

Anders als heute, wo man musikalische Werke in einer Art musealem Repetitorium immer wieder aufführt, erwarteten Auftraggeber und Publikum im 18. Jh., dass ein Komponist bei jeder Aufführung möglichst neue Werke präsentiert. Dies ist umso erstaunlicher als seinerzeit mangels Tonaufzeichnungen für den Hörer nach einiger Zeit nur schwer festzustellen war, ob es sich bei einer Komposition um ein neu geschaffenes Werk oder um eine Wiederholung handelte. Diesem Ethos der Originalität entsprechend hat auch Homilius immer wieder neue Kantaten komponiert.  Die Zahl seiner Werke dieser Gattung beläuft sich auf  rund 200 und entspricht damit in etwa der Zahl  der Kantaten, welche von Bach erhalten sind. Da die Kreuzkirche im Siebenjährigen Krieg von preußischen Truppen zerstört worden war, wurden sie meist in der damals noch ziemlich neuen Frauenkirche aufgeführt. So wie Bachs Kantaten eher die Strenge der mittelalterlichen Thomaskirche spiegeln, scheint der Gestus der Kantaten von Homilius durch die spielerische Architektur der Frauenkiche geprägt zu sein.

Homilius Werke wurden zu Lebzeiten nur in geringem Umfang gedruckt.  Die Autographen sind  bis auf drei Ausnahmen verschollen.  Die Kompositionen sind im Wesentlichen als Abschriften überliefert, die hinsichtlich einzelner Werke allerdings selten identisch sind. Hinzu kommt, dass man nicht in allen Fällen, in denen Abschriften als Stücke von Homilius gekennzeichnet sind, sicher sein kann, dass es tatsächlich um ein Werk dieses Komponisten handelt. Es ist also nicht ganz einfach, authentische Fassungen seiner Werke zu erstellen.  Schon zu Lebzeiten (1775) im Druck erschienen und damit authentisch ist das aufwendig besetzte Weihnachtsoratorium. Das Werk, das lange vergessen war. ist neben einer Kantate zum 4. Advent, Auf ihr Herzen, seid  bereit”, die kürzlich rekonstruiert wurde, eine schöne Bereicherung des weihnachtlichen musikalischen Kanons. Darin wird die Weihnachtsgeschichte in zehn stimmungsvollen Bildern aus der Sicht der Hirten geschildert, eine Perspektive, welche im Zeitalter der Empfindsamkeit besonders beliebt war. Allerdings herrscht hier nicht die meditative Nachtstimmung, welche sich in vielen weihnachtlichen Hirtenmusiken, etwa auch im Weihnachtsoratorium von Bach findet. Vielmehr nimmt Homilius in Text und Musik eher die freudig verspielte Haltung ein, die man von den Schäferidyllen der Rokokomalerei kennt.

Weitere Texte zu Werken zahlreicher anderer Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1734 Johann Sebastian Bach (1685-1750) Weihnachtsoratorium

 Bach schrieb das "Weihnachtsoratorium" für die Leipziger Weihnachtsgottesdienste des Jahres 1734. Jeder der sechs Teile des Werkes war für einen der sechs Festtage vom ersten Weihnachtstag bis Epiphanias bestimmt. Da die Festfolge wegen der jährlich unterschiedlichen Lage der Sonntage wechselt und der Inhalt der Kantaten an das Evangelium der jeweiligen Festtage anknüpft, kann das Werk daher nur bedingt auf andere Jahre übertragen werden. Bekannt ist, dass die einzelnen Teile im Jahre 1734 jeweils in beiden Leipziger Kirchen St. Nicolai und St. Thoma, musiziert wurden. Ob sie später noch einmal aufgeführt wurden, ist nicht geklärt.

 

Obwohl das Werk ursprünglich nicht zur Aufführung als Ganzes gedacht war, ist es eine einheitliche Komposition. Seine Teile sind nicht nur durch die fortlaufende Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelium des Lukas und – in Teil V und VI – des Matthäus verbunden. Bach hat auch eine innere musikalische Einheit hergestellt. So stehen der Anfang und der Schluß des Gesamtwerkes sowie Beginn und Ende des dritten Teiles, mit dem die eigentliche Weihnachtsgeschichte endet, in D-Dur. Zugleich sind diese Teile jeweils auf festliche Weise mit drei Trompeten und Kesselpauken besetzt. Weitere Bezüge zwischen den Teilen finden sich in der Abfolge der Tonarten und in Choralwiederholungen. Schließlich zeigt auch die Bezeichnung "Oratorium", dass das Werk als Einheit gedacht war. Nach einem Lexikon der Bachzeit bedeutete dies so viel wie "musikalische Vorstellung einer geistlichen Historie". Der Titel "Oratorium" findet sich bereits auf Bachs autographer Partitur und war auch auf den Textausgaben für die Leipziger Gottesdienstbesucher des Jahres 1734 vermerkt. Das Weihnachtsoratorium ist, so würde man heute sagen, eine musikalische Fortsetzungsgeschichte.

 

Eine weitere Besonderheit des Werkes ist, dass es sich in gewisser Weise um ein Recylingprodukt handelt. Für die Komposition, die uns heute als der Inbegriff weihnachtlicher Stimmung erscheint, hat Bach nämlich weitgehend musikalisches Material wiederverwendet, welches aus ganz anderem Anlaß entstanden war. Vor allem griff er auf einige "Dramma per Musica" – weltliche Kantaten – zurück, die er für Feste des sächsischen Königshauses komponiert hatte. Es sind dies die Geburtstagsmusiken "Laßt uns sorgen, laßt uns wachen" und "Tönet ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!", die Bach 1733 für den Kurprinzen und die Kurfürstin verfaßt hatte; außerdem das Huldigungswerk "Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen", welches für die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Wahl Augusts III zum König von Polen am 5. Oktober 1734, also nur wenige Monate vor der ersten Aufführung des Weihnachtsoratoriums geschrieben wurde. Für diese Art von Wiederverwertung, die in der Barockzeit gang und gäbe war, hat sich der Begriff "Parodie" eingebürgert.

 

Wir wissen nicht, was Bach dazu veranlaßte, gerade beim Weihnachtsoratorium so scheinbar unpassendes Ausgangsmaterial wiederzuverwerten. Unklar ist insbesondere, ob er, wie vermutet wurde, schon bei der Komposition der Vorlage an die spätere Nutzung dachte. Man kann sich aber vorstellen, dass ein Komponist wie Bach, der so gut wie nichts Unbedeutendes schuf, sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass sein kostbarer Rohstoff nach einmaliger Verwendung in höfischen Diensten "verbraucht" sein sollte. Dabei spielten sicher auch seine nicht eben ermutigenden Erfahrungen mit der musikalischen "Wegwerfmentalität" von Fürstenhäusern eine Rolle – seine bedeutenden sechs Brandenburgischen Konzerte etwa waren in den Archiven des Brandenburger Widmungsträgers verschwunden, ohne dass sie eine Wirkung entfaltet hätten.

 

Betrachtet man die gänzlich unterschiedlichen Anlässe für Vorlage und Parodie, so überrascht der Grad der Wiederverwendbarkeit des musikalischen Materials. Bach hat es so weitgehend unverändert übernommen, dass das Verfahren der textnahen Komposition, für das er eigentlich bekannt ist, häufig geradezu ins Gegenteil verkehrt ist: der Text hatte sich beim Weihnachtsoratorium weitgehend nach der Musik zu richten. Allerdings hat Bach die Musik nicht mechanisch übernommen, sondern, wo nötig, Änderungen angebracht. Dabei hat er sie in gewissem Maße auch an den Text angepaßt. Die Instrumentierung ist entsprechend dem weihnachtlichen Zweck ergänzt worden. So sind durch die zusätzliche Verwendung von Flöte und Oboe d’amore und Oboe da caccia intime und pastorale Klangfarben hinzugemischt worden. Manche Stücke hat Bach in andere Tonarten oder in ein anderes Gesangsregister transponiert. Die großartige Altarie "Schlafe mein Liebster, genieße der Ruh" aus dem zweiten Teil des Werkes war ursprünglich ein Lied, welches ein Sopran als die personifizierte Wollust für den jungen Herkules sang. Indem Bach die Arie in das tiefere Register verlagerte und Oboe d’amore und Oboe da caccia hinzufügte, ist daraus jenes stimmungsvolle Wiegenlied geworden, das uns heute als der vollkommene Ausdruck "tiefer" mütterlicher Liebe erscheint.

 

Andererseits verzichtete Bach aber auch auf Sinnzusammenhänge und musikalische Effekte, die sich aus dem ursprünglichen Verhältnis von Text und Musik ergaben. Der berühmte Anfang des ersten Teiles lautete in der weltlichen Vorlage: "Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! Klingende Saiten, erfüllet die Luft!". Die Musik folgte diesem Text "wörtlich" durch hintereinander gestaffelte Einsätze der angesprochenen Instrumente. Im Weihnachtsoratorium ist es bei der Musik geblieben. Der inhaltliche Bezug ist jedoch durch den neuen Text "Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage" verloren gegangen. Dieses Beispiel zeigt, dass Bach die Frage des Text-Musik-Zusammenhanges eher pragmatisch sah.

 

Wie wir heute wissen, ist Bachs "ökonomische" Rechnung aufgegangen. Zwar hat auch das "Weihnachtsoratorium", wie die meisten Vokalwerke Bachs, nach seinem Tod einen hundertjährigen Dornröschenschlaf angetreten. Selbst Mendelssohn, der mit der Wiederaufführung der Matthäus-Passion im Jahre 1829 die Bach-Renaissance einleitete, nahm das Werk nicht zur Kenntnis, obwohl sich das originale Manuskript bei seinem Lehrer Zelter und damit an der gleichen Stelle befand, von der er auch seine Abschrift der Matthäus-Passion bezog. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts trat das "Weihnachtsoratorium" jedoch einen Siegeszug durch die Kirchen und Konzertsäle der Welt an. Das Material, das Bach in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewissermaßen in die "grüne Tonne" legte, ist schließlich nicht nur nicht vergessen, sondern geradezu "unsterblich" geworden.

Weitere Texte zu Werken von Bach und rd. 70 anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1858 Camille Saint-Saens (1825- 1921) Oratorio de Noel

Saint-Saens hatte sich in den ersten Jahrzehnten seines langen musikalischen Lebens vor allem als Organist einen Namen gemacht. Bereits mit 22 Jahren  übernahm er das prestigeträchtige und lukrative Amt eines Organisten im renommierten klassizistischen Tempel der Eglise de la Madeleine in Paris, eine Tätigkeit, die er 20 Jahre lang mit großer Beachtung ausübte und erst aufgab, als er sich aufgrund des Erfolges seiner vielfältigen sonstigen musikalischen Aktivitäten die finanzielle Basis für eine freie Künstlerexistenz gelegt hatte. In seiner Zeit als Organist hat Saint-Saens auch Kirchenmusik geschrieben. Dazu gehört auch das Weihnachtsoratorium. Mit Ausnahme des abschließenden Quintetts, das Saint-Saens nachkomponierte, entstand es in der kurzen Zeit vom 4. – 15. Dezember 1858. Es wurde in der Weihnachtsnacht des gleichen Jahres erstmals in der Madeleine aufgeführt. Chor, Orchester und die fünf Gesangssolisten hatten also gerade einmal eine gute Woche Zeit, um das Werk einzustudieren.

Saint-Saens wählte für das Werk einen kleinen Rahmen, was für die Entstehungszeit, in der man zum Bombastischen und Opernhaften neigte, eher ungewöhnlich ist. Dies hatte wohl weniger damit zu tun, dass er wenig Zeit hatte, sondern ist Ausdruck seines Anliegens, das Weihnachtsereignis als intimes Geschehen darzustellen. Daher ist das Orchester nur mit Streichern besetzt, die durch eine Harfe und die Orgel ergänzt werden. Aus der Weihnachtsgeschichte greift Saint-Saens ebenfalls nur einen kleinen Aspekt heraus, den Teil nämlich, der ihm für seine Konzeption besonders geeignet erscheint. Er verwendet nur die Szene der Verkündung der Geburt Christi durch den Engel bei den Hirten auf dem Felde. Dementsprechend schlägt er bereits im „Prélude“ eine pastorale Stimmung an (und zwar „im Stile von J.S. Bach“, wie er in der Partitur vermerkt; tatsächlich finden sich gewisse Parallelen zur „Sinfonia“ in Bachs „Weihnachtsoratorium“, wobei allerdings unsicher ist, ob Saint-Saens dieses Werk kannte). Die weiteren Texte sind Bibelstellen, in denen das Weihnachtsereignis aus prophetischer und theologischer Sicht gedeutet wird. Im zweiten Teil des Oratoriums finden sich vor allen Lobpreisungen, wobei vor dem Schlusschor, die pastorale Anfangsstimmung wieder aufgenommen wird.

Das stimmungsvolle Werk mit seinen wundervollen warmen Kantilenen ist hierzulande lange unbekannt geblieben. Es fand allerdings auch schon zu Lebzeiten Saint-Saens wenig Beachtung. Die Presse nahm von der Uraufführung keine Kenntnis, was sicher auch damit zu tun hatte, dass Saint-Saens auf jegliche laute Geste verzichtete.

Weitere Texte zu Werken von Saint-Saens und rd. 70 anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis