Monatsarchiv: August 2015

Franz Schubert (1797 – 1828) Zwischenaktmusik Nr. 3 zum Schauspiel Rosamunde

Franz Schubert ist es bekanntlich nie recht gelungen, aus den Verhältnissen seiner unmittelbaren Umgebung heraus- und auf die große Bühne der Musikkultur zu treten. Er komponierte im Wesentlichen für kleine Kreise und Veranstaltungen und zum großen Teil für die Schublade. Dies gilt auch für sein musikdramatisches Oeuvre, das nicht weniger als siebzehn Anläufe zu Opern, Singspielen und sonstigen Bühnenmusiken zählt. Davon kamen zu seinen Lebzeiten nur drei auf die Bühne. Die anderen Stücke wurden teils nicht vollendet, teils erst lange nach seinem Tod aufgeführt, mehrere erst in neuester Zeit.

Eine der Kompositionen, deren Aufführung Schubert noch erlebte, war die zehnteilige Bühnenmusik für das Schauspiel „Rosamunde“, welches in Jahre 1823 im Theater an der Wien zu Aufführung kam. Verfasserin des schauerromantischen Werkes, dessen Gegenstand allerhand Intrigen um den Thron von Zypern im Mittelalter sind, war die deutsche Schriftstellerin Helmina von Chézy (1783-1856). Die Dichterin war in Romantikerkreisen seinerzeit en vogue. Sie schrieb auch das Libretto für Carl Maria von Webers große heroisch-romantische Oper „Euryanthe“, welche ebenfalls 1823 in Wien uraufgeführt wurde. Beide Komponisten wurden mit der Autorin und ihren dichterischen Bemühungen aber nicht recht glücklich. Weber verzweifelte an dem ungeschickt arrangierten Text und der Habsucht der Autorin, hatte aber immerhin wegen seiner bedeutenden Musik Erfolg. Dem Rosamunde-Schauspiel war wegen einer wenig übersichtlichen Handlung auch dieser versagt. Es wurde bereits nach zwei Aufführungen abgesetzt, womit Schuberts Bühnenkarriere beendet war. Ansonsten wurde das Werk nur noch einmal in München gespielt – dort allerdings mit einer anderen Bühnenmusik. Danach geriet das Schauspiel, nicht anders als seine umstrittene Verfasserin, in Vergessenheit. Unvergessen ist jedoch die Musik, welche Schubert dafür komponierte. Ein zeitgenössischer Hörer schrieb darüber offenbar im Stile der Dichterin: „Ein majestätischer Strom als süßverklärender Spiegel der Dichtung durch ihre Verschlingungen dahinwallend, großartig, rein, melodiös, innig und unnennbar rührend und tief riß die Gewalt der Töne alle Gemüter hin, ja selbst wenn ein antimelodiöser Parteigeist sich in die Masse der Zuhörer geschlichen, dieser Strom des Wohllauts hätte alles besiegt.“

Besonders beeindruckend ist die Zwischenaktmusik Nr. 3, der ein einfaches, aber berückend schönes, inniges Thema zu Grunde liegt. Dass dieses weit ausgespannte Motiv im Rhythmus des Daktylus, den Schubert liebte, zu einer seiner bekanntesten Melodien wurde, hat auch damit zu tun, dass es ihn mehr oder weniger sein gesamtes schöpferisches Leben begleitete. Er verwendete es nicht nur in einem Lied seiner Frühzeit, sondern auch noch in zwei weiteren sehr populär gewordenen Werken – im zweiten Satz des Streichquartetts Nr. 13 aus dem Jahre 1824, das danach „Rosamunde-Quartett“ genannt wurde, und im Impromptu B-Dur, welches er ein Jahr vor seinem Tod komponierte.

Paul Dukas (1865 – 1935) Der Zauberlehrling Scherzo nach einer Ballade von Goethe

Paul Dukas zählt zur sogenannten Goldenen Generation der französischen Musik, zu der unter anderem D’Indy, Chausson, Roussel und Debussy gehören. Er hatte engen Kontakt zu allen musikalischen Größen dieser Zeit, die für die Entwicklung einer eigenständigen „gallischen“ Musik so außerordentlich fruchtbar war. Dukas war jedoch ein Einzelgänger, der sich schon als Musikstudent jeder Vereinnahmung entzog. Er bildete sich in ähnlicher Weise autodidaktisch wie Richard Wagner, mit dessen Musik und Gedanken er sich zeitlebens intensiv beschäftigte. Wegen seiner Eigenwilligkeit wurde ihm mehrfach der begehrte Rompreis verwehrt, der seinerzeit in Frankreich für eine musikalische Kariere wichtig war. Möglicherweise war, wie bei Wagner, gerade diese Unabhängigkeit die Voraussetzung für die Schaffung eines so singulären Werkes wie dem weltberühmten „Zauberlehrling“.

Wiewohl Dukas ein durchaus ansehnliches, wenn auch schmales Oeuvre vorzuweisen hat, wird er so gut wie ausschließlich mit dem Geniestreich des „Zauberlehrlings“ identifiziert, den er 1897, genau 100 Jahre nach der Niederschrift von Goethes Gedicht, im Alter von zweiunddreißig Jahren komponierte. Er selbst scheint sich des außerordentlichen Potenzials, welches in diesem Werk steckte, zunächst nicht bewusst gewesen zu sein. In einer autobiographischen Skizze aus dem Jahre 1899 zählt er den „Zauberlehrling“ ohne weiteren Kommentar als eines neben anderen Werken auf.

Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“ entstand auf der Basis einer Episode aus der Erzählung „Der Lügenfreund“ des altrömischen Spötters Lukian von Samosata zu einem Zeitpunkt, als die französische Revolution, der Goethe skeptisch gegenüberstand, im Chaos zu ertrinken begann. Es wird daher in der Regel als eine Parabel über die Gefahr des Verlustes der Kontrolle über den Geist und seine tendenziell „uferlosen“ Produkte gedeutet, wenn diese nicht von einem Meister, etwa einem weisen Staatsmann, gehandhabt werden. Besondere, ggfs. doppelte Gefahr besteht dabei, wenn man das Geschäft des Geistes mit dem Beil, sprich mit dem Holzhammer zu betreiben versucht. Das ausufernde Geschehen, das aus dem fahrlässigen Spiel mit den Geistern resultieren kann, hat im vorliegenden Fall auch einen tragik-komischen Effekt. Diesen Aspekt hebt Dukas hervor, wenn er das Gedicht als Scherzo „vertont.“ Dabei gelingt es ihm auf höchst suggestive Weise, die alptraumartigen Zuspitzungen angesichts eines entfesselten Automatismus in Szene zu setzen. Als bloß komödiantisches Geschehen ist Dukas „Zauberlehrling“ dann später in Amerika popularisiert worden. Walt Disney verwendete die Musik in seinem Animationsfilm „Fantasia“ aus dem Jahre 1940, in dem er, um der seinerzeit schwindenden Popularität der von ihm geschaffenen Mickey Maus Figur entgegenzuwirken, in einer Art Rosinenpicken einige der populärsten Stücke der klassischen Musik in Zeichentrickszenen übersetzte. Tragischerweise war dies mit einem Schicksalsschlag für die Familie von Dukas verbunden. Als man im Jahre 1958 im Zuge einer der vielen Überarbeitungen von „Fantasia“ die Musik von Dukas aus vermarktungstechnischen Gründen willkürlich kürzte, flog Dukas’ Tochter, die sich für das Erbe ihres Vaters engagierte, nach Amerika, um bei Walt Disney vorstellig zu werden. Dabei kam sie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Dukas „Zauberlehrling“ spiegelt exemplarisch die musiktheoretischen Überlegungen, welche der hoch gebildete Komponist in einem umfangreichen musikschriftstellerischen Werk darlegte. Er war davon überzeugt, dass nach Wagner eine von außermusikalischen Einflüssen freie Musik, wie sie etwa noch Mozart geschrieben habe, nicht mehr möglich sei. Daher hat er fast ausschließlich Werke komponiert, denen eine Textvorlage zu Grunde lag. Dennoch war Dukas bestrebt, rein musikalische Formen, die er dennoch für zwingend notwendig hielt, beizubehalten. Dementsprechend findet sich im Zauberlehrling eine geniale Verschmelzung von außermusikalischen Elementen in Form von klar zugeordneten Leitmotiven (der Lehrling, der Meister, das Beschwörungsmotiv) mit der tradierten Form des Sonatenhauptsatzes und Elementen des Rondo. Dabei wird die Form in enger Anlehnung an die außermusikalische Handlung entwickelt. So beginnt die Reprise, die Wiederaufnahme des Anfangs nach der Durchführung, in dem Moment, in dem nach Zerschlagen des bislang einzigen Besens ein zweiter Besen entsteht und sich daher das Geschehen verdoppelt und gewissermaßen wieder von vorne beginnt. Die Leitmotive wiederum werden auf kunstvolle Weise von einander abgeleitet. Der zweite Teil des Lehrlingsmotivs etwa ist das Ausgangsmaterial für das Beschwörungsmotiv. Auch ansonsten hält sich die Musik in suggestiver Weise eng an die Handlung des Gedichtes, so wenn der verzweifelte Lehrling mit dem verkürzten Beschwörungsmotiv in mehreren Tonarten erfolglos den Zauberspruch zum Stilllegen des unermüdlich geschäftigen Besens sucht; oder wenn nach der Spaltung des Besens das Besenmotiv von Kontrafagott und Klarinette zunächst im schmerzhaften Dezimenabstand und dann nach Entstehen des zweiten Besens von Fagott und Klarinette kanonartig im „heilen“ Quintenabstand vorgetragen wird.

Sergej Rachmaninow (1873 – 1943) Symphonische Tänze Op. 45

Rachmaninow schuf vier symphonische Werke, drei Symphonien und eine Komposition, welche er „Symphonische Tänze“ nannte, die aber im Grunde eine vierte Symphonie ist. Die Tänze entstanden auf der Basis alter Vorarbeiten im Jahre 1940, drei Jahre vor dem Tod ihres Schöpfers, binnen fünf Wochen – in täglicher Arbeit von 9 bis 23 Uhr, wie Rachmaninow berichtete. Das Werk ist seine letzte Komposition und scheint auch als solche geplant gewesen zu sein, denn es enthält so etwas wie eine künstlerische Lebensbilanz des Komponisten. Rachmaninow blickt darin mit Zitaten und Stimmungsanalogien nicht nur auf einige seiner Werke und die von Komponisten zurück, die ihn beeinflusst haben. Er zieht darin auch seine ganzen kompositionstechnischen Erfahrungen und Möglichkeiten zusammen. Der Orchesterapparat wird zu diesem Zweck zu monumentaler Größe gesteigert. Inbesondere der Bläserchor und das Schlagwerk sind stark erweitert.

Das Alterswerk ist gekennzeichnet durch skeptische Ironie bis hin zur Darstellung des Grotesken sowie durch hochkomplexe Rhythmik und Harmonik mit einem schier unerschöpflichen Reichtum an Varianten (was von den Aufführenden höchste Konzentration verlangt). Das Alterswerk ist gekennzeichnet durch skeptische Ironie bis hin zur Darstellung des Grotesken sowie durch hochkomplexe Rhythmik und Harmonik. Rachmaninow konterkariert damit eindrucksvoll das Bild vom sentimentalen russischen Melancholiker oder Salonmusiker, das man von ihm unter Berufung auf sein gefühliges zweites Klavierkonzert und das berühmt-berüchtigte Prélude in cis-moll immer wieder zu zeichnen versucht hat. Die Symphonischen Tänze, aber nicht nur diese, zeigen, dass man dem Komponisten mit der Etikettierung süßlicher Lyriker oder mit der Bezeichnung Mister cis-moll, die ihm insbesondere in seiner Wahlheimat Amerika anhing, keinesfalls gerecht wird. Er erweist sich vielmehr als ein Artist, der auf souveräne und kraftvolle Weise über ein außerordentlich weites Ausdrucksspektrum mit vielfältigen, auch gebrochenen Farben verfügt.

Ausgangspunkt für die Komposition der Symphonischen Tänze waren Skizzen, welche Rachmaninow im Jahre 1915 für ein Ballett mit dem Titel „Die Skythen“ erarbeitet hatte, dessen Handlung im heidnischen Russland spielen sollte. Rachmaninow griff damit ein Sujet auf, was seinerzeit „en vogue“ war. Insbesondere Strawinski hatte mit seinen frühen Balletten, die er für den großen russischen Impressario Diagelew komponierte, die Maßstäbe für derart nationalrussische Themen gesetzt. Den Höhepunkt bildete dabei das „Sacre du printemps“, das zwei Jahre vor Rachmaninow nationalrussischem Projekt großes Aufsehen erregt hatte. Möglicherweise ließ sich Rachmaninow, der sich immer in besonderem Maße als russischer Künstler verstand, davon inspirieren, ein ähnliches Sujet aufzugreifen. Er ließ seine Arbeit jedoch liegen, als er erfuhr, dass sich der junge Prokofieff ebenfalls mit dem Thema Skythen befasste. Das Schicksal wollte, dass Rachmaninow auch noch in der Jury saß, die darüber zu befinden hatte, ob Prokofieffs „Skythische Suite“ den Statuten des Verlages entsprach, bei dem er sein Werk eingereicht hatte (was Rachmaninow verneinte). Als sich Rachmaninow im Jahre 1940 seine alten Entwürfe wieder hervorholte, schien sich das Schicksal dann fast zu wiederholen. Er erfuhr, dass der junge Schostakowitsch an einem symphonischen Werk mit dem Titel „Fantastische Tänze“ arbeitete. Rachmaninow entschied sich daraufhin, sein Werk „Symphonische Tänze“ zu nennen.

Die Symphonischen Tänze bestehen aus drei Bildern, in denen sich tänzerische, lyrische und marschartige Elemente abwechseln. Der Anfangsteil des ersten Satzes wird von einem Motiv beherrscht, das mit seiner archaischen Wucht und seinem stampfenden Rhythmus an das Sacre du printemps erinnert. Im lyrischen Mittelteil kommt ein Saxophon zum Einsatz, das eine jener weit gespannten verträumten Melodien vorträgt, die ein Markenzeichen Rachmaninows sind. Nach der Wiederkehr des Anfangsmotivs, das in insistierenden Repetitionen immer wilder wird, blickt Rachmaninow auf sein Schmerzenswerk zurück, seine erste Symphonie, deren Misserfolg ihn vor über drei Jahrzehnten in eine schwere Schaffenskrise gestürzt hatte. Der zweite Satz präsentiert umgeben von irisierenden Harmonien einen valse triste von wunderbarer Poesie, der auf groteske Weise von allerhand Einwürfen und zerhakten Akkorden begleitet wird. Die Stimmung erinnert an Tschaikowski, Rachmaninows Vorbild und dem wichtigstem Förderer seiner Anfangsjahre. Der hochkomplexe Finalsatz beginnt mit einer Art diabolischem Geisterreigen, der sich im Stil einer Gigue entwickelt. Im hektischen Getümmel deutet sich das Motiv des Dies Irae an. Nach dem schwelgerisch-nachdenklichem Mittelteil kehrt der Geistertanz zurück, in dem sich das Dies Irae immer mehr in den Vordergrund drängt. Anspielungen an Liszts Dantesymphonie verdeutlichen den höllischen Charakter des Geschehens. Die Musik strebt schließlich einem Triumphgesang zu, wie man ihn in der russisch-orthodoxen Kirchenmusik findet, um schließlich in einem gewaltigen Tumult zu enden. Lange hallt dieser in den dröhnenden Klangwellen des Tam Tam nach.

Über die tiefere Botschaft der Symphonischen Tänze hat es allerhand Spekulationen gegeben. Man hat etwa gemeint, dass ein grüblerischer, wenn nicht gar depressiver Künstler darin die großen Lebensfragen und deren tragische Auswegslosigkeit verhandele. Insbesondere die Verwendung des Dies Irae Motivs hat die Interpreten zu Vermutungen darüber angeregt, dass sich Rachmaninow hier mit dem näher rückenden Ende seines Lebens auseinandergesetzt habe. Rachmaninow sah sein Verhältnis zu seiner Musik, die natürlich auch einen persönlichen Aspekt hat, wesentlich sachlicher. Über das Preludium in cis-moll, über dessen „Gehalt“ ebenfalls vielfältige Spekulationen kursierten, hat Rachmaninow einmal gesagt: „Die Absolute Musik kann in einem Zuhörer gewisse psychologische Stimmungsbilder freisetzen. Aber ihre vorrangige Funktion ist es, ein geistvolles Vergnügen im spielerischen Umgang mit der Form zu bieten.“ Dies dürfte bei aller existenziellen Tiefe auch für die Symphonischen Tänze gelten.

Ein solches Vergnügen bietet diese Komposition allemal. Merkwürdig ist jedoch, wie die Musikpublizistik mit diesem Vermächtniswerk Rachmaninows umgeht. In den gängigen Musikführern wird es ohne nähere Auseinandersetzung meist nur unter „ferner liefen“ oder gar nicht erwähnt. Die kritischen Äußerungen darüber sind nicht selten pauschal abwertend. Sauertöpfig behauptete man, es sei langweilig, bemängelte eklektizistische Anleihen bei anderen Komponisten der Zeit und dass es um dreißig Jahre verspätet sei. All das ist angesichts der Suggestivität und dem mitreißenden Charakter dieses Werkes schwer nachzuvollziehen und wohl nur auf dem Hintergrund eines generellen Vorurteils gegenüber einem vermeintlich verspäteten Musiker zu verstehen, bei dem mit wachsendem zeitlichen Abstand der Gesichtspunkt der Epochengerechtigkeit doch an Bedeutung verlieren muß. Vielleicht war es ein Fehler, dass Rachmaninow das Werk als „Tänze“ bezeichnete. Hätte er es „Symphonie“ genannt, hätte diese großartige Komposition vermutlich die Aufmerksamkeit bekommen, die ihr gebührt. Diese hat sie inzwischen immerhin in Rachmaninows Heimatland erhalten. Nachdem seine Werke in der Frühzeit der Sowjetunion noch verboten waren, stellte eine russische Kommentatorin in erstaunlichem Gegensatz zu den genannten Abwertungen westlicher Kritiker noch zu kommunistischen Zeiten etwa über dritten Satz des Werkes fest, er sei in seiner Kraft und Eindringlichkeit eine der erschütternsten Schöpfungen der russischen Musikliteratur.