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Ernest Chausson (1855 – 1899) – Poème für Violine und Orchester

Chausson ist so etwas wie der Grandseigneur der französischen Musik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war hoch gebildet, reiste viel und führte in seinem Haus, umgeben von feinen Bildern und Büchern, einen Salon, in dem sich alles versammelte, was in Frankreich seinerzeit in Musik, Literatur und Kunst etwas zu sagen hatte. Zeitgenossen schildern ihn als souveräne Persönlichkeit mit einem leicht melancholischen Charme, ein Charakterzug, der sich in seiner Musik widerspiegelt.

Wiewohl Chausson musikalisch hoch begabt war und zum Musiker prädestiniert schien, bestanden seine Eltern darauf, dass er „etwas Rechtes“ lerne. So studierte er Rechtswissenschaften bis zur Promotion und ließ sich als Anwalt einschreiben. Ausgeübt hat er diesen Beruf jedoch nicht. Vielmehr wandte er sich wieder der Musik zu, nahm Privatunterricht bei Jules Massenet und studierte später auch bei César Franck. Mit diesem teilte er das Interesse an der Musik Richard Wagners, die großen Einfluss auf sein Schaffen gewinnen sollte. Mehrfach reiste er schon in seinen musikalischen Lehrjahren über den Rhein, insbesondere nach Bayreuth, um Wagners Opern zu hören. Allerdings ließ er sich von dem meist dunkel grundierten Deutschen nicht vollständig vereinnahmen. Er trug vielmehr wesentlich zu der Herausbildung jener französisch aufgehellten Form des Wagnerismus bei, die eine der Wurzeln des Impressionismus werden sollte. Chausson gilt vielen neben Debussy, mit dem befreundet war, als der begabteste unter den französischen Komponisten seiner Zeit. Unglücklicherweise konnte sich sein eher spät aufblühendes Talent nur unvollständig entwickeln. Er starb bereits im Alter von 44 Jahren nach einem Fahrradunfall.

Als musikalischer Seiteneinsteiger, der dazu von Haus aus finanziell unabhängig war und breite weitere Interessen hatte, glaubte Chaussons immer wieder, den Verdacht des Amateurhaften ausräumen zu müssen. Er praktizierte daher eine ausgesprochen perfektionistische Arbeitsweise und feilte solange an den Werken, bis sie seinen hohen Ansprüchen genügten. Als seine reifste Komposition gilt das Poème für Violine und Orchester, das er im Jahre 1896 für den großen belgischen Geiger Eugène Ysaye schrieb. Angeregt hierzu wurde er durch die lyrische Erzählung „Erste Liebe“ von Turgenev, in welcher ein Mann mittleren Alters in wehmütiger Rückschau sein unglückliches erstes Liebeserlebnis schildert. Liest man diese melodramatische Geschichte, lässt sich gut nachvollziehen, dass sie jemanden beeindrucken musste, dem man melancholischen Charme nachsagte. Das „Poème“ nimmt die Stimmung der Erzählung und im Wesentlichen auch den Verlauf der Handlung auf. „Auf geradezu morbide Weise phantastisch“ steigert sich das Geschehen nach lyrisch-verschattetem Anfang zu dramatischer Höhe, um schließlich in ferner Erinnerung zu verebben. „Nichts“ schrieb Debussy dazu „berührt mit seiner träumerischen Zartheit mehr als der Schluss des Poème, wo die Musik, indem sie alle Beschreibung und alles Anekdotische hinter sich lässt, ganz zum Gefühl selbst wird, und dadurch die Emotion des Hörers inspiriert.“