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Ein- und Ausfälle – Der größte Mensch

Das wäre einer, der den Menschen das Licht (der Erkenntnis) gebracht hat, ohne sie hinter dasselbe zu führen, insbesondere jemand, der die Menschen von unverzichtbaren Normen des Zusammenlebens überzeugte, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie unverzichtbare Gesetze des Denkens missachten – Konfutius etwa.

Ein- und Ausfälle (China 20)

Auf die Frage, wer für sie der größte Held sei, nannten junge Akademiker aus China Konfutius, ihre Kollegen aus Deutschland Franz Beckenbauer und Michael Schumacher. Bleibt nur noch die Hoffnung, dass der Satz falsch ist, eine Kultur sei so groß wie ihre Vorbilder.

Ein- und Ausfälle (China 17)

Für Konfutius ist die Musik das Medium, mit dem der Mensch seine Sehnsucht nach dem Einssein mit dem Kosmos befriedigt. Dadurch, so lehrte er, werde der Mensch gütig und aufrecht. Moderne Komponisten des Westens versuchen hingegen immer wieder, dem Menschen mit der Musik zu verdeutlichen, wie wenig eins er mit dem Kosmos (oder, wie man heute sagen würde, dem idealen gesellschaftlichen Ganzen) ist. Dahinter steckt eine pädagogische Absicht. Die Konfrontation mit den Problemen der modernen Verhältnisse soll die Menschen sensibilisieren und damit veränderungsbereit machen. Ob dieses Konzept aufgeht, ist zweifelhaft. In Umkehrschluss aus der Lehre des Konfutius könnte es auch sein, dass eine Musik, welche die Sehnsucht des Menschen nach dem Einssein mit dem „Kosmos“ nicht befriedigt, dazu führt, dass er weniger empfänglich für die segensreichen Wirkungen der Musik, im schlimmsten Falle also dass er herzlos und unaufrecht wird.

Ein und Ausfälle (China 7)

Man kann sich Bücher ausdenken, die ihren Ursprung im Himmel haben, wie am westlichen Ende des eurasischen Kontinents, oder Texte allgemein geachteten Weisen der Vergangenheit zuschreiben, wie am östlichen Ende des Kontinents. Sozialtechnisch ist es das gleiche Verfahren. Es geht es jeweils darum, Texte die Normen generieren sollen, im „Jenseits“ zu verankern, um dem Führungspersonal, das im Diesseits agiert, die Arbeit zu erleichtern. Das zeigt vor allem die Tatsache, dass der weitere Umgang mit diesen Texten in Ost und West sehr ähnlich ist. In beiden Kulturen sind die Grundbücher meist allgemein bis nichts sagend gehalten und lassen daher allerhand Deutungen zu. Besonders deutlich wird dies bei den Konfutius zugeschriebenen „Frühlings- und Herbstannalen“, die für die chinesische Sozialgeschichte so wichtig wurden. Sie enthalten nicht viel mehr als eine wenig aussagekräftige Aufzählung historischer Ereignisse. Die nähere Ausführung der Grundbücher ist in Ost und West jeweils nachgeordneten Werken vorbehalten, welche die Grundbücher unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeitumstände auslegen. Im Westen nannte man diese Tätigkeit ursprünglich Theologie, im Osten Kommentierung. Auch hier ist das Verfahren bei den „Frühlings- und Herbstannalen“ besonders aufschlussreich. Die Kommentatoren ziehen aus dem Ursprungstext selbst dann noch ausgedehnte sozialpädagogische Lehren, wenn derselbe praktisch ohne Inhalt ist. Im Prinzip hat sich an dieser sozialen Steuerungstechnik bis heute nichts geändert. Nur dass wir neuere soziale Grundtexte nicht mehr heilige Bücher sondern Gesetze, das Spitzenwerk etwa Grundgesetz nennen. Auch diese Texte sind möglichst allgemein gehalten und werden von Anwendungsinstitutionen wie Gerichten und Kommentatoren konkretisiert und an den jeweiligen Bedarf angepasst, wobei nicht selten die kürzesten und allgemeinsten Paragraphen die längste Kommentierung erfahren.

Verschlossene Bedürfnisanstalt – ein Gruß aus dem Reich der Mitte

 

Als ich dieser Tage um den West-Lake von Hangzhuo spazierte, kam mir der Marienplatz in Stuttgart in den Sinn. Ich weiß, dass der Vergleich von Stuttgart und Hangzhou und des West-Lakes mit dem Marienplatz nicht ganz fair ist. Hanghzou ist mehr als zehn Mal so groß wie Stuttgart und sein See ist eine der großen Touristenattraktionen für die Chinesen. Auch stellte schon Marco Polo fest, dass Hangzhou die schönste und prächtigste Stadt der Welt sei, was von Stuttgart noch niemand behauptet hat. Da aber das Lob Marco Polos schon 700 turbulente Jahre zurückliegt und Hangzhou in der Reihe der Städte Chinas der Größe nach ähnlich platziert ist wie Stuttgart in Deutschland, scheint mir der Vergleich doch nicht so übertrieben. Dies gilt um so mehr, als die Sache, die meine Aufmerksamkeit erregte, bei allem Unterschied in beiden Städten sehr ähnlich ist. Hier wie dort war die Aufgabe, einen „Platz“ zu bauen, an dem sich die Menschen treffen und sich ihres Lebens freuen können. In Hangzhou ging es dabei um die Gestaltung der Ufer des West-Lakes, in Stuttgart um den Marienplatz. Beide „Plätze“ sind, auch das verbindet sie, nach einer Zeit der Vernachlässigung in den letzten Jahren völlig neu gefasst worden. Was mich ins Grübeln brachte, war, dass das Ergebnis so völlig unterschiedlich ausfallen konnte.

 

Im Hangzhou hat man am Ufer des Sees eine Vielfalt von grünen Anlagen mit abertausenden frisch gepflanzten Bäume geschaffen, die locker um natürliche und künstliche Gewässer gruppiert sind. Dazu gehören dramatisch wilde Steingärten, idyllische Miniaturlandschaften, von Säulen umstandene Plätze, verspielte Pavillons und Pagoden, buckelige Brückchen und rechtwinklig gezackte Stege mit Geländern, auf denen zahlreiche, jeweils unterschiedliche Löwenfiguren stehen; außerdem lange Dämme und allerhand sonstige Monumente. Alles ist bewegt und von einer ausgeklügelten Asymmetrie, weswegen der Blick immer wieder neue Haltepunkte und Perspektiven findet. Selbst in den Natursteinbelag der geschlängelten Wege hat man allenthalben handgearbeitete Steinreliefs mit figürlichen Szenen eingelegt, von denen keines dem anderen gleicht. Das Ganze ist mehr oder weniger im traditionellen chinesischen Stil gehalten. Die Anlagen werden von tausenden gutgelaunten Menschen bevölkert.

 

Den Marienplatz in Stuttgart, die Mitte eines großen Stadtteiles, der sich rund herum die Hügel hinaufzieht, hat man völlig leer gelassen. Das weite Rund ist mit rauen gelben Kunststeinplatten bepflastert, die nur von rasterartig angebrachten Regenrinnen unterbrochen werden. Eingefasst ist es von einer dicken Sichtbetonwand, deren einziger Schmuck kleine runde, symmetrisch angebrachte Vertiefungen sind, die so aussehen, als seien sie von einem Maurerlehrling angebracht worden, auf dessen Ausbildungsplan gerade Übungen im Fräsen von Löchern in hartem Beton standen. Vor der Wand liegen in regelmäßigen Abständen einfache dunkle Betonklötze, welche die Menschen dazu veranlassen sollen, sich niederzulassen. Sie sind so massiv, als habe der Platzarchitekt sicherstellen wollen, dass sie keinesfalls bewegt werden. An den Rand des Platzes, wo sich auch ein paar Bäume finden, hat man einen Spielplatz gelegt, der ebenfalls von dicken grauen Betonwänden eingerahmt wird. Aus schmucklosen Edelstahlöffnungen in der Wand fließt hier Wasser in eine rechteckige Wanne, in der ein paar geglättete Felsbrocken liegen. An einer anderen Ecke des Platzes sind ein paar symmetrische gepflasterte Bodenwellen zu sehen, deren Sinn nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Ansonsten findet sich nicht viel, was das Auge anziehen könnte oder was ihm gar vertraut wäre. Am ehesten ist dies noch bei dem Toilettenhäuschen der Fall, das ebenfalls am Rande des Platzes aufgestellt wurde. Ein Industriedesigner hat es in einem gestalterischen Geniestreich in einem kompakten, eleganten Oval untergebracht. Kopf und Fuß des Pavillons sind durch senkrechte Rillen verbunden, die an die Kanneluren klassischer Säulen erinnern. Seine Türe öffnet sich allerdings nur dem, der im dringenden Moment das nötige Kleingeld zur Verfügung hat. Der Platz ist, wie die Bedürfnisanstalt, meist leer. Die Menschen scheinen nicht so recht zu wissen, was sie damit anfangen sollen.

 

Wir haben uns am westlichen Ende des eurasischen Kontinents fast schon daran gewöhnt, dass neu geschaffene Plätze so ähnlich wie der Marienplatz aussehen. Beim Blick vom anderen Ende des Kontinents drängte sich mir nun aber mit einer Vehemenz, die mich erstaunte, der Verdacht auf, dass bei uns irgendetwas falsch gelaufen ist, dass wir so etwas wie die Mitte verloren haben.

 

Ich will einmal, obwohl man sich bei der Mentalität unserer Stadtgestalter da keineswegs sicher sein kann, unterstellen, dass die Erbauer des Marienplatzes nicht die Absicht hatten, die Menschen, für die der Platz geschaffen wurde, ratlos zu machen. Gerade dann stellt sich aber die Frage, wieso es ihnen nicht gelungen ist, einen Platz bauen, der den Bedürfnissen der Menschen dient, der sie auf seine Mitte zieht, mit anderen Worten, auf dem sie sich wohl fühlen. Nachdem sich mir die Frage aus der chinesischen Perspektive stellte, habe ich meine Hoffnung darin gesetzt, aus diesem Blickwinkel auch die Antwort zu erhalten. Ich muss allerdings gestehen, dass ich den Umweg über Ostasien ein wenig auch deswegen einschlage, weil ich hoffe, so den vollkommen „logischen“ kulturgeschichtlichen, praktischen und ökonomischen Begründungen aus dem Weg gehen zu können, die unsere Stadtgestalter ohne Rücksicht auf das konkrete Ergebnis für ihre Lösungen immer parat haben.

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