Archiv der Kategorie: Beethoven

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Violinkonzert D-Dur

Beethovens Violinkonzert ist heute allen Musikliebhabern bekannt und unumstritten als eines der ganz großen Werke dieser Gattung anerkannt. Dies war keineswegs immer so Die Uraufführung des Werkes im Jahre 1806 in Wien war kein großer Erfolg. Der Kritiker der Theater Zeitung gestand demselben zwar manche Schönheit zu, machte gegen die Kompositionsweise Beethovens aber grundsätzliche Bedenken geltend. Er bemängelte „daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten …Man fürchtet …, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabey fahren. Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse.“

 Nach der Uraufführung geriet das Werk alsbald in Vergessenheit. Zu Lebzeiten des Komponisten wurde es nur noch einmal gespielt – 1812 von Tomasini in Berlin. Nach Beethovens Tod kam es 1828 zu einer Aufführung durch Baillot in Paris und 1834 in Wien durch Vieuxtemps. Erst der Jahrhundertgeiger Josef Joachim brachte das Werk ins Bewusstsein einer breiteren musikalischen Öffentlichkeit. Joachim spielte es erstmals 1844 im Alter von 13 Jahren unter der Leitung von Mendelssohn in London, dann erst wieder 1852 in Berlin und 1853 unter Schumann in Düsseldorf. Heute, wo das Konzert vermutlich täglich irgendwo aufgeführt wird, wo man es dazu immer wieder im Rundfunk hört und es in zahlreichen Einspielungen jedem jederzeit zur Verfügung steht, ist diese Aufführungsfrequenz kaum mehr nachzuvollziehen.

 Den Grund für den holperigen Werdegang der Anfangszeit hat man zum Einen darin gesehen, dass das Werk technisch ziemlich sperrig ist. Beethoven war Pianist und nicht sonderlich mit dem vertraut, was auf der Geige gut zu machen ist. Anders als etwa im Violinkonzert von Mendelssohn, dem nächsten Meilenstein der konzertanten Violinliteratur, liegt in Beethovens Werk für den Solisten Manches nicht eben bequem. Wichtiger als die technischen Schwierigkeiten, die, wie im Falle Josef Joachims, schon bald die Teenager bewältigten, dürften für den mangelnden Erfolg aber stilistische Gründe und konzerttechnische Gewohnheiten verantwortlich gewesen sein. Das Feld der konzertanten Violinliteratur beherrschten seinerzeit die Geiger Rhodes, Kreutzer und Viotti, die in erster Linie ihre eigenen Konzerte aufführten (Rhodes schrieb 13, Kreutzer 19 und Viotti 29 Violinkonzerte). Das Spielen fremder Werke war daher eher die Ausnahme. Vor allem aber waren die  Konzertbesucher und die Kritiker von diesen Geigenmeistern gewohnt, Doppelgriffe, kniffliges Passagenwerk, Staccato-Läufe, G-Saitenkantilenen und allerhand sonstige virtuose Kunstgriffe zu hören. Außerdem spielte das Orchester bei diesem „brillanten“ Kompositionsstil nur die Rolle des Dekorateurs. Beethoven, der mit den Werken dieser Geigerkomponisten durchaus vertraut war, verzichtete in seinem einzigen Violinkonzert aber geradezu demonstrativ auf derartige Schauelemente und schuf ein Werk von apollinischer Schönheit und klassischem Ebenmaß, in dem jedes Detail aus der musikalischen Grundsubstanz abgeleitet ist. Das Orchester ist dabei integraler Bestandteil eines Geschehens, das in symphonischer Weise durchgeführt wird. Über siebzig Mal erklingt etwa in immer neuen Zusammenhängen das pochende Anfangsmotiv, mit dem – gänzlich ungewohnt – die Pauke das Konzert eröffnet. Beethoven hatte aus kompositionsimmanenten Gründen sogar die Vorstellung, dass sich die Pauke mit diesem Motiv an der Kadenz beteiligen sollte, die traditionell ganz der Zurschaustellung des Solisten vorbehalten ist. Zwar hat Beethoven für das Violinkonzert, wie für alle seine originalen Konzerte, keine Kadenz geschrieben, um dem Solisten freie Hand zur Selbstdarstellung zu geben. Er hat jedoch für die Klavierfassung des Konzertes, die er auf Verlangen des Verlegers Muzio Clementi im Jahre 1807 erstellte, eine Kadenz unter Beteiligung der Pauke geschrieben und damit erkennen lassen, was er für musikalisch angemessen hielt. Eine derartige Kompositionsweise zielt nicht auf einen Hörer, der staunen, sondern auf einen, der in einem komplexen musikalischen Geschehen mitdenken will. Beim heutigen Publikum, dem die Komplexität vertraut ist, welcher die Musikentwicklung später noch zustreben sollte, ist dies sicher weit mehr der Fall als zu Zeiten Beethovens. Es dürfte bei dieser Art vom Komposition daher auch nicht Verwirrung oder Ermüdung, sondern neben dem Genuss der musikantischen Schönheiten auch ein intellektuelles Vergnügen am Nachvollzug der kunstvollen motivischen Verarbeitung verspüren.

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1807 Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Coriolan-Ouvertüre

Kaum ein Werk ist so typisch für die Kompositionshaltung des reifen Beethoven wie die Coriolan-Ouvertüre. Ihre Kennzeichen sind eine geballte, geradezu trotzige Energie, hohe emotionale Sensibilität, schlüssige und unmittelbar verständliche Themenverarbeitung und eine übersichtliche Form. Beethoven hat das Werk im Jahre 1807 ohne besonderen Auftrag für das inzwischen vergessene Trauerspiel seines Bekannten Heinrich von Collin geschrieben, das seinerzeit am Wiener Hoftheater gegeben wurde. Er spielte es erstmals in einem von ihm geleiteten reinen Uraufführungskonzert im März 1807 in Wien im Palais seines großen Gönners Fürst Lobkowitz. Bei diesem denkwürdigen Ereignis kamen nach der Ouvertüre noch sein 4. Klavierkonzert und seine 4. Symphonie zur ersten Aufführung. Mit dem „Coriolan“ kreierte Beethoven nicht nur den Typus der Konzertouvertüre sondern bei dessen Uraufführung mit der Abfolge Ouvertüre, Solistenkonzert und Symphonie zugleich das Muster des klassischen Konzertes, das noch heute verwendet wird.

In der Ouvertüre werden im formalen Rahmen eines modifizierten Sonatensatzes zwei stark kontrastierende Themen gegenüber gestellt. Richard Wagner hat daher das dramatische musikalische Geschehen, welches sich in der Folge entwickelt, in einer „Programmatischen Erläuterung“ von 1852 in eine direkte Beziehung zur Handlung der Coriolan-Legende gesetzt. Diese Geschichte ist insbesondere von Livius und Plutarch überliefert und gehört in diversen Versionen und Interpretationen zum Kanon der europäischen Kulturtradition. Der tragische Stoff wurde insbesondere immer wieder literarisch verwendet, nicht zuletzt von Shakespeare in seinem Altersdrama „Coriolan“. Auch die Maler, etwa Guercino und Tiepolo, haben sich davon anregen lassen.

Die Geschichte hat vermutlich keinen historischen Kern, sondern ist, ähnlich wie die Ableitung des julischen Kaiserhauses aus Troja in Vergils „Äneis“, möglicherweise im Zusammenhang mit der Stilisierung einer Familiengeschichte entstanden. Nach der Legende, die im fünften Jahrhundert v. Chr. spielt, hat sich der Patrizier Gnaeus Martius Coriolanus, den das Volk von Rom wegen seines übermäßigen Stolzes nicht zum Konsul wählte, gegen das Volk und die Volkstribunen als seine Vertreter gewandt, woraufhin er wegen Verfassungsbruchs verurteilt und auf ewig des Landes verwiesen wurde. Danach verbündete er sich voller Trotz mit den ärgsten Feinden Roms, den Volskern, welche er eben noch im Auftrag Roms bekriegt hatte – den Beinamen Coriolanus hatte er wegen der Eroberung der Volskerstadt Corioli erhalten. Mit den Volskern zog Coriolanus gegen seine Heimatstadt und belagerte sie. Als alle Versuche, die Sache friedlich beizulegen, an seiner Unbeugsamkeit scheiterten, kamen schließlich die römischen Frauen unter Führung seiner Mutter und seiner Ehegattin vor die Tore der Stadt und flehten um Frieden, woraufhin Coriolanus nachgab. Dies aber bedeutete seinen Tod. In der Version Plutarchs wird er von den erbosten Volskern erschlagen, in der Version, die Beethoven zu Grunde legte, stirbt er im ausweglosen Konflikt zwischen Vaterlandsliebe und Hochmut von eigener Hand.

Beethoven hat die motivisch-thematische Verarbeitung und die harmonischen Beziehungen in diesem kurzen Werk, mit dem er – für seine Verhältnisse kurze – zwei Monate beschäftigt war, sehr differenziert durchgeführt. Darüber aber, ob  die ohne Zweifel illustrativ wirkende Musik die dramatische Handlung im Einzelnen nachzeichnet oder ob, wofür die Sonatensatzform spricht, im Vordergrund nicht eher rein musikalische, wenn auch von der Handlung inspirierte Gesichtspunkte stehen, streiten sich die Gelehrten.

Weitere Texte zu Werken von Beethoven und zahlreichen anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1806 Ludwig van Beethoven (1770 -1827) – Klavierkonzert Nr. 4 Op. 58

Unter den fünf Konzerten, die Beethoven für „sein“ Instrument schrieb, fällt das 4. Klavierkonzert durch seinen lyrischen Tonfall auf. Das Konzert ist so bemerkenswert „rund“, dass man meinen könnte, Beethoven habe damit sein Image einer schroffen Persönlichkeit konterkarieren wollen. Hinzu kommt, dass zwischen dem schwärmerisch-bedeutsamen aber niemals schweren Kopfsatz und dem heiteren Finalsatz ein singulärer Mittelsatz liegt, in dem der Konflikt von Schroffheit und Sanftmütigkeit thematisiert ist und der mit einem – allerdings auf bezeichnende Weise eingeschränkten – Sieg der letzteren endet. 

Die geradezu szenische Konstellation von düster abweisendem Orchester auf der einen und beschwörend weichem Klavier auf der anderen Seite sowie der fast schon sprachliche Duktus der Musik hat die Interpreten zu allerhand Spekulationen darüber inspiriert, was Beethoven bei der Komposition dieses zweiten Satzes vorgeschwebt haben könnte. Die bekannteste Version ist, dass er dabei an Orpheus gedacht habe, der die Furien der Unterwelt bändigt. Eine philosophisch-politische Interpretation sieht in der Konfrontation zwischen Orchester und Solisten den auskomponierten kategorischen Imperativ; der Satz sei ein Beispiel dafür, daß der heroische Einzelne durch die Kraft seiner Moral auf die Gesellschaft einwirken könne. Die meisten dieser Interpretationen haben freilich Probleme mit der rätselhaften Schlußkadenz des Satzes, die den Schlüssel zum seinem Verständnis enthalten muss, jenem schmerzlichen Aufschrei mit anschließender Beruhigung, auf den der heiter-dynamische aber keineswegs übermütige Schlußsatz unmittelbar folgt. Daher soll hier, wiewohl sich das Konzert als autonomes Kunstwerk sicher nur in begrenztem Maße der konkreten Interpretation öffnet, eine weitere Spekulation hinzugefügt werden.

Nachdem in dieser musikalischen Dichtung offensichtlich die spannungsvolle Beziehung zweier sehr gegensätzlicher Individuen geschildert wird, könnte man auch daran denken, dass im Hintergrund Beethovens Erfahrungen mit der verwitweten Adeligen Josephine Brunsvik standen, in deren Bann er sich in der Entstehungszeit des Konzertes befand (die Frau wurde lange Zeit für Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ gehalten). Man könnte sich also vorstellen, Gegenstand des Satzes sei, dass der schroffe Mann von einer geliebten Frau „gezähmt“ wird. Allerdings hat Beethovens Version von „Die Schöne und das Biest“ kein happy-end. Josephine muss am Ende aus Standesrücksichten auf Beethoven verzichten, was – dies wäre die Kadenz – nach Abklingen des Schmerzes zu resignativer Beruhigung auf beiden Seiten und daraus resultierend zu neuem Leben führt (dritter Satz).

Das Konzert entstand in den Jahren 1805/1806, einer besonders fruchtbaren Schaffensperiode Beethovens, in der unter anderem auch das Violinkonzert, die Oper „Fidelio“ und die Streichquartette Op.59 geschrieben wurden. Sowohl für den ungewöhnlichen Konzertbeginn durch das Klavier als auch für die dramatisch-melancholische Konzeption des langsamen Satzes scheint Mozarts Klavierkonzert KV 271 (Jeunnehomme) Pate gestanden zu haben. Vermutlich kannte Beethoven auch Haydns Symphonie „Le Soir“, in deren zweiten Satz sich eine ähnlich rhetorische Themenkonfrontation wie im zweiten Satz des Konzertes findet.

Dass das Konzert außerordentliche Anforderungen an den Solisten stellt, hat schon von Anfang an zu Problemen geführt. Beethoven Freund Ries lehnte die Erstaufführung ab, weil er die Noten erst fünf Tage vor dem intendierten Konzerttermin erhielt. Der Alternativkandidat Stein nahm das wenige sinnvolle Ansinnen, das Konzert in weniger als einer Woche einzuüben, zwar an, weil er darin die Chance seines Lebens sah, musste aber einen Tag vor der Aufführung absagen. Daher kam die Komposition erst im März 1807 durch Beethoven selbst zu Gehör und zwar bei einem Konzert im Palais Lobkowitz in Wien, in dem auch noch Beethovens (neue) Coriolan-Ouvertüre und seine 4. Symphonie gespielt wurden.

Weitere Texte zu Werken von Beethoven und rd. 70 anderen  Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis

1805 Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) – Symphonie Nr. 3, Op.55 (Eroica)

Beethovens dritte Symphonie, die in den Jahren 1802 bis 1805 entstand, hat, wie man weiß, viel mit Napoleon zu tun. Ursprünglich sollte ihr Titel sogar „Bonaparte“ lauten. Berühmt ist die Schilderung der Szene, wonach Beethoven das Titelblatt der Partitur, auf dem der Name des Korsen stand, wütend zerriss, als er erfuhr, dass dieser beabsichtige, sich zum Kaiser zu krönen. Dabei habe Beethoven, so berichtet sein Schüler Ferdinand Ries, ausgerufen: „Ist der auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird auch er alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen.“

 

Auf Grund dieser Umstände wurde die „Eroica“ vielfach als ein politisches Werk angesehen. Dem entsprechend wurde sie, ganz oder nur mit ihrem zweiten Satz, immer wieder und in den unterschiedlichsten Kontexten zu politischen Zwecken herangezogen. Wie weit dies ging, zeigt ein Ereignis aus dem Jahre 1892. Seinerzeit widmete Hans von Bülow die Symphonie aus Protest gegen die Entlassung Bismarcks durch Kaiser Wilhelm II. kurzerhand „dem Bruder Beethovens, dem Beethoven der deutschen Politik, dem Fürsten Bismarck.“ Dabei stellte er, Beethovens oben angedeutete Absichten ins genaue Gegenteil verkehrend, den „drei Worten des Wahns“, wie er die Ideale der französischen Revolution „liberté, egalité und fraternité“ nannte, reichlich ruppig die „positive Devise Infantrie, Kavallerie und Artillerie“ entgegen.

 

Ob die politische Sicht der Symphonie viel zu ihrem Verständnis beiträgt, ist allerdings eher zweifelhaft. Beethovens Verhältnis zu Napoleon als Politiker war nämlich höchst zwiespältig. Der Korse war für ihn, wie für viele seiner Zeitgenossen, einerseits der Held, von dem man den endgültigen Durchbruch der Ideale der Französischen Revolution erhoffte, andererseits aber auch derjenige, der Beethovens Vaterland und seine Wahlheimat Wien bedrängte und zeitweilig besetzt hielt. Gegenüber dem Kriegsherrn aber fühlte Beethoven die Pflicht zum Widerstand. Die Ironie des Schicksals wollte, dass er sich hierfür auf die Seite eben der Monarchen schlagen musste, in deren Kreis getreten zu sein, er Napoleon vorwarf.

 

Tatsächlich hat Beethoven immer wieder auch gegen Napoleon agiert. 1796 etwa trat er als Leiter der K.&K.- Regimentsmusik einem Freiwilligencorps bei, das Napoleon aus den „österreichischen“ Territorien Italiens vertreiben sollte. Dafür komponierte er politische Lieder, die gegen die „Franken“ gerichtet waren. Auch während der Befreiungskriege schrieb er politische Gebrauchsmusik gegen Napoleon. Sinnigerweise sollte er hierbei sogar seine größten musikalischen Triumphe erringen. Mehr als sein gesamtes sonstiges Werk einschließlich der „Eroica“, die Beethoven selbst besonders schätzte, wirkten in der zeitgenössischen Öffentlichkeit seine musikalischen Beiträge zu den Feierlichkeiten des Wiener Kongresses, bei dem die europäischen Herrscherhäuser bekanntlich mit den politischen Ergebnissen der napoleonischen Zeit auch die positiven Errungenschaften der Französischen Revolution weitgehend rückgängig machten. Kaiser und Könige klatschten seinerzeit begeistert Applaus für Beethovens bombastisches Werk „Wellingtons Sieg in der Schlacht bei Vitoria“, von dessen Urheberschaft man ihn, wie von der seiner sonstigen politischen Musik, heute am liebsten freisprechen würde.

 

Gleichzeitig war Beethoven aber von der Persönlichkeit Napoleons, der sein Altersgenosse war, fasziniert war und verglich sich mit ihm. Parallelen gab es zwischen beiden genug. Beide stammten aus einfachen Verhältnissen und taten sich in einer Zeit, die noch stark vom Standesdenken geprägt war, durch ausgeprägte Individualität und außerordentliche gestalterische Leistungen hervor. Beide setzten sich auch bedenkenlos über die Grenzen der Tradition hinweg, wenn sie ihren Zielen im Wege standen. Napoleons unbändiger Durchsetzungswille korrespondierte mit Beethovens Credo: „Kraft ist die Moral der Menschen, die sich gegenüber anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige“. Der Komponist empfand den Politiker offenbar sogar als Rivalen. Aus dem Jahre 1806 ist von ihm der Satz überliefert: „Schade, dass ich die Kriegskunst nicht so verstehe, wie die Tonkunst, ich würde ihn schlagen“. Beim Tode Napoleons im Jahre 1821 sagte Beethoven schließlich, er habe mit dem Trauermarsch der „Eroica“ die Musik zu diesem Ereignis geschrieben.

 

Wahrscheinlich kommt man dem Verhältnis von „Eroica“ und Napoleon daher näher, wenn man in der Komposition ein Selbstportrait Beethovens sieht, welches von der Figur Napoleons beeinflusst ist. Beethoven, der bezeichnenderweise nicht lange vor der „Eroica“ das Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ komponierte, sah sich als Individuum, das sich und die Welt ganz aus sich selbst schafft. Der exemplarische Vertreter dieses neuen, „titanischen“ Menschentums war neben ihm naturgemäß Napoleon. Diesem Selbstentwurf entsprechend schuf Beethoven mit der „Eroica“ ein Werk, das an Umfang, Schwierigkeitsgrad und Komplexität der Themenverarbeitung seinerzeit ohne Vorbild war.

 

Wie Napoleon sah sich Beethoven auch in einer heroischen Situation. So wie sich dieser politisch gegen die ganze Welt stellte, befand er sich im Kampf gegen die Taubheit, dem denkbar größten Widerstand, der einem Musiker entgegenstehen kann. Wir wissen aus Beethovens ergreifendem „Heiligenstädter Testament“, welches aus der Zeit stammt, in der er die Komposition der „Eroica“ begann, dass er sich wegen seiner fortschreitenden Krankheit mit Selbstmordgedanken befasste. Er nahm davon jedoch Abstand, weil er in heroischer Weise gerade gegen die Taubheit Neues und Großes schaffen wollte. Die „Eroica“ ist denn auch bestimmt von dem Kontrast zwischen vorwärtsstürmendem Elan und elegischer Färbung. Diese Stimmungslage spiegelt sich insbesondere im ersten Satz des Werkes, wo sie bereits in den Anfangstakten erscheint. Während hier das vorwärtsdrängende und im letzten Satz das konstruktive Element den Sieg davonträgt, dominiert im langsamen Satz die Auseinandersetzung mit der Depression, die angesichts der Bedeutung, die sich das handelnde Subjekt zulegt, monumentalen Charakter annimmt.

 

Unter diesen Umständen ist es nur allzu bezeichnend, dass auf jenem Titelblatt der „Eroica“, welches Beethoven im Jahre 1805 so wütend zerriss, sich lediglich zwei Namen befanden: „Ganz oben“, so heißt es im Bericht von Ries, habe „Buonaparte“, unten „Luigi van Beethoven“, dazwischen aber nichts gestanden.

 

Die „Eroica“ ist das erste der großen musikalisch-geistigen Auseinandersetzungswerke des 19. Jahrhunderts, Werke mit denen ihre Schöpfer, wie Beethoven in diesem Fall, nicht selten über Jahre rangen. Sie ist – am Anfang des neuen Jahrhunderts stehend – der Auftakt zu der grandiosen Entwicklung, welche die Symphonie im weiteren Verlauf des 19. Jahrhundert nehmen sollte. Auf der Basis dieses Musters wurde die Gattung Symphonie zur zentralen musikalischen Ausdruckform des individualistisch empfindenden Bürgertums, das in dieser Zeit seinen endgültigen politischen und wirtschaftlichen Durchbruch erlebte.

Weitere Texte zu Werken von Beethoven und rd. 70 anderen  Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis