Monatsarchiv: November 2010

Ein- und Ausfälle – Amt und Protest

Jeder, der einmal ein noch so kleines „Amt“  innehatte, weiß, dass diejenigen, für die er die Arbeit macht, einerseits heil froh sind, sie nicht selbst machen zu müssen, sich aber andererseits dadurch entwertet fühlen, dass sie sich an der Erledigung der Arbeit nur noch begrenzt beteiligen können. Dies führt mit einer gewissen Notwendigkeit zur Empfindlichkeiten. Denn der Delegierende fühlt sich, da er seine Gestaltungsmöglichkeiten zu Gunsten des Delegierten beschränkt, entweder ausgeschlossen oder, da es um seine Sache geht, berechtigt, die Erledigung der Arbeit besonders kritisch  zu verfolgen. Und der Delegierte meint, dass man ihm eine gewisse Dankbarkeit schulde und er daher eine reduzierte Kritik erwarten könne. Erschwert wird dass Ganze noch dadurch, dass  derjenige, welcher Befugnisse an Andere abgibt, befürchten muss, der Andere könne seine Vollmachten missbrauchen. Letzterer muss diese Befürchtung, sofern er ehrbar ist, als Zumutung empfinden, kann dies aber, da er nicht als unkritisierbar erscheinen will, nicht ohne weiteres zum Ausdruck bringen, was aber beim Delegierenden den Verdacht nähren kann, dass er nicht ehrbar sei. Aber nicht genug. Das eigentlich Komplizierte ist, dass man beim Delegierenden nur schwer zwischen berechtigter Kritik, Überempfindlichkeit, Hysterie und Streitlust und auf Seiten des Delegierten zwischen Betroffenheit und frechem Leugnen einer Interessenverflechtung unterscheiden kann.

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Ein- und Ausfälle – Rubens als malender Diplomat

Das waren noch Zeiten! Im Jahre 1629 fuhr Peter Paul Rubens nach Erledigung einiger  Malaufträge in Spanien im Auftrag von König Philipp IV., der ihn schätzen gelernt hatte, nach England, um mit König Karl I. über zur Beendigung des anhängigen Krieges zwischen den beiden Staaten zu verhandeln. Seine Mission „untermalte“ er dabei mit einem Bild, auf dem er mit barocker Opulenz und Farbenpracht die reichen Früchte des Friedens darstellte, während Mars und die düsteren Furien des Krieges von Athene kraftvoll zurückgedrängt werden. Im Mittelpunkt des Bildes ist Pax als spärlich bekleidete üppige Rubensschönheit. Sie drückt aus ihrem prallen Busen einen feinen Milchstrahl, der über eine beachtliche Distanz direkt im offenen Mund des kleinen Plutus landet, dem properen Gott des Wohlstandes. Diesem läuft die nahrhafte Milch vor lauter Überfluss schon aus dem Mund heraus.

 

Wie weit sich König Karl durch das Bild hat beeinflussen lassen, wissen wir nicht. Rubens Verhandlungen waren aber von Erfolg gekrönt und der Krieg wurde beendet. Was für Zeiten!

Ein- und Ausfälle – Westliches und Asiatisches Denken

Es fällt auf, dass sich an den Bemühungen um die Entzifferung der Mayaschrift ausschließlich Europäer beteiligen – Vertreter von Europas ost- und westliche Dependancen wie Amerika und Russland inklusive. Diese Tatsache illustriert besonders schön, dass das wissenschaftliche Denken, welches Europa entwickelte, nach wie vor eine besondere Qualität hat. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass sich Wissenschaft von Europa  inzwischen über die Welt und nicht zuletzt auch nach Asien verbreitet hat. 

Europäer haben immer auch dadurch Erkenntnisse über die Organisation und Funktionsweise von Gesellschaften sowie die Strukturen kultureller Prozesse zu erlangen versucht, dass sie ihre Welt mit anderen Lebenswelten verglichen haben. Da sich die eurasischen   Kulturen, die eine ähnliche Höhe aufweisen und sich daher als Vergleichsobjekte anbieten würden, alle gegenseitig beeinflusst haben, können sie jedoch nur in begrenztem Maße erkenntnisfördernde Gegenbilder abgegeben. Besonders fruchtbare Erkenntnisse kann man aber von der Erforschung von Kulturen erhoffen, die sich weitgehend unabhängig von den eurasischen Kulturen zu einer ähnlichen Höhe entwickelt haben. Dies  ist bei den mesoamerikanischen Kulturen der Fall.  Die Bemühungen um die Entzifferung der Mayaschrift sind allein schon für das Verständnis des Entstehens und der Funktionsweise der Schrift  als eines fundamentalen kulturellen Prozesses (und im Übrigen für das inhaltliche Verständnis dieser Hochkultur) von entscheidender Bedeutung. Gerade Chinesen oder Japaner müssten, da ihre Schrift in vielen Punkten Parallelen zur Mayaschrift aufweist,  an der Entzifferung dieser Schrift interessiert sein. Dennoch beteiligen sich daran, wie gesagt, keine Asiaten.  

Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass in Europa im Hintergrund des Forschen in besonderem Maße das „Warum“, in Asien aber  eher das „Wozu“ steht. Mit der Entzifferung einer toten Schrift und dem Verständnis einer erloschenen Kultur, die dahinter zum Vorschein kommt, kann man aber nur sehr grundsätzliche Fragen, eben die nach dem „Warum“ beantworten. Solche Erkenntnisse sind zunächst einmal zu wenig zu gebrauchen. 

Die weitgehende Beschränkung des Nachdenkens auf das „Wozu“ ist  insbesondere in Ostasien tief verwurzelt. Im alten China gab es zwar eine sehr hoch entwickelte Technologie aber wenig Forschung, die den Dingen auf den Grund ging. Damit fehlte es an einem Denken, welches Grundlagen für gänzlich neue Sichtweisen der Welt legen kann. Diese Kulturen haben daher auch nur wenige echte wissenschaftliche Erkenntnisse und insbesondere  wenig Überraschendes betreffend das Verständnis der allgemeinen Zusammenhänge der menschlichen Kultur hervorgebracht, ein Grund dafür, dass überkommene gesellschaftliche Strukturen hier über lange Zeit weitgehend stabil blieben. Es dürfte aber auch ein wesentlicher Grund dafür sein, dass diese Gesellschaften mangels Übung im Umgang mit der Frage nach dem „Warum“ völlig destabilisiert wurden, als sie sich, wie etwa in der chinesischen Kulturrevolution oder in dem kambodschanischen Sozialexperiment der 70-er Jahre,  die fundamentale europäische Denkweise zu Eigen zu machen und alles Überkommene in Frage zu stellen versuchten.