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Sergej Rachmaninow (1873 – 1943) Symphonische Tänze Op. 45

Rachmaninow schuf vier symphonische Werke, drei Symphonien und eine Komposition, welche er „Symphonische Tänze“ nannte, die aber im Grunde eine vierte Symphonie ist. Die Tänze entstanden auf der Basis alter Vorarbeiten im Jahre 1940, drei Jahre vor dem Tod ihres Schöpfers, binnen fünf Wochen – in täglicher Arbeit von 9 bis 23 Uhr, wie Rachmaninow berichtete. Das Werk ist seine letzte Komposition und scheint auch als solche geplant gewesen zu sein, denn es enthält so etwas wie eine künstlerische Lebensbilanz des Komponisten. Rachmaninow blickt darin mit Zitaten und Stimmungsanalogien nicht nur auf einige seiner Werke und die von Komponisten zurück, die ihn beeinflusst haben. Er zieht darin auch seine ganzen kompositionstechnischen Erfahrungen und Möglichkeiten zusammen. Der Orchesterapparat wird zu diesem Zweck zu monumentaler Größe gesteigert. Inbesondere der Bläserchor und das Schlagwerk sind stark erweitert.

Das Alterswerk ist gekennzeichnet durch skeptische Ironie bis hin zur Darstellung des Grotesken sowie durch hochkomplexe Rhythmik und Harmonik mit einem schier unerschöpflichen Reichtum an Varianten (was von den Aufführenden höchste Konzentration verlangt). Das Alterswerk ist gekennzeichnet durch skeptische Ironie bis hin zur Darstellung des Grotesken sowie durch hochkomplexe Rhythmik und Harmonik. Rachmaninow konterkariert damit eindrucksvoll das Bild vom sentimentalen russischen Melancholiker oder Salonmusiker, das man von ihm unter Berufung auf sein gefühliges zweites Klavierkonzert und das berühmt-berüchtigte Prélude in cis-moll immer wieder zu zeichnen versucht hat. Die Symphonischen Tänze, aber nicht nur diese, zeigen, dass man dem Komponisten mit der Etikettierung süßlicher Lyriker oder mit der Bezeichnung Mister cis-moll, die ihm insbesondere in seiner Wahlheimat Amerika anhing, keinesfalls gerecht wird. Er erweist sich vielmehr als ein Artist, der auf souveräne und kraftvolle Weise über ein außerordentlich weites Ausdrucksspektrum mit vielfältigen, auch gebrochenen Farben verfügt.

Ausgangspunkt für die Komposition der Symphonischen Tänze waren Skizzen, welche Rachmaninow im Jahre 1915 für ein Ballett mit dem Titel „Die Skythen“ erarbeitet hatte, dessen Handlung im heidnischen Russland spielen sollte. Rachmaninow griff damit ein Sujet auf, was seinerzeit „en vogue“ war. Insbesondere Strawinski hatte mit seinen frühen Balletten, die er für den großen russischen Impressario Diagelew komponierte, die Maßstäbe für derart nationalrussische Themen gesetzt. Den Höhepunkt bildete dabei das „Sacre du printemps“, das zwei Jahre vor Rachmaninow nationalrussischem Projekt großes Aufsehen erregt hatte. Möglicherweise ließ sich Rachmaninow, der sich immer in besonderem Maße als russischer Künstler verstand, davon inspirieren, ein ähnliches Sujet aufzugreifen. Er ließ seine Arbeit jedoch liegen, als er erfuhr, dass sich der junge Prokofieff ebenfalls mit dem Thema Skythen befasste. Das Schicksal wollte, dass Rachmaninow auch noch in der Jury saß, die darüber zu befinden hatte, ob Prokofieffs „Skythische Suite“ den Statuten des Verlages entsprach, bei dem er sein Werk eingereicht hatte (was Rachmaninow verneinte). Als sich Rachmaninow im Jahre 1940 seine alten Entwürfe wieder hervorholte, schien sich das Schicksal dann fast zu wiederholen. Er erfuhr, dass der junge Schostakowitsch an einem symphonischen Werk mit dem Titel „Fantastische Tänze“ arbeitete. Rachmaninow entschied sich daraufhin, sein Werk „Symphonische Tänze“ zu nennen.

Die Symphonischen Tänze bestehen aus drei Bildern, in denen sich tänzerische, lyrische und marschartige Elemente abwechseln. Der Anfangsteil des ersten Satzes wird von einem Motiv beherrscht, das mit seiner archaischen Wucht und seinem stampfenden Rhythmus an das Sacre du printemps erinnert. Im lyrischen Mittelteil kommt ein Saxophon zum Einsatz, das eine jener weit gespannten verträumten Melodien vorträgt, die ein Markenzeichen Rachmaninows sind. Nach der Wiederkehr des Anfangsmotivs, das in insistierenden Repetitionen immer wilder wird, blickt Rachmaninow auf sein Schmerzenswerk zurück, seine erste Symphonie, deren Misserfolg ihn vor über drei Jahrzehnten in eine schwere Schaffenskrise gestürzt hatte. Der zweite Satz präsentiert umgeben von irisierenden Harmonien einen valse triste von wunderbarer Poesie, der auf groteske Weise von allerhand Einwürfen und zerhakten Akkorden begleitet wird. Die Stimmung erinnert an Tschaikowski, Rachmaninows Vorbild und dem wichtigstem Förderer seiner Anfangsjahre. Der hochkomplexe Finalsatz beginnt mit einer Art diabolischem Geisterreigen, der sich im Stil einer Gigue entwickelt. Im hektischen Getümmel deutet sich das Motiv des Dies Irae an. Nach dem schwelgerisch-nachdenklichem Mittelteil kehrt der Geistertanz zurück, in dem sich das Dies Irae immer mehr in den Vordergrund drängt. Anspielungen an Liszts Dantesymphonie verdeutlichen den höllischen Charakter des Geschehens. Die Musik strebt schließlich einem Triumphgesang zu, wie man ihn in der russisch-orthodoxen Kirchenmusik findet, um schließlich in einem gewaltigen Tumult zu enden. Lange hallt dieser in den dröhnenden Klangwellen des Tam Tam nach.

Über die tiefere Botschaft der Symphonischen Tänze hat es allerhand Spekulationen gegeben. Man hat etwa gemeint, dass ein grüblerischer, wenn nicht gar depressiver Künstler darin die großen Lebensfragen und deren tragische Auswegslosigkeit verhandele. Insbesondere die Verwendung des Dies Irae Motivs hat die Interpreten zu Vermutungen darüber angeregt, dass sich Rachmaninow hier mit dem näher rückenden Ende seines Lebens auseinandergesetzt habe. Rachmaninow sah sein Verhältnis zu seiner Musik, die natürlich auch einen persönlichen Aspekt hat, wesentlich sachlicher. Über das Preludium in cis-moll, über dessen „Gehalt“ ebenfalls vielfältige Spekulationen kursierten, hat Rachmaninow einmal gesagt: „Die Absolute Musik kann in einem Zuhörer gewisse psychologische Stimmungsbilder freisetzen. Aber ihre vorrangige Funktion ist es, ein geistvolles Vergnügen im spielerischen Umgang mit der Form zu bieten.“ Dies dürfte bei aller existenziellen Tiefe auch für die Symphonischen Tänze gelten.

Ein solches Vergnügen bietet diese Komposition allemal. Merkwürdig ist jedoch, wie die Musikpublizistik mit diesem Vermächtniswerk Rachmaninows umgeht. In den gängigen Musikführern wird es ohne nähere Auseinandersetzung meist nur unter „ferner liefen“ oder gar nicht erwähnt. Die kritischen Äußerungen darüber sind nicht selten pauschal abwertend. Sauertöpfig behauptete man, es sei langweilig, bemängelte eklektizistische Anleihen bei anderen Komponisten der Zeit und dass es um dreißig Jahre verspätet sei. All das ist angesichts der Suggestivität und dem mitreißenden Charakter dieses Werkes schwer nachzuvollziehen und wohl nur auf dem Hintergrund eines generellen Vorurteils gegenüber einem vermeintlich verspäteten Musiker zu verstehen, bei dem mit wachsendem zeitlichen Abstand der Gesichtspunkt der Epochengerechtigkeit doch an Bedeutung verlieren muß. Vielleicht war es ein Fehler, dass Rachmaninow das Werk als „Tänze“ bezeichnete. Hätte er es „Symphonie“ genannt, hätte diese großartige Komposition vermutlich die Aufmerksamkeit bekommen, die ihr gebührt. Diese hat sie inzwischen immerhin in Rachmaninows Heimatland erhalten. Nachdem seine Werke in der Frühzeit der Sowjetunion noch verboten waren, stellte eine russische Kommentatorin in erstaunlichem Gegensatz zu den genannten Abwertungen westlicher Kritiker noch zu kommunistischen Zeiten etwa über dritten Satz des Werkes fest, er sei in seiner Kraft und Eindringlichkeit eine der erschütternsten Schöpfungen der russischen Musikliteratur.

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1907 Sergej Rachmaninow (1873- 1943) – Symphonie Nr. 2 e-moll

Rachmaninow ist, wiewohl aus St. Petersburg stammend, ein Gewächs der Moskauer Pflanzschule der russischen Kunstmusik, die sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte. Zwar hatte man ihn im Alter von zwölf Jahren zunächst auf das St. Petersburger Konservatorium geschickt, wo sich unter der Führung von Nicolai Rimski-Korsakow seinerzeit eine stark national ausgerichtete Schule der russischen Musik zu etablieren begann. Der erste Versuch, dem späteren König der Pianisten das Klavierspiel beizubringen, ging jedoch schief. Der Junge ging lieber Schlittschuhlaufen als in den Unterricht und fälschte seine Zeugnisse, um die ausbleibenden Erfolge zu vertuschen. Im Alter von sechszehn Jahren startete man einen zweiten Versuch in Moskau. Man gab Rachmaninow in die Hände des bekannten Musikpädagogen Nicolai Swerjew, der eine Art Musikinternat nach dem Muster einer Kadettenanstalt führte. Die handverlesenen Schüler wohnten und arbeiteten kostenlos in Swerjews Haus, mussten dafür aber bedingungslos gehorchen und durften während der drei-jährigen Ausbildungszeit, die zur Konservatoriumsreife führte, so gut wie keinen Kontakt zum Elternhaus unterhalten. Das Ausbildungsprogramm des homoerotisch angehauchten Hauses sah unter anderem mehrstündiges tägliches Klavierüben unter der strengen Aufsicht des Meisters, regelmäßige Opern- und Konzertbesuche und Vorspiele in Moskauer Adels- und Großbürgerkreisen vor. Davon abgesehen bekamen die Jungen auch den gesellschaftlichen Schliff, der im zaristischen Russland erwartet wurde. Zur Erziehung gehörten unter anderem Bordellbesuche und rituelles Wodkatrinken. Swerjews musikpädagogische Erfolge waren erstaunlich. Von den vier Schülern, die er seinerzeit unterrichte, erlangten zwei Weltgeltung: Mitschüler Rachmaninows war niemand geringeres als Alexander Skriabin, der allerdings einen ganz anderen Weg als dieser ging.  

Zu den Musikern, die im Hause Swerjew regelmäßig verkehrten, gehörte auch Peter Tschaikowski. Er galt, wiewohl ebenfalls aus der Neva-Metropole stammend, als das Haupt der eher westlich orientierten Moskauer Schule, die mit der St. Petersburger Schule um die künstlerische Oberherrschaft im nationalen russischen Musikleben rang. Tschaikowski erkannte früh Rachmaninows kompositorische Begabung und förderte sie, wo immer er konnte. Der Altmeister wurde für Rachmaninow denn auch das Maß aller kompositorischen Dinge. Nach dessen plötzlichen Tod im Jahre 1893, nur wenige Tage nach dem Ableben Swerjews, sah sich der 23-jährige in der Rolle des Erben Tschaikowskis. Nach dessen Vorbild versuchte er sich daher auch als Symphoniker zu profilieren. 

In den Jahren 1895-1897 entstand so eine erste Symphonie, die 1896 in St. Petersburg uraufgeführt wurde, was ein großer Fehler war. Der Dirigent der Uraufführung, Alexander Glasunow, gehörte nicht nur zum Kernbestand der moskaukritischen lokalen Schule. Er soll auch kein sonderlich begnadeter Dirigent gewesen sein und die Aufführung dazu schlecht vorbereitet haben. Cesar Cui, Urgestein des „Mächtigen Häufleins“, aus dem die St. Petersburger Schule hervorging, schrieb eine vernichtende Kritik, die Rachmaninow ins Mark traf (Cui hatte einunddreißig Jahre zuvor auch schon Tschaikowskis ersten symphonischen Versuch verrissen). Der Misserfolg in der Paradegattung Symphonie löste bei Rachmaninow eine drei Jahre dauernde Schaffenskrise aus, aus der er sich nur mit ärztlicher Hilfe befreien konnte. Einen zweiten Versuch in der Gattung wagte er sogar erst nach Ablauf von zehn Jahren. 

Rachmaninows 2. Symphonie entstand im wesentlichen in Dresden, wohin sich der Komponist in den Jahren 1906/07 wegen der politischen Unruhen in der Folge der russischen Revolution von 1905 zurückgezogen hatte. Die Uraufführung fand erstaunlicherweise wieder in St. Petersburg statt (8. Febr. 1908). Offenbar hielt Rachmaninow die psychische Hürde, die der Misserfolg der 1. Symphonie aufgerichtet hatte, erst mit einen Sieg an der Stätte für überwunden, an der er die Niederlage erlitten hatte. Diesmal behielt sich Rachmaninow, der sich inzwischen auch einen Namen als Dirigent gemacht hatte, die Leitung der Aufführung jedoch selbst vor. Die Aufnahme des Werkes war freundlicher als bei der ersten Symphonie. Schon damals hielt man Rachmaninow allerdings Weitschweifigkeit vor und sprach von „Mütterchen Russlands gesammeltem Weltschmerz in e-moll“.  

In der Tat ist das Werk, obwohl formal auf geradezu klassische Weise stringent, durch melodische Gedanken geprägt, die auf träumerisch-melancholische oder nachdrücklich drängende Weise scheinbar endlos fortgesponnen werden. Für den, der die kompakte Kompositionsweise der Wiener Klassik und die geradezu reißbrettartige Logik der „entwickelnden Variation“ eines Brahms und seiner Nachfolger im Ohr hat, klingt dies ungewohnt (Rachmaninows Zeitgenosse Richard Strauss etwa, der in der westeuropäischen Tradition stand, hatte überhaupt kein Verständnis für die Musik seines östlichen Kollegen und bezeichnete sie als „gefühlvolle Jauche“). Eine solcherart westliche Sichtweise übersieht aber, daß der Musik Rachmaninows nicht die Erfahrung des kleinteiligen Westeuropa, sondern das Erlebnis der Weiten Russland zugrunde liegt (paradoxerweise herrschte eine solche Sichtweise, vielleicht weil man seinerzeit allzu angestrengt den Anschluss an die westeuropäische Kunstmusik suchte, selbst in Russland, ja sogar im nationalrussisch gesinnten St. Petersburg vor). Rachmaninow, der seine Musik immer als Ausdruck seiner Seele empfunden hat und sich daher wenig um musikalische Theorien und schon gar nicht um modernistische kümmerte, hat denn auch immer wieder darauf hingewiesen, daß seine Musik seine persönlichen Erfahrungen wiederspiegele und diese seien nun einmal russische Erfahrungen. Wahrscheinlich wird man Rachmaninows 2. Symphonie denn auch am ehesten gerecht, wenn man in ihr so etwas wie die akustische Exemplifikation des Spengler`schen Diktums von der grenzenlosen Ebene als dem Leitmotiv des russischen Weltgefühls sieht.

 

1901 Sergej Rachmaninow (1873- 1943) – Klavierkonzert Nr.2

„Vom Publikum geliebt – von der Fachwelt geschmäht“ – mit diesem Satz beginnt eine neuere Biographie über Sergej Rachmaninow, die den Untertitel „Zwischen Moskau und New York“ trägt. Beide Formulierungen spiegeln das Schicksal eines Künstlers, der zeitlebens zwischen allen möglichen Stühlen saß. Sein künstlerisches Leben etwa spielte sich im wesentlichen im 20. Jahrhundert. ab. Rachmaninow aber verweigerte sich den Forderungen der neuen Zeit und blieb dem musikalischen Idiom seiner Jugend treu, die im 19. Jahrhundert lag. Dadurch zog er sich die Verachtung einer Kritik zu, die sich weitgehend dem Gedanken des künstlerischen Fortschrittes verschrieben hatte. Immer wieder schwankte Rachmaninow zwischen der Berufung zum Komponisten und dem Beruf des Pianisten. Phasen reichen Schaffens folgten lange Perioden, in denen er keine Note niederschrieb. Menschlich und künstlerisch war Rachmaninow tief im alten Rußland verwurzelt. Nach der Oktoberrevolution aber verließ er seine Heimat, um nach Amerika und damit in eine Welt überzusiedeln, in der er nie richtig heimisch werden sollte.  

Geradezu exemplarisch für diese Zerrissenheit ist das Schicksal von Rachmaninows zweitem Klavierkonzert. Das Werk, das in den ersten beiden Jahren unseres Jahrhunderts entstand, war der Versuch des Komponisten, sich aus der Schaffenskrise zu befreien, die durch den Mißerfolg seiner ersten Symphonie im Jahre 1897 ausgelöst worden war. Enttäuscht von sich und der Kritik, die ihm Dekadenz vorwarf, hatte Rachmaninow seinerzeit das Komponieren vollständig eingestellt. Seine schöpferischen Kräfte begannen sich erst wieder im Jahre 1899 zu regen. Damals faßte er den Entschluß, ein zweites Klavierkonzert zu schreiben. Die Aufbruchstimmung wurde jedoch schon bald wieder erstickt und hieran war niemand geringeres schuld als der Dichter Leo Tolstoi. Der radikale Alte, der puristischen Vorstellungen von einer christlichen Volkskultur anhing, hatte den jungen Komponisten nach dem Vorspiel eines hochartifiziellen neuen Werkes nicht eben diplomatisch mit der Frage konfrontiert, wem diese Art von Musik nütze. Die harsche Reaktion des „Barons im Bauernkittel“ stürzte Rachmaninow in neue Depressionen, aus denen er sich nur mit Hilfe des bekannten Hypnose-Arztes Nikolaj Dahl befreien konnte. Dieser machte die Förderung des zweiten Klavierkonzertes zu einem wesentlichen Element der Behandlung seines sensiblen Patienten. 

Nikolaj Dahls Musiktherapie erwies sich als außerordentlich erfolgreich. Rachmaninow gelang es, vorübergehend alle Selbstzweifel beiseite zu schieben und ein Werk zu schreiben, das man als einen großen Wurf bezeichnen muß. Bereits nach kurzer Zeit wurde es zu einem festen Bestandteil des Musikrepertoires und machte den jungen Russen in der ganzen Welt bekannt. Wie groß Rachmaninows Probleme mit sich und seinem Werk trotz allem waren, zeigt die Tatsache, daß er sich nach der Fertigstellung des Konzertes seiner Leistung keineswegs sicher war. Noch fünf Tage vor der Uraufführung, die am 27.10.1901 in Moskau stattfand, schrieb er über den berühmten ersten Satz des Konzertes an seinen Freund Morosow: „Du hast recht, Nikita Semjonowitsch! Ich habe mir eben den erstem Satz meines Konzertes durchgespielt, und erst jetzt ist mir klar geworden, daß der Übergang vom ersten zum zweiten Thema nicht gut ist und daß in dieser Form das erste Thema nicht mehr als eine Introduktion ist  –  und daß, wenn ich das zweite Thema beginne, keine Narr glauben würde, daß es das zweite Thema ist. Jeder würde denken, daß dies der Beginn des Konzertes ist. Ich betrachte den ganzen Satz als mißlungen und von dieser Minute an ist er unverändert gräßlich für mich geworden. Ich bin einfach verzweifelt.“ Erst nachdem das Werk allgemeine Zustimmung erfahren hatte, war sein Schöpfer in der Lage, dessen Qualitäten uneingeschränkt anzuerkennen.

 Der Erfolg des zweiten Klavierkonzertes sollte für Rachmaninow allerdings auf andere Weise zum Problem werden. Das gefühlvolle Stück zog nicht nur so viel Aufmerksamkeit auf sich, daß sein übriges Werk lange Zeit kaum zur Kenntnis genommen wurde. Der Komponist erhielt dafür auch Beifall von der „falschen“ Seite. Das Werk, das ganz von russischen Sentiment durchzogen ist, wurde von der amerikanischen Unterhaltungsindustrie in Beschlag genommen. Im Jahre 1932 diente es als Hintergrundmusik für den Film „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo. 1946 wurde aus den Hauptthema des ersten Satzes der Schlager „Full Moon and Empty Arms“. Frank Sinatra („This is my Kind of Love“) bediente sich daraus ebenso wie das Musical „Anja“, das im übrigen ganz aus Rachmaninows Musik gezimmert ist. Auch später taucht das Klavierkonzert immer wieder in Filmen auf, so in Billy Wilders „Das verflixte 7. Jahr“ mit Marilyn Monroe. Das Konzert trug so auf unglückliche Weise dazu bei, das Bild vom weichlichen Kompromißkomponisten Rachmaninow zu zeichnen, welches in der europäischen Musikkritik lange Zeit vorherrschte und in dem überheblichen Diktum von Richard Strauß gipfelte, daß die Musik des russischen Amerikaners „gefühlvolle Jauche“ sei.