Monatsarchiv: März 2014

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Konzert für Oboe, Streicher und Basso Continuo d-Moll BWV 1059

 Johann Sebastian Bach ist uns in seiner Leipziger Zeit vor allen als der tiefsinnig-spirituelle Thomaskantor und damit als Kirchenmusiker bekannt. Neben dieser Tätigkeit, die ihn, wie man angesichts des entsprechenden Oeuvres annehmen könnte, eigentlich voll in Anspruch genommen haben müsste, war er von 1729 bis 1739 aber auch Leiter der Konzertgemeinschaft Collegium Musicum, bei dem es ganz diesseitig zuging. Dieses Ensemble hatte Georg Philipp Telemann im Jahre 1702, als er noch Student der Rechtswissenschaft in Leipzig war, gegründet. Das Collegium konzertierte im „Zimmermannschen Caffe-Haus“, das einen Saal für 150 Zuhörer hatte. Der Wirt Zimmermann finanzierte die Veranstaltungen durch den Absatz seines Kaffees, zu dessen Steigerung Bach nicht zuletzt durch seine „Kaffee-Kantate“ beitrug.

Die etwa zweistündigen Konzerte des Collegiums fanden zu Bachs Zeiten ein Mal pro Woche, in Messezeiten zwei Mal statt.  Bach musste neben seinen ebenfalls wöchentlichen Kirchenmusiken daher auch hierfür regelmäßig ein Programm auf die Beine stellen. Welche Werke dabei gespielt wurden, ist leider kaum bekannt, da es für die Veranstaltungen keine gedruckten Programme gab. Es müssen in der Hauptsache Stücke anderer Komponisten gewesen sein. Aber auch Bach selbst steuerte dazu eine Reihe von Werken bei. Für neue Kompositionen hat es dabei freilich nicht immer gereicht. Daher fertigte er für die Konzerte im Zimmermann’schen Kaffeehaus eine Reihe von Bearbeitungen oder Umgestaltungen früherer Werke. Dazu gehören die meisten der dreizehn vollendeten Konzerte für ein bis vier Cembali, die wir von Bach besitzen. Die originalen Konzerte sind weitgehend verloren gegangen. Nach ihnen fahndet inzwischen ein weltweit agierender Schwarm von Musikdetektiven.

Ein besonders interessantes Fahndungsobjekt war ein Konzert für Cembalo, das im Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) unter Nr. 1059 geführt wird. Dieses Werk hat Bach angefangen, aber aus Gründen, die wir nicht kennen, bereits nach neun Takten abgebrochen. Diese neun Takte waren nun der Ausgangspunkt für eine regelrechte musikalische Detektivstory. Die Bachermittler fanden, was noch leicht war,  zunächst einmal heraus, dass diese neun Takte auf musikalisches Material verweisen, welche man aus der Kantate Nr. 35 „Geist und Seele wird verwirret“ aus dem Jahre 1726 kennt. Dann kam der Verdacht auf, dass Bach auch in dieser Kantate schon anderweitig verwendetes musikalisches Material einsetzte. Er entstand auf Grund des Umstandes, dass das Manuskript der beiden Instrumentalsätze dieser Kantate von Bach in Reinschrift ausgeführt wurde, was nach seinen Gepflogenheiten dann der Fall war, wenn er eine Vorlage, das heißt schon fertiges Musikmaterial benutzte. Weiter fiel auf, dass die obligate Orgelstimme dieser Instrumentalsätze Besonderheiten aufweist, die auf ein vorgängiges Konzert eines Melodieinstrumentes deuten. Die Orgelstimme hat nicht die typischen Elemente eines Harmonie- sondern die lineare Faktur eines Melodieinstrumentes. Die Frage war nun, um welches Melodieinstrument es sich dabei handelte. Gegen eine Violinstimme sprach der Tonumfang des Diskants der Orgelstimme, der die Geigenstimme fast ganz auf die beiden mittleren Saiten beschränken würde. Davon abgesehen fehlen violintypische Gestaltungselemente wie Tonrepetitionen oder über mehrere Saiten verlaufende Figurationen, wie sie Bach in seinem Violinwerken verwendet. Von den Blasinstrumenten fielen auf Grund des Tonumfangs des Orgeldiskants mit einer Ausnahme praktisch alle aus. Die Indizien deuteten auf die Oboe, die zu Bachs Zeiten über den Tonumfang verfügte, welcher dem der Orgelstimme in der Kantate entspricht. Auf dieses Instrument hat sich denn auch Verdacht der Musikfahnder konzentriert. Man kam zu dem Schluss, dass die beiden Instrumentalsätze der Kantate aus den Ecksätzen eines verschollenen Oboenkonzertes hervorgegangen sein müssen.

Es fehlte nun aber noch der Mittelsatz. Die weiteren Ermittlungen scheinen nicht nur diesen aufgedeckt zu haben, sondern ergänzten auch den Strauß der Indizien, die für ein Oboenkonzert sprechen. Man stellte fest, dass das Cembalokonzert BWV 1056 einen Mittelsatz hat, der auf Material aus der Kantate BWV 156 aus dem Jahre 1729 zurückgeht. Im Autograph des Cembalokonzertes sind nun Korrekturen enthalten, die darauf hindeuten, dass diesem Satz ein Oboenkonzert zu Grunde lag. Da man von keinem weiteren Oboenkonzert Bachs weiß, spricht vieles dafür, dass der Mittelsatz des verlorenen Oboenkonzertes das Muster für den Kantatensatz abgegeben hat, im Umkehrschluss also, dass der Mittelsatz des gesuchten Konzertes aus dem Kantatensatz entnommen werden kann.

Angesichts dieser Erkenntnisse der Musikfahnder haben sich die Musikrekonstrukteure ans Werk gemacht und, wie in verschiedenen anderen Fällen auch, versucht, das verschollene originale Werk unter Verwendung der anderweitig eingebauten Spolien wiederherzustellen. Dies konnte zwar nicht immer frei von eigenen Zutaten des Rekonstrukteurs sein, war aber dennoch nicht völlig unlegitim, weil Bach bei seinen Bearbeitungen an der Substanz der Werke oft nicht viel geändert hat. Einen dieser Versuche hat in Jahre 2010 der Venezuelaner Jesús D. Lau unternommen. Seine Fassung des Oboenkonzertes entstand für das „Orchestra Sinfónica Infantil y Juvenal“ der Stadt Nirgua im tropischen Nordosten Venezuelas. Es handelt sich dabei um  eines der über hundert Ensembles, mit denen der venezuelanische Staat im Rahmen des Jugendmusikprojektes „Il Sistema“ in einer Weise, von der man sich im Heimatland Bachs eine Scheibe abschneiden könnte,  Kinder und Jugendliche aus meist einfachsten Verhältnissen für europäische Klassik begeistert und damit von der Straße holt. Zu ihrer Begeisterung dürfte nicht zuletzt beigetragen haben, dass sie an einer weltweiten Detektivgeschichte teilnehmen konnten, die einst im Café Zimmermann im fernen Leipzig begann.

Richard Wagner und der Tannhäuser in Paris

Die frühe Aufführungsgeschichte der Musikdramen Richard Wagners war weitgehend selbst ein einziges Drama. Viele der Opern, die später große Erfolge feierten, waren, wie Wagner als Person, zunächst höchst umstritten und setzten sich – mit entsprechenden negativen finanziellen Folgen – nur schleppend durch. Einen Höhepunkt erreichten die Turbulenzen um Wagner und seine Werke bei der Aufführung des „Tannhäusers“ in Paris, die im Jahre 1861 stattfand. Die Pariser Ereignisse zeigen exemplarisch, welche Schwierigkeiten Wagner seinerzeit zu überwinden hatte und welch’ merkwürdige Aspekte über den Erfolg oder Misserfolg der Oper eines Jahrhundertgenies entschieden.

Das Aufführungsdrama begann bereits mit Wagners erster Oper „Die Feen“. Das Werk  wurde nach dem Scheitern eines Aufführungsversuchs in Leipzig erst sechs Jahre nach dem Tod seines Schöpfers erstmals gespielt. Seine zweite Oper, „Das Liebesverbot“, erlebte nur eine Aufführung, 1836 in Magdeburg. Mangels ausreichender Vorbereitung war die Uraufführung eine Katastrophe. Vor der geplanten zweiten Aufführung gab es hinter dem Vorhang eine blutige Eifersuchtsschlägerei unter den Hauptprotagonisten. Im Übrigen erschienen nur drei Besucher, weswegen die Oper abgesetzt und zu Wagners Lebzeiten nie wieder gespielt wurde. Der Versuch, mit „Rienzi“, seiner dritten Oper, Paris, das Mekka der damaligen Opernwelt, zu erobern, scheiterte schon im Vorfeld. Mit der Uraufführung in Dresden im Jahre 1842 erzielte Wagner allerdings seinen ersten großen Erfolg. Dennoch wurde die nächste Oper, der „Fliegende Holländer“, in dem sich sein Personalstil erstmals abzeichnete, in München und Berlin abgelehnt. In Dresden hob man den „Holländer“ drei Monate nach dem „Rienzi“ zwar in der Hoffnung aus der Taufe, mit ihm einen ähnlichen Erfolg wie mit dem „Rienzi“ zu erzielen. Das Werk wurde aber nach nur vier Vorstellungen abgesetzt. Auf die Aufführung des „Lohengrin“ musste Wagner über zwei Jahre warten. Der deutsche Hauptort Berlin, auf den er setzte, zeigte kein Interesse. Eine in Dresden geplante Produktion wurde zurückgezogen, nachdem sich der Komponist in den politischen Gährungen Ende der 1840-er Jahre zu sehr exponiert und sich dadurch die Feindschaft der sächsischen Hofbeamten zugezogen hatte. Schließlich brachte Franz Liszt, der Wagner freundschaftlich zugewandt war, das Werk im Jahre 1850 in Weimar. Nicht anders als der „Holländer“ kam aber auch diese Oper auf den europäischen Bühnen nur langsam in Gang.

Auf die Aufführung von „Tristan und Isolde“, seiner  engagiertesten Oper, die er mit dem Vorsatz begonnen hatte, endlich einmal richtig Geld zu verdienen, musste Wagner, nicht zuletzt weil er sie nicht seinem Vorsatz gemäß ausführte, sechs Jahre warten. Geplante Uraufführungen in Karlsruhe und Paris scheiterten am Geld bzw. an Sängern, welche die außerordentlich anspruchsvollen Partien bewältigen konnten. In Wien war man bereit, eine Aufführung zu versuchen. Das Projekt wurde auch ernsthaft angegangen, jedoch nach 77 Proben u.a. wegen Stimmproblemen der Sänger abgebrochen. Der erhoffte finanzielle Erfolg, auf den Wagner bis dato eigentlich immer, diesmal aber besonders dringend angewiesen war, blieb daher wieder einmal aus. Der Komponist musste, um seinen hartnäckigen Gläubigern zu entgehen, Wien fluchtartig verlassen und irrte bar jeder Hoffnung durch die Schweiz und Süddeutschland.

Wagner hielt sich gerade Stuttgart auf, als sich völlig unerwartet die mirakulöse Wende in seinen musikalischen und finanziellen Verhältnissen vollzog. Ludwig II., im Jahre 1864 mit achtzehn Jahren soeben auf den bayrischen Thron gestiegen und ganz im Banne des wagner’schen künstlerischen Kosmos, holte den Komponisten mit einer seiner ersten Amtshandlungen nach München. Er beglich dessen Schulden und sorgte dafür, dass 1865 endlich der „Tristan“ gespielt wurde. 1868 wurden dann in München, diesmal  zeitnah, die „Meistersinger“ uraufgeführt, die nach dem „Rienzi“ Wagners zweiter unstreitiger Erfolg werden sollte. Ein Jahr später wünschte Ludwig II. auch die erste Aufführung des „Rheingoldes“, dessen Komposition schon fünfzehn Jahre zurücklag. Wagner war davon nicht sonderlich begeistert, weil er die seinerzeit noch unvollständige Ringtrilogie nur als Ganzes und im Übrigen nur in einem besonderen Rahmen aufgeführt haben wollte. Da er die Partitur des „Rheingoldes“ aber dem König geschenkt hatte, gab er, wenn auch ungern, seine Einwilligung. Auch diese Aufführung ging wieder nur mit erheblichen Turbulenzen vonstatten. Unter anderem verlangte der designierte Dirigent, Hans Richter, ein Vertrauter Wagners, angesichts eines allgemeinen aufführungstechnischen Tohuwabous eine Verschiebung der Aufführung. Daraufhin bot der Intendant des Hoftheaters, Karl v. Perfall, der seine Stelle gerade erst übernommen hatte, seinen Abschied an, worauf Richter auf Befehl des erbosten Königs, der hinter all dem eine Intrige von „Wagner und Konsorten“ vermutete, wegen „Insubordination“ entlassen wurde. Außerdem drohte Ludwig damit, dass Wagner, wenn er sich weiterhin widersetze, das Gehalt, das er ihm großzügig zahlte, für immer entzogen werde  und „nie mehr ein Werk von ihm auf der Münchener Bühne aufzuführen“ sei. Nach der Entlassung Richters lehnten drei weitere Dirigenten, darunter Hans von Bülow und Camille Saint-Saens, das Dirigat ab, das schließlich Franz Wüllner übernahm, der sich bislang als Dirigent nicht sonderlich hervorgetan hatte. Wagner spuckte denn dagegen auch brieflich Gift und Galle. „Hand weg von meiner Partitur“ schrieb er aus Triebschen am Vierwaldstätter See, wo er damals residierte, „Taktieren Sie in Liedertafeln und Singvereinen.“ Er und Perfall müssten „bei einem Manne, wie ich, erst lange Jahre in die Schule gehen, ehe Ihr lernt, daß Ihr nichts versteht.“ Der Uraufführung, die schließlich doch noch einigermaßen gelang, blieb Wagner demonstrativ fern. Dies tat er auch bei der Uraufführung der „Walküre“ im Jahr 1870, die ebenfalls schon seit vierzehn Jahren in der Schublade lag. Diese hatte Ludwig II. gegen den Willen Wagners angeordnet, der ihm die Partitur auch dieses Werkes, wie im Übrigen die der meisten seiner anderen Opern, geschenkt hatte. Die Aufführung, an der mitzuwirken Wagner kategorisch ablehnte, weil er die Aufführungen des Rings nicht „auf das Niveau der Leistungen eines elenden Opernrepertoires“  herabgesetzt sehen wollte, leitete wieder Wüllner im Zusammenwirken mit Perfall.

Perfall, den Wagner solcherart attackiert hatte, sollte später übrigens noch zum rezeptionsgeschichtlichen Glücksfall für den Komponisten werden. Wiewohl er dem prätentiösen Sachsen in keineswegs nur freundlicher Neutralität gegenüberstand, brachte er dessen Werke, sicherlich nicht zuletzt vor dem Hintergrund des königlichen Enthusiasmus, in seiner Münchener Intendanz, die zwei dutzend Jahre währte,  742 Mal auf die Bühne. Damit konterkarierte er nicht nur die königlichen Drohungen im Zusammenhang mit der Rheingold-Aufführung, sondern trug wesentlich zu Wagners schlussendlichem Durchbruch auf den Bühnen der Welt bei.

Auch die erste Produktion des kompletten „Rings“ in Bayreuth im Jahre 1876, bei dem „Siegfried“ und „Götterdämmerung“  uraufgeführt wurden, war ein Drama. Obwohl Wagner dieses Mal auf niemanden Rücksicht nehmen musste und seine Vorstellungen daher frei verwirklichen konnte, war er alles andere als zufrieden. Vieles klappte nicht wie vorgesehen oder war nicht rechtzeitig fertig geworden. Der Drache Fafner etwa, der im zweiten Akt des „Siegfried“ ein Staunen erregendes bühnenmaschinelles Glanzlicht ein sollte,  war nicht rechtzeitig bzw. unvollständig aus England angekommen, wo man ihn fertigen ließ – drunter ging es nicht – , weswegen man in aller Eile ein hausgemachtes Ungeheuer produzieren musste, das nicht überzeugend ausgefallen war. Ausgerechnet in der Stunde seines größten Triumphes, als er, was noch keinem Komponisten gelungen war, seine Werke in einem Haus aufführen konnte, das eigens und nur für diese errichtet wurde, und die gekrönten Häupter Europas, zu denen er früher kriechen musste, zu ihm pilgerten, ausgerechnet in diesem Moment war er völlig enttäuscht und äußerte, wie seine Frau Cosima in ihrem Tagebuch notierte, dass er sterben wolle. Alles, so nahm sich Wagner für die nächsten Festspiele vor, die im folgenden Jahr stattfinden sollten, alles müsse anders gemacht werden. Aber auch hier setzte sich das Drama fort. Auch das erste Wagnerfestival hatte ein gewaltiges Defizit hinterlassen.  Die nächsten Festspiele konnten daher aus finanziellen Gründen erst sechs Jahre später stattfinden. Hier fand denn noch einmal eine Uraufführung statt, mit der Wagner vollkommen zufrieden war – die des „Parsifal“. Lange konnte er sich dieses Happy-ends seines Lebens- und Aufführungsdramas nicht erfreuen. Wenige Monate später starb Wagner, der sich bei der Schaffung seiner inkomensurablen Werke und ihrer Präsentation verzehrt hatte, in Venedig an einer Herzattacke.

Ein ganz besonderes Aufführungsschicksal hatte nun die Oper „Tannhäuser“. Sie wurde im Jahre 1845 in Dresden erstmals gespielt, hatte aber nicht den Erfolg, den sich Wagner erhoffte. Fünfzehn Jahre später und zwei Jahrzehnte nach seinem gänzlich misslungenen ersten Anlauf, Paris zu erobern, machte Wagner aber mit diesem Werk einen weiteren Versuch, in der Welthauptstadt der Oper Fuß zu fassen. Wagner träumte seinerzeit eigentlich davon, in Paris ein selbständiges deutsches Opernunternehmen als Gegenstück zu der italienischen und französischen Operntradition aufzubauen, die in Paris herrschte. Ähnlich wie später in Bayreuth verwirklicht, sollte das Projekt in erster Linie der Verbreitung seiner reifen musikdramatischen Werke und damit auch seiner revolutionären ästhetischen und kunstpolitischen Ideen dienen, die dem französischen Opernbetrieb, den Wagner verachtete, diametral entgegengesetzt waren. Außerdem wollte er sich damit auch die Gelegenheit verschaffen, Opern wie „Lohengrin“ und „Holländer“ endlich einmal selbst zu hören. Diese Werke wurden zwar in Deutschland hier und dort auf die Bühne gebracht. Wagner konnte diese Aufführungen aber weder besuchen, noch, was ihm besonders wichtig war, auf deren Gestaltung Einfluss nehmen. Er wurde als politischer Aufrührer im Bereich des Deutschen Bundes steckbrieflich gesucht und konnte dieses Gebiet mehr als ein Jahrzehnt lang nicht betreten.

Das Pariser Opernprojekt bedurfte sorgfältiger Vorbereitung, da Wagner auch in der französischen Metropole höchst umstritten war. Um das Publikum auf seinen Stil einzustimmen und Mittel für das Projekt zu erlangen, veranstaltete er zunächst drei Konzerte mit Ausschnitten aus seinen Opern. Zur Vorfinanzierung setze er das großzügige Honorar ein, das ihm der Musikverleger Schott für das fertig gestellte „Rheingold“ und die Rechte an den anderen, teilweise noch zu komponierenden Teilen des „Rings“ gegeben hatte. Die Konzerte waren künstlerisch nicht ohne Erfolg. Nicht zuletzt die Teile aus „Tannhäuser“, die Wagner präsentierte, überraschten das Publikum, das derart lange, zusammen hängende Melodien von  dem verrufenen Deutschen nicht erwartet hatte. Finanziell waren die Konzerte aber wieder einmal ein Desaster. Das Kapital war nicht nur nicht vermehrt, sondern vollständig aufgebraucht worden. Wagner stand ohne Mittel da und musste den großen Opernplan aufgeben.

Für das Pariser Projekt, das nunmehr auf die Aufführung des „Tannhäusers“ reduziert wurde, spekulierte er jetzt auf die Grand Opéra und deren öffentliche Mittel. Darüber aber wachte der einflussreiche Minister Fould, der zu den ausgewiesenen Feinden Wagners zählte. Ihn zu überwinden bedurfte es der hohen Diplomatie. Die Fäden spann die Fürstin Metternich, die Enkelin des antiliberalen österreichischen Kanzlers der Restaurationszeit und Frau des Botschafters in Paris. Sie brachte erst die Kaiserin Eugenie, mit der sie eng befreundet war, auf ihre Seite. Dann nötigte sie bei einer Abendgesellschaft in einer Art Überraschungscoup dem Kaiser Napoleon III. die Anweisung ab, den „Tannhäuser“ in der Grand Opéra spielen zu lassen und Wagner alle nur erdenklichen Mittel und Freiheiten zu gewähren. Wütend wurde Fould sofort beim Kaiser vorstellig. Dieser bedeutete ihm aber, dass er seine Entscheidung aus diplomatischen Rücksichten nicht revidieren könne. Die Folge waren Spannungen am französischen Hofe, dessen antiösterreichische Partei nicht bereit war, diese Niederlage ohne weiteres hinzunehmen.

Ein weiteres Problem ergab sich daraus, dass der Direktor des Opernhauses von Wagner verlangte, in den zweiten Akt seines Werkes, den Pariser Gepflogenheiten entsprechend, ein großes Ballett einzufügen. Damit sollten nicht zuletzt die Gewohnheiten gewisser Aristokratenkreise bedient werden, die regelmäßig erst nach dem Diner zum zweiten Akt und meist nur zu diesem in die Oper kamen, um dort ihre (Ballett)Favoritinnen zu sehen. Dieses Ansinnen lehnte Wagner aus künstlerischen Gründen ab. In die Diskussion darüber schaltete sich der Außenminister Graf Walewsky, ein unehelicher Sohn Napoleons I., ein. Er wies Wagner nachdrücklich darauf hin, dass die aristokratischen Habitués maßgeblichen Einfluss darauf hätten, ob seine Oper Erfolg habe. Auch mit dem Angebot, ihm für das Ballett die besten Tänzer Europas zu engagieren, konnte er Wagner nicht umstimmen. In künstlerischen Dingen war der Komponist, der es mit manchen gesellschaftlichen Gepflogenheiten, insbesondere wenn es um Geld ging, nicht so genau nahm,  absolut unbestechlich und kompromislos. Wagner erwog vielmehr, allen Notwendigkeiten für einen Erfolg zum Trotz, das ganze Unternehmen abzubrechen. Auf die Forderung nach einem Ballett ließ er sich dann aber insofern ein, als er in den ersten Akt, wo es inhaltlich vertretbar war, ein wildes ballettartiges Bacchanal einfügte, das dann niemand geringeres als der große Marius Pepita in Szene setzte. Die betroffenen Kreise konnte er auf diese Weise jedoch nicht besänftigen.

Damit war aber der Schwierigkeiten noch nicht genug. Mit großem Aufwand und allerhand Verwicklungen, die schließlich in einem Gerichtsprozess endeten, musste zunächst eine Übersetzung von Wagners – wie immer nicht eben unkomplizierten – Opertextes  in die französische Sprache erstellt werden. Einen ersten eher dilettantischen Versuch von zwei Übersetzern, an dem sich Wagner, der den Text Silbe für Silbe an die Musik anpassen wollte, persönlich intensiv beteiligte, lehnte die Operndirektion ab. Der Text musste von einem neuen Bearbeiter gänzlich überarbeitet werden. Bei dieser Gelegenheit fügte Wagner noch eine neue Szene in den ersten Akt, die zunächst in französischer Sprache ausgeführt wurde. Für die deutsche Fassung passte er den Text in Umkehrung der normalen Reihenfolge später an die Musik an. Monate gingen mit der Auswahl der Sänger ins Land, bei der Wagner notorisch äußerst wählerisch war. Die zwölf Waldhörner, die er, neben ebenso vielen Trompeten und vierfach besetzten Holzbläsern unbescheidener Weise vorgesehen hatte, waren in ganz Paris und Umgebung nicht aufzutreiben, weswegen der Instrumentenbauer Alphons Sax mit seiner Erfindung des Saxophons aushelfen musste. Es folgten unzählige Proben, welche die Kraft und Geduld der Beteiligten bis an die Grenze des Erträglichen strapazierten. Wagner selbst lag überanstrengt mehrere Wochen mit einem typhösen Fieber danieder. Man befürchtete schon, dass er es nicht überleben werde und stellte die Proben ein. Wenige Wochen vor der Aufführung drohte der Darsteller des Tannhäuser damit, zurückzuziehen, wenn Wagner, der auf die Belastbarkeit der Sänger wenig Rücksicht nahm, nicht eine Passage streiche, bei der er nur der Verlierer sein könne. Der Dirigent, den die Operndirektion bestimmt hatte, ein gewisser Pierre Dietsch, war mit seiner Aufgabe offenbar überfordert. Hans von Bülow, der später den „Tristan“ und die „Meistersinger“ aus der Taufe heben sollte und um starke Worte nie verlegen war, bezeichnete ihn als „eines  der schäbigsten Rindviehe“, einen „Greis ohne Intelligenz, ohne Gedächtnis, gänzlich erziehungsunfähig, ohne Gehör“; er sei „der eselhafteste, dickfelligste, unmusikalischste aller Kapellmeister.“ Allerhand sonstige Unzulänglichkeiten und nicht zuletzt Wagners überzogene Ansprüche führten dazu, dass die Aufführung immer wieder verschoben werden musste. Gäste, die zum Teil von weit her zu geplanten Terminen angereist waren, mussten wieder abfahren. Da auf diese Weise die Ressourcen der Grand Opéra übermäßig in Anspruch genommen wurden, waren im Übrigen die französischen Komponisten verärgert. Der Deutsche blockierte das Haus mit der Folge, dass die Franzosen in dieser Zeit ihre Werke nicht auf die Bühne bringen konnten.

Nach 164 Proben, nicht mitgerechnet, die zahllosen Einzelproben mit den Sängern, die Wagner bei sich zu Hause abhielt, war er schließlich zur Aufführung bereit. Alles kam nun darauf an, die erste Aufführung, die auf den 13. März 1861 festgesetzt wurde, gegen Wagners Feinde zu überstehen. Diese hatten sich ihrerseits sorgfältig vorbereitet. Die Presse hatte schon im Vorfeld eine feindliche Stimmung erzeugt. Die kaiserkritischen Aristokraten, die  im Jockey-Club vereinigt waren, hatten sich vorgenommen, die Aufführung so zu stören, dass sie abgebrochen und weitere Aufführungen abgesetzt werden würden. Ihnen kam es allerdings nicht in erster Linie darauf an, zu verhindern, dass sich in Paris betreffend das Ballett Sitten etablieren könnten, die ihren Gewohnheiten entgegenstanden. Es ging ihnen wohl vor allem darum, die Österreicher und die ihnen wohl gesonnen Kreise am Hofe, welche die Aufführung der Oper durchgedrückt hatten, zu desavouieren und den deutschen Komponisten, der im Schutze der kaiserlichen Protektion reichlich selbstbewusst und fordernd auftrat, in die Schranken zu weisen.

Die Aufführung, die in Gegenwart des Kaiserpaares erfolgte, schien für Wagner zunächst günstig zu verlaufen. Ouvertüre und erste Szene verliefen ohne nennenswerte Störungen. Mitten in der besonders zarten Szene nach dem Bacchanal setzten aber ironische Zwischenrufe und Pfiffe ein. In der Folge entwickelte sich, auch weil sich Wagners Befürworter zu Wort meldeten, großer Lärm. Es gelang aber, den Abbruch der Veranstaltung zu verhindern, was Wagner bereits als einen Erfolg und gutes Omen für die nächste Aufführung ansah. Man warf Wagner allerdings vor, er habe nicht, wie etwa sein großer Gegenspieler Meyerbeer,  dafür gesorgt, dass genügend eigene Parteigänger im Saal gewesen seien.

Offenbar in kaiserlichem Auftrag wurden danach mit den Jockeys Verhandlungen betreffend die weiteren Aufführungen geführt. Man bot ihnen an, die Oper nach der dritten Aufführung so stark zu kürzen, dass sie nur noch ein Vorspiel zum darauf folgenden Ballett sei. Die Jockeys lehnten dies aber mit der Begründung ab, man befürchte, das Werk könnte inzwischen so viele Anhänger gewinnen, dass es den Ballettfreunden noch dreißig Mal de suite vorgesetzt werde. Nicht zu Unrecht gingen sie im Übrigen davon aus, dass Wagner einer solchen Lösung ohnehin nicht zustimmen werde.

Bei der zweiten Aufführung, an der wiederum das Kaiserpaar teilnahm, schien zunächst alles gut zu verlaufen. Der erste Akt verlief ohne Störungen. Dann aber lärmten die Jockeys mit Trillerpfeifen und Flageoletts gegen die Musik an. Wagners Anhänger versuchten vergeblich, sie mit Klatschen zur Ruhe zu bringen. Die Szene steigerte sich zu einem ungeheueren Tumult, bei dem das Kaiserpaar hilflos zusehen musste, wie seine eigenen Höflinge gegen seine Entscheidung aufbegehrten. Die dritte Aufführung, die Wagner zu Schonung seiner Nerven nicht mehr besuchte, wurde noch massiver gestört. Der Tumult steigerte sich dergestalt, dass die Aufführung mehrfach für eine Viertelstunde unterbrochen werden musste. Nicht zuletzt zur Schonung der Mitwirkenden, die bislang tapfer durchgehalten hatten, zog Wagner sein Werk danach resignierend zurück. Wahrscheinlich war dies ein großer Fehler, da derartige Zuspitzungen in der Regel werbewirksam sind und sich im Vorverkauf tatsächlich ein gesteigertes Interesse der Pariser an der Oper abzuzeichnen begann.

Wagners Pariser Projekt war damit endgültig gescheitert. Nachdem er inzwischen eine begrenzte Einreiseerlaubnis für das Gebiet des Deutschen Bundes bekommen hatte, begab er sich nach Karlsruhe in der Hoffnung, dort den „Tristan“ zur Aufführung zu bringen, was aber, wie geschildert, misslang. Der Pariser Éclat hatte aber ein Häufchen Wagnerliebhaber zusammengeschweißt, das den Kern des künftigen besonders bedeutsamen französischen „Wagnerisme“ bilden sollte. Dazu gehörte unter anderem der Dichter Charles Baudelaire, der sich bereits nach den Einführungskonzerten begeistert bei Wagner per Brief gemeldet hatte. Er veröffentlichte nach den Tannhäuserdebakel einen tiefgründigen Artikel unter dem Titel „Richard Wagner et le Tannhäuser à Paris“, der so etwas wie die Programmschrift der wachsenden Schar französischer Wagneranhänger werden sollte.

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Violinkonzert D-Dur

Beethovens Violinkonzert ist heute allen Musikliebhabern bekannt und unumstritten als eines der ganz großen Werke dieser Gattung anerkannt. Dies war keineswegs immer so Die Uraufführung des Werkes im Jahre 1806 in Wien war kein großer Erfolg. Der Kritiker der Theater Zeitung gestand demselben zwar manche Schönheit zu, machte gegen die Kompositionsweise Beethovens aber grundsätzliche Bedenken geltend. Er bemängelte „daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten …Man fürchtet …, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabey fahren. Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse.“

 Nach der Uraufführung geriet das Werk alsbald in Vergessenheit. Zu Lebzeiten des Komponisten wurde es nur noch einmal gespielt – 1812 von Tomasini in Berlin. Nach Beethovens Tod kam es 1828 zu einer Aufführung durch Baillot in Paris und 1834 in Wien durch Vieuxtemps. Erst der Jahrhundertgeiger Josef Joachim brachte das Werk ins Bewusstsein einer breiteren musikalischen Öffentlichkeit. Joachim spielte es erstmals 1844 im Alter von 13 Jahren unter der Leitung von Mendelssohn in London, dann erst wieder 1852 in Berlin und 1853 unter Schumann in Düsseldorf. Heute, wo das Konzert vermutlich täglich irgendwo aufgeführt wird, wo man es dazu immer wieder im Rundfunk hört und es in zahlreichen Einspielungen jedem jederzeit zur Verfügung steht, ist diese Aufführungsfrequenz kaum mehr nachzuvollziehen.

 Den Grund für den holperigen Werdegang der Anfangszeit hat man zum Einen darin gesehen, dass das Werk technisch ziemlich sperrig ist. Beethoven war Pianist und nicht sonderlich mit dem vertraut, was auf der Geige gut zu machen ist. Anders als etwa im Violinkonzert von Mendelssohn, dem nächsten Meilenstein der konzertanten Violinliteratur, liegt in Beethovens Werk für den Solisten Manches nicht eben bequem. Wichtiger als die technischen Schwierigkeiten, die, wie im Falle Josef Joachims, schon bald die Teenager bewältigten, dürften für den mangelnden Erfolg aber stilistische Gründe und konzerttechnische Gewohnheiten verantwortlich gewesen sein. Das Feld der konzertanten Violinliteratur beherrschten seinerzeit die Geiger Rhodes, Kreutzer und Viotti, die in erster Linie ihre eigenen Konzerte aufführten (Rhodes schrieb 13, Kreutzer 19 und Viotti 29 Violinkonzerte). Das Spielen fremder Werke war daher eher die Ausnahme. Vor allem aber waren die  Konzertbesucher und die Kritiker von diesen Geigenmeistern gewohnt, Doppelgriffe, kniffliges Passagenwerk, Staccato-Läufe, G-Saitenkantilenen und allerhand sonstige virtuose Kunstgriffe zu hören. Außerdem spielte das Orchester bei diesem „brillanten“ Kompositionsstil nur die Rolle des Dekorateurs. Beethoven, der mit den Werken dieser Geigerkomponisten durchaus vertraut war, verzichtete in seinem einzigen Violinkonzert aber geradezu demonstrativ auf derartige Schauelemente und schuf ein Werk von apollinischer Schönheit und klassischem Ebenmaß, in dem jedes Detail aus der musikalischen Grundsubstanz abgeleitet ist. Das Orchester ist dabei integraler Bestandteil eines Geschehens, das in symphonischer Weise durchgeführt wird. Über siebzig Mal erklingt etwa in immer neuen Zusammenhängen das pochende Anfangsmotiv, mit dem – gänzlich ungewohnt – die Pauke das Konzert eröffnet. Beethoven hatte aus kompositionsimmanenten Gründen sogar die Vorstellung, dass sich die Pauke mit diesem Motiv an der Kadenz beteiligen sollte, die traditionell ganz der Zurschaustellung des Solisten vorbehalten ist. Zwar hat Beethoven für das Violinkonzert, wie für alle seine originalen Konzerte, keine Kadenz geschrieben, um dem Solisten freie Hand zur Selbstdarstellung zu geben. Er hat jedoch für die Klavierfassung des Konzertes, die er auf Verlangen des Verlegers Muzio Clementi im Jahre 1807 erstellte, eine Kadenz unter Beteiligung der Pauke geschrieben und damit erkennen lassen, was er für musikalisch angemessen hielt. Eine derartige Kompositionsweise zielt nicht auf einen Hörer, der staunen, sondern auf einen, der in einem komplexen musikalischen Geschehen mitdenken will. Beim heutigen Publikum, dem die Komplexität vertraut ist, welcher die Musikentwicklung später noch zustreben sollte, ist dies sicher weit mehr der Fall als zu Zeiten Beethovens. Es dürfte bei dieser Art vom Komposition daher auch nicht Verwirrung oder Ermüdung, sondern neben dem Genuss der musikantischen Schönheiten auch ein intellektuelles Vergnügen am Nachvollzug der kunstvollen motivischen Verarbeitung verspüren.