Archiv der Kategorie: Kolonialismus

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies –Tagebuch einer Rucksackfamilienreise durch Malaysia im Jahre 1985 – Teil 17

Der vollständige Text befindet sich auf der Seite IX Reisetagebuch Malaysia 1985

Wir schlendern durch die Gassen mit ihren aneinandergebauten kleinen Häusern. Hübsche Fassaden finden sich hier und dort. In der Nähe der Tempel kommen wir an einer chinesischen Sargschreinerei vorbei. Die großen geschwungenen Behältnisse aus massivstem Holz – Hauptteil und Abdeckung bestehen jeweils aus einem Stück – sind auf der Straße gestapelt. Sie sind so schwer, dass man mehrere Personen benötigt, um sie auch nur anzuheben. Mancher Urwaldriese landet so auf einem chinesischen Friedhof.

Unerwartet stehen wir vor einem Komplex von rot getünchten Gebäuden. Ein Hauch von Heimat weht um diesen Platz. Hier befand sich das alte holländische Verwaltungszentrum aus dem 17. Jahrhundert. In rötlicher Eintracht stehen "Palast" und Kirche, die Insignien kolonialer Macht, nebeneinander. Von diesem bescheidenen Platz, der sich in einer europäischen Kleinstadt befinden könnte, wurde einst das riesige hinterindische Kolonialreich regiert, ein Reich, das um vieles größer war als das des jeweiligen "Mutterlandes". Es liegt eine merkwürdige Ironie in der Vorstellung, dass die großen Entdecker und Eroberer von einem solchen Provinzstädtchen träumten, wenn sie an Gewürzinseln und Fernosthandel, ja an die Herrschaft über ganz Südostasien dachten. Nur zu deutlich zeigt die idyllische Beschränktheit dieses Machtzentrums, mit welcher Arglosigkeit die Einheimischen den europäischen Welteroberern begegneten. Und sie legt die ganze Schamlosigkeit bloß, mit der sich die "Langnasen" fremden Eigentums bemächtigten.

Wir betreten den verschachtelten ehemaligen Verwaltungspalast. Er ist eher spartanisch eingerichtet. Heute befindet sich dort eine erstaunlich großmütige Ausstellung über die Epoche europäischer Hypertrophie, in der Wahrnehmen und In-Besitz-Nehmen nur schlecht getrennt wurden. Auch vom vorkolonialen Malakka ist einiges zu sehen, vor allem Darstellungen des alten Sultanspalastes, der eine wahre Apotheose malakkischer Spitzgiebeligkeit gewesen sein muss. Man kann düstere Spekulationen darüber anstellen, warum von ihm nichts mehr übrig ist.

Spätestens diese Ausstellung hat ein Problem verdeutlicht. Mit dem Anwachsen des kulturellen und historischen Angebotes beginnt die Interessenlage von Erwachsenen und Kindern auf dieser Reise erstmals deutlich auseinanderzudriften. Erstaunlicherweise findet sich eine Lösung, die beiden "Parteien" gerecht wird. Malakka hat ein Schwimmbad. Ich nehme zur Abkühlung der Gemüter den heißen Gang zurück in die Stadt in Kauf, um im Hotel die Badesachen zu holen. Dann gehen die Kinder einem kühlen Schwimm- und die Eltern einem weniger kühlen Besichtigungsvergnügen nach.

Man muss in Malakka das älteste "europäische" Gebäude Asiens gesehen haben – eine Festung – mit dazu gehörender Kirche versteht sich. Viel ist von der einst mächtigsten portugiesischen Festung im fernen Osten nicht übrig, im Wesentlichen ein prächtiges Tor und die Ruine der Kirche. Albuquerque, der große portugiesische Welteroberer der ersten Generation, ließ das Bollwerk Anfang des 16. Jahrhunderts bauen, nachdem er im Jahre 1511 die schon damals bedeutende Handelsstadt mit nur 800 Portugiesen "eingenommen" hatte. Die Festung war der vorläufige Schlussstein im neuen Weltreich des kleinen europäischen Seefahrervolkes.

Man brauchte damals nicht viel, um ein Weltreich aufzubauen. Eine Festung in Mozambique, die eine oder andere in Indien, eine weitere in Malakka und der Segen des Papstes – das war die Grundlage für die Herrschaft über die Hälfte der – neuen – Welt. Diese hatte Portugal anno domini 1494 – Amerika war gerade entdeckt – im Vertrag von Tordesillas vom Papst zur Aneignung erhalten. Auf westlich-rationale Weise zog man in diesem wohl erstaunlichsten Vertrag der Weltgeschichte in der Nähe der Kapverdischen Inseln kurzerhand einen geraden Strich von Pol zu Pol und teilte so die neue Welt gerecht zwischen den "Findern" Spanien und Portugal. Fünfunddreißig Jahre später, als die "Parteien" dieses Vertrages zu Lasten Dritter nähere Kenntnis von der Lage und dem ungeheuren Umfang der Beute hatten, präzisierten sie die Grenzziehung noch einmal im Vertrag von Saragossa. Bei der Auslegung des Vertrags von Tordesillas waren nämlich unerwartete Schwierigkeiten aufgetreten. Albuquerque hatte die molukkischen Gewürzinseln, um die sich die Welt damals drehte, 1512 von portugiesischer Seite, also von Osten kommend, entdeckt. Die Spanier hatten sie zehn Jahre später von Westen, also von ihrer Seite gefunden. Irgendwo in der Nähe der Molukken verschwimmen nun aber aus europäischer Sicht Ost und West, so dass die schöne klare Grenzziehung von Tordesillas ausgerechnet bei den heißbegehrten Gewürzinseln ins Wanken geriet. Darüber hinaus stritten die ehrenwerten Finder um den „rechtsgültigen“ Aneignungsmodus. Albuquerque hatte die Inseln zwar als Erster entdeckt, er hatte aber – ein unverzeihlicher Fehler für einen rechten Eroberer – vergessen, sie in der erforderlichen förmlichen Weise in Besitz zu nehmen. Das wiederum hatten die verspäteten Spanier nicht versäumt. (wahrscheinlich haben sie eine Fahne in den Strand gesteckt und ein paar hohe Worte in den Wind gesprochen). Nachdem, wie man sieht, beide gute Gründe für ihren Anspruch auf die Inseln hatten, einigte man sich unter Gentlemen. Die Portugiesen bekamen die ostasiatischen Kleinode. Spanien musste sich mit dem unförmigeren amerikanischen Kontinent trösten, was ihm, wie bekannt, nicht sonderlich schwer gefallen ist.

Eine Hinterlassenschaft aus dieser Zeit, ist auch die Portugiesische Siedlung. Wir fahren mit dem Bus einige Kilometer die Küste entlang und schlendern durch die Straßen dieser menschlichen Insel. Hier wohnt, 350 Jahre nach der Vertreibung der Portugiesen durch die Holländer, eine zirka 2000 Personen starke Kolonie, die Traditionen aus der portugiesischen Zeit beibehalten hat. Die Portugiesen hatten keine Einwendungen gegen eine Vermischung der Rassen. Noch heute soll man hier, wenn man genau hinsieht europäische Gesichtszüge feststellen können (man muß in der Tat ziemlich genau hinschauen). Die handvoll Mischlinge, die übrig geblieben ist, hat sich über die Jahrhunderte nicht nur den christlichen Glauben, sondern auch die portugiesische Sprache erhalten, was angesichts der gänzlich andersartigen Umgebung und der völligen Abkoppelung vom "Mutterland" wie ein soziales Wunder erscheint. In der Siedlung, die einen gewissen Wohlstand ausstrahlt, sind allenthalben Hinweise auf christliche Gebräuche zu sehen. Wahrscheinlich ist das, was von der portugiesischen Sprache übrig geblieben ist, eine Fundgrube für Sprachhistoriker.

Es herrscht eine entspannte Abendstimmung in der lebhaften kleinen Kolonie. Zahlreiche Kinder spielen auf der Straße. Alle scheinen aufgeräumt den lauen Abend zu genießen.

In der anbrechenden Dämmerung laufen wir ein gutes Stück in Richtung Stadt zurück. Den Rest fahren wir mit dem Bus. Ein gesprächiger Inder will wissen, welche Früchte wir in Malaysia kennen gelernt haben. Wärmstens empfiehlt er uns die Eierfrucht, ein stachliges Riesengewächs in der Form eines überdimensionalen Schwartemagens, das hier überall in den Läden zu haben ist. Sie ist vermutlich die größte Baumfrucht, die die Welt kennt, kann mehr als einen halben Meter lang sein und über 10 Kilogramm wiegen. Wehe wem das Obst auf den Kopf fällt.

Fröhlich kommen uns am Schwimmbad die ausgetobten Kinder entgegen. In der Nähe des Strandes essen wir in einer geradezu unasiatisch ordentlichen Ansammlung von Straßengarküchen. Der Nachtisch wird im Hotel in Form eines Ananaswettessens gereicht. Die Kinder meinen, jeder eine ganze Ananas essen zu können. Die Augen sind aber größer als die Mägen.

Wir spazieren noch ein wenig durch die abendlichen Gassen. Gegenüber dem Tempel dringt aus einem Haus lautes Trommeln. Wir schauen in den Eingang hinein und werden Zeugen der Probe für einen wilden Drachentanz. Junge Leute hantieren mit einer furchterregenden Drachenmaske, die von zwei Personen im textilen Körper des langen Ungetiers getragen wird. Der Drache soll sich zu ohrenbetäubenden Trommelschlägen aufbäumen, wozu der eine Träger blitzschnell auf die Schultern des anderen klettern muss. Man ist mit großem Eifer und beachtlicher Akrobatik bei der Sache. Auch die Kleinen – sie sind höchstens 6 bis 8 Jahre alt – dürfen sich beteiligen. Sie versuchen sich an den komplizierten Rhythmen der Trommel, was sie mit Verve und Bravour bewerkstelligen.

Beim letzten Gang durch die Stadt – die Kinder sind bereits im Bett – treffen wir in einer Seitengasse auf eine kleine Halle, die zur Straße hin offen ist. Darin befindet sich eine große Zahl von Chinesen, die nach einem offensichtlich strengen Ritual im Kreis gehen. Die ernsten Mienen und die schwarze Kleidung deuten auf eine Trauerzeremonie. Im hinteren Teil des Raumes ist eine Art Altar aufgebaut, an dem ein Priester hantiert. Nach einiger Zeit schließt er sich dem Marsch der Trauergemeinde an. Ein junger Mann tritt auf die Straße, legt verschiedene Gegenstände aus Papier in die Regenrinne und zündet sie an. Im Raum ist ein ganzer Tisch voller Papiergeschenke für den Toten, darunter Stühle und ein Auto. Nachdem der Marsch beendet ist, hebt im hinteren Teil des Raumes ein lautes Kreischen an. Klageweiber stimmen ein herzerweichendes Geheul an. Danach beginnt sich die Trauergesellschaft zu verlaufen. Man geht seiner Wege, so als habe man die Erfüllung einer Pflicht abgeschlossen. Bei aller Ernsthaftigkeit ist während der ganzen Zeremonie immer Distanz zu spüren gewesen. Das Leid wurde offensichtlich durch das Ritual gebändigt. Es gab keine unkontrollierten Gefühlsausbrüche. Selbst das vehemente Klagegeheul hatte etwas Formales. Nie hatte man den Eindruck, dass der Tod auch für die Lebenden eine Tragödie sei.

Auf unserem Gang durch die Stadt geraten wir in eine schmale Straße, in der sich prächtige Häuserfassaden finden, einige davon sind geradezu palastartig. Wie Reihenhäuser stehen sie unmittelbar aneinander, jede Fassade in einem anderen Stil. Die Palette reicht von klassisch-chinesisch bis zum europäischem Klassizismus. Die Straße bedarf dringend der Nachbearbeitung bei Tageslicht.

Den Rest des Abends verbringen wir in einem größeren Gartenrestaurant, in dem sich das bescheidene Nachtleben von Malakka zu konzentrieren scheint. Junge Leute fahren mit Autos und Motorrädern vor. Sonst tut sich nicht viel. In der Nacht genießen wir unsere Klimaanlage.

Der vollständige Text befindet sich auf der Seite IX Reisetagebuch Malaysia 1985

Ein- und Ausfälle – Die Afrikaner und das Absolute

Im Jahre 1845 reiste der Theologe Johannes Rebmann aus Gerlingen, der spätere Entdecker des Kilimanscharo, nach Schwarzafrika, um den (absoluten) Weltgeist, den sein Landsmann Georg Friedrich Hegel aus der Nachbarstadt Stuttgart ein paar Jahre zuvor entdeckt hatte, auf die riesige Weltregion südlich der Sahara aufmerksam zu machen. Rebmanns Versuche, die Bevölkerung Kenias davon zu überzeugen, dass das Christentum im Besitz der einzigen Wahrheit sei, waren aber nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Nach zwei Jahrzehnten hatte er gerade einmal acht Menschen getauft. Enttäuscht schrieb er in die schwäbische Heimat, wo man den Besitz der Wahrheit zu schätzen weiß, die Neger hätten überhaupt keinen Sinn für das Absolute. Offenbar hatten die störrischen Afrikaner eher einen Sinn für das Relative (auch des Christentums), was möglicherweise damit zusammenhing, dass sie vom Weltgeist übersehen worden waren.

Recht und Gerechtigkeit bei der Landnahme des Kolumbus in Amerika

In der Vorrede zum Bordbuch seiner ersten Amerikafahrt, das mit „Im Namen unseres Herrn Jesus“ überschrieben und an die „allerchristlichsten, allerhöchsten, erlauchtesten und mächtigsten Fürsten, den König und die Königin der spanischen Länder und der Inseln des Meeres“ gerichtet ist, stellt Christoph Kolumbus fest, er sei von den genannten Hoheiten, nachdem sie den Krieg gegen die letzten Mauren in Spanien siegreich beendet hatten, „in ihrer Eigenschaft als katholische Christen, als Freunde und Verbreiter des christlichen Glaubens und als Feinde der Sekte Mahomeds und jedes anderen Götzendienstes und Sektiererwesens“ zum Großadmiral gemacht und beauftragt worden, mit einer hinlänglich starken Armada auf dem Seeweg nach Indien zu fahren, um die dortigen „Fürsten, Völker und Orte aufzusuchen und die Möglichkeiten zu erwägen, wie man sie zu unserem heiligen Glauben bekehren könne“ (soweit in „wenigen“ Worten die Zusammenfassung des ersten Satzes des Bordbuches, welcher entsprechend der Bedeutung seines Autors, seiner Adressaten und der Ereignisse, die im Weiteren beschrieben werden, im Original fast drei Mal so lang ist).

 

Als Kolumbus am 12. Oktober 1492 in der Karibik erstmals Land sichtete – es handelte sich um eine Insel, auf der Menschen lebten, die er für Inder hielt -, wurden die Erwägungen der gewichtigen Vorrede auf folgende Weise konkretisiert:

 

Zunächst ging der Großadmiral , dem laut Vorrede auch die – vererbliche – Würde „des Vizekönig und Gouverneurs aller Inseln und des Festlandes, das er entdecken und erobern würde“, übertragen wurde, mit zwei seiner wichtigsten Leute in einem „mit Waffen versehenen Boot“ und ohne Zweifel in großartiger Uniform an Land und entfaltete die königliche Fahne. Seine beiden Begleiter schwenkten dazu je eine weitere Fahne, auf denen ein grünes Kreuz angebracht war, „welches rechts und links von den je mit einer Krone verzierten Buchstaben F und Y (für die katholischen Könige Ferdinand und Ysabella) umgeben war“. Dann versammelte er seine Führungsleute und einen eigens mitgebrachten Notar, die sicherlich ebenfalls gebührend gekleidet waren, am Strand und rief sie zu Zeugen dafür an, dass er im Namen des Königs und der Königin von der Insel Besitz ergriffen habe. Er forderte sie auf, die rechtlichen Unterlagen zu schaffen, „wie es sich aus den Urkunden ergibt, die dort schriftlich niedergelegt wurden“ (die Szene muss man sich aus der Sicht der herbeigeströmten Einheimischen vorstellen, die, so notierte der Großadmiral, nackt waren, wie Gott sie schuf,  und rechtsunkundig, wie Gott sie ebenfalls schuf, was die spanische Delegation ohne Zweifel voraussetzte).

 

Weiter stellte Kolumbus fest, dass man zur Bekehrung und Rettung der Eingeborenen augenscheinlich nicht des Schwertes bedürfe, da sie weder Waffen trügen, noch solche kennen würden. Die Liebe sei ausreichend. Dieselbe erwarb er sich im wesentlichen dadurch, dass er ihnen „rote Kappen und Halsketten aus Glas und andere Kleinigkeiten von geringem Wert“ schenkte.

 

Am 14. Oktober kristallisierten sich weitere Details der Christianisierungspläne des Großadmirals heraus. Den Gewohnheiten der christlichen Seefahrt entsprechend suchte er nach einem Platz, wo man eine Festung errichten konnte. Er fand auch eine kleine Halbinsel, auf der sechs Hütten standen und die nach seiner Einschätzung in wenigen Tagen Arbeit zu einer Insel umgestaltet werden könne. Er stellte aber fest, dass eine solche Umgestaltung angesichts der mangelnden Waffenkenntnisse der Einheimischen eigentlich gar nicht nötig sei. Davon, so meinte er, könnten sich Ihre Hoheiten bei den sieben Leuten überzeugen, die er – offenbar dort – ergreifen ließ, um sie mit nach Spanien zu nehmen (am folgenden Tag, so notierte Kolumbus, sprangen allerdings zwei dieser lieben Leute von Bord und gelangten „trotz aller unserer Bemühungen“ mit einem Kanoe, das sich den Schiffen der Armada genähert hatte, an Land, „worauf die beiden Flüchtlinge eilends davonliefen, vergeblich verfolgt von unseren Männern, die an Land gegangen waren, um auf sie Jagd zu machen“). Im Anschluss an die Überlegungen zum Bau einer Festung empfahl der Großadmiral den allerchristlichsten Königen, Folgendes zu erwägen: „Sollten Eure Hoheit den Befehl erteilen, alle Inselbewohner nach Kastilien zu schaffen, oder aber sie auf ihrer eigenen Insel als Sklaven zu halten, so wäre dieser Befehl leicht durchführbar, da man mit einigen fünfzig Mann alle anderen leicht niederhalten und zu allem zwingen könnte“ (letzterer Erwägung sind die Spanier später bekanntlich im wesentlichen gefolgt).

 

Ein paar Tage später notierte Kolumbus, die Eingeborenen hätten nicht nur keine Waffen, sondern auch keine Gesetze. Als er später von einem Stamm hörte, der Waffen trage, schloss er daraus, dass er von höherer Bildung sein müsse (vermutlich nahm er an, dass der Stamm dann auch Gesetze habe). Das Vorhandensein von Waffen, Gesetzen und höherer Bildung dürfte dann wohl der Grund dafür gewesen sein, dass bei den Erwägungen der allerchristlichsten Könige, wie man die Fürsten, Völker und Orte Amerikas bekehren könne, dann doch nicht so sehr die Liebe als das Schwert zum Zuge kam.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eldorado

Von Gold hat der Mensch nie genug bekommen können – zu seinem Glück, das wesentlich größer als sein Verstand war.

Die Entdecker des 15. und 16. Jahrhunderts etwa zogen die Motivation für ihre abenteuerlichen Fahrten weitgehend aus der Hoffnung, neben dem Ursprungsort der Gewürze, die seinerzeit mit Gold aufgewogen wurden, die Gold- und Silberinseln im fernen Osten zu finden. Von solchen Inseln träumte man seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen. Mitursächlich für die gewaltigen Energien, die diese Träume mobilisierten, war sicher, dass im Laufe der Zeit die Angaben über die Größe der Schätze immer phantastischer wurden. Aus Inseln mit großen Mengen von Edelmetall, wie es bei Plinius noch hieß, wurden nach und nach Inseln, die – einschließlich hoher Berge – ganz aus Gold und Silber bestehen sollten. Die katalanische Weltkarte aus dem Jahre 1375 wusste sogar, dass im Meer jenseits des indischen Festlandes genau 7548 Inseln liegen, deren „wunderbare Reichtümer an Gold, Silber und kostbaren Steinen“ man nicht alle aufzählen könne.

Kaum dass die Portugiesen den Seeweg nach Indien gefunden und bis nach Hinterindien vorgedrungen waren, schickten sie denn auch Expeditionen auf die Suche nach einer Goldinsel, die – einheimischen Behauptungen zufolge – südlich von Sumatra liegen und deren Strand ganz aus Goldkörnern bestehen sollte. Zwar kehrten die ausgesandten Schiffe alle unverrichteter Dinge oder überhaupt nicht zurück. Dies hatte aber keineswegs zur Folge, dass man an den Goldvorkommen zweifelte. Zur Aufrechterhaltung der Hoffnung reichte ein bloßes Gerücht. In den Hafenstädten des Ostens hieß es, vermutlich weil die Portugiesen es hören wollten, ein Schiff habe die Insel gefunden. Es sei allerdings, nachdem es ganz mit Gold beladen worden sei, auf ein Riff gelaufen und untergegangen. Das hatte, da man die versteckte Ironie dieser (Überladungs)Geschichte nicht sehen wollte oder konnte, zur Folge, dass man die Bemühungen um die Goldinseln verstärkte. Auf den Weltkarten waren sie bis in das 18. Jahrhundert mit dem Vermerk „locus incertus“ notiert.

Auch Kolumbus trat seine Fahrt nach Westen – allen Beteuerungen, vorrangig den christlichen Glauben bei den Heiden verbreiten zu wollen, zum Trotz – in erster Linie wegen des Goldes an. Da er davon ausging, Indien nach Umrunden der Weltkugel auf der Ostseite zu erreichen, dürfte er dabei auch an die Goldinseln gedacht haben, auf die man, wenn man nach Westen fuhr, noch vor dem indischen Festland stoßen musste. Schon einen Tag nach der Ankunft auf einer Insel, die er für einen Teil Indiens hielt, notierte er, nachdem er bei den Einheimischen Goldschmuck gesehen hatte, in seinem Bordbuch, er werde sich nun auf die Suche nach der Quelle des Goldes begeben. Die restlichen drei Monate seines (ersten) Aufenthaltes in „Indien“ waren, wie die Eintragungen in das Bordbuch zeigen, eine einzige Irrfahrt durch die Inselwelt der Karibik in der Hoffnung, die große Goldquelle des Ostens zu finden. Dass man trotz dürftiger Sucherfolge die Hoffnung auch hier nicht aufgab, hatte wieder mit dem Verhalten der Einheimischen zu tun. Die „Indianer“ merkten offenbar, dass die Gier der Ankömmlinge größer als ihr Verstand war. Sie sicherten sich daher mit immer neuen Ortsangaben über den Fundort von Gold Beachtung und die Gunst der ansonsten schwer berechenbaren Besucher.

Später vermuteten die Spanier eine Menge Gold im Nordwesten des südamerikanischen Halbkontinents. Anlass für diese Annahme waren einheimische Berichte über einen Priester-Fürsten, der sich bei einer Zeremonie ganz mit Goldstaub pudern lasse, um diesen verschwenderischerweise in einem See abzuwaschen. Auf der Suche nach diesem Fürsten, den man „El Dorado“ nannte, durchkämmten daraufhin zahlreiche Schatzsucher die Urwälder Südamerikas. Da man die Person nicht fand, wurde aus der konkreten Goldhoffnung im Laufe der Zeit das sagenhafte Goldland Eldorado, nach dem Generationen von Abenteuern – ebenfalls vergeblich – suchten.

Wie bekannt und in den Kirchen Spaniens noch heute zu besichtigen hat man in den Ländern der neuen Welt schließlich doch einiges an Gold und Silber gefunden und nach Europa gebracht. Es war jedoch keinesfalls genug und wesentlich weniger als erhofft. Gerade darin aber bestand das (Schatzsucher)Glück, das wie gesagt, größer als der (ökonomische) Verstand war. Denn hätte man so viel Gold gefunden, wie man sich erträumte, hätte das Edelmetall, ähnlich wie die Gewürze, deren Ursprungsort man auf den Inseln der Molukken finden konnte, allen Wert verloren.