Archiv der Kategorie: Telemann (Georg Philipp)

Um 1715 Georg Philipp Telemann (1681 – 1767)Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher

Telemann hat man lange für einen flachen Vielschreiber und musikalischen Großunternehmer gehalten, der eine Art Fließbandverfahren zur Herstellung von klingender Massenware praktizierte. Diese Bewertung kam im 19. Jh. auf und stützte sich hauptsächlich auf dem ungeheureren Umfang des Telemann`schen Gesamtwerkes, das größer als das von Bach und Händel zusammen ist, die auch nicht gerade im Ruf mangelnder Fruchtbarkeit stehen. Das Urteil kontrastiert allerdings auf`s Deutlichste mit der Wertschätzung, welche die Kenner in ganz Mitteleuropa dem umtriebigen Sachsen zu seinen Lebzeiten entgegen brachten – Johann Sebastian Bach etwa erhielt seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig erst, nachdem Telemann abgesagt hatte. Es beruhte auch nicht auf einer wirklichen Kenntnis seiner Kompositionen. Eine solche war schon deswegen kaum möglich, weil man diese Werke im 19. Jh. nicht spielte. Außerdem waren die Noten – eine Folge seiner Beliebtheit – über halb Europa verstreut und im Übrigen weitgehend verschollen. Telemanns Werk war daher auch nicht annähernd zu überblicken. Eine systematische Erfassung erfolgte erst in den letzten Jahrzehnten und selbst diese ist noch voller Lücken. Seitdem hat sich die Einschätzung dieses Komponisten deutlich gewandelt. Je mehr Werke aus den Archiven von Kirchen und Fürstenhäusern gezogen werden, desto deutlicher wird, welch ein außerordentlich einfallsreicher Musiker er war und dass er sich immer auf der Höhe der musikästhetischen Fragestellungen seiner Zeit befand. 

Neben seinem riesigen kirchenmusikalischen Werk hat Telemann auch eine Fülle von Instrumentalmusik für alle möglichen Anlässe geschrieben, darunter eine große Zahl von Konzerten. Bekannt sind heute rund 100 Werke allein dieser Gattung. Weit mehr gelten als verschollen. Bemerkenswert ist die große Breite der Formen. Es gibt drei und viersätzige Konzerte, Werke im französischen oder in Vivaldis Stil, Solo- Doppel- und Gruppenkonzerte mit bis zu vier Soloinstrumenten und Concerti grossi. Auch bei der Besetzung herrscht eine große Vielfalt mit zum Teil sehr aparten Kombinationen, etwa mit so seltenen Instrumenten wie Violetten, Clarinen oder Chalumeaux.

Dem ungeachtet nahm Telemann gegenüber der Form des Konzertes eine skeptische Haltung ein. In einem autobiographischen Text von 1731 begründete er dies damit, dass „ich in den meisten Concerten … zwar viele Schwierigkeiten und krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und noch schlechtere Melodie antraff, wovon ich die erstere hasste, weil sie meiner Hand und Bogen unbequem waren und wegen Ermangelung der letzteren Eigenschaften (Harmonie und Melodie), als wozu mein Ohr durch die Frantzösischen Musiquen gewöhnt war, nicht lieben konnte noch imitieren mochte.“ Sein eigenes künstlerisches Credo formulierte er demgegenüber in den Versen:

Ein Satz, der Hexerey in seine Zeilen fasst,

Ich meine, wann das Blatt viel schwehre Gänge führet,

Ist musicierenden fast immer Last,

wobei man offtmals genug Grimassen spühred,

ich sage ferner so: Wer vielen nutzen kann,

Thut besser, als wer nur für wenige schreibet;

Nun dient, was leicht gesetzt, durchgehend jedermann:

Drum wirds am besten seyn, dass man bei diesem bleibet.“ 

Dieses Bekenntnis hat in einer Zeit, in der man „schwer-gängige“ Musik liebte, sicher dazu beigetragen, dass Telemann als künstlerisches Leichtgewicht angesehen wurde. Heute neigt man eher zu der Ansicht, dass er ein Vorläufer der Frühklassik war, die unter anderem mit der  Empfindsamkeit ein ähnliches Musikideal propagierte.

Das viersätzige Konzert für zwei Flöten, Violine, Violoncello und Streicher dürfte wie die meisten seiner Konzerte in Telemanns Zeit als städtischer Musikdirektor in Frankfurt in den Jahren 1712-1721 entstanden sein. Im Vordergrund stehen auch hier nicht der Wettstreit der „Parteien“ oder die virtuose Zuschaustellung der Solisten, sondern die thematische Verknüpfung von Solo und Tutti und damit die Verständlichkeit der Komposition. Jeder der vier Solisten hat dennoch seinen großen Auftritt. Zusammen entwickeln sie dann eine barocke Klangpracht, die ihres Gleichen sucht. Telemanns programmatischen Vorstellungen entsprechend gibt es natürlich genügend Harmonie und gute Melodien. Das gilt in besonderem Maße für den langsamen Satz, in dem  vor dem Hintergrund einer Siciliano-Begleitung auf höchst empfindsame Weise ein liedhaftes Motiv weit ausgesponnen wird. Angesichts dieses eindrucksvollen und zugleich unterhaltsamen Werkes versteht man nur zu gut, warum Telemann in seiner Zeit so außerordentlich hoch geschätzt wurde. Erstaunlich ist allerdings, dass das Stück heute kaum bekannt ist und selten gespielt wird. Dies ist eigentlich nur damit zu erklären, dass das alte Pauschalurteil über diesen großen Musiker noch immer nachwirkt.

 

Werbung

1717 Georg Philipp Telemann (1681 – 1767) Adventskantate "Machet die Tore weit"

Der Sachse Telemann erhielt nie eine richtige musikalische Ausbildung und wurde dennoch der berühmteste und fruchtbarste Komponist seiner Zeit (was die Fruchtbarkeit angeht möglicherweise sogar aller Zeiten). Folgt man seinen eigenen Lebensbeschreibungen, etwa seinem Beitrag zu Matthesons „Ehrenpforte“, verspürte er von Kind auf einen unwiderstehlichen Drang zur Musik, vor allem zur Komposition. Die erste Oper schrieb er aus eigenem Antrieb bereits im Alter von zwölf Jahren und brachte sie in seiner Heimatstadt Magdeburg – mit sich in der Hauptrolle – zur Aufführung. Seine Mutter war davon alles andere als begeistert. Sie befürchtete, ihr Sohn könne ein „Gaukler, Seiltänzer, Spielmann, Murmelthierführer etc“ werden, und nahm ihm „Noten und Instrumente und mit ihnen das halbe Leben“ weg. Anschließend schickte sie ihn unter Abnahme des Versprechens, die Finger von der Musik zu lassen, in ein Internat in den fernen Harz, weil, wie Telemann schreibt, „meine Notentyrannen vielleicht glaubten, hinterm Blocksberg duldeten die Hexen keine Musik.“ Der Drang des Teenagers zur Musik war jedoch stärker als alle Hexen. Schon bald hatte er wieder Instrumente und Noten in den Fingern und verfertigte „für die Kirche fast alle Sonntage ein Stück: fürs Chor Moteten; und für die Stadt-Musikanten allerhand Bratensymphonien“ (Tafelmusik). Dabei ist es für die restlichen siebzig Jahre seines Lebens im wesentlichen geblieben. Seine Mutter versuchte zwar noch, ihn mittels eines handfesten Berufes – er sollte Jurist werden – auf eine "gerade" Lebensbahn zu bringen. Nachdem aber auch dieser Versuch fehlgeschlagen war, war die Bahn frei für Telemanns einzigartige Musikerkarriere. Wie ein Handwerker erledigte der Meister nun kontinuierlich einen Auftrag nach dem anderen und verfasste auf diese Weise eine Zahl von Werken, die in der Tat an Hexerei grenzt. Nach neuesten Forschungen schrieb Telemann neben einer kaum überschaubaren Menge von Kompositionen für weltliche Anlässe allein 20 vollständige Jahrgänge Kirchenkantaten. Insgesamt wird die Zahl seiner Kantaten auf 1700 geschätzt, wovon rund 1400 erhalten sind (Telemanns großer Gegenpol Bach brachte es „nur“ auf 5 Jahrgänge mit rund 250 Kantaten). Der außerordentliche „Umsatz“ – die Gesamtzahl seiner Werke wird mit 3500 angenommen – erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass der Komponist gleichzeitig für verschiedene Auftraggeber tätig und überall gefragt war (Bach erhielt zum Beispiel seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig erst, nachdem Telemann abgesagt hatte).

 Die Kantate „Machet die Tore weit“ wurde für den 1. Advent 1719 geschrieben und bildet das Eröffnungsstück eines Kantatenjahrgangs, der für den Hof in Eisenach bestimmt war. Das schwung- und stimmungsvolle Werk widerlegt die verbreitete Auffassung, dass der vielbeschäftigte Musikunternehmer Telemann oberflächlich gearbeitet habe. Seine Kantaten sind sicher nicht so tiefgründig wie die von Bach und sind – ihren Zweck entsprechend – meist auch einfacher angelegt. Die Kantate „Machet die Tore weit“ wusste aber selbst der große Bach zu schätzen. Dies zeigt der Umstand, dass er sie eigenhändig abschrieb und -1734 – in Leipzig zur Aufführung brachte.

Weitere Texte zu Werken von rd. 70 anderen Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis