Beethovens Violinkonzert ist heute allen Musikliebhabern bekannt und unumstritten als eines der ganz großen Werke dieser Gattung anerkannt. Dies war keineswegs immer so Die Uraufführung des Werkes im Jahre 1806 in Wien war kein großer Erfolg. Der Kritiker der Theater Zeitung gestand demselben zwar manche Schönheit zu, machte gegen die Kompositionsweise Beethovens aber grundsätzliche Bedenken geltend. Er bemängelte „daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten …Man fürchtet …, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabey fahren. Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse.“
Nach der Uraufführung geriet das Werk alsbald in Vergessenheit. Zu Lebzeiten des Komponisten wurde es nur noch einmal gespielt – 1812 von Tomasini in Berlin. Nach Beethovens Tod kam es 1828 zu einer Aufführung durch Baillot in Paris und 1834 in Wien durch Vieuxtemps. Erst der Jahrhundertgeiger Josef Joachim brachte das Werk ins Bewusstsein einer breiteren musikalischen Öffentlichkeit. Joachim spielte es erstmals 1844 im Alter von 13 Jahren unter der Leitung von Mendelssohn in London, dann erst wieder 1852 in Berlin und 1853 unter Schumann in Düsseldorf. Heute, wo das Konzert vermutlich täglich irgendwo aufgeführt wird, wo man es dazu immer wieder im Rundfunk hört und es in zahlreichen Einspielungen jedem jederzeit zur Verfügung steht, ist diese Aufführungsfrequenz kaum mehr nachzuvollziehen.
Den Grund für den holperigen Werdegang der Anfangszeit hat man zum Einen darin gesehen, dass das Werk technisch ziemlich sperrig ist. Beethoven war Pianist und nicht sonderlich mit dem vertraut, was auf der Geige gut zu machen ist. Anders als etwa im Violinkonzert von Mendelssohn, dem nächsten Meilenstein der konzertanten Violinliteratur, liegt in Beethovens Werk für den Solisten Manches nicht eben bequem. Wichtiger als die technischen Schwierigkeiten, die, wie im Falle Josef Joachims, schon bald die Teenager bewältigten, dürften für den mangelnden Erfolg aber stilistische Gründe und konzerttechnische Gewohnheiten verantwortlich gewesen sein. Das Feld der konzertanten Violinliteratur beherrschten seinerzeit die Geiger Rhodes, Kreutzer und Viotti, die in erster Linie ihre eigenen Konzerte aufführten (Rhodes schrieb 13, Kreutzer 19 und Viotti 29 Violinkonzerte). Das Spielen fremder Werke war daher eher die Ausnahme. Vor allem aber waren die Konzertbesucher und die Kritiker von diesen Geigenmeistern gewohnt, Doppelgriffe, kniffliges Passagenwerk, Staccato-Läufe, G-Saitenkantilenen und allerhand sonstige virtuose Kunstgriffe zu hören. Außerdem spielte das Orchester bei diesem „brillanten“ Kompositionsstil nur die Rolle des Dekorateurs. Beethoven, der mit den Werken dieser Geigerkomponisten durchaus vertraut war, verzichtete in seinem einzigen Violinkonzert aber geradezu demonstrativ auf derartige Schauelemente und schuf ein Werk von apollinischer Schönheit und klassischem Ebenmaß, in dem jedes Detail aus der musikalischen Grundsubstanz abgeleitet ist. Das Orchester ist dabei integraler Bestandteil eines Geschehens, das in symphonischer Weise durchgeführt wird. Über siebzig Mal erklingt etwa in immer neuen Zusammenhängen das pochende Anfangsmotiv, mit dem – gänzlich ungewohnt – die Pauke das Konzert eröffnet. Beethoven hatte aus kompositionsimmanenten Gründen sogar die Vorstellung, dass sich die Pauke mit diesem Motiv an der Kadenz beteiligen sollte, die traditionell ganz der Zurschaustellung des Solisten vorbehalten ist. Zwar hat Beethoven für das Violinkonzert, wie für alle seine originalen Konzerte, keine Kadenz geschrieben, um dem Solisten freie Hand zur Selbstdarstellung zu geben. Er hat jedoch für die Klavierfassung des Konzertes, die er auf Verlangen des Verlegers Muzio Clementi im Jahre 1807 erstellte, eine Kadenz unter Beteiligung der Pauke geschrieben und damit erkennen lassen, was er für musikalisch angemessen hielt. Eine derartige Kompositionsweise zielt nicht auf einen Hörer, der staunen, sondern auf einen, der in einem komplexen musikalischen Geschehen mitdenken will. Beim heutigen Publikum, dem die Komplexität vertraut ist, welcher die Musikentwicklung später noch zustreben sollte, ist dies sicher weit mehr der Fall als zu Zeiten Beethovens. Es dürfte bei dieser Art vom Komposition daher auch nicht Verwirrung oder Ermüdung, sondern neben dem Genuss der musikantischen Schönheiten auch ein intellektuelles Vergnügen am Nachvollzug der kunstvollen motivischen Verarbeitung verspüren.
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