Wer die präkolumbianischen Ruinen Mittelamerikas besucht, dem fällt auf, dass sich zwischen feierlichen Plattformen und Pyramiden immer wieder auch Ballspielplätze befinden. Auffällig ist dies deswegen, weil es sich bei den gewaltigen steinernen Resten der untergegangen indianischen Zivilisationen mit ihren monumentalen Podesten, Treppen und Schrägen um die Überreste der Sakralzonen der alten Städte handelt. Die Ballspielplätze liegen meist in unmittelbarer Nähe der wichtigsten Pyramiden und sind von allerhand sonstigen Zeremonialbauwerken von elementarer Geometrie umgeben. Schon die Lage der Spielfelder zeigt daher, dass es hier um mehr als Sport und Spiel ging. Tatsächlich wurden in diesen Arenen kultische und damit außerordentlich ernste Dinge verhandelt. Nach allem, was wir wissen, stand bei einigen Völkern dabei sogar das Leben auf dem Spiel.
Der Gedanke, dass der Sport kultische Funktionen haben kann, ist den christlich geprägten Gesellschaften fremd. Wir wissen eben noch, dass die Olympischen Spiele Altgriechenlands religiöse Bezüge hatten. Der Sport wurde in Europa aber schon in der Antike säkularisiert. Zweitausend Jahre leibfeindliches Christentum haben ein übriges dazu getan, einen möglichen Zusammenhang von Sport und Kult aus unserem Bewusstsein zu tilgen. Nach dem altchristlichen Menschenbild liegen Kult und Sport geradezu gegensätzliche Prinzipien zu Grunde. Die Stiftung von Sinn ist danach im wesentlichen eine Sache des Geistes und muss gewissermaßen gegen den Körper durchgesetzt werden. Spielerische körperliche Aktivität macht somit für sich keinen höheren Sinn.
In unserem Kulturkreis können wir daher über den ursprünglichen Zusammenhang von Kult und Sport nicht viel erfahren. Aufschluss hierüber können wir aber von der Betrachtung der präkolumbianischen Kulturen Mesoamerikas erwarten, bei denen Kult und Sport nie getrennt wurden. Dies gilt um so mehr, als die indianischen Zivilisationen weder das Rad noch Zugtiere kannten mit der Folge, dass der körperlichen Aktivität des Menschen ein besonders hoher Stellenwert zukam. Tatsächlich wurde auf den Ballspielplätzen des alten Mexiko denn auch ein Sport praktiziert, der besonders anschaulich zeigt, dass beim Spiel mit dem Ball wesentlich mehr als der Ball im Spiel ist.
Archeologische Funde zeigen, dass die Anfänge des altmexikanischen Ballspieles tief in der Geschichte liegen. Es wurde offenbar bereits über tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung bei den Olmeken gespielt, dem sagenhaften kulturellen Muttervolk Mesoamerikas, dessen markanteste Hinterlassenschaft die „ballartigen“ monumentalen Kopfskulpturen sind, die man an der mexikanischen Golfküste fand. Wie viele andere kulturelle Errungenschaften der Olmeken wurde das Ballspiel von allen indianischen Völkern der Region übernommen und weiterentwickelt. Welche Bedeutung es in der mesoamerikanischen Kultur schließlich erlangte, spiegelt sich in der Tatsache, dass viele Zeremonialstädte mehrere Ballspielplätze besaßen. In der mayanisch-toltekischen Stadt Chichén-Itzá im Norden der Halbinsel Yukatan etwa wurden acht, in der zweitausend Kilometer davon entfernten Totonaken-Stadt El Tajín, 200 km nordöstlich von Mexiko City, sogar siebzehn Ballspielplätze gefunden. Als die Spanier Anfang des 16. Jahrhunderts in Mittelamerika einfielen, war das Ballspiel bei den Völkern, die damals dort lebten, noch in Gebrauch. Die christlichen Eroberer sorgten jedoch, wie bei allem, was mit der indianischen Religion zusammenhing, auf’s Gründlichste dafür, dass es bald in Vergessenheit geriet. Dadurch ist der Traditionszusammenhang des Spieles vollständig verloren gegangen.
Die präkolumbianischen Kulturen sind erst vor relativ kurzer Zeit aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden, in den sie teilweise schon lange vor der Ankunft der Spanier gefallen waren. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Welt durch die Berichte europäischer und amerikanischer Reisender, die die Ruinen der Maya Städte im Dschungel aufgesucht hatten, auf die erstaunlichen Leistungen der indianischen Kulturen aufmerksam. Seitdem versucht man, die Zusammenhänge dieser Kulturen, deren Besonderheit, legt man unsere Maßstäbe zugrunde, eine höchst merkwürdige Mischung von Avanciertheit und Retardierung ist, in mühsamer Kleinarbeit zu rekonstruieren. Dabei ist man auch auf das vergessene Ballspiel gestoßen. Mittlerweile ist das Spiel im Zuge einer Rückbesinnung auf altmexikanische Traditionen an einigen Orten sogar wieder aufgenommen worden.
Unser Wissen über das altmexikanische Ballspiel ist dennoch begrenzt. Am besten Bescheid wissen wir über die Anlagen, auf denen das Spiel ausgetragen wurde. Ballspielplätze sind in mehr oder weniger gutem Erhaltungszustand bei Ausgrabungen überall in Mittelamerika gefunden worden. Sie bestanden in der Regel aus einem rechteckigen Platz, der von Mauern oder Wällen umgeben war, die in der Mitte tribünenartig in das eigentliche Spielfeld hineinsprangen. Das Spielfeld wurde dadurch im Mittelteil verengt und hatte so in etwa die Form einer römischen Eins. Die Größe der Arenen variierte erheblich. Einige Ballspielplätze waren kürzer als ein Basketballfeld, andere länger als ein Fußballplatz. Den größten Ballspielplatz fand man in Chichén-Itzá. Die Anlage, die inzwischen vollständig wiederhergestellt ist, ist so gewaltig, dass zweifelhaft ist, ob sie überhaupt bespielbar war. Das Spielfeld hat eine Länge von nicht weniger als 164 Metern und ist in der Mitte 36 und an den Enden 70 Meter breit. Mit ihren hohen Mauern, auf denen feierliche Tempel stehen, erinnert sie an die Arenen des europäischen Altertums, wie man sie etwa in dem amerikanischen Monumentalfilm „Ben Hur“ dargestellt hat.
Die genauen Regeln des Ballspieles sind uns mangels einer näheren Beschreibung oder gar eines überlieferten Regelbuches leider nicht bekannt. Wir wissen aber, dass es sich um ein Mannschaftsspiel handelte, das in seiner Grundstruktur dem heutigen Volleyballspiel ähnelte und Elemente von Basketball enthielt. Der Ball war eine massive, elastische Kugel, die meist in etwa die Größe eines Handballes hatte und aus Kautschuk bestand, einem Material, das man vom Gummibaum gewann, der im Siedlungsgebiet der Olmeken an der Golfküste heimisch ist. Dieser Ball wurde wie beim Volleyballspiel über eine Mittellinie gespielt und durfte den Boden nicht berühren. Zusätzlich war er möglichst durch zwei Ringe von der ungefähren Größe eines Basketballkorbes zu schießen, welche an der Mittellinie in einigen Metern Höhe senkrecht an der Seitenbegrenzung des Spielfeldes angebracht waren. (Die aufwendig ornamentierten, steinernen Ringe haben die Spanier übrigens mit Vorliebe als Mühlsteine benutzt, was geradezu symbolisch für die Mischung von Sendungsbewusstsein und Nützlichkeitsdenken des europäischen Kolonialismus ist.) Die besondere Herausforderung an die Geschicklichkeit bestand darin, dass die Spieler den Ball nur mit dem Gesäß, den Hüften, den Schultern oder den Knien befördern durften. Da das Spielgerät ziemlich hart war und einiges Gewicht hatte, wurden diese Körperteile und die Hände, mit denen man sich beim Gesäßstoß am Boden abstützte, mit Lederpolstern oder Holzschienen geschützt, eine Art der Aus(f)rüstung, die sich noch heute in einigen typisch amerikanischen Sportarten wie American Football oder Baseball findet. Der gepolsterte Gürtel, den die Akteure beim Spiel trugen, erlangte im alten Mexiko geradezu eine eigenständige kultische Bedeutung. Solche Gürteljoche wurden, in Stein gehauen und prachtvoll geschmückt, überall in der Region gefunden.
Von der spezifischen Haltung der Spieler, bei denen es sich wegen der technischen Schwierigkeiten des Sportes zumindest um Halbprofis gehandelt haben dürfte, sowie von ihrer Ausrüstung können wir uns an Hand der stilisierten Darstellungen in altmexikanischen Bilderhandschriften und Steinmetzarbeiten ein einigermaßen gutes Bild machen. Interessanterweise existiert davon aber auch eine realistische Zeichnung europäischer Provenienz, die im Jahre 1529, also nur acht Jahre nach dem Untergang des Aztekenreiches entstand. Sie stammt von dem Augsburger Goldschmied und Holzschneider Christoph Weiditz. Weiditz besuchte Sevilla zu einer Zeit, als sich Hernan Cortes, der Eroberer Mexikos, dort vor Kaiser Karl V. für sein eigenmächtiges Vorgehen in Mittelamerika verantworten musste. Dabei zeichnete er nicht nur das Portrait des Konquistadoren, welches später der bekannten Cortes-Medaille zu Grunde gelegt wurde, sondern auch zwei aztekische Ballspieler in voller Aktion. Angetan nur mit dem Hüftschutz sind die muskulösen Athleten, die Cortes als Kuriosum mitgebracht hatte, in der typischen gebückten Rückwärtshaltung dargestellt, die sich daraus ergibt, dass der Ball mit den Gesäß fortgeschleudert wurde.
Für die spanische Gesellschaft des frühen 16. Jh. waren die Vorführungen der beiden aztekischen Sportler sicher nur „Kunststücke“, über die man sich mehr oder weniger amüsiert haben dürfte. „In Wirklichkeit“ war dieses Ballspiel aber auf sehr ernste Weise mit dem geistigen Kosmos des präkolumbianischen Menschen verbunden, einem Weltverständnis, mit dem wir uns auch noch heute ziemlich schwer tun. Die mesoamerikanische Hochkultur entwickelte sich in völliger Abgeschiedenheit von den Hochkulturen der alten Welt und brachte daher weitgehend eigenständige Denk- und Empfindungsmuster hervor. Die „Logik“ ihrer Geisteswelt erinnert an die irrationalen Verknüpfungen des Traumes, weswegen einer analysierenden Betrachtung Grenzen gesetzt sind. Soweit wir überhaupt dokumentarische Manifestationen des indianischen Weltbildes haben, sind sie in hohem Maße symbolisch verschlüsselt. Die zahlreichen regionalen Varianten und die vielen Veränderungen, welche die Elemente der mesoamerikanischen Kulturen im Laufe von rund 3000 Jahren durchliefen, tragen ein übriges dazu bei, das Verständnis der Dinge zu erschweren.
Unsere Erkenntnisse über die kultische Bedeutung des Ballspieles stützen sich, abgesehen von einigen Hinweisen früher spanischer Chronisten, die freilich vom Vorverständnis ihrer Zeit geprägt sind, vor allem auf die Darstellungen in den Bilderhandschriften der altmexikanischen Priester, von denen einige glücklicherweise die christlichen Bücherverbrennungen überstanden haben. Darin finden sich immer wieder schematisierte Abbildungen von Ballspielplätzen, die von allerlei Göttern und Fabelwesen bevölkert und von Symbolen umgeben sind. Auch wenn diese Schriften nicht die Funktion von Büchern haben, die wir kennen – sie dienten nicht der Mitteilung von Wissen an Dritte, sondern der magischen Bestätigung des Geheimwissens der Priesterkaste -, können wir daraus doch einige Anhaltspunkte für den Kontext entnehmen, in dem das Spiel praktiziert wurde.
In den Bilderhandschriften fällt auf, dass der Ballspielplatz, der nach Art von Hieroglyphen jeweils als Grundriss abgebildet wird, häufig in Abschnitte von unterschiedlicher Helligkeit geteilt ist. Die Mittellinie und das Zentrum des Platzes sind durch die beiden Ringe, die der Ball passieren muss, und Todessymbole wie menschliche Schädel und Herzen hervorgehoben. Dies zeigt, dass an dieser Stelle außerordentlich Gravierendes passiert. Die Mitte des Platzes wird in einem aztekischen Mythos denn auch als die „geheimnisvolle Bedeutung des Ballspieles“ bezeichnet. Zumindest auf den Ballspielplätzen der Mayas befand sich hier auch in der Wirklichkeit ein reliefgeschmückter runder Markierungsstein, der offenbar die Funktion eines Opferaltares hatte. Bei einigen Völkern wurde diese „Schädelstätte“ außerhalb des Spielfeldes angelegt. In Chichén-Itzá etwa findet sich neben den großen Ballspielplatz eine große Zeremonialplattform, deren Seitenwände mit einem Fries aus unzähligen skelettierten Gesichtern „geschmückt“ sind.
Die Frage, was sich in der Vorstellungswelt des präkolumbianischen Menschen in dieser Mitte abspielte, ist nicht leicht zu beantworten. Eine „eindeutige“ Lösung ist schon deswegen nicht zu erwarten, weil die Mythen der mesoamerikanischen Völker auf höchst komplexe Weise vernetzt und daher außerordentlich mehrdeutig sind. Experten haben im Ballspiel Fruchtbarkeitsrituale, etwa eine Beschwörung des Regens, aber auch die Darstellung des Daseinskampfes gesehen.
Eine wesentliche Rolle scheinen allerdings kosmologische Gesichtspunkte zu spielen. Eines der grundlegenden Motive des präkolumbianischen Denkens ist, dass zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis ein immerwährender Krieg stattfindet. Der sichtbare Ausdruck dieses Kampfes ist der Wechsel von Tag und Nacht. Der Ort, an er ausgetragen wird, ist die Dämmerung, die Mitte also zwischen Licht und Finsternis. Die Vorstellung war, dass hier bei einem kosmischen Opfer abends die Sonne und morgens der Mond und die Sterne getötet werden.
In erster Linie wird dieser Kampf von den Göttern auf einem Himmelsballspielplatz ausgetragen, welchen man in einer Sternenkonstellation in der Nähe des Polarsternes sah. Auf der Erde spielen ihn die Menschen in einer Art Analogiezauber nach. Dabei entsprechen die beiden Hälften des Ballspielplatzes dem Tag- und dem Nachthimmel und die Mannschaften den himmlischen Protagonisten. Die beiden Ringe, die in der Mitte angebracht sind, stellen offenbar die Enge dar, welche die Sonne in der Abend- und Morgendämmerung und an den Tag-und Nachtgleichen passieren muss. Die Sonne aber ist der Ball, was möglicherweise der Grund dafür ist, dass er nicht angefasst werden und nicht zu Boden gehen darf.
Dem Himmelsopfer entsprechend muss zum Erhalt der kosmischen Ordnung auch auf der Erde ein Opfer gebracht werden. Denn entgegen aller astronomischen Evidenz wurde der Ausgang des Kampfes zwischen Licht und Finsternis als ungewiss angesehen. Der präkolumbianische Mensch wurde von der ständigen Furcht geplagt, dass die Sonne nicht mehr aufgehen oder dass sich der Tag im Winter immer weiter verkürzen könnte. Der Sieg der Sonne konnte, so glaubte er, nur sichergestellt werden, wenn dem lebenspendenden Gestirn mittels eines Opfers Nahrung zugeführt wurde. Nach allem, was wir wissen, hatte dieses Opfer der Verlierer des Ballspieles zu erbringen.
Wie dieses Opfer zumindest bei einigen Völkern des alten Mexikos aussah, können wir den Reliefs entnehmen, welche man an den Seitenwänden von zwei Ballspielplätzen fand. In El Tajín sieht man, wie einem Ballspieler noch in voller Montur, also offensichtlich unmittelbar nach dem Spiel, die Brust mit dem rituellen Steinmesser geöffnet wird, um ihm, altmexikanischer Opfersitte entsprechend, das noch schlagende Herz aus dem Leib zu reißen. In Chichén-Itzá wird ein Spieler, der von anderen Spielern festgehalten wird, geköpft, wobei ihm eine Blutfontaine in der Gestalt von Schlangen aus dem Hals schießt. Ob das Ballspiel allerdings bei allen mesoamerikanischen Völkern und jedesmal, wenn es gespielt wurde, den Tod des Verlierers zur Folge hatte, ist nicht sicher.
Mit dem tödlichen Ausgang ist der denkbar höchste gesellschaftliche Ernst eines Spieles erreicht. Denn bei den Menschenopfern, die im Leben der indianischen Kulturen eine herausragende Rolle spielten, ging es nicht, wie noch die Spanier meinten, um ein grausames Ausleben aggressiver Triebe. Vielmehr handelt es sich um eine archaische Form der gesellschaftlichen Grundidee, dass der Einzelne sein persönliches Interesse zu Gunsten des gefährdeten Ganzen zurückzustellen, dass er sich also zu opfern habe. Dass das Ballspiel an einem derart grundlegenden sozialen Sinnstiftungsprozess teil hatte, dürfte seinen Grund darin haben, dass es sich zum magischen Symbol für die Möglichkeit der Orientierung in der physischen und geistigen Welt eignete, einer Welt, die der präkolumbianische Mensch – nichts zeigt dies deutlicher als seine irrationale Angst vor dem Verlust der Sonne – als traumhaft chaotisch und daher voller Rätsel und Gefahren erlebte. Die rituelle Regelhaftigkeit sowie die Gegensatzpaar- und Alternativenbildung des Ballspieles stellte einen symbolischen Gegenpol zur Gestaltlosigkeit des Numinosen dar. Damit hatte es eine ähnliche Funktion wie die präkolumbianische Sakralarchitektur, deren wesentlicher Bestandteil der Ballspielplatz ist. In dieser Architektur, die in erster Linie Zeichen setzt – das Schaffen von Innenräumen ist allenfalls ein Nebenaspekt -, kommt der Anspruch, Orientierung im „Weltraum“ zu vermitteln, durch die Betonung einfacher geometrischer Formen, insbesondere des rechten Winkels, des Rechteckes und der Pyramide, besonders sinnenfällig zum Ausdruck (dieses Phänomen findet sich bekanntlich auch in Frühstadien anderer Hochkulturen, so bei den ägyptischen und babylonischen, aber auch den südostasiatischen Pyramidenbauern).
Eine derart sinnstiftende Funktion des Sportes löst bei einem Christenmenschen zunächst einmal Erstaunen aus. Auf dem Hintergrund der Betrachtung des altmexikanischen Ballspieles wird bei näherem Hinsehen aber deutlich, in welchem Maße Sport und Spiel heute ähnliche Funktionen haben. Parallel zum schwindenden Einfluss des traditionellen christlichen Menschenbildes ist in den modernen Gesellschaften auch der Vorrang des Geistes bei der Sinnstiftung zugunsten des Körpers reduziert worden. Dies gilt für den Einzelnen, der die Grenzen seiner Möglichkeiten ausloten will und „Erfüllung“ etwa beim Marathonlauf sucht – ein Verhalten für das es übrigens im kultischen Laufen der alten Andenvölker ebenfalls ein indianisches Gegenstück gibt. Es gilt aber vor allem für die vielfältigen sozialen Aspekte der spielerischen körperlichen Aktivität. Heute ist, wiewohl die Praxis nicht selten weit hinter der Erkenntnis herhinkt, unstreitig, dass im Zusammenhang mit dem Sport wichtige Grundlagen sozialen Verhaltens entwickelt, eingeübt und gepflegt werden. Wie bedeutsam die Rolle des Sportes, den man gerne als die „wichtigste Nebensache der Welt“ bezeichnet, im Leben der Gesellschaft ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass man die Berichterstattung über gewisse Sportereignisse mittlerweile zur “ Grund“versorgung der Bevölkerung zählt.
Es hieße freilich, den Ernst des sportlichen Spieles überstrapazieren, wenn man in einer Art umgekehrten Analogiezauber das Leben nach dem Muster des Sportes organisieren wollte, eine Versuchung, für die nicht nur totalitäre politische Systeme, sondern gelegentlich auch übermäßig engagierte Funktionäre und Übungsleiter anfällig sind. Tatsächlich hat man den rituellen Formalismus, der den Sport kennzeichnet, in kultähnlicher Weise immer wieder auch zur Einübung rigider Gesellschaftsdisziplin eingesetzt. Wie das Beispiel des altmexikanischen Ballspieles zeigt, ist das sportliche Spiel aber weder ein Ab- noch ein Vorbild, sondern ein „Sinn“bild des menschlichen Daseins. Seine Rückwirkung auf den Menschen erfolgt daher nicht unmittelbar, sondern unterliegt den wesentlich subtileren Wirkungsmechanismen gesellschaftlicher Symbole. Die gesellschaftliche Funktion des Sportes lässt sich mit der Rolle vergleichen, welche Märchen bei der Normbildung im kindlichen Bewusstsein spielen. In beiden Fällen sind die Wertvorstellungen, die ihnen zugrunde liegen, archetypische „Ver-Dichtungen“, die nicht unmittelbar auf die soziale Wirklichkeit übertragen werden können. Wer dem Sport einen über diesen Vermittlungsaspekt hinausgehenden „Sinn“ geben will, gerät in die Gefahr, zu übersehen, dass es bei allem Ernst um Spiel geht.