Geist und Macht sind, wiewohl aufeinander angewiesen, schwierige Genossen. Der Geist tendiert zum Reinen und läuft damit Gefahr, sich der Politik zu entfremden, zur der auch „unreine“ Verfahren, etwa der Kompromiss und die schnelle Aktion gehören. Vor allem in Deutschland wurde die Kohabitation von Geist und Macht häufig als Problem empfunden. Die deutschen Dichter und Denker haben die Niederungen der Politik gerne aus der Klause (und nicht selten der Perspektive des Weltschmerzes) oder aus der Studier- bzw. Redaktionsstube kommentiert. Dass Größen des Geistes politische oder herausragende administrative Ämter übernahmen, war und ist die Ausnahme von einer Regel, die sich durch eine bemerkenswerte Festigkeit auszeichnet. Umgekehrt haben Personen des öffentlichen Lebens selten ernsthafte literarische oder künstlerische Ambitionen an den Tag gelegt. Schöpferische Tätigkeit wird hierzulande bei gesellschaftlichen Praktikern nicht sonderlich geschätzt. Einige missglückte politische Engagements von Künstlern und Literaten in den Zeiten, in denen der Geist der Politik zur platten Ideologie degeneriert war, haben ein übriges getan, das Verhältnis zwischen den Genossen zu komplizieren.
Ganz anders sieht dies bei unseren Nachbarn aus. In England etwa spannt sich von den Renaissance-Politikern Thomas Moore und Francis Bacon, deren Werke zu den Klassikern der europäischen Geistesgeschichte zählen, ein höchst eindrucksvoller polit-intellektueller Bogen bis hin zu Winston Churchill, der den Nobelpreis für Literatur erhielt. In den biographischen Nachschlagewerken beginnen hier unzählige Artikel über Personen des öffentlichen Lebens mit dem Vermerk: „Englischer Politiker und Schriftsteller“ und umgekehrt. Literarische Meriten waren auf den britischen Inseln traditionell ein wichtiges Tor zur politischen Karriere. Und wer den Einstieg in die Politik nicht mit dem Schreiben von Romanen, wie Disraeli und Bulwer-Lytton, von Versepen, wie Byron, oder von Essays, wie Addison, Steele und Burke, verband, der lieferte, wie Fox und Gladstone, möglichst ein Geschichtswerk nach. Noch heute ist es in der Nachfolge dieser Tradition in den Vereinigten Staaten üblich, dass ehemalige Präsidenten dem Geist, auch wenn sie sich ihm in ihrer aktiven Zeit nur mäßig verpflichtet fühlten, durch die Stiftung einer Bibliothek Reverenz erweisen. Wie weit der deutsche Kulturraum von einem solchen Geist entfernt ist, zeigt nichts deutlicher als die Tatsache, dass sogar bloß politisch-mäzenatische Taten dieser Art außerhalb unseres Erwartungshorizontes liegen.
Ein Musterbeispiel eines englischen literarisch-politischen Lebens aber auch für die Problematik des Spagates zwischen Amt und literarischen Würden ist Thomas Babington Macaulay. In den 30- und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts war Macaulay, der hierzulande wenig bekannt ist, einer der brilliantesten Redner des britischen Unterhauses und zugleich einer der profiliertesten Schriftsteller seiner Zeit. Berühmt wurde er durch seine Essays, in denen er sich – nach allen Seiten kräftig Zensuren verteilend – außerordentlich mitreißend und luzide mit einem weiten Spektrum literarischer und politischer Themen befasste. Sein Hauptwerk, eine „Geschichte Englands“, war im englisch-sprachigen Raum einer der größten buchhändlerischen Erfolge des ganzen Jahrhunderts. Auch lange nach seinem Tod im Jahre 1859 gehörten seine Schriften noch zum Kernbestand der Hausbibliotheken des aufgeklärten englischen Bürgertums. Selbst in Australien, wo sich die Kolonialpioniere seinerzeit noch durch den Busch kämpften, waren seine Werke überall zu finden. Ein Reisender des 19. Jahrhunderts berichtete, er habe bei allen Siedlern drei Bücher gefunden: die Bibel, Shakespeare und Macaulays Essays. Noch heute gehören seine Werke, nicht zuletzt wegen eines Englisch, das nicht lebhafter, farbiger und treffender sein könnte, zum anregendsten und spannendsten, was man über die Sicht Englands von der Welt zu einer Zeit lesen kann, in der das Land dem Höhepunkt seiner Entwicklung als Weltmacht zustrebte.
Macaulay wurde im ersten Jahr des Jahrhunderts geboren, das man als das „englische“ bezeichnen kann und dessen perfekter Repräsentant er ist. Von Haus aus war ihm weder eine politische noch eine literarische Karriere vorgezeichnet. Er wuchs in Clapham, einen Vorort Londons in kleinen Verhältníssen auf. Das streng evangelikale Elternhaus, in dem es chronisch an Geld mangelte, verfügte über keine besonderen Verbindungen zum englischen Establishment. Der Vater, dem man für sein philanthropisches Engagement ein Denkmal in Westminster Abbey setzte, redigierte zwar eine religiöse Zeitschrift, die sich vor allem dem Kampf gegen die Sklaverei widmete. Sonst wollte er aber mit Politik und Literatur nicht viel zu tun haben. Die Beschäftigung mit weltlicher Literatur war für ihn fast schon Sünde. Als Internatsschüler musste sich der junge Macaulay gegenüber dem Vater immer wieder gegen den – nicht unberechtigten – Vorwurf verteidigen, ein „Romanleser“ zu sein oder sich zu politischen Fragen geäußert zu haben.
Macaulay war so etwas wie ein verbales Wunderkind. Ausgestattet mit einem außerordentlichen Gedächtnis, das ihm sein Leben lang gestattete, jederzeit auf den riesigen Fundus seiner Lektüre in allen wichtigen Sprachen Europas zurückzugreifen, hatte er die Formen und Inhalte der europäischen literarischen Tradition schon als Kind so weit aufgenommen, dass er sich ihrer in stupender Weise zum Zwecke des Ausdrucks eigener Gedanken bedienen konnte. Im Alter von acht Jahren schrieb er ein Epos in Blankversen im Stile Walter Scotts und ein Kompendium der Weltgeschichte. Die Briefe, die der Junge aus dem Internat an seine Eltern schrieb, zeigen eine Gewandtheit und Souveränität im Umgang mit der Sprache, die dem heutigen Leser – insbesondere wenn er die Ausdrucksfähigkeit der Bildschirmjugend unserer Zeit dagegen hält – schlicht die Worte verschlägt.
Seine außerordentlichen Fähigkeiten brachten Macaulay einen Platz im berühmten Trinity College in Cambridge ein, wo er unter den Büsten Bacons und Newtons mit großem Erfolg studierte und preisgekrönte Gedichte, Dialoge und kleinere Essays verfasste. Soeben dem College entwachsen, trat er schließlich im Jahre 1825 mit einem Paukenschlag auf die große publizistische Bühne. Die angesehene „Edinburgh Review“, das Sprachrohr der liberalen Partei der Whigs, veröffentlichte von ihm einen mit unerhörter Verve geschriebenen umfangreichen Artikel über den englischen „Dichter und Politiker“ John Milton, den Verfasser des „Verlorenen Paradieses“. Darin trat der 25-jährige Autor mit einer so erstaunlichen Weite des Blickwinkels und einer solchen Entschiedenheit des Urteils über künstlerische und politische Fragen hervor, dass ihm die literarisch-politische Öffentlichkeit sofort zu Füßen lag.
Macaulays Erstling enthält weitgehend das Programm seines ganzen Lebenswerkes. Wie alle fast 40 Essays, die er in den nächsten 20 Jahren für die „Edinburgh Review“ schrieb, hatte der Milton-Aufsatz die Form einer Buchkritik, ohne sich viel um das Buch zu bekümmern, um das es ging. Viele der besprochenen Werke – Biographien, Werkausgaben und politische Traktate – waren nicht besonders bedeutend und nicht wenige sind überhaupt erst durch Macaulays Lob oder seinen Verriss „groß“ geworden. Im Grunde waren sie für ihn nur der Anlass, auf der Basis verblüffender Detailkenntnisse über die jeweilige Person oder das in Frage stehende Thema weit ausgreifende eigene Gedanken zu ästhetischen, ethischen und historischen Problemen darzulegen und kulturhistorische Vergleiche zu ziehen. Macaulay interessierten dabei vor allem Figuren, die, wie er selbst, zwischen Schreiben und politischer Praxis changierten. Schon im Falle Miltons wandte er sich, nachdem er dessen dichterisches Werk sachkundig abgehandelt hatte (wobei er nebenbei seine persönliche Poetologie darlegte), weit ausschweifend den politischen Verhältnissen im England der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert zu, als unter Beteiligung des Dichters als Pamphletisten der politische Liberalismus aufkeimte.
Diese Epoche sollte Macaulay sein Leben lang beschäftigen. Immer wieder kreisten seine Gedanken und Erörterungen um die Zeit der „Großen Rebellion“ von 1649 und der „Glorreichen Revolution“ von 1688, in der mit der „Habeas Corpus- Akte“ und der „Bill of Rights“ die Rechte der Krone eingeschränkt und damit die Grundlagen des englischen parlamentarischen Systems und der Menschenrechte gelegt wurden. Hier lagen für ihn die Wurzeln zum Verständnis der spezifisch englischen Zivilisation, deren wesentliches Kennzeichen er in einer prinzipiellen Reformierbarkeit des politischen Systems und der daraus resultierenden relativen Mäßigung der politischen Leidenschaften sah. Die Revolution von 1688, so schrieb er einmal im Hinblick auf die Reihe der Revolutionen, welche den Kontinent in der Zeit von 1789 bis 1848 erschütterten, sei die gewaltloseste und segensreichste aller Revolutionen gewesen und ihr größtes Lob sei, dass sie – und das gilt noch heute – die letzte in England gewesen sei. Macaulays Lebenswerk war dem Bestreben gewidmet, diese politischen Grundüberzeugungen in der Vergangenheit zu verankern, um ihnen im traditionsbewussten England das Gewicht zu verschaffen, welches sie im politischen Tageskampf der Gegenwart und in der Zukunft benötigten. Bei seinen Landsleuten stieß er damit auf große Resonanz. Bestärkt durch die beispiellosen wirtschaftlichen und weltpolitischen Erfolge Englands im 19. Jahrhundert berauschten sie sich an Macaulays fortschrittsgewisser Formel, dass ihre Generation dank der spezifisch englischen Lösung des Macht- und Führungsproblems die „aufgeklärteste des aufgeklärtesten Volkes aller Zeiten“ sei.
Im Alter von 30 Jahren konnte Macaulay, nachdem er eine Zeitlang mehr oder weniger lustlos als Gerichtsanwalt umhergereist war, die praktische Probe auf seine liberalen Gedankenexempel machen. Seine literarischen Bekenntnisse zum politischen Gedankengut der Whigs, die er in weiteren Essays – u.a. über Macciavelli und Hallams Verfassungsgeschichte – bekundet hatte, hatten führende Kreise der liberalen Partei auf ihn aufmerksam gemacht, die ihm einen Wahlkreis anboten. Im Jahre 1830 zog Macaulay als Abgeordneter für den Wahlkreis Calne in das Unterhaus ein, wo die Whigs nach einem halben Jahrhundert der Bedeutungslosigkeit – einer Folge der französischen Revolution, die liberales Denken in Misskredit gebracht hatte – wieder die Regierung stellen konnten. Ganz im liberalen Geist führte er sich dort mit einer Rede für die Emanzipation der Juden ein.
Der Zeitpunkt, in dem der junge Liberale mit dem Faible für Verfassungsfragen ins politische Leben trat, konnte nicht günstiger sein. Vom Kontinent kommend drohte der Geist der Revolution von 1830 auch England zu erfassen, wo zwar ein parlamentarisches System bestand, aber die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht wählen durfte. Die Zahl der Wahlberechtigten belief sich gerade einmal auf 250.000 – meist landbesitzende – Personen. Eines der ersten Reformvorhaben der neuen Regierung betraf daher die Erweiterung des Wahlrechtes auf die Bürger der Städte, die in der industriellen Revolution erheblich an wirtschaftlichem Gewicht gewonnen hatten. In beispiellosen nächtlichen Redeschlachten im Unterhaus, einem Terrain, das auch damals schon als eines der schwierigsten galt, auf dem sich ein Redner bewegen konnte, trug Macaulay wesentlich zum Erfolg der „Reform Bill“ bei. Auf wahrhaft liberale Weise konnte er anschließend auch den Lohn für erbrachte Leistung in Empfang nehmen. Als Dank für sein Engagement bei der Wahlrechtsreform wählten ihn die Bürger der Industriestadt Leeds nun auf den Sitz des Unterhauses, dessen Einrichtung sie nicht zuletzt seinem Einsatz zu verdanken hatten. Außerdem berief ihn die Regierung in ein bezahltes Amt, was er zum Bestreiten seines Unterhaltes und dem seiner unterstützungsbedürftigen Geschwister dringend benötigte. Er wurde Mitglied des politischen Aufsichtsrates der East India Company und gelangte so in eine der Schaltzentralen des britischen Imperialismus.
Spätestens mit seinen Auftritten im Unterhaus war Macaulay ein berühmter Mann. Als solcher erhielt er Einladungen zu Breakfeasts und Dinnerpartys in die prachtvollen Häuser des englischen Adels. Je mehr er sich in diesen Kreisen bewegte, desto mehr plagte ihn aber die Sorge, dass er als Politiker und Literat ohne Vermögen in die Rolle eines „wit“ geraten könnte, den höheren Witzbolden und Gedichteschreibern, die im Zentrum der englischen Salons standen. Er litt besonders darunter, dass seine politische Entscheidungsfreiheit durch die finanzielle Abhängigkeit von einem Amt eingeschränkt war, welches ihm das Establishment verschafft hatte.
Ein Ausweg aus dieser psychischen Not, die heutigen Politikern ziemlich fremd geworden ist, bot sich im Jahre 1834, als man ihm eine Position in der fünfköpfigen Kolonialregierung Indiens anbot. Wiewohl alles andere als ein Abenteurer und außerhalb seines geliebten Englands wie ein Fisch ohne Wasser, nahm Macaulay das Amt an. Die gute Bezahlung versetzte ihn in die Lage, die finanziellen Nöte seiner Familie endgültig zu beenden und zugleich ein kleines Vermögen zusammenzusparen, das ihm für den Rest seines Lebens Unabhängigkeit garantierte. Mit den aufgeklärtesten Absichten zur Zivilisierung der Völker Indiens und mit einer Bibliothek, in der die alten und neuen Klassiker ganz Europas in der jeweiligen Originalsprache versammelt waren, begab er sich auf die lange Reise in ein „Exil“, das er gerne mit der Verbannung verglich, in die sein polit-literarisches Vorbild Cicero geschickt wurde. Dort sollte er mit einem völlig anderen Aspekt des aufgeklärtesten Volkes aller Zeiten konfrontiert werden.
In Indien war der liberale Verfassungsenthusiast auf geradezu groteske Weise mit dem Gegenteil dessen konfrontiert, wofür er in England kämpfte. Das Volk, das weit größer als das der britischen Inseln war und auf eine Jahrtausende alte Tradition zurückblicken konnte, hatte überhaupt kein Wahlrecht und war von der Verwaltung des Landes weitgehend ausgeschlossen. Das Riesenreich wurde ohne Parlament von einer „Regierung“ verwaltet, deren Macht größer war als die jedes absolutistischen Herrschers, gegen den sich die Völker Europas in mehr oder weniger gewaltsamen Revolutionen erhoben hatten. Zudem wurde das Land durch eine handvoll Siedler und Abenteuer dominiert, deren Bedarf an Aufklärung durch ihre wirtschaftlichen Interessen stark limitiert war. Unter diesen Voraussetzungen versuchte Macaulay einige der grundsätzlichsten Vorstellungen liberalen politischen Denkens auch in Indien zu verwirklichen, wodurch er, was ihn ehrte, zum Buhmann der Siedlerpresse wurde. Unter anderem betätigte er sich als Gesetzgeber, indem er sich federführend an der Schaffung eines modernen indischen Strafgesetzbuches beteiligte (das dann allerdings auf höchst undemokratische Weise per Dekret erlassen werden sollte). Außerdem setzte er sich für den Aufbau eines – natürlich englisch orientierten – Erziehungswesens für die „indischen Untertanen seiner Majestät“ und für die Gleichberechtigung der einheimischen Bevölkerung beim Zugang zu Verwaltungsämtern ein. Die Einsicht in das prinzipielle Problem einer Fremdherrschaft, das er später in den einleitenden Passagen seiner „Geschichte Englands“ im Zusammenhang mit der Eroberung seines Heimatlandes durch die Normannen so beredt beklagen sollte, war dem liberalen Denker aber durch den (Welt-Macht-)Politiker und den Zeitgeist verstellt. Dass ein Regierungssystem, dem die Ziele und die Regeln einer Handelsgesellschaft zu Grunde lagen, eine Monstruosität war, hat Macaulay, der an der Ausgestaltung dieses Systems maßgeblich beteiligt war, ebenso wenig wahrhaben wollen, wie die Tatsache, dass die enormen Kosten für eine Verwaltung und eine Armee, deren Personal, wie er selbst, im wesentlichen vom anderen Ende der Welt herbeigeschafft wurde, zur Ausplünderung des Landes führen musste.
Wie vielen Indienreisenden kamen auch Macaulay im Lande der meditativen Versenkung Zweifel am Sinn der europäischen Betriebsamkeit. In der Beschaulichkeit seiner indischen Villa, wo er einen großen Essay über den ersten englischen Essayisten (und Politiker) Francis Bacon schrieb, stellte er sich die Frage, ob er wie Bacon möglicherweise mehr Macht ausüben könne, wenn er sich ganz auf das Schreiben konzentrieren würde. In dieser Zeit keimte der Entschluss, eine große Geschichte Englands zu schreiben, die – bezeichnenderweise – (nur) den Zeitraum „von der Revolution des Jahres 1688, die die Krone in Harmonie mit dem Parlament brachte, bis zur Revolution von 1831, die das Parlament in Harmonie mit dem Volk brachte“, im Grunde also (nur) die Zeit umfassen sollte, in der die Whigs das politische Geschehen gestalteten.
Im Jahre 1838 kehrte Macaulay nach England zurück, wo er seine kontemplativen Vorsätze nicht lange durchhalten konnte. Nach eineinhalb Jahren, in denen er Italien bereiste, weitere Essays schrieb und Vorstudien zu seiner „Geschichte“ machte, boten ihm die krisengeschüttelten Whigs, die ihn als Redner dringend brauchten, den Unterhaussitz für Edinburgh an. Wenige Monate später wurde Macaulay zum Kriegsminister berufen, eine Position, die er mit der Selbstverständlichkeit übernahm, die einem Intellektuellen insoweit wohl nur in England möglich ist. Das große Geschichtsprojekt wurde zurückgestellt. Vorläufig sah Macaulay seine Einflussmöglichkeiten wieder vorrangig in der praktischen Politik. Kaum zurückgekehrt in die politische Arena verbreitete sich sein Ruhm als Redner bald wieder über das ganze Land. Wenn Macaulay im Unterhaus eine seiner mit treffenden Zitaten und Vergleichen aus der gesamtem Kulturgeschichte gespickten Reden hielt, deren Gegenstand von der Kolonialpolitik über das Copyright bis hin zu Religionsfragen reichte, mussten die Sitzungen der Ausschüsse unterbrochen werden, weil sie wegen Abwanderung ihrer Mitglieder ins Plenum beschlussunfähig wurden.
Trotz der Hektik in und um Westminster Hall, die Macaulay bald wieder einfing, nahm er sich die Zeit, seine beiden populärsten Essays zu schreiben. Auf dem Höhepunkt des englischen Imperialismus beschäftigte er sich mit zwei Prototypen liberalen Unternehmergeistes. Koloriert im den buntesten Farben des Orients beschrieb er die phantastischen Tellerwäscherkarrieren von Robert Clive und Warren Hastings, den Gründern Britisch-Indiens, die es von kleinen Büroangestellten zu Herrschern über eines der größten Reiche der Welt gebracht hatten. Die Mischung aus moralisch-kritischem Bericht über die problematischen Umstände des Eindringens der Engländer in Indien und der Verherrlichung des Erfolges der beiden selfmade-men war ganz nach dem Geschmack des aufgeklärten englischen Publikums, das den Erfolg anbetete, ihn aber in ethisch überhöhter Form präsentiert haben wollte.
In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten zog sich Macaulay, wiewohl er immer wieder höchste Angebote erhielt, mehr und mehr aus der praktischen Politik zurück. Nachdem er ein erfolgreiches Buch mit Balladen über das alte Rom geschrieben hatte, widmete er sich ganz seinem Geschichtswerk. Mit unendlicher Akribie recherchierte er dafür in Bibliotheken und Archiven, reiste zu den historischen Schauplätze im In- und Ausland und feilte an jedem Satz, bis er wie Wasser dahin floss. Die ersten beiden Bände der „History“ erschienen 1848, die beiden folgenden 1855. Der Erfolg war, wie gesagt, überwältigend. Macaulays kokettierend mit dem Understatement eines Gentleman formuliertes Ziel, mit diesem Werk den neuesten Moderoman für ein paar Tage von den Tischen der jungen Damen zu verdrängen, wurde natürlich weit übertroffen. Der englische Buchhandel hatte seit den Romanen Walter Scotts keinen solchen Nachfragesturm mehr erlebt. Man rühmte insbesondere die fesselnde Erzählweise. Das Werk sei so erzählt, dass es selbst für einen Arbeiter verständlich sei. Das Opus maximum blieb allerdings unvollendet, nicht zuletzt weil Macaulay wegen eines Herzleidens, das überraschend im Jahre 1852 aufgetreten war, viel langsamer vorankam, als geplant. Bei seinem Tod im Jahre 1859 lagen schließlich fünf umfangreiche Bände vor, die im Wesentlichen nur die 16 Jahre zwischen 1688 und 1704 umfassten, mit denen sich Macaulay schon immer bevorzugt beschäftigt hatte. Macaulay hatte zum Abfassen seiner Geschichte mehr Jahre gebraucht, als darin er beschrieb. Dass das Werk trotz dieses kleinen Zeitfensters den umfassenden Titel „Englische Geschichte“ trägt, mag – ganz im Sinne des Autors – dadurch gerechtfertigt sein, dass in diesem Zeitraum die Grundlagen des politischen Systems geschaffen wurde, das Macaulay für die eigentliche Errungenschaft des englischen Volkes hielt.
In seiner zweiten Lebenshälfte wurde Macaulay fast zu einer nationalen Institution. Er erhielt allerhand Berufungen, Ehrenämter und Titel. Unter anderem wurde er zum Rektor der Universität Glasgow gewählt und zum Mitglied verschiedener Akademien des In- und Auslandes ernannt (aus Berlin etwa kam die Nominierung für den Orden „Pour le merite“). Nachdem er die meiste Zeit seines aktiven Lebens Mitglied des House of Commons gewesen war, wurde er zwei Jahre vor seinem Tod von Königin Victoria, zu deren Hausgästen auf Schloss Windsor er schon seit längerem gehörte, geadelt. Im Jahre 1857 zog er feierlich in die rot- und goldglänzenden Hallen des House of Lords ein, die durch anspielungsreiche Prachtentfaltung, historisierende Attitüde und parallele Entstehungszeit so etwas wie das architektonische Gegenstück seiner Schriften sind. Damit hatte er – auch aus seiner Sicht – das Höchste erreicht, was die aufgeklärte englische Monarchie einem begabten einfachen Bürger zu bieten hatte.
Macaulay war so großartig wie sein Jahrhundert, gelegentlich aber auch so großspurig wie dasselbe. Es war seine Leidenschaft, allem und jedem Zensuren zu verpassen. In seinen jüngeren Jahren ist der rhetorische Gaul dabei gelegentlich mit ihm durchgegangen, weswegen er sein Urteil später abmilderte. Als er den Autor eines Werkes, das nach seiner Meinung mit James Mackintosch, einem Historiographen der geheiligten Revolution von 1688, nicht genügend pietätvoll umgegangen war, allzu vehement angriff, handelte er sich sogar eine Duellforderung ein. Bei dem utilitaristischen Wirtschaftstheoretiker James Mill, dem Vater Stuart Mills, entschuldigte er sich wegen des reichlich ruppigen Tones seiner drei Aufsätze zum Utilitarismus und verbannte diese aus der späteren Ausgabe der gesammelten Essays. Andererseits wurde ihm aber auch vom politischen Gegner hohes Lob gezollt, so von dem Tory und späteren Ministerpräsidenten Gladstone, der sich für sensible Art bedankte, in der Macaulay sein Buch über Kirche und Staat kritisiert hatte.
Macaulays Lebensthema war die Wechselbeziehung von praktischer Politik und literarischer Aktivität. Dieses Thema zieht sich von seinem ersten Aufsatz in der „Edinburgh Review“ bis zu den letzten Sätzen seiner Geschichte Englands. Die Frage, ob die Sphären von Geist und Politik von einander getrennt werden können, hat sich für ihn nicht gestellt. Ähnlich wie für sein französisches Pendant, den Politiker und Revolutionshistoriker Louis Adolfe Thiers, mit dem er um die Wette schrieb, waren Geist und Politik für ihn die zwei Seiten derselben Medaille. Von den schriftstellernden Politikern Fox und Mackintosh schrieb er einmal, ersterer habe Debatten geschrieben, letzterer hingegen Essays gesprochen. Er selbst tat beides in jeder Kombination. Deshalb trifft die später aufgekommene Kritik, dass er als historischer Schriftsteller nicht objektiv gewesen sei, nicht ins Schwarze. Literaturkritik und Geschichtsschreibung waren für Macaulay nichts anderes als Politik mit anderen Mitteln. Das geschriebene Wort diente ihm in erster Linie zur Klärung politischer Fragestellungen, wobei dem jeweiligen historischen und literarischen Material die Funktion des Trägers seiner Gedanken zukam. Insofern ist er ein Vorläufer des modernen Journalismus, dessen Stil er im übrigen nicht nur in England nachhaltig beeinflusste.