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Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Konzert für Oboe, Streicher und Basso Continuo d-Moll BWV 1059

 Johann Sebastian Bach ist uns in seiner Leipziger Zeit vor allen als der tiefsinnig-spirituelle Thomaskantor und damit als Kirchenmusiker bekannt. Neben dieser Tätigkeit, die ihn, wie man angesichts des entsprechenden Oeuvres annehmen könnte, eigentlich voll in Anspruch genommen haben müsste, war er von 1729 bis 1739 aber auch Leiter der Konzertgemeinschaft Collegium Musicum, bei dem es ganz diesseitig zuging. Dieses Ensemble hatte Georg Philipp Telemann im Jahre 1702, als er noch Student der Rechtswissenschaft in Leipzig war, gegründet. Das Collegium konzertierte im „Zimmermannschen Caffe-Haus“, das einen Saal für 150 Zuhörer hatte. Der Wirt Zimmermann finanzierte die Veranstaltungen durch den Absatz seines Kaffees, zu dessen Steigerung Bach nicht zuletzt durch seine „Kaffee-Kantate“ beitrug.

Die etwa zweistündigen Konzerte des Collegiums fanden zu Bachs Zeiten ein Mal pro Woche, in Messezeiten zwei Mal statt.  Bach musste neben seinen ebenfalls wöchentlichen Kirchenmusiken daher auch hierfür regelmäßig ein Programm auf die Beine stellen. Welche Werke dabei gespielt wurden, ist leider kaum bekannt, da es für die Veranstaltungen keine gedruckten Programme gab. Es müssen in der Hauptsache Stücke anderer Komponisten gewesen sein. Aber auch Bach selbst steuerte dazu eine Reihe von Werken bei. Für neue Kompositionen hat es dabei freilich nicht immer gereicht. Daher fertigte er für die Konzerte im Zimmermann’schen Kaffeehaus eine Reihe von Bearbeitungen oder Umgestaltungen früherer Werke. Dazu gehören die meisten der dreizehn vollendeten Konzerte für ein bis vier Cembali, die wir von Bach besitzen. Die originalen Konzerte sind weitgehend verloren gegangen. Nach ihnen fahndet inzwischen ein weltweit agierender Schwarm von Musikdetektiven.

Ein besonders interessantes Fahndungsobjekt war ein Konzert für Cembalo, das im Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) unter Nr. 1059 geführt wird. Dieses Werk hat Bach angefangen, aber aus Gründen, die wir nicht kennen, bereits nach neun Takten abgebrochen. Diese neun Takte waren nun der Ausgangspunkt für eine regelrechte musikalische Detektivstory. Die Bachermittler fanden, was noch leicht war,  zunächst einmal heraus, dass diese neun Takte auf musikalisches Material verweisen, welche man aus der Kantate Nr. 35 „Geist und Seele wird verwirret“ aus dem Jahre 1726 kennt. Dann kam der Verdacht auf, dass Bach auch in dieser Kantate schon anderweitig verwendetes musikalisches Material einsetzte. Er entstand auf Grund des Umstandes, dass das Manuskript der beiden Instrumentalsätze dieser Kantate von Bach in Reinschrift ausgeführt wurde, was nach seinen Gepflogenheiten dann der Fall war, wenn er eine Vorlage, das heißt schon fertiges Musikmaterial benutzte. Weiter fiel auf, dass die obligate Orgelstimme dieser Instrumentalsätze Besonderheiten aufweist, die auf ein vorgängiges Konzert eines Melodieinstrumentes deuten. Die Orgelstimme hat nicht die typischen Elemente eines Harmonie- sondern die lineare Faktur eines Melodieinstrumentes. Die Frage war nun, um welches Melodieinstrument es sich dabei handelte. Gegen eine Violinstimme sprach der Tonumfang des Diskants der Orgelstimme, der die Geigenstimme fast ganz auf die beiden mittleren Saiten beschränken würde. Davon abgesehen fehlen violintypische Gestaltungselemente wie Tonrepetitionen oder über mehrere Saiten verlaufende Figurationen, wie sie Bach in seinem Violinwerken verwendet. Von den Blasinstrumenten fielen auf Grund des Tonumfangs des Orgeldiskants mit einer Ausnahme praktisch alle aus. Die Indizien deuteten auf die Oboe, die zu Bachs Zeiten über den Tonumfang verfügte, welcher dem der Orgelstimme in der Kantate entspricht. Auf dieses Instrument hat sich denn auch Verdacht der Musikfahnder konzentriert. Man kam zu dem Schluss, dass die beiden Instrumentalsätze der Kantate aus den Ecksätzen eines verschollenen Oboenkonzertes hervorgegangen sein müssen.

Es fehlte nun aber noch der Mittelsatz. Die weiteren Ermittlungen scheinen nicht nur diesen aufgedeckt zu haben, sondern ergänzten auch den Strauß der Indizien, die für ein Oboenkonzert sprechen. Man stellte fest, dass das Cembalokonzert BWV 1056 einen Mittelsatz hat, der auf Material aus der Kantate BWV 156 aus dem Jahre 1729 zurückgeht. Im Autograph des Cembalokonzertes sind nun Korrekturen enthalten, die darauf hindeuten, dass diesem Satz ein Oboenkonzert zu Grunde lag. Da man von keinem weiteren Oboenkonzert Bachs weiß, spricht vieles dafür, dass der Mittelsatz des verlorenen Oboenkonzertes das Muster für den Kantatensatz abgegeben hat, im Umkehrschluss also, dass der Mittelsatz des gesuchten Konzertes aus dem Kantatensatz entnommen werden kann.

Angesichts dieser Erkenntnisse der Musikfahnder haben sich die Musikrekonstrukteure ans Werk gemacht und, wie in verschiedenen anderen Fällen auch, versucht, das verschollene originale Werk unter Verwendung der anderweitig eingebauten Spolien wiederherzustellen. Dies konnte zwar nicht immer frei von eigenen Zutaten des Rekonstrukteurs sein, war aber dennoch nicht völlig unlegitim, weil Bach bei seinen Bearbeitungen an der Substanz der Werke oft nicht viel geändert hat. Einen dieser Versuche hat in Jahre 2010 der Venezuelaner Jesús D. Lau unternommen. Seine Fassung des Oboenkonzertes entstand für das „Orchestra Sinfónica Infantil y Juvenal“ der Stadt Nirgua im tropischen Nordosten Venezuelas. Es handelt sich dabei um  eines der über hundert Ensembles, mit denen der venezuelanische Staat im Rahmen des Jugendmusikprojektes „Il Sistema“ in einer Weise, von der man sich im Heimatland Bachs eine Scheibe abschneiden könnte,  Kinder und Jugendliche aus meist einfachsten Verhältnissen für europäische Klassik begeistert und damit von der Straße holt. Zu ihrer Begeisterung dürfte nicht zuletzt beigetragen haben, dass sie an einer weltweiten Detektivgeschichte teilnehmen konnten, die einst im Café Zimmermann im fernen Leipzig begann.

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1945 Richard Strauss (1864 – 1949) – Konzert für Oboe und kleines Orchester

Am 22. März 1947 wandte sich der argentinische Musikschriftsteller Johannes Franze brieflich an Richard Strauss mit der Bitte, er möge seinen Londoner Verlag dazu veranlassen, ihm, Franze, wie vor dem Krieg, wieder die Klavierauszüge seiner neueren Schöpfungen zu senden. Man habe in Buenos Aires zwar alles von Strawinski und de Falla gehört, man kenne viel von jungen russischen und nordamerikanischen Komponisten, „aber“, so fuhr er fort, „die Wucht, Größe, Leidenschaft und zugleich Feinheit, Wärme, Farbe und Poesie Ihrer Tonsprache wird unnachahmlich bleiben und für immer in die Geschichte eingehen“. Am 1.4.1947 antwortete Strauss, er werde der „ausgezeichneten und sehr rührigen“ Firma „Boosey und Hawkes“, der er seinen Nachlass anvertraut habe, diesen Wunsch ans Herz legen. Allerdings sei sein Lebenswerk mit den Opern „Liebe der Danae“ und „Capriccio“ beendet. In Anschluss daran listet er dann aber eine Reihe von Kompositionen, im wesentlichen Instrumentalwerke, auf, welche er danach noch geschrieben hatte. Bei diesen Stücken, so merkte er in der für ihn typischen lakonischen Art an, handele es sich um „Werkstattarbeiten, damit das vom Taktstock befreite rechte Handgelenk nicht vorzeitig einschläft“. Zu den genannten Werken gehörte auch das „Konzert für Oboe und kleines Orchester“, das Strauss im Jahre 1945 komponiert hatte.

 

Das Oboenkonzert steht in einem merkwürdigen Verhältnis zu den unmittelbar davor entstandenen „Metamorphosen für 23 Solostreicher“, die ebenfalls in der Liste der „Werkstattarbeiten“ aufgeführt sind. Dieses hoch komplexe und rätselhafte Werk, das manche für das Bedeutendste des Komponisten halten, spiegelt die tiefe Depression, in die Strauss angesichts der Zerrüttung der allgemeinen und nicht zuletzt seiner persönlichen Verhältnisse am Ende des Krieges gefallen war. Es ist eine höchst persönliche, von Selbstmitleid nicht freie Auseinandersetzung mit der deutschen Tragödie, in der Strauss als zeitweiliges Aushängeschild des nationalsozialistischen Regimes Handelnder, zugleich aber künstlerisch und wirtschaftlich auch Leidtragender war. Strauss hat im letzten Kriegsjahr immer wieder zum Ausdruck gebracht, wie tief ihn gerade die Zerstörung der  Opernhäuser, vor allem natürlich „seiner“ Häuser in München, Dresden und Wien getroffen hatte. Ihr Verlust war für ihn Symbol für ein mögliches Ende der deutschen Kultur, ja überhaupt der Kultur. Die Stimmung, in der er sich seinerzeit befand, offenbart sich etwa in einem Brief vom 5. April 1945 an den Wagnerforscher Golther, der mitten in die Zeit der abschließenden Arbeit an den „Metamorphosen“ fällt. Darin heißt es, dass nun die „zweihundertjährige deutsche Kultur zu versinken, die deutsche Musik zu erlöschen oder zumindest in der seelenlosen Maschine zu entarten drohe“. Sein eigenes künstlerisches Leben sei beendet und er komme sich „wie ein lebendig Begrabener“ vor. Die „Metamorphosen“ sind ein lamentöser Rückblick auf eine Kulturepoche, die sich – in Straussens damaliger Sicht – im Untergang befand, was für den Komponisten, der sich als den letzten große Repräsentanten dieser Entwicklung sah, dem Ende der Musikgeschichte gleichkam. Dem entspricht, dass er in diesem Werk so etwas wie die Summe der (satztechnischen) Möglichkeiten der Epoche zieht. In einer gewaltigen Anstrengung wagt er ein Werk für 23 Solostimmen, die sich – das überkommene Variationenprinzip auf die Spitze treibend – zu einem Geflecht verbinden, das an Dichte und Beziehungsreichtum kaum mehr zu überbieten ist.

 

Es ist als habe Strauss sich mit den „Metamorphosen“ seine Probleme von der Seele komponiert. Wenige Wochen danach entstand das Oboenkonzert, in dem die Stimmung schon wieder wesentlich optimistischer ist. Inzwischen hatte Strauss unmittelbaren Kontakt mit den amerikanischen Besatzungstruppen, die ihm die nötige Ehre erwiesen, u.a. indem sie von ihm Autogramme – möglichst mit ein paar Takten aus dem „Rosenkavalier“ – erbaten und seine Villa in Garmisch als „off limits“ einstuften. Die Besatzer, die er kurz zuvor in seinem Tagebuch als „verbrecherische Soldateska“ bezeichnet hatte, die „unersetzliche Baudenkmäler zerstören“, erschienen ihm nun „äußerst lebenswürdig und wohlwollend“ (Brief vom 10.5.1945 an seinen Biographen Schuh).

 

Unter den Soldaten, die Strauss aufsuchten, war auch der damals 24 – jährige John de Lancie aus Chicago, der im Zivilberuf Oboist war. De Lancie berichtet über sein Gespräch mit Strauss: „Ich erinnere mich, dass ich damals dachte, ich könne nichts zu dem Gespräch beitragen, das den Komponisten auch nur am Rande interessierte. Einmal jedoch nahm ich allen meinen Mut zusammen und begann über die herrlichen Oboenstimmen zu sprechen, denen man in so vielen seiner Werke begegne…. Ich wollte wissen, ob er zu diesem Instrument eine besondere Affinität habe, und da mir sein Hornkonzert bekannt war, fragte sich ihn, ob er jemals an ein Konzert für die Oboe gedacht habe. Seine Antwort war ein klares <Nein>! Das war so ziemlich alles, was ich aus ihm heraus bekommen konnte.“ Der Amerikaner scheint aber doch Eindruck auf den Komponisten gemacht zu haben. Kurz darauf begann Strauss mit der Komposition eines Konzertes für dessen Instrument.

 

Im Oboenkonzert, das wieder wunderbar durchsichtig ist, führt Strauss das Soloinstrument in weit gesponnenen Girlanden aus einer elegischen Grundhaltung in immer lichtere Höhen. Die Stimmung der „Metamorphosen“ ist aber noch nicht ganz überwunden. Dies zeigen neben dem untergründigen Grummeln der Streicher, welches besonders den ersten Teil durchzieht, vor allem die zahlreichen Anspielungen auf das Vorgängerwerk. So findet sich auch hier der auf einem Ton klopfende Themenkopf, der in den „Metamorphosen“ mit verstörenden Tonartrückungen streckenweise unerbittlich wiederholt wird. Anders als dort, wo er sich schließlich resignierend in das Thema des Trauermarsches aus Beethovens „Eroica“ verwandelt, erscheint er im Oboenkonzert aber als ferne Erinnerung und wird versöhnlich fortgesetzt. Nach einem nachdenklichen Mittelteil wird die elegische Stimmung im letzten Teil weitgehend überwunden: Gelegentlich breitet sich sogar Walzerseligkeit im Stile des „Rosenkavaliers“ aus, aus dessen Musik Strauss, dessen Stimmung sich zusehends aufheiterte, übrigens unmittelbar danach eine fulminante Orchestersuite machen sollte. Auch sonst gibt es zahlreiche Anspielungen auf die musikalische Tradition, nicht zuletzt auf Strauss` Vornamensvetter Richard Wagner, aus dessen „Siegfried – Idyll“ weitgehend das thematische Material des mittleren Teiles stammt.

 

Kurz nach der Vollendung des Particells des Oboenkonzertes übersiedelte Strauss, der die Entnazifierungsverfahren und die Entbehrungen der Nachkriegszeit fürchtete, mit Zustimmung des zuständigen amerikanischen Offiziers in die Schweiz, wo er gegen einigen publizistischen Widerstand im dortigen Musikleben Fuß zu fassen versuchte. Hier vollendete er in seinem vorläufigen Domizil, dem Hotel Verenahof in Baden, im Oktober 1945 die Partitur des Konzertes. Am 25. Januar 1946 fand in Zürich die Uraufführung der „Metamorphosen“ statt, an der Strauss, wohl wegen der besonderen Bedeutung, die das Werk für ihn hatte, nicht teilnahm. Er dirigierte es am Vortag nur einmal in einer Probe. Einen Monat später, am 26. Februar, wurde das Oboenkonzert  – ebenfalls in Zürich – erstmals aufgeführt. Strauss lud dazu de Lancie ein, der aber nicht kommen konnte, weil er in Amerika war. Da die Veranstalter (politische) Bedenken gegen Strauss hatten, wies man ihm einen Platz im Hintergrund des Saales an. Kurz vor Beginn des Konzertes ging aber eine Zuhörerin, die in der ersten Reihe saß, auf Strauss zu und tauschte mit ihm den Platz, was der Komponist als Beginn des Wiedereintritts in die Musikgeschichte empfunden haben dürfte.

Weitere Texte zu Werken von Strauss und rd. 70 anderen  Komponisten siehe Komponisten- und Werkeverzeichnis