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1789 Joseph Haydn (1732-1809) – Oxford-Symphonie (Nr. 92)

 

Am 14. Juli 1789, dem Tag, an dem mit dem Sturmes auf die Bastille in Paris die Revolution losbrach, trafen bei Haydn die Noten von Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ ein. Ihr liegt die "revolutionäre" Komödie "Der tolle Tag" von Beaumarchais zu Grunde, in der ein gewitzter Diener unerhörterweise seinen adligen Herrn herausfordert, indem er ihm seine Privilegien streitig macht, im konkreten Fall das „Recht“ des Feudalherren, die erste Nacht mit der Braut eines Untertanen zu verbringen. Das Schauspiel trug bekanntlich mit dazu bei, dass in Frankreich eine revolutionäre Stimmung entstand. Haydn arbeitete in diesen Tagen an seiner Symphonie Nr. 92. In diesem Werk ist von den Spannungen, die zu den Pariser Ereignissen führten, nichts zu spüren. Im Gegenteil – die Symphonie scheint noch einmal den ganzen Charme der Epoche, die gerade zu Ende ging, zusammenfassen zu wollen. Mit ihrer Heiterkeit, kunstvollen Verarbeitung und zupackenden Rhetorik wirkt sie wie der musikalische Spiegel des höfischen Lebens in der Zeit des ancien régime. Die klaren Proportionen und die geschmackvolle Ornamentik erinnern etwa an die Architektur dieser Zeit, nicht zuletzt an Schloß Esterháza, wo das Werk entstand.

Die Musik der Symphonie kontrastiert seltsam mit den Bedingungen, unter denen ihr Schöpfer und sein Berufsstand seinerzeit lebten. In der Hierarchie der k.u.k. Gesellschaft waren Musiker ganz unten angesiedelt. Ihr geringes Ansehen spiegelt sich etwa in Äußerungen der Kaiserin Maria Theresia, die in einem pädogogischen Lehrwerk, welches sie 1769 für ihren Sohn, Erzherzog Ferdinand, verfassen ließ, Musiker auf eine Stufe mit Bettlern (und Schauspielern) stellte. Als der Erzherzog im Jahre 1771 – er war seinerzeit König von Savoyen – bei seiner Mutter anfragte, ob er den jungen Mozart in seine Dienste nehmen solle, antwortete diese, sie wisse nicht warum, „da Du doch nicht nicht nötig hast, einen Komponisten oder unnütze Leute anzustellen“. Vor allem aber solle er derart „unnützem Volk“ keinen Titel verleihen „als ob sie in Deinen Diensten stünden. Das diskreditiert den Dienst, wenn diese Leute in der Welt wie Bettler herumlaufen.“

Haydn stand 1789 noch in seinem langjährigen Dienstverhältnis zum Fürsten Esterházy. Wie seine „vorrevolutionäre Lage“ war, zeigt ein Bericht des Italieners Gaetano Bartolozzi, der den Komponisten im Jahre 1787 besuchte: Darin heißt es: "Obwohl der Fürst von Esterházy dessen ständiger Kapellmeister dieser große Komponist ist, Haydns Werken die höchste Bewunderung entgegenbringt, zahlt er ihm einen Hungerlohn, den der obskurste Fiedler von London zurückweisen würde, zusammen mit einer miserablen Wohnung in der Kaserne, wo sein Bett und sein altes Spinett oder Clavicord steht. In dieser Situation, die dem Genius so wenig würdig ist, wurde Haydn angetroffen. Er freute sich ganz besonders zu hören, wie die Musik in England gefördert wird und welche Wertschätzung seine Werke dort genießen. Es war bei dieser Gelegenheit, dass Haydn erstmals den Wunsch äußerte, London zu besuchen."

Ausgerechnet in England, wo die Revolution gar nicht stattfand, sollte dann für Haydn die Umwälzung seiner persönlichen Verhältnisse stattfinden, wobei merkwürdigerweise die Symphonie Nr. 92 eine Rolle spielte. Nicht lange nach dem Ausbruch der französischen Revolution starb sein Dienstherr. Haydn war frei und begab sich alsbald nach London, wo er nun selbst wie ein Fürst gefeiert wurde. Der Höhepunkt die Feiern war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Oxford an Haydn im Juli 1791. Bei dieser Gelegenheit führte er die "Oxford-Symphonie" auf.

Anders als der Name suggeriert, ist die Symphonie nicht für Oxford bzw. für die Feierlichkeiten anlässlich der Verleihung des Doktorhutes komponiert worden. Sie entstand vielmehr zusammen mit zwei weiteren Symphonien (Nr. 90 und 91) im Auftrag eines Vertreters der alten Adelskultur, dem Fürsten von Oettingen-Wallerstein im Donauries. Sinnigerweise verkaufte sie Haydn aber zunächst ins revolutionäre Paris. Den Herrn von Oettingen-Wallerstein speiste er in einem Akt figaronischer Unbotmäßigkeit gegen fürstliches Possessionsstreben und dazu noch mit einiger Verspätung mit Kopien ab. Im Brief vom 17. Oktober 1789, mit dem er die Kopien übersandte, ist er aber wieder ganz untertänig. Er bittet den "hoch-wohlgeborenen" Hofbeamten v. Müller „aufrichtig, die verspätetete Übersendung zu vergeben." Den Verzug erklärte er mit seinen täglichen Pflichten, insbesondere mit der Tatsache, dass sein Herr auch im fortgeschrittenen Alter noch einen unersättlichen Hunger nach Musik habe. Des Weiteren bat er "gehorsambst, dem dortigen fürstl. Herrn Capellmeister zu melden, dass diese drei Sinfonien (bevor sie producirt werden) wegen ihrer vielen Particularitäten genau und mit aller Attention wenigsten 1 mahl möchten geprobt werden." Als sich der Fürst später darüber beschwerte, dass er von „seinen“ Symphonien keine Origiale erhalten habe, entschuldigte sich Haydn nach Art des Figaro wieder damit, seine Schrift sei wegen nachlassenden Sehvermögens inzwsichen so unleserlich, dass er die Werke habe abschreiben lassen müssen.

 

 

 

 

 

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1772 Joseph Haydn (1732 – 1809) – Symphonie Nr. 45, fis – moll – Abschiedssymphonie

Leben und Werk Joseph Haydns sind von zahlreichen Anekdoten umrankt. Ein Grund hierfür ist sicher, daß über große Teile seines Lebens, insbesondere über dessen erste Hälfte, wenig Authentisches bekannt ist. Manche Biographen haben daher die Lücken mit Hilfe ihrer Phantasie gefüllt. Anderseits inspirierte die Persönlichkeit Haydns aber auch dazu, Geschichten über ihn zu erzählen. Meist erscheint er darin als ein Mensch, der ebenso gewitzt und hintersinnig wie seine Musik ist.

 Auch über die Umstände, die zur Komposition der Abschiedssymphonie geführt haben, gibt es eine solche Anekdote. Wie weit sie wahr ist, ist schwer zu sagen. Die Besonderheit dieser Symphonie spricht dafür, daß ihr ein wahrer Kern zugrunde liegt. Die Tatsache allerdings, daß es davon zwei recht unterschiedliche Versionen gibt, zeigt, daß dieser Kern eine nicht unerhebliche dichterische Ummantelung erfahren haben muß.

 Nach der erotischen Version der Anekdote soll Haydn die Symphonie geschrieben haben, um seine Musiker – und auch sich selbst –  aus einer zölibatären Zwangslage zu befreien. Fürst Esterházy, bei dem Haydn von 1761 bis 1790 als Kapellmeister angestellt war, verbrachte ab 1766 so viel Zeit als möglich in seinem neuen Landschloß Esterháza in Ungarn. Mit ihm war sein Hofstaat, zu dem auch die Kapelle zählte. Während der ersten Jahre, als die Schloßanlage noch unvollständig war, habe, so die Anekdote, keine Möglichkeit bestanden, die Familien der Musiker in Esterháza unterzubringen. Daher hätten die Mitglieder der Kapelle, die – Haydn eingeschlossen – im wesentlichen aus lebhaften jungen Männer bestanden habe, monatelang die Gesellschaft ihrer Ehefrauen entbehren müssen. Solange Fürst Esterházy seinen Aufenthalt auf die sechs Monate des Sommerhalbjahres beschränkt habe, hätten die Männer – erstaunlich genug – ihr Los gerade noch akzeptiert. Im Jahre 1772 aber habe der Fürst den Aufenthalt in Esterháza um zwei Monate verlängert. Dies hätten die Musiker nicht mehr ertragen können. In einer rokokohaft-frivolen Variante dieser Anekdotenversion heißt es sogar, der Fürst habe die Verlängerung des Aufenthaltes in Esterháza angeordnet, weil ihn die Nöte der Musiker vergnügt hätten. Diese hätten sich im Schloß nämlich immer schon Wochen vor der Abreise komisch aufgeführt und dessen Räume mit verliebten Seufzern erfüllt.

Angesichts dieser Zuspitzung der Lage hätten die Musiker, so fährt die Geschichte fort, bei Haydn in der Hoffnung vorgesprochen, daß er ihnen Abhilfe verschaffe, wofür dieser, da er sich in der gleichen Situation befunden habe, nur volles Verständnis gehabt habe. Seinem Metier entsprechend habe er eine musikalische Lösung des Problems gesucht und mit der Abschiedssymphonie gefunden. Danach sollten die Musiker, nachdem ihr Drang in den ersten Sätzen des Werkes eindrucksvoll musikalisch demonstriert worden sei, im letzten Satz nach und nach aus dem Saal gehen, um den Fürsten darauf aufmerksam zu machen, daß es Zeit sei, Esterháza zu verlassen, was dieser zum guten Schluß auch eingesehen habe.

Die ökonomische Version der Anekdote geht davon aus, daß der Fürst die Kapelle im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen bis auf ein paar Geigen habe auflösen wollen, weil sie ihm zu teuer geworden sei. Haydn habe ihm mit der Abschiedssymphonie verdeutlichen wollen, wie dürftig der verbleibende Rest klingen und schließlich überhaupt nichts übrig bleiben würde. Auch hier folgt ein happy-end, bei dem Haydn als der findige Retter der Arbeitsplätze seiner Schützlinge erscheint. Zum Dank soll er sogar noch eine kleine „Ankunftssymphonie“ geschrieben haben, bei der die Musiker einer nach dem anderen wieder in den Saal getreten seien.

Mangels authentischer Belege ist, wie gesagt, schwer zu entscheiden, ob diese Anekdoten stimmen und welcher der beiden Versionen gegebenenfalls der Vorzug zu geben ist. Die Biographen, die sie erstmalig kolportieren, berufen sich jeweils darauf, daß sie ihre Version von Haydn selbst erfahren hätten. Damit stellt sich die Frage, ob Haydn die Legendenbildung um seine Person möglicherweise selbst beförderte. Auch Haydn wird gewußt haben, daß für einen Künstler der Umlauf falscher Anekdoten besser ist als der Mangel an richtigen.