Der Palazzo dei Diamanti in Ferrara

Wer dem Corso Ercole I. d’Este in Ferrara folgt, der vom mittelalterlichen Kastell der Herzöge schnurgerade aus dem verschlungenen Zentrum der Stadt führt, glaubt sich gelegentlich in eine jener Idealstädte der Renaissance versetzt, wie sie auf den perspektivischen Intarsienbildern im Chorgestühl mancher italienischer Kirchen zu sehen sind. Auf beiden Seiten der Straße befinden sich lang gestreckte Patrizierpaläste. Straße und Gebäudefronten bilden Fluchtlinien, die in eine endlose Tiefe zu führen scheinen. Ordnung und Klarheit beherrschen das Bild. 

Auf halber Stecke des Corsos, der aber dennoch zu nichts anderem zu führen scheint, liegt der Palazzo dei Diamanti. Schon durch seine weiße Fassade, über die sich ein leicht hell-roter Schimmer von Cipollinoadern zieht, fällt er aus dem Rahmen der Umgebung, die von Terracotta oder jenem braun-roten Backstein geprägt ist, mit dem in der Po-Ebene mangels Naturstein sonst meist gebaut wird. Darüber hinaus besteht seine Außenhaut – auch dies ist weit und breit ohne Beispiel – aus Tausenden von pyramidenförmigen Marmorquadern, die wie überdimensionale Edelsteine aussehen. Diese haben ihm den Namen „Palazzo dei Diamanti“ eingebracht. 

Das Gebäude wirkt, da es rechtwinklig über Eck gebaut ist, auch als Ganzes wie ein großer Kristall. Von der Ecke aus erblickt man zwei fast identische Fassadenflächen, die ohne wesentliche Untergliederungen jeweils rund sechzig Meter in die beiden Straßen hineinlaufen. Das Bauwerk liegt – schwer wie ein Eckstein, auf den es ankommt – auf der Kreuzung zweier großer Straßen. Wie jemand, auf den es ankommt, ist sich vermutlich auch der Bauherr Sigismondo d’Este, der Bruder von Herzog Ercole I, nach dem der Corso benannt ist, bei der Entscheidung vorgekommen, das Gebäude aufzuführen. Das Bewusstsein seiner Größe ist durch den fertigen Bau wohl noch verstärkt worden. Wahrscheinlich hat er im Laufe der Zeit immer mehr daran geglaubt, die Riesengeschosse des Palastes ausfüllen zu können, die für die Helden gebaut zu sein scheinen, deren Namen er und sein Bruder trugen. 

Der Habitus des Gebäudes vermittelt freilich den Eindruck, als haben seine Bewohner mit der Stadt und ihren Menschen nicht viel zu tun haben wollen. Die Öffnungen nach außen sind spärlich. Das gewaltige Eingangstor signalisiert schon durch die schiere Masse seiner Portalflügel eher Ausschluss als Einlass. Die Sechzig -Meter Fassaden, die jeweils nur sieben Fenster pro Stock aufweisen, wirken geschlossen. Dort, wo sie aufeinander stoßen, ist, ferraresischer Sitte entsprechend, zwar ein Balkon angebracht. Er ist jedoch so klein, dass er sich selbst dementiert. Schon die Größe der Pforte, die von Innen auf den Balkon führt, steht in keinem Verhältnis zu den Dimensionen der Gebäudeöffnungen, welche die Palastbewohner für sich ansonsten für angemessen hielten. Offensichtlich hatte man nie die Absicht, sich dort dem gemeinen Volke auszusetzen. Auch der spärliche Bauschmuck deutet an, dass die Palastbewohner nicht all zu viel nach außen kehren wollten. Neben dem dünnen Ornamentband, welches die beiden Geschosse trennt, finden sich außen nur vier verzierte Pilaster. Zwei von ihnen flankieren das Portal, die anderen beiden bilden den Eckpfeiler an der Schnittstelle der beiden Fassaden. An diesen wenigen Stellen freilich zeigt der Hausherr, wie hoch seine Ansprüche sind. Die Pilaster sind mit feinsten Renaissance-Reliefs geschmückt. Am Portal wird dabei (Ab-) Wehrhaftigkeit demonstriert. Dort sind im Wesentlichen Teile römischer Rüstungen aufeinander gestapelt. Was die Bewohner des Hauses sonst noch umtrieb, verraten die Pfeiler an der Palastecke. Auf einem der Reliefs sieht man geflügelte Halbpferde und Faune, die spiegelbildlich um eine Mittelachse aus Kandelaberelementen angebracht sind. In sinniger Fortführung dieser Symmetrie sind weiter oben Herkules und Venus abgebildet. Am Fuß des Pilasters sitzen drei missmutig dreinschauende Harpyien, denen, die vertikale Spiegelsymmetrie in die Horizontale wendend, oben drei nackte Menschen gegenübergestellt sind, welche offenbar den Genüssen des Lebens zusprechen. Man mag darüber nachsinnen, ob diese Dreiergruppen Pole einer Lebensphilosophie oder Wünsche und Befürchtungen darstellen. Gemessen an den riesigen Fassadenflächen sind diese Anklänge von Menschlichkeit freilich verschwindend. Vorherrschend ist eine kristalline Ordnung. Als Ganzes betrachtet hat der Palast daher etwas Abweisendes. Seine Massigkeit wirkt geradezu apologetisch. Es scheint, dass sich der Hausherr verteidigen will. Bei näherer Betrachtung wirkt die diamantene Fassade denn auch stachelig. Es ist, als habe sich dahinter jemand eingeigelt.  

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