Der finnische Komponist Jean Sibelius war eine der letzten großen nationalen Identifikationsfiguren der klassischen Musik. Sein Tod im Jahre 1957 war ein nationales Ereignis. Der Präsident des Landes hielt eine Rede im Rundfunk und die gesamte Spitze des Staates nahm an den Begräbnisfeierlichkeiten im Dom von Helsinki teil. Als der Sarg durch die Straßen der Hauptstadt zu seinem Landhaus „Aniola“ gefahren wurde, war das Volk in großer Menge am Straßenrand versammelt, um ihm die letzte Ehre zur erweisen. Ein Grund hierfür war, daß Sibelius auch in seinem künstlerischen Schaffen ein glühender Patriot war. So nahm er in seinen Werken immer wieder Motive aus dem Nationalepos „Kalevala“ auf. Bekannt wurden „Der Schwan von Tuonela“, eine Komposition um eine Figur aus der finnischen Unterwelt , oder „Tapiola“ nach dem Schloß des mythischen Waldkönigs „Tapio“. Andere patriotische Kompositionen tragen die Namen „Karelia-Suite“ nach der Grenzprovinz im Süd-Osten des Landes, über die Finnen und Russen immer wieder stritten, oder schlicht „Finnlandia“. Mit letzterem Werk nahm Sibelius Anfang unseres Jahrhunderts auf höchst pathetische Weise gegen die gewaltsamen Versuche Zar Nikolaus II. Partei, Finnland, das seit 1809 unter russischer Oberhoheit stand, endgültig dem Zarenreich einzuverleiben.
Neben seinen vielen programmatischen Werken komponierte Sibelius auch in großem Maße „absolute“ Musik. Dazu gehören seine bedeutenden sieben Symphonien und nicht zuletzt das Violinkonzert. Dieses einzige Werk des Komponisten aus der Gattung Konzert, ist, wiewohl Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, das letzte große Virtuosenkonzert des 19. Jahrhunderts. Seine Vorbilder sind die Konzerte von Mendelssohn, Bruch und Tschaikowski.
Die „erste Uraufführung“ des technisch anspruchsvollen Werkes fand etwas überhastet – Sibelius brauchte dringend Geld – Anfang 1904 in Helsinki statt und litt unter einem überforderten Solisten und einer mäßigen Leistung des Orchesters, welches übrigens Sibelius selbst leitete. Es scheint aber, daß der Komponist, der über die Gleichgültigkeit des Publikums von Helsinki verärgert war, auch mit seiner kompositorischen Leistung nicht zufrieden war. Ein Jahr später unterzog er das Werk einer gründlichen Revision. Die „zweite Uraufführung“ fand schließlich im Oktober 1905 in der Berliner Singakademie unter der offenbar kompetenteren Leitung von Richard Strauß statt. Die Kritik war insgesamt wohlwollend. Der greise Geiger Joseph Joachim allerdings, dem Schumann, Bruch, Brahms und Dvorak ihre Violinkonzerte gewidmet hatten, fand das Werk, aus welchen Gründen auch immer, scheußlich und langweilig. Das weitere Schicksal des Konzertes zeigt, daß auch die größten Geiger irren können. Nach anfänglich zögerlicher Resonanz zollte man dem originellen Werk in den folgenden Jahren uneingeschränkt Anerkennung. Mittlerweile gehört es zum festen Bestand des Konzertlebens.
Sibelius‘ Musik gilt als zeitlos, das heißt, daß er sich keiner der Zeitströmungen anschloß, die die Musikwelt während seines langen Lebens durchzogen. Wiewohl er bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte, blieb er insgesamt dem – allerdings sehr persönlich gefärbten – Idiom seiner Lehrjahre treu, die er in Deutschland und Österreich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts absolvierte. Möglicherweise spürte er aber im Alter, daß die Zeit über ihn wegzugehen drohte. Anfang der 30-er Jahre stellte er das öffentliche Komponieren ein. In den folgenden fast drei Jahrzehnten konnte er erleben, wie sich sein Werk aus dem nationalen Rahmen, in dem es entstanden war, über die ganze Welt verbreitete. Lange vor seinem triumphalen Begräbnis im Jahre 1957 ist er so noch Zeuge seines eigenen Nachruhms geworden.