1867 Johan Svendsen (1840 – 1911) – Symphonie Nr. 1 D-Dur

Der Norweger Svendsen ist nach Gade und Grieg der dritte Skandinavier der Romantikergeneration, der durch die Leipziger Schule ging. Als er im Alter von 22 Jahren als reisender Violinist mitten im Winter mittellos in Lübeck strandete und beim Konsul seines Heimatlandes um ein Darlehen zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes nachsuchte, war dieser so begeistert von seinen musikalischen Fähigkeiten, dass er ihm gleich ein königliches Stipendium für das renommierte, von Mendelssohn gegründete Konservatorium in Leipzig besorgte. Svendsen verbrachte daraufhin die nächsten vier Jahre in Leipzig, ein Ort, an den auch später immer wieder zurückkehren sollte. Die landsmannschaftliche Solidarität des Konsuls dankte er damit, dass er sich künftig als Komponist und Dirigent weitgehend dem Musikleben seiner Heimat widmete. Ein Ergebnis des deutsch-skandinavischen Zusammenklangs war seine 1. Symphonie, die gegen Ende seiner Leipziger Studienzeit in den Jahren 1865 bis 1867 entstand. In diesem hoch ambitionierten Werk verwendet Svendsen unter Einsatz der fortgeschrittenen Mittel der Leipziger Schule vor allem nordisches Klangmaterial. Die Bandbreite geht von trollhaft-struppiger Skurrilität über skandinavische Volksmusik bis zu bürgerlicher Idyllik im Stile Griegs. Der junge Musiker präsentiert sich in diesem Werk als höchst eigenständiger Kopf von großem handwerklichem Geschick. Offensichtlich will er möglichst viele der kompositorischen Kniffe zur Anwendung bringen, die er in Leipzig gelernt hatte, was ihm gelegentlich den Vorwurf einbrachte, „zu viel gewollt“ zu haben. Unbestritten ist Svendsons Instrumentationskunst. Ein besonders beeindruckendes Beispiel hierfür findet sich im Scherzo der 1. Symphonie. Mit einer geradezu abenteuerlichen Schichtung von Motiven, Stimmen und Rhythmen werden hier wahrlich außerordentliche Klangeffekte erzielt.

 

In seiner Heimat wird Svendsen gerne zusammen mit Grieg genannt, der auf den drei Jahre älteren Kollegen bei der Uraufführung der 1. Symphonie aufmerksam wurde. Sie fand im Herbst des Jahres 1867 in einem Konzert in Oslo statt, das Svendsen selbst veranstaltete und dirigierte. Anonym schrieb Grieg damals eine begeisterte Kritik, in der er die Frische und Originalität der Komposition und den entschlossen nationalen Tonfall lobte. Auch ihm fiel dabei vor allem das Scherzo auf. Später sollten sich die Lebenswege beider eng miteinander verweben. In den Jahren 1872 bis 1874 waren sie Kodirigenten der Konzerte der Osloer Musikgesellschaft, eine Zeit die Grieg dank Svendsen als die reichste bezeichnete, die er in Norwegen erlebt habe. Auch später arbeiten die beiden immer wieder zusammen. Im Gegensatz zu Grieg, dem Meister der kleinen Form, war Svendsens Domäne allerdings die Orchestermusik. Unter anderem schrieb er neben einer zweiten Symphonie ein Violin- und ein Cellokonzert sowie diverse nordische Rapsodien und thematische Orchesterstücke.

 

Außerhalb seiner Heimat kennt man von Svendsen heute hauptsächlich seine Violinromanze. Dieses außerordentlich effektvolle Werk, das der Komponist im Alter von 40 Jahren schrieb, hat Weltruhm erlangt und seine sonstigen Kompositionen in den Schatten gestellt. Mitursächlich dafür, dass Svendsen als Komponist mehr oder weniger in Vergessenheit geriet, mag aber auch der Umstand sein, dass er nach seiner Romanze die Schreibfeder aus der Hand legte und sich ganz dem Dirigentenstab widmete. Unter ihm gelangte das Musikleben seiner Heimat auf die Höhe des europäischen Niveaus, das der vielgereiste Svendsen zuerst in Leipzig kennen gelernt hatte.

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