1825 Felix Mendelssohn – Bartholdy (1809 – 1847) – Kyrie d-moll

Wie in seinem gesamten Werk hat sich Mendelssohn auch in seinem kirchenmusikalischen Schaffen intensiv mit der Musik der Vergangenheit auseinandergesetzt. Vorbilder waren für ihn neben Bach und Händel die Klassiker, allen voran Mozart. Im Falle des Kyrie trat aus gegebenem Anlaß Luigi Cherubini hinzu. Mendelssohn komponierte das Werk im Alter von 16 Jahren während eines Aufenthaltes in Paris, um es Cherubini, der dort wirkte, als Talentprobe zu übergeben. Darin nahm er auch auf Werke Cherubinis Bezug, der mit seinen 65 Jahren für den jungen Mendelssohn offensichtlich auch schon so etwas wie ein Altmeister war.

 

Mendelssohn hielt sich mit seinem Vater in der Zeit von März bis Mai 1825 in Paris auf. Seinem historischen Interesse entsprechend maß er das Musikleben der französischen Hauptstadt zunächst einmal am Stand der musikgeschichtlichen Bildung. Das Ergebnis war für den jungen Musikadepten enttäuschend. Gegenüber seiner Schwester Fanny klagte er brieflich darüber, daß man Bach in Paris „für eine recht mit Gelehrsamkeit ausgestopfte Perücke“ halte. „Neulich“, so schrieb er, „spielte ich Bachs Präludien aus e-moll und a-moll für die Orgel. Die Leute fanden beide „wunderniedlich“ und einer bemerkte, der Anfang des Präludiums in a-moll habe auffallende Ähnlichkeit mit einem beliebten Duett aus einer Oper von Monsigny. Mir wurde grün und blau vor Augen.“ Des weiteren merkte er kritisch an, daß man in Paris noch keine Note von Beethovens Oper „Fidelio“ kenne und dessen zweite Symphonie, die bereits 1802 erschienen war, als neues Werk ankündige. Paris sei alles andere als ein Eldorado der Musik.

 

Auch an Cherubini, der seinerzeit das Pariser Musikleben beherrschte, scheint Mendelssohn vor allem die musikhistorische Stellung interessiert zu haben. Mit bemerkenswertem Selbstbewußtsein bezeichnete er den italienischen Musikpatriarchen, der unter anderem auf ein umfangreiches kirchenmusikalisches Werk zurückblicken konnte, als einen erloschenen Vulkan, der gelegentlich noch Feuer speie aber auch schon mit Asche und Schlacke bedeckt sei. Mit Cherubinis Werk, das selbst starke historische Bezüge hatte, wurde Mendelssohn in Paris bei mehreren Gelegenheiten konfrontiert. Unter anderem spielte er als Geiger oder Bratscher in einem Konzert mit, bei dem neben Mozarts Requiem auch eine Messe von Cherubini aufgeführt wurde.

 

Zu Mendelssohns Verfahren der historischen Übernahme gehörte, Strukturelemente bestimmter Werke aufzugreifen und sie im Sinne der Fortführung einer Tradition weiterzuentwickeln. Im Falle des Kyrie haben offensichtlich Elemente einer großen Messe Cherubinis Pate gestanden. Daneben sind insbesondere am Anfang des Stückes auch Einflüße von Mozarts Requiem spürbar, ein Werk das Mendelssohn nicht nur von der Pariser Aufführung vertraut war. Er hatte es wenige Monate zuvor, an Mozarts Todestag, in Berlin dirigiert.

 

Es scheint, als habe Mendelssohn das Kyrie, von dem er nach Berlin meldete, daß es seine bisherige Musik an Schwierigkeit übertreffe, mehr als eine Studie angesehen. Möglicherweise ist dies der Grund dafür, daß er es wie viele seiner frühen kirchenmusikalischen Werke nicht veröffentlichte. Sein Lehrer Zelter hielt es aber für bedeutend genug, um darüber seinem Freund Goethe zu berichten. „Er hat dem Cherubini“, schrieb er im Mai 1825 nach Weimar“, ein Kyrie dort angefertigt, das sich hören und sehen läßt, um so mehr als der brave Junge, nach seinem gewandten Naturell das Stück fast ironisch in einem Geiste verfaßt hat, der, wenn er auch nicht der rechte, doch ein solcher ist, den Cherubini stets gesucht und, wenn ich nicht sehr irre, nicht gefunden hat.“

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