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1791 Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) Requiem

 

Das Requiem gilt als eines vollkommensten Werke Mozarts. Es ist aber zugleich das Werk, das er am wenigsten vollenden konnte. Bekanntlich ist der Komponist über dieser Arbeit verstorben. Das Requiem ist aber auch das umstrittenste und das am meisten von Spekulationen umrankte Werk Mozarts. Schon die Kombination von Komposition eines Requiems und Tod des Schöpfers hat die Phantasie der Nachwelt beflügelt. Es wurde suggeriert, Mozart habe seinen Tod geahnt und daher angefangen, seine eigene Totenmesse zu schreiben. Gelegenheit zu weiteren Spekulationen gaben die merkwürdigen Umstände der Entstehung des Werkes. Der Auftrag dazu kam von dem musikbesessenen Grafen Walsegg, der in seinem Umkreis gerne den Eindruck erweckte, als stammten die Werke, die bei ihm aufgeführt wurden, aus seiner Feder. Um die Spur eines Kontaktes zu Mozart als dem wahren Komponisten des Werkes zu verwischen, ließ Walsegg das Requiem anonym über einen Wiener Advokaten bestellen. Aus diesem Abgesandten wurde später ein wiederholt auftretender „grauer Bote“, der Mozart den Tod angekündigt habe. Dies wiederum wurde in Beziehung gesetzt zu den unklaren Gründen für den frühen Tod des Komponisten. Unter anderem hieß es, Mozart sei von einem eifersüchtigen Konkurrenten vergiftet worden. Als Täter wurde der unbescholtene Antonio Salieri ausgemacht, der in diesem Zusammenhang in neuerer Zeit sogar zum Kinohelden avancierte.
 

Schließlich stritt man darüber, welchen Beitrag Mozart zum Requiem geleistet habe. Anlass hierzu gab die Tatsache, dass das Werk in der Form, in der es an die Öffentlichkeit trat und Weltruhm erlangte, von Mozarts Mitarbeiter Franz Xaver Süßmayr stammt, der den Torso im Auftrag der Witwe Mozarts, Constanze, nach dem Tod des Komponisten in aller Eile vervollständigte. Constanze Mozart, der es vor allem darum ging, die Anzahlung auf das beachtliche Honorar behalten zu können und die Restzahlung zu bekommen, hatte natürlich allen Grund, die Tatsache der Komplettierung durch fremde Hand zu verschleiern. Sie konnte aber nicht verhindern, dass bereits wenige Jahre nach Mozarts Tod die Diskussion über den Anteil des Komponisten an „seinem“ Requiem begann, die bis heute nicht beendet ist.

Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung im fast zwanzigjährigen „Requiem-Streit“, den ein hessischer Hofgerichtsrat namens Weber im Jahre 1825 auslöste. Weber behauptete, schon aus stilistischen Gründen könne von der Partitur so gut wie nichts von Mozarts Hand stammen. Sänger und Beurteiler würden Zeter und Morido schreien, wenn ihnen etwa „Chorstimmen-Gurgeleien“ wie im Kyrie unter einem anderen Namen, zum Beispiel Rossinis, zugemutet würden. Dagegen standen Stimmen wie die der englischen Mozart-Enthusiasten Vincent und Mary Novello, die 1829 auf den Spuren Mozarts wandelten und Personen aus seinem Umfeld, darunter auch Constanze Mozart, aufsuchten. Sie haben „auf Grund innerer Beweise … auch nicht für einen Moment geglaubt“, dass Mozart nicht das ganze Requiem geschrieben haben könnte. Ein obskurer Komponist wie Süßmayr, der in einem ganz anderen Stil komponiert habe und im übrigen auch ein Schüler Salieris, Mozarts ärgstem Feind, gewesen sei, könne keine wesentlichen Teile der zu Recht gefeierten Komposition verfasst haben. Wahrscheinlich sei auch Süßmayr ein „versteckter Feind“ Mozarts gewesen und habe ihm schaden wollen.

Durch Analyse der handschriftlichen Quellen, die noch vorhanden sind, steht inzwischen fest, dass Mozart den überwiegenden Teil des Werkes, das Kyrie inklusive, selbst konzipierte oder zumindest die Grundlinien für die Ausarbeitung legte. Süßmayr hat hauptsächlich den Schlussteil ab dem Sanctus komponiert, wobei die beiden Schlussstücke ja im wesentlichen nur nur eine Wiederholung der beiden Anfangstücke sind. Außerdem hat er das Lacrimosa, von dem nur acht Takte vorgegeben waren, weitergeführt und das Gesamtwerk auf der Basis von Vorarbeiten anderer Mitarbeiter instrumentiert. Dies entspricht Süßmayrs eigener Darlegung in einem Brief an den Verleger Breitkopf  aus dem Jahre 1800 (Süßmayr konnte zum Requiemstreit keine mehr Stellung mehr nehmen, da er bereits 1803 verstarb). Die Diskussion dreht sich heute im wesentlichen noch darum, inwieweit Süßmayr, der sich in keiner Weise in den Vordergrund spielen wollte, bei seiner Arbeit weiteres schriftliches Material von Mozart – etwa Notizzettel, die offenbar vorhanden waren – verwendete oder wegließ und mündlich mitgeteilte Vorstellungen seines Meisters berücksichtigte.

Mozarts hat bei seiner Requiemmusik, die so außerordentlich tief und ergreifend ist, gemessen an seiner sonstigen Musik eher einfache kompositorische Mittel eingesetzt. Virtuose und solistische Elemente, die etwa noch in der  – ebenfalls unvollendeten – c-moll Messe im Vordergrund stehen, fehlen weitgehend. Der Orchesterapparat ist stark eingeschränkt – es fehlen die hohen Holzbläser und Hörner (Süßmayr hat den Apparat allerdings wieder ausdehnt). Man hat aus dieser Reduktion der Mittel geschlossen, dass sich Mozart mit diesem Werk dem klassizistischen Ideal der „stillen Einfalt und edlen Größe“ genähert habe, eine stilistische Einstellung, die sich auch in anderen Werken seiner letzten Schaffensperiode spiegele, etwa in den Sarastro-Stücken in der „Zauberflöte“ oder in der Mottete „Ave Verum“. Es ist schwer zu entscheiden, ob Mozart im Requiem einen derart reduzierten Kompositionsstil wählte, weil er sich generell einem Stilwandel näherte oder weil er meinte, dass dies dem ernsten Gegenstand am ehesten angemessen sei. Es könnte auch sein, dass Mozart, der seit längerer Zeit kein größeres Werk der Kirchenmusik mehr und insbesondere noch keine Totenmesse geschrieben hatte, die Gelegenheit nutzen wollte, in dieser Gattung in ähnlicher Weise neue Maßstäbe zu setzen, wie er dies in Oper, Konzert, Symphonie und Kammermusik bereits getan hatte. Im Ergebnis bewirkt die Reduktion jedenfalls eine wunderbare Veredelung der existenziellen Erschütterung, welche der Tod bewirkt. Vor allem diese Art der Meisterung dunkler Gefühle ist es, die Mozarts Requiem zu einem der humansten Artefakte der europäischen Kultur macht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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