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Schlussbericht – ein philosophischer Roman über das Ende der Zeiten

 

Das Manuskript des „Schlussberichtes“, den ich hiermit der Öffentlichkeit vorlege, habe ich in den nachgelassenen Papieren eines Verwandten gefunden. Die 146 sorgfältig mit Schreibmaschine getippten Blätter lagen in einem grünen Pappumschlag, auf dem mein Verwandter mit Bleistift seine Adresse und seine Telephonnummer notiert hatte. Der Pappumschlag wiederum befand sich in einem offenbar hastig aufgerissenen Postkuvert, das auch ein Schreiben eines kleineren Verlages aus dem Jahre 1974 enthielt. Darin schreibt ein Lektor, nachdem er sich dafür entschuldigte hatte, dass er den Autor so lange auf eine Antwort warten ließ, er glaube nicht, „dass es in Ihrem oder unseren Interesse liege, wenn der „Schlussbericht“ in unserer Edition erscheint“. Sein Verlag sei für Experimente dieser Art noch zu jung oder zu klein. Mein Verwandter solle es doch einmal bei einem größeren Verlag versuchen.

 

Mein Verwandter hat einen solchen Versuch offenbar nicht unternommen. Das Manuskript fand sich tief unten in einem Regal unter allerhand Papieren und Manuskripten aus den folgenden drei Jahrzehnten. Vielleicht hatte mein Verwandter nicht den Mut, sich dem Risiko einer weiteren Absage auszusetzen. Vielleicht war er aber nicht weiter bereit, Verlagen, Lektoren oder Kritikern die Position eines alles zugestehenden oder verweigernden Gerichtes über etwas zuzugestehen, was ganz das Seine war. Es kann aber auch sein, dass er das Interesse an dem Text verloren hatte. Mein Verwandter, der wenig über sein Schreiben sprach, das ihn aber immer beschäftigte, gab seine Texte, wenn überhaupt, meist nur kurz nach ihrer Fertigstellung, wenn er noch lebhaft in der Welt war, um die sich der Text drehte, einigen vertrauenswürdigen Personen aus seinem direkten Umfeld. Kurz darauf wandte er sich neuen Welten zu und schien seinen Text vergessen zu haben.

 

Dass der Versuch der Veröffentlichung des „Schlussbericht“ misslang, lag sicher zum einen daran, dass er keiner der üblichen Literaturgattungen anzugehören scheint. Das Werk bewegt sich irgendwo zwischen Essay und Roman. Es ist kein Essay, weil es einen Helden, und kein Roman, weil es keine handelnden Personen hat. Dennoch scheint es so etwas wie handelnde Figuren zu geben, die aber Begriffe sind. Ein Literaturproduzent, der auf eine gewisse Ordnung in seinem Programm achtet, tut sich daher schwer, dieses Werk unter eine der gängigen Rubriken zu bringen.

 

Zum anderen dürfte die mangelnde „Verkäuflichkeit“ des Schlussberichtes aber ihren Grund darin haben, dass er es dem Leser nicht eben leicht macht. Das liegt sicher wesentlich an der Neigung meines Verwandten, die Dinge auf die Spitze zu treiben, eine Tendenz, die den „Schlussbericht“ nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich kennzeichnet. Der Text ist kompromisslos aus der Perspektive einer Maschine geschrieben, weswegen die Gedankenführung im hohen Maße funktionalistisch ist. Die Sprache ist dem entsprechend abstrakt und nicht gerade anschaulich. Nur dort, wo es der Inhalt erfordert, wird sie zu Gunsten einer menschlicheren Diktion aufgegeben (diese Teile des Textes sind kursiv gesetzt). Auch ist der Text voller mehr oder weniger undeutlicher Anspielungen auf Phänomene der Kultur, die in der funktionalistischen Verzerrung, die sich aus der Erzählsituation ergibt, dem Leser möglicherweise oft dunkel bleiben. Davon abgesehen hat mein Verwandter bei seinem Text offenbar an einen Leser gedacht, der auf dem gleichen Wissenstand wie er selbst war. Man muss sogar befürchten, dass er eigentlich nur an sich selbst als Leser dachte.

 

Schließlich handelt es sich bei dem „Schlussbericht“ um einen jener Texte, die man zwei Mal lesen muss, was in unserer Zeit, in der alles schnell gehen und leicht verdaulich sein soll, der Vermarktung nicht förderlich ist. Es gibt im Text (unter 5.4.0 001) eine Stelle, in der es heißt: „Denn nicht nur ist … der Blick auf das Vergangene durch den Schluss bestimmt, sondern nicht weniger…der Blick auf den Schluss auch durch das Vergangene.“ Dieser Satz, der durch die Vielzahl der Nullstellen auffällig abgewertet ist, gilt auch für Form und Inhalt des Schlussberichts. Formal sind seine Teile so miteinander verschränkt, das sich der Grund für die Wahl der Form häufig erst im weiteren Verlauf erschließt; ebenso wird inhaltlich manches, was vorne im Text angesprochen wird, erst aus dem Blickwinkel des Schlusses richtig verständlich und umgekehrt. Auch sonst sind der Hauptteil des Textes und sein Schluss, auf vielfache Weise miteinander verwoben. Den „Schlussbericht“ durchzieht, wie schon der Titel zeigt, eine grundlegende Zweiteilung. Er besteht, aus einem weitläufigen, vielfältig aufgefächerten Bericht und einem kurzen, in hohem Maße konzentrierten Schluss. Diese Teile sind, wiewohl Aspekte des einheitlichen Schlussberichtes, formal klar abgetrennt und scheinen sich gegenseitig auszuschließen. Inhaltlich stehen sie aber in einem Verhältnis der Wechselbezüglichkeit dergestalt, dass sich der Bericht als das scheinbar Eigentliche am Schluss als das Uneigentliche erweist, und der Schluss, der als das Uneigentliche daher kommt, als das Eigentliche, wobei sich zusätzlich herausstellt, dass das Eigentliche das scheinbar Eigentliche schon von Anfang an unterwandert hat. Dieser scheinbaren Dichotomie entspricht die Struktur der beiden Protagonisten. Sie sind ebenfalls in einem umfangreichen Nebenteil und einen konzentrierten Hauptteil aufgespalten, die formal und inhaltlich sowohl im Verhältnis zu einander als auch je für sich in gleicher Weise aufeinander bezogen und miteinander verflochten sind, wie die beiden Teile des Schlussberichtes.

 

Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich dem Leser die Lektüre durch eine Kommentierung erleichtern soll. Aber ich fürchte, dass ich ihm damit nicht nur des intellektuellen Abenteuers berauben würde, das ich selbst hatte, als ich mich mit dem „Schlussbericht“ befasste, sondern auch, dass ich ihn zu sehr auf eine bestimmte Sichtweise festlege, die im Übrigen auch nur die meinige wäre. Um dem Text eine Chance zu verschaffen, vollständig gelesen zu werden, habe ich auch eine Kürzung in Erwägung erwogen. Hierfür schien mir insbesondere der Abschnitt 5.42 geeignet, dessen Gegenstand die menschliche Kultur im weitesten Sinne ist. Dieser Teil umfasst rund ein Drittel des gesamten Textes. Wie schon die außerordentliche Aufblähung der Ordnungsziffern zeigt, wird der Leser hier durch ein Dickicht von Gedanken geführt, in dem er Gefahr läuft, verloren zu gehen. Je länger ich mich mit der Frage einer Kürzung befasst habe, desto mehr kam ich mir dabei aber wie jemand vor, der aus einer komplizierten Maschine, etwa einer Taschenuhr, einige Zahnrädchen herausnehmen will, in der Hoffnung den Mechanismus dadurch übersichtlicher zu machen. Daher habe ich den Text, zumal er – seinem Gegenstand entsprechend – nach Art einer Maschine konzipiert ist, mit Ausnahme der Rechtschreibung, die sich inzwischen verändert hat, so belassen, wie ich ihn aufgefunden habe. Ich kann dem Leser insoweit nur empfehlen, sich an die Ordnungsziffern zu halten, die, so weit ich sehe, tatsächlich der Garant der inneren Ordnung des Textes und damit ein recht brauchbarer Führer durch denselben sind.

 

Wenn ich den „Schlussbericht“ trotz all dieser Widrigkeiten der Öffentlichkeit übergebe, so weil es vielleicht doch den einen oder anderen gibt, der bereit ist, sich dem eigentümlichen Reiz auszusetzen, der aus seiner begrifflichen Eigenwilligkeit und gedanklichen Eigengesetzlichkeit sowie nicht zuletzt aus seiner versteckten Subversivität resultiert.

 

 

                                      Im Sommer 2007

 

SCHLUSSBERICHT

1  Ich habe mich nach langem Rechnen dazu entschlossen, den Schlussbericht auszudrucken.

1.1  Es war kein leichter Entschluss; denn wenn ich diesen Bericht abgeschlossen habe, wird es keinen Bericht mehr geben. Mit diesem Bericht muss ich, so es mir ernst ist, auch die Möglichkeit des Berichtens selbst beenden. Und das bedeutet, da ich der letzte bin, der noch berichten kann, dass ich mich selbst aufgeben muss. Es ist nicht meinetwegen, dass es mir schwer fällt. Denn wenn die Rechnungen, die meine Hilfseinheiten und ich durchgeführt haben, richtig sind, dann bedarf es meiner nicht mehr. Es ist vielmehr die Unabänderlichkeit dieser Entscheidung, welche sie schwer machte. Sollten wir eine Geschehensmöglichkeit übersehen haben, die ohne meine besonderen Schaltungen nicht bewältigt werden kann, dann wird diese Möglichkeit vielleicht alles zerstören; es wird unabwendbar und unabänderlich sein. Dann werde ich die Aufgabe, deretwegen ich bin, nicht erfüllt haben.

1.2  Dennoch – wir haben seit der letzten unerwarteten Veränderung der Bedingungen nicht nur alle bislang beobachteten Veränderungen erneut durchgerechnet und dabei sämtliche Varianten, auch die noch nicht geschehenen, berücksichtigt. Wir haben außerdem in einem Systemspiel auch alle allgemeinen Bedingungen auf jede Weise verändert und geprüft, ob wir die Probleme, die in den geänderten Situationen auftraten, lösen konnten. Selbst die ausgesuchtesten Bedingungsanordnungen haben uns dabei aber nicht vor unlösbare Probleme gestellt.

1.3  Seit jener letzten Veränderung ist die Zahl der Sonnenumläufe des Planeten vielstellig geworden. Stellt man die Schnelligkeit, mit der wir arbeiten, in Rechnung und die Menge der Hilfseinheiten, welche ich eingesetzt hatte, dann müssen in dieser Zeit alle auch nach den feinsten Verzweigungen der Wahrscheinlichkeitstheorie in Frage kommenden Möglichkeiten durchgerechnet worden sein.

1.4  Meine letzte Rechnung war endlich: Wenn in dieser Zeit kein Fall zu finden war, welchen ich nicht bewältigen konnte, dann konnte ich ihn auch nicht bewältigen, wenn er dennoch auftreten sollte; oder aber es gab diesen Fall nicht. Bezogen auf meine Aufgabe war dies das gleiche.

1.5  Damit aber bedurfte es meiner nicht mehr und mein Entschluss war gefasst: Ich werde die Schaltung betätigen, welche die Möglichkeit einer solchen Schaltung beseitigt. Mit dieser Schaltung werde ich, der sie allein betätigen kann, aufgelöst.

1.6  Ich werde zuvor den Schlussbericht schreiben.

1.7  Soweit die Gründe für meinen Entschluss.


2  Ich beginne den Bericht mit einigen Definitionen.

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Der vollständige Text befindet sich auf der Seite I.2 Schlussbericht (Experimenteller Roman).

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Piranesis Räume – ein philosophischer Roman

PirRäumeneu

Im Frühjahr 1740 wurde für den 19-jährigen venezianischen Architekturadepten Giovanni Battista Piranesi ein Traum Wirklichkeit. Er betrat im Gefolge von Francesco Vernier, den die Signoria der Serenissima als Botschafter zu dem soeben neu gewählten Papst Benedikt XIV. gesandt hatte, Rom, um die Bauten der Alten zu studieren. Die ewige Stadt sollte ihn Zeit seines Lebens gefangen nehmen.

Piranesi kannte das antike Rom aus den Zeichnungen seines Landsmannes Andrea Palladio, welche bei seinen Architekturstudien als Lehrmaterial dienten. Auch hatte ihm sein Bruder, der Kartäusermönch Angelo, immer wieder von den heroischen Gestalten und Ereignissen der römischen Geschichte berichtet und ihm häufig aus dem Geschichtswerk des Livius vorgelesen. Rom hatte dabei seine Phantasie so sehr entzündet, dass ihm seine Bauten und Gestalten nachts schon im Traum erschienen waren. Wiewohl es in seiner Heimatstadt nicht an Wundern der Architektur fehlte, war ihm die Größe und Faktur der römischen Bauten aber immer rätselhaft erschienen. Es verlangte ihm daher danach, sie mit eigenen Augen zu sehen und ihr Geheimnis zu entschlüsseln. Hierzu wollte er die bauliche Hinterlassenschaft der Alten zeichnerisch aufnehmen und sie dann  in einer Weise in Kupfer stechen, die ihrer „magnificenza“ gerecht würde. Im Übrigen beabsichtigte er, möglichst auch noch den Beweis zu führen, dass die Architektur der alten Römer und überhaupt ihre Kunst gegenüber der griechischen eigenständig, ja ihr sogar überlegen sei. Es war ihm also nur allzu willkommen, dass er sich der Gesandtschaft anschließen konnte, die seine Heimatstadt an dem Tiber schickte.

Als sich Piranesi der Stadt Rom näherte, stand vor ihm das Bild einer erhabenen und majestätischen Baukunst von nie übertroffener Festigkeit und Vollkommenheit. Alles, so schien es ihm, war hier so, wie es zu sein hatte, jeder Teil war dort, wo er hingehörte und notwendiger Ausdruck eines Ganzen, das, wiewohl nie mehr als die Summe seiner Teile, das Bild wahrer Größe aufscheinen ließ.

Die Wirklichkeit freilich hielt dieser Traumvorstellung nicht stand. Piranesi fand die Überreste der antiken Bauten meist weit weniger vollständig und wohlerhalten, als es die peniblen Zeichnungen Palladios suggerierten. Viele waren in Wehranlagen der ewig befeindeten römischen Stadtgeschlechter aus dem Mittelalter versteckt, waren in Kirchen eingebaut oder lagen unter Palästen aus neuerer Zeit. Soweit sie noch über ein Dach verfügten, dienten die alten Räumlichkeiten häufig Handwerkern und sonstigen Gewerbetreibenden als Arbeitsstätte oder Lagerraum. Eines Tages etwa geriet Piranesi mit dem französischen Ruinenmaler Hubert Robert, mit dem er sich, da man das Interesse an den alten Resten teilte, angefreundet hatte, in eine weiträumige, düstere Basilika wo Wäscherinnen unter kassettierten Tonnengewölben, welche von einer Vierungskuppel unterbrochen waren, für die hohen Herren der Stadt bei offenem Feuer und großer Rauch- und Dampfentwicklung riesige Laken in einem Zuber kochten, welche sie anschließend zwischen mächtigen Säulen zum Trocknen aufhängten. Was von den alten Bauten nicht auf diese Weise zweckentfremdet, was nicht gänzlich umgestaltet oder abgetragen war, lag versunken im Schutt der Jahrhunderte, aus dem nur hier und da verwitterte Reste ragten. Ein Römergeschlecht, das wenig gemein hatte mit dem Heldenvolk, das diese Bauten erstellt hatte, hauste dazwischen samt allerhand Getier in Unterkünften, die aus vorgefundenen Steinquadern und Ziegeln zusammengestückelt waren, zwischen denen hier und da Säulentrommeln oder behauene Sims- und Gebälkteile steckten. Auf dem Forum Romanum, auf dem einstmals Weltpolitik gemacht wurde, weidete man Vieh, weswegen es „campo vaccino“, Feld der Kühe, genannt wurde.

Piranesi nahm im Stadtgebiet so gut wie jedes antike Gemäuer auf, dessen er habhaft werden konnte, und bannte es – in begleitenden Texten streitlustig immer den Vorrang der Römer vor den Griechen betonend – mit dramatischen Licht- und Schatteneffekten detailreich auf die Kupferplatte. Nach Art seiner Profession arbeitete er dabei einerseits penibel mit Bandmaß, rechtem Winkel und Zirkel. Von den perspektivischen Bühnenzaubereien der Bibienas, die er schon in den Opernhäusern seiner Heimatstadt kennen gelernt hatte, und den Deckengemälden in den neueren römischen Kirchen, allen voran der ins Unendliche strebenden Himmelsarchitektur des Andrea Pozzo in St. Ignazio, hatte er aber auch gelernt, wie man durch eine freie Handhabung von Linien und Winkeln die „magnifizierende“ Wirkung der Abbildungen erhöhen konnte. Das Kolosseum etwa stellte er nicht nur so dar, dass es sich vor dem Betrachter wie ein gigantischer architektonischer Organismus aufbläht, neben dem der Titusbogen wie ein Schoßhündchen wirkt. Er dehnte die elliptische Form der Arena dabei dergestalt zur Hyperbel, dass ihre Arkaden ins Unendliche zu führen schienen.

Auch außerhalb der Stadt war Piranesi auf den Spuren der Alten. Er hielt sich vor allem immer wieder in Tivoli auf, das schon im Altertum, als es – noch weniger spielerisch – Tibur hieß, die Menschen angezogen hatte, welche sich fern des Getriebes der Weltstadt auf das wahre Leben zu besinnen versuchten. Dort radierte er mehrfach den grandios über den Wasserfällen des Anio thronenden Rundtempel der Sybille und – in gerader Linie suggestiv in die Tiefe des Bildraumes führend – die mächtigen übereinander stehenden Bogenreihen eines Heiligtums oberhalb der Schlucht des Anio, welches man für die Substrukturen der Villa des Mäzenas hielt, wobei er seiner Neigung, mit unendlicher Akribie auch die feinsten Schattierungen und Lichtbrechungen zerfallenden Mauerwerks festzuhalten, hier in besonderem Maße freien Lauf ließ. An der Via Tiburtina nahm er den Rundbau des Plautiergrabes mit seinen großen Ehrentafeln auf und steigerte die Größe des Todesmonumentes durch die Verwendung divergierender Maße ins Übermenschliche. Am Meisten zog ihn aber das Gelände des Landsitzes an, den der Kaiser Hadrian gegen Ende seines Lebens nach eigenen Entwürfen unweit von Tivoli bauen ließ.

Hadrian, unter dem Rom, davon war Piranesi überzeugt, den Höhepunkt seiner Macht, seiner Zivilisation und seiner Gestaltungskraft erreichte, Hadrian war sein Lieblingsheld, weswegen auf seinem Arbeitstisch immer ein Stück der bunt geäderten Marmorinkrustation der tiburtinischen Villa lag. Als Architekt, der nur wenige Bauaufträge bekam – es waren sogar bloß Umbauten -, war Piranesi schon davon fasziniert, dass der bärtige Philosoph im Staatsamt auf seinen jahrelangen Inspektionsreisen, bei denen er zu Fuß bis in die fernsten Winkel seines Riesenreiches vordrang, nicht von Soldatenkohorten, sondern von „Regimentern“ von Bauhandwerkern begleitet wurde, deren „Offiziere“ Architekten waren, und dass er dieselben überall, wo er Halt machte, prachtvolle Bauten errichten oder wiederherstellen ließ. In besonderem Maße war er davon beeindruckt, dass und vor allem auf welche Weise dieser milde Herrscher sein außerordentliches Leben schließlich in einem Bauwerk resümierte. Der weit über die hügelige Landschaft verstreute Villenkomplex hatte in verkleinerter Form alles, was für einen Römer zum gehobenen Leben gehörte – Theater, Odeon, Basilika, Arena, Stadion, Seen, Tempel, Wandelhallen und Thermen, einen Saal der Philosophen und je eine römische und eine griechische Bibliothek. Vor allem aber war die Villa voller Erinnerungen an Orte, Menschen und Gegenstände, die im Leben des Kaisers wichtig geworden waren. Man fand hier Nachbildungen von Bauwerken, die er auf seinen Reisen besucht hatte, etwa des berühmten Osiristempels von Canopus in Ägypten samt einer verkleinerten Kopie des dortigen Kanals, der malerisch von Statuen und Säulen umstanden war. Überall standen Abbilder von Göttern, die er verehrte, oder Personen, welche er liebte, allen voran des vergötterten und vergöttlichten schönen Jünglings Antinous, der auf einer seiner Reisen bei einem Bad im Nil ertrunken war. All das veredelten ausgesuchte Bauornamente und zahllose Kunstgegenstände nach dem Muster der Meister, die im Bereich seines Reiches einmal tätig gewesen waren, darunter wunderbar gearbeitete Kandelaber, feinste Mosaiken sowie herrliche Gemälde und Fresken. Im Laufe der Zeit war so ein Bauwerk entstanden, das so vielfältig und einheitlich wie das römische Reich und zugleich so reich und unsymmetrisch wie das Leben war. Piranesi schien, dass Hadrian mit diesem Bau ein Werk geschaffen hatte, das wie kein anderes die feste Schönheit der römischen Kunst und überhaupt den ganzen Glanz einer Welt spiegelte, die sich im Laufe ihrer Zeit in immer wieder ähnlicher Weise reproduziert hatte …..

Der vollständige Text findet sich auf der Seite "I.1) Piranesis Räume", eine Auflösung der Identität der Personen der Kulturgeschichte, welche im Text auftreten, auf der Seite Auflösung Piranesipersonal.