Es gibt kaum einen Komponisten, der so bekannt ist wie Rimski-Korsakow, von dem aber zugleich so wenig Musik bekannt ist. Der „Hummelflug“, das „Capriccio Espanol“ und nicht zuletzt die Orchestersuite „Scheherazade“ haben den russischen Meister in der ganzen Welt populär gemacht. Die Werke, die ihm vor allem wichtig waren, die zahlreichen Vokalkompositionen etwa, allen voran die Opern, die Symphonien und Tondichtungen und die Kammermusik werden jedoch hierzulande selten oder überhaupt nicht gespielt.
Wiewohl dem jungen Nicolai Andrejewitsch die Musik eine Herzenssache war, wurde er, der Familientradition entsprechend, Marinekadett. Bevor er auf große Fahrt ging, lernte er allerdings Mili Balakirew kennen, das Haupt der musikalischen „Selbsterfahrungsgruppe“, zu der unter anderem Mussorgksi und Borodin gehörten. Die Gruppe, die später unter dem Namen „Mächtiges Häuflein“ berühmt werden sollte, war auf der Suche nach einer spezifisch russischen Musiksprache, wobei man unbekümmert um akademische Konventionen mit allen möglichen Formen experimentierte. Die Beziehung zu diesen Enthusiasten, die wie Rimski-Korsakow weitgehend Autodidakten waren, sollte den Lebensweg Rimski-Korsakows in andere Bahnen lenken. Balakirew ermunterte den 17-jährigen, den Pläne für eine Symphonie zu verwirklichen, die er bereits skizziert hatte. Das Werk, an dem der Marinekadett sogar während seiner Weltumsegelung in den Jahren 1862 bis 1865 arbeite, wurde die erste russische Symphonie und der Grundstein für eine große Musikerkarriere. Rimski-Korsakow verblieb zwar zunächst noch im Marinedienst, wo er zuletzt Aufseher über die Militärkapellen war. Als man ihm allerdings im Jahre 1871 eine Professur für Komposition am Konservatorium in St. Petersburg anbot, nutzte er die Gelegenheit, um sich ganz der Musik zu verschreiben. Die Tätigkeit am Konservatorium, die er bis zum Jahre 1905 beibehielt, als man ihn wegen seiner Sympathie für die erste russische Revolution entließ, begann er höchst selbstkritisch damit, daß er in Abkehr von der Regelverachtung des Balakirew-Kreises zunächst noch einmal selbst die musikalische Schulbank drückte. Auf diese Weise ist Rimski-Korsakow zum ersten handwerklich voll ausgebildeten russischen Komponisten geworden, eine Tatsache, die man ihm allerdings später insbesondere wegen seiner Überarbeitungen der Werke Mussorgskis, die ihm nicht immer „regelgerecht“ erschienen, kritisch vorgehalten hat.
Der Orchestersuite „Scheherazade“, die im Jahre 1888 entstand, liegen Episoden aus „Tausendundeiner Nacht“ zugrunde. Bekanntlich erzählt darin die Sultans-Frau Scheherazade immer wieder märchenhafte Geschichten, um ihren absurd eifersüchtigen Gemahl davon abzuhalten, sie umzubringen. Der Sultan glaubte die Treue seiner Gattinnen nur dadurch sicherstellen zu können, daß er ihnen durch Tod unmittelbar nach der Hochzeitsnacht die Gelegenheit nahm, untreu zu werden.
Das einleitende Thema der Baßgruppe charakterisiert das grimme Wesen des Sultans, während die Solovioline für die anmutige Scheherazade steht. Beide Elemente ziehen sich als verbindende musikalische Elemente durch das ganze Werk. Thema des ersten Satzes ist Sindbads Schiff, das in einen Sturm gerät, den man gelegentlich im wahrsten Sinne des Wortes pfeifen hört. Gegenstand des zweiten Satzes ist die Erzählung des Prinzen Kalender, der eine Menge Abenteuer, darunter den Kampf mit dem Riesenvogel Ruch, erlebt hat, bevor er zum umherziehenden Derwisch ohne Behausung wurde. Der dritte Satz schildert eine wunderschöne Liebesszene zwischen einem jungen Prinzen und einer Prinzessin. Der letzte Satz beginnt mit Volkstreiben in Bagdad, man hört Themen aus den vorangegangenen Sätzen, bis das ganze schließlich wieder in den Seesturm umschlägt, durch den Sindbads Schiff auf einen Felsen geworfen wird und zerschellt. Am Ende tritt Ruhe ein, auch der Sultan ist besänftigt. Das Anfangsthema hat seine zornigen Charakter verloren und Scheherazade hat das letzte zarte Wort.
Rimski-Korsakow geht mit dieser Orchestersuite einen Mittelweg zwischen Programmmusik und Symphonie. Die Verarbeitung der Themen ist, wie der Komponist in seiner aufschlußreichen musikalischen Autobiographie betont, keineswegs nur deskriptiver Natur. Vielmehr werden die scheinbaren Leitmotive in symphonischer Manier umgesetzt, wobei sie in verändertem Kontext jeweils neue Bedeutung erlangen können. Mit den programmatischen Andeutungen, so schreibt Rimski-Korsakow, habe er die Phantasie des Hörers nur behutsam in eine Richtung lenken wollen. Die Ausmalung bestimmter Details solle aber jedem Hörer selbst überlassen werden.