Ende der 60-er Jahres des vergangenen Jahrhunderts konnte man erleben, dass in den Städten die geschmückten Fassaden der Häuser insbesondere aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine zeitlang hinter Planen verschwanden, unter denen es dann heftig rumorte. Von außen sah man nur das Schild einer Firma, die ihre Tätigkeit als Fassadensanierung beschrieb. Die Sache nahm aber eine andere Entwicklung als der Beobachter erwartete. Wenn nach einigen Monaten die Planen fielen, fand er, dass die profilierten Bänder, Simse und Einrahmungen, welche die alten Fassaden kennzeichneten, abgefräst, die Erker eingeebnet, Baluster und Statuen entfernt und nicht selten auch die Balkone mit ihren fein behauenen Stützen abgebrochen waren.
Man könnte meinen, dass die Ursachen solcher Fassadenrasuren ausschließlich ökonomischer Natur waren. Dem ist aber nicht so. Der architektonische Unsinn, der inzwischen eingestellt wurde, hatte vielmehr Methode. Dies zeigt die Tatsache, dass auch andere Gebäude davon betroffen waren. Beim Wiederaufbau von alten Häusern nach dem Krieg etwa ließ man in aller Regel ebenfalls die alten Ornamente weg und beließ es, wenn überhaupt, bei den Maßen und Proportionen der zerstörten Vorgänger. Und selbst wenn man sich – bei besonderen Gebäuden oder solchen, die vor der Mitte des 19. Jahrhundert entstanden waren – dazu durchrang, das ursprüngliche Bauwerk in der alten Form wieder aufzubauen, wagte man keine vollständige Rekonstruktion. Wenigstens an einigen markanten Stellen musste man zeigen, dass man eigentlich dagegen war. In ähnlicher Weise hielt man sich bei der Schließung von Baulücken in historischer Umgebung meist nur an die Maße und Proportionen der umgebenden Bebauung (beim Bau von Kreissparkassen allerdings nicht einmal daran). Die Folge waren jene merkwürdigen Kontrapunkte in den historischen Stadtbildern, von denen sich der Beobachter häufig heftig vor den Kopf gestoßen fühlte.
Diese Art des Umgangs mit der historischen Architektur hat etwas Pubertäres. Bauwerke, denen eine derartige Baugesinnung zugrunde liegt, suchen negative Aufmerksamkeit. Sie leben im wesentlichen vom provokanten Kontrast zur historischen Architektur. Solche Verhaltensweisen zeigen in der Regel an, dass jemand auf der Suche nach einer eigenen Statur ist. Dies wiederum ist typisch für Individuen, die dabei sind, erwachsen zu werden. Bei einem gesunden Individuum erwartet man, dass diese Suche nach einiger Zeit abgeschlossen ist. Zieht sie sich über die Jahre hin, spricht man von Entwicklungsstörungen.