Beethovens neun Symphonien sind als Ganzes ein kulturhistorischer Begriff wie Palladios Villen oder Raphaels Madonnen. Kaum etwas hat die Vorstellung von der klassischen Musik so geprägt wie diese Werkreihe. Gleichzeitig werden die Symphonien aber auch in besonderem Maße als Individuen wahrgenommen. Werke wie die „Fünfte“ oder die „Neunte“ haben eine so ausgeprägte musikalische Persönlichkeit, dass man sie nicht an Vorgängern misst. Dies gilt nicht so sehr für die zweite Symphonie. Von ihr wurde immer wieder gesagt, sie stehe „noch“ ganz in der Tradition von Haydn und Mozart. In diesem Zusammenhang ist dann auch gerne von Idylle und von klassischer Heiterkeit und Ausgewogenheit die Rede. Diese Auffassung trifft jedoch nur bedingt zu. Natürlich ist Beethoven in der „Zweiten“ den Vorbildern Haydn und Mozart verpflichtet. Dies gilt aber weitgehend auch für seine anderen Symphonien. Von seinen großen Vorgängern hat Beethoven mit wenigen Ausnahmen insbesondere den (viersätzigen) Gesamtaufbau mit seiner Kopflastigkeit und seinem Finalstreben, die Satzfolge, den inneren Aufbau der Sätze, die Motivarbeit und die Orchesterbesetzung übernommen. Im Rahmen dieser Form hat er aber auch schon in der zweiten Symphonie seine sehr persönliche Aussage mit seinen ganz speziellen Mitteln gemacht. Auch in der „Zweiten“ finden sich schon die spezifisch Beethoven´sche Dynamik mit ihren schnellen, oft abrupten Wechseln und harten Akzenten, die Bissigkeit des Humors (vor allem im letzten Satz) und die Neigung des Komponisten, das nicht zu tun, was der Hörer erwarten könnte (so besonders im dritten Satz). Auch die Idylle, die im zweiten Satz zunächst entwickelt wird, erweist sich als eine ziemlich brüchige Angelegenheit.
Wie sehr es Beethoven auch in dieser Symphonie darauf ankam, gegen den traditionellen Strich zu komponieren, lässt sich besonders gut aus den vollständig erhalten gebliebenen Skizzenbüchern ersehen. Sie zeigen, dass der Komponist von mehreren erwogenen Möglichkeiten immer wieder die verwirft, die am „wahrscheinlichsten“ ist oder schon von anderen gefunden wurde. So entscheidet er sich gegen eine Ableitung des Hauptthemas des ersten Satzes aus der langsamen Einleitung, gegen die übliche Reihenfolge der Wiederholungen im Scherzo und gegen eine „ordentliche“ Vorbereitung des Themas im letzten Satz (mit der Folge, dass der Satz gewissermaßen „ex abrupto“ beginnt und den Hörer geradezu anspringt).
Diese Abweichungen von der Tradition erscheinen uns heute vielleicht nicht sonderlich auffällig. Dies hat ohne Zweifel damit zu tun, dass uns die gewaltigen Schritte bekannt sind, die Beethoven auf seinem weiteren künstlerischen Weg noch gehen sollte. Die zeitgenössischen Hörer, denen dieser Blickwinkel fehlte, haben das Besondere dieser Symphonie denn auch viel deutlicher gesehen. Im Jahre 1804, ein Jahr nach der Uraufführung in Wien, hieß es in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“, es handele sich bei der zweiten Symphonie um ein „merkwürdiges kolossales Werk, von einer Tiefe, Kraft und Kunstgelehrsamkeit, wie sehr wenige“. Seine „höchst seltsam gruppierten Ideen“, müssten aber „immer und immer wieder gehört sein, ehe der Zuhörer, selbst der gebildete, im Stande ist, das Einzelne im Ganzen und das Ganze im Einzelnen überall verfolgen und mit der nötigen Ruhe in der Begeisterung zu geniessen.“ Noch acht Jahre später, als schon vier weitere Symphonien Beethovens erschienen waren, spricht die gleiche Zeitung davon, dass den letzten beiden Sätzen der Symphonie etwas Bizarres anhänge. „Man ist an Haydns und Mozarts Werke gewöhnt“ heißt es, „und darf sich nicht wundern, wenn diese seltenen Produkte Beethovens, die sich so sehr von dem Gewöhnlichen entfernen, im Allgemeinen nicht immer ihre Wirkung auf den Zuhörer hervorbringen.“ Solle man, so fragt der Kritiker allerdings auch, erwarten, „dass ein Komponist „nur an den hergebrachten Formen hange; nur immer dem Ohre schmeichele, nie uns erschüttere und über das Gewohnte, wenn auch etwas gewaltsam, erhebe?“