1772 Michael Haydn (1737 – 1806) – Requiem c – moll

Unter dem 10.8.1806 schrieb der Abt Dominikus vom Kloster St. Peter in Salzburg in sein Diarium: „Heute nachts um 10 Uhr starb der hiesige berühmte Concertmeister Michael Haiden, im 68. Jahre seines Alters, ein würdiger Bruder des esterhazischen Kapellmeisters Joseph Haiden. Er war 43 Jahre in hiesigen Diensten, sammelte sich besondere Verdienste für die Kirche, indem er im wahren Kirchenstil erstaunend viel komponierte. Er war weit und breit berühmt und mußte nach Spanien, nach Schweden, und besonders für die itzige Kaiserin Ämter und andere Sachen komponieren. Letztere frimte noch voriges Jahr bey ihm ein Requiem an, und es gieng ihm wie dem berühmten Mozart, er fing zu arbeiten an, vollendete aber nur den Introitum, der auch bei seinem Requiem aufgeführt wurde. … Das Requiem hielten die Hofmusikanten und 8 Tage danach führten eben diese für ihn in der Universitäts Kirche das große Requiem von Mozart auf. …“          

Mit diesen Bemerkungen über Michael Haydn und Mozart und ihre Totenmessen schlägt Abt Dominikus ein Thema an, welches interessante Einblicke in die manchmal erstaunlich kleine Welt der Wiener Klassik erlaubt. Das Schicksal des „Wieners“ Michael Haydn in Salzburg war von Anfang an eng mit dem des 19 Jahre jüngeren Mozart verknüpft. Schon sein Eintritt in die Dienste des Erzbischofs im Jahre 1763 hatte mit dem jungen Salzburger Genius zu tun. Haydn wurde eingestellt, um den Vizekapellmeister der Hofkapelle, Leopold Mozart, zu vertreten, der mit seinem frühbegabten Sohn Wolfgang oft monatelang auf Konzertreisen war.  

Ein erstes Zusammenwirken zwischen Michael Haydn und Mozart ist für das Jahr 1767 belegt, als Mozart 11 Jahre alt war. Zusammen mit dem Salzburger Organisten Adelgasser komponierten sie ein geistliches Singspiel mit dem Titel „Die Schuldigkeit des ersten Gebotes“. Ab 1769 waren Mozart und Haydn dann gemeinsam in der Salzburger Hofkapelle tätig, wo sie die Konzertmeisterstellen inne hatten. Die altersungleichen Kollegen nahmen regen Anteil am kompositorischen Werk des jeweils anderen. Für Haydn ist vor allem der Aufbau der Messen des jungen Mozart zum Vorbild für seine eigenen Messen geworden. Mozart wiederum verfolgte Haydns umfangreiches kirchenmusikalisches Schaffen besonders unter stilistischen Gesichtspunkten. Der Kirchenmusiker Haydn hielt gegen den Zeitgeist, der sich dem   opernhaft-galanten Stil zugewandt hatte, die Kompositionsweise aufrecht, welche Abt Dominikus als den „wahren Kirchenstil“ bezeichnete. Er orientierte sich an den Meistern der Barockzeit und betonte insbesondere das kontrapunktische Element der Musik. Vor allem in der c-moll Messe und im Requiem hat sich Mozart dieses Stiles bedient.

Auch nachdem sich Mozart in Wien selbständig gemacht hatte, waren die beiden Musiker noch miteinander in Kontakt. 1783 etwa sprang Mozart dem geschätzten Kollegen bei der Erfüllung eines Kompositionsauftrages zur Hilfe, den dieser krankheitshalber nicht erfüllen konnte. Um einen drohenden Gehaltsentzug zu verhindern, schrieb Mozart, der gerade zu Besuch in Salzburg weilte, unter Verzicht auf die Autorenehre in aller Eile zwei (bedeutende) Duos für Violine und Viola, die Michael Haydn unter seinem Namen abliefern durfte. Dies ist um so erstaunlicher, als es sich bei dem Auftraggeber dieser Werke um eben den Erzbischof handelte, dessen tyrannischem Regiment Mozart zwei Jahre zuvor nach erheblichen Turbulenzen in Richtung Wien entronnen war. Wie nahe sich Mozart und Michael Haydn musikalisch standen, zeigt auch die Tatsache, daß man eine Symphonie Haydns lange Zeit für ein Werk Mozarts hielt (KV 444). Am Rande vermerkt sei noch, daß Michael Haydn später der Lehrer Carl Maria von Weber werden sollte, der der Cousin von Mozarts Ehefrau Constanze war.

Besonders deutlich aber wird die gegenseitige Befruchtung von Mozart und Michael Haydn in ihren Totenmessen. Das Requiem, welches Abt Dominikus in seinem Nachruf für Michael Haydn erwähnt, ist dessen zweites Requiem in B-Dur. Dieses Werk weist, wie E.T.A. Hoffmann schon im Jahre 1812 darlegte, nicht nur im Schicksal von Autor und Komposition Parallelen zum Requiem von Mozart auf. Auch musikalisch sind die beiden Werke verwandt. Mozarts Totenmesse wiederum ist in Anlage und Duktus sowie in vielen Details offensichtlich vom Haydns früherem Requiem in c-moll beeinflußt, das 1772 anläßlich des Todes ihres gemeinsamen Arbeitgebers Erzbischof Sigismund von Salzburg entstand. Dieses Werk gilt als eine der bedeutendsten Kompositionen Michael Haydns. Seine formale Besonderheit ist das Salzburger Trio, das heißt, daß die Bratschenstimme fehlt und der Baß thematisch wenig hervortritt, die beiden Geigenstimmen aber äußerst lebhaft geführt werden. Inhaltlich fällt eine Leidenschaftlichkeit der Trauer auf, die für Michael Haydn, der als dem Leben zugewandt beschrieben wird, eher ungewöhlich ist. Die Ursache hierfür liegt möglicherweise darin, daß Haydn bei der Abfassung des Werkes wohl noch unter dem Eindruck des frühen Todes seines einzigen Kindes im Jahre 1771 stand. Der Umstand, daß Mozart fast 20 Jahre später auf dieses Werk zurückgriff, zeigt, welch’ tiefen Eindruck die Musik Michael Haydns bei ihm hinterlassen hatte.

Angesichts der Unvollständigkeit des zweiten Requiems wurden, was Abt Dominikus nicht berichtete, bei den Totenfeiern für Michael Haydn neben dem zweiten und neben Mozarts Requiem auch Teile aus Haydns ersten Requiem aufgeführt. Wenige Jahre später sollte sich diese Konstellation bei ähnlichem Anlaß wiederholen. Beim Tod Joseph Haydns im Jahre 1809 wurde bei der internen Trauerfeier ebenfalls Michael Haydns Requiem in c-moll und beim offiziellen Trauerakt das Requiem von Mozart gespielt.

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