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1906 Léo Weiner (1885 – 1960) – Serenade für kleines Orchester Op. 3

Ein schöpferischer Musiker, der um 1880 in Europa zur Welt kam, befand sich zu Beginn seiner Reifejahre in keiner einfachen Position. Aufgewachsen unter der Herrschaft des spätromantischen Musikidioms, wurde er, kaum dass er sich seiner Maßstäbe vergewissert hatte, mit den epochalen Veränderungen der musikästhetischen Vorstellungen am Anfang des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Ob durch Aktivität oder Passivität musste er dazu unvermeidlich Stellung nehmen. Der Sog dieses Paradigmenwechsels war so stark, dass es schwierig war, sich den Schubladen zu entziehen, in die man hineingezogen werden konnte. Wer nicht zu denen zählte, die angeblich die neue Zeit ausdrückten und denen die Zukunft gehören sollte, lief Gefahr, in Vergessenheit zu geraten, weil er einer vergangenen Zeit zugerechnet wurde.

Dieses Dilemma zeigt sich exemplarisch bei den vier großen ungarischen Musikern Ernst von Dohnány, Béla Bartók, Zoltán Kodály und Leó Weiner, die alle zwischen 1877 und 1885 geboren wurden. Sie kamen aus der selben Schule, studierten fast gleichzeitig am Budapester Konservatorium und hatten den gleichen Kompositionslehrer (Koessler). Sie waren auch persönlich miteinander bekannt und beeinflussten sich gegenseitig (Dohnány und Bartók stammten sogar aus dem gleichen Ort – Pressburg – und gingen in die gleiche Schule). Ihre ersten Kompositionen standen unter dem Einfluss der deutschen Romantik, wobei sich Dohnány an Brahms, Bartók an Richard Strauss und Weiner an Mendelssohn und Schumann orientierte. Kurz nach der Jahrhundertwende gingen ihre Wege aber auseinander. Bartók und Kodály traten – merkwürdigerweise auf dem retrospektiven „Umweg“ über die Volksmusik – den Weg in die Zukunft an. Sie sollten weltberühmt werden und gelten heute als die Repräsentanten der neueren ungarischen Musik. Dohnány und Weiner hingegen hatten anfangs zwar große Erfolge – bevor sich der Paradigmenwechsel durchgesetzt hatte, gab man ihnen sogar den ehrenvollen Beinahmen eines „ungarischen Brahms“ bzw. eines „ungarischen Mendelssohns“. Da sie dem einmal angenommenen Idiom aber treu blieben, gerieten sie als Komponisten zusehends ins Hintertreffen und sind heute trotz großer Produktivität weitgehend vergessen. Weiner hat es nicht einmal in die gängigen Musikführer geschafft. Dohnány machte sich in der Folge einen Ruf als Pianist und Dirigent und wurde zu einer zentralen Figur im ungarischen Musikleben der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in welcher Rolle er nicht zuletzt dafür sorgte, dass Bartók und Kodály gespielt wurden. Weiner wurde zu einer Institution als Professor an der gemeinsamen besuchten Musikhochschule in Budapest, wo er über Jahrzehnte Generationen von Musikern heranzog. Zu seinen Schülern gehörten etwa Géza Anda und Georg Solti.

Von Weiners Musik sagt man, sie sei transparent, unaggressiv, verzichte auf unnötige Komplikationen und benutze überlieferte Formschemata, was sich ein wenig wie die Spiegelverkehrung der Beschreibung mancher Musik von Bartók anhört. Er verwendet gerne ungarische Elemente, allerdings in der Art der ungarischen Romantik etwa eines Franz Liszt. Ein schönes Beispiel hierfür ist die heitere Serenade für kleines Orchester, die Weiner mit einem erstaunlichem Geschick im Umgang mit der hochentwickelten spätromatischen Harmonik im Jahre 1906 im Alter von 21 Jahren schrieb, zu einen Zeitpunkt als Bartók Musik dieser Faktur gerade den Rücken kehrte.

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1903 Ernst v. Dohnányi (1877- 1960) – Serenade für Streichtrio Op. 10

Als Ausgangspunkt für die Wiederbelebung des Streichtrios zu Anfang des 20. Jh. werden meist die drei Trios von Max Reger aus dem Jahre 1904 angesehen. Bereits ein Jahr zuvor hatte aber der vier Jahre ältere Ernst v. Dohnányi ein außerordentlich beachtliches Streichtrio geschrieben. Das Werk stellt einen Wendepunkt in der Entwicklung des Komponisten dar. Der frühreife Ungar – er schrieb bis zu seinem 17. Lebensjahr über 70 Werke – hatte sich bis dato weitgehend an Brahms und seinen Vorläufern orientiert, was ihm den Ruf eines ungarischen Brahms (und des besten Kammermusikkomponisten nach demselben) einbrachte – Brahms sagte über ein Klavierquartett des 18-jährigen, besser habe er es auch nicht machen können. In der Serenade Op. 10 findet Dohnányi erstmals zu seinem eigenen Stil. Dazu gehört, dass er alte Musikformen aufnimmt (hier die Serenadentradition des 18. Jahrhunderts) und sie in einer freien, nicht selten nobel-ironisch eingefärbten Weise mit modernem Material füllt. Typisch für ihn ist etwa ein chromatisches Vagabundieren, bei dem aber das jeweilige tonale Zentrum immer erkennbar bleibt.

 

In einer Rezension aus dem Jahre 1905 wurde die Serenade als ultramodern eingestuft. Später litt Dohnányis Ruf aber darunter, dass er sich – anders als Bartók und Kodály – weigerte, die rasante ästhetische Entwicklung des 20. Jahrhunderts mitzumachen (was aber nichts daran änderte, dass er seine vorwärtsstrebenden Landsmänner in seiner Eigenschaft als zentrale Figur des ungarischen Musiklebens kräftig förderte). Diese Weigerung führte zu der Behauptung, er habe keinen eigenen Stil. Ein übriges zur Verdunklung seines Rufes taten nach dem zweiten Weltkrieg dann Gerüchte, er sei ein Kollaborateur der Nationalsozialisten gewesen. Dohnányi, der im übrigen auch einer der ganz großen Klaviervirtuosen seiner Zeit war, sah sich schließlich gezwungen, über Argentinien in die USA auszuwandern, wo er als Komponist weitgehend in Vergessenheit geriet. Kurz vor seinem Tode begann aber ein Prozess der Rehabilitierung. Dieser hat sich nicht zuletzt auf dem Hintergrund der Relativierung der Avantgarde, die der Zeitablauf mit sich brachte, bis heute fortsetzt und hat die Sicht auf das umfangreiche Oevre des Ungarn wieder freigelegt.