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Ein- und Ausfälle (China 9)

Bei der Beschäftigung mit den geistigen Modellvorstellungen Chinas wird einem so richtig deutlich, in welchen Maße das geistige Leben Europas noch immer daraus besteht, das wieder in den Griff zu bekommen, was durch spekulative Grundannahmen zuvor verkompliziert wurde. Anders als die Chinesen arbeiten wir, bevor wir zu Fragen der praktischen Lebensgestaltung kommen, aufwändig erst einmal die Folgen der geistigen Postulate ab, mit denen wir das Leben überzogen haben. Dazu gehören die diversen Varianten der Vorstellung von einem Jenseits (darunter das Konzept eines ewigen Gottes einschließlich seines Stellvertreters auf Erden, der Unsterblichkeit der Seele, eines jüngsten Straf- und Belohnungsgerichtes und die Reste eines Gottesgnadentums der weltlichen Herrscher), die Frage nach dem Sinns des Lebens, nach der Erforschbarkeit und Beeinflussbarkeit des Schicksals und eines vermeintlichen Gegensatzes von Geist und Materie mit seinen Varianten Geist und Körper und Geist und Leben. Freilich haben die solchermaßen selbst aufgebauten Hürden auch Kulturleistungen herausgefordert, die nicht weniger „ungeheuerlich“ sind als die geistigen Grundannahmen, die sie bewirkten. Ohne die Vorstellung von einem Jenseits und seinen Varianten wären nicht nur die grandiosen europäischen Kirchen nicht gebaut worden, sondern wären auch viele der geistigen Leistungen unterblieben, die metaphysische Vorstellungen illustriert (Musik, Literatur, Malerei) oder sich mit ihren Konsequenzen auseinandergesetzt haben (Philosophie). Nicht zuletzt gehören dazu auch die komplizierten Versuche, die Abhängigkeit von diesen Vorstellungen zu lockern (Sekularisierung) oder sich ganz davon zu lösen.

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