Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies – Tagebuch einer Rucksackfamilienreise durch Malaysia im Jahre 1985 Teil 2

Der vollständige Text befindet sich auf der Seite IX Reisetagebuch Malaysia 1985 

21.3. 19 85

Provianteinkauf – es soll kein Obst auf Tioman geben – Bankgeschäfte etc. Dann geht es zum Hafen, wo großer Betrieb herrscht. Viele Holzboote liegen am Pier, aber auch ein „größeres“ Schiff, das vergleichsweise modern anmutet. Wir folgen den Travellers, die darin verschwinden. Die Überraschung liegt dahinter – eine kleine Holzschaluppe für uns, gerade groß genug, um zehn bis fünfzehn Leute aufzunehmen, die dazu noch auf dem Boden sitzen müssen. Tioman hat offenbar zwei Gesichter: Das größere Schiff fährt zum Luxushotel Merlin, die Travellers zu einen nicht näher benannten Strand mit dem Seelenverkäufer, der weit mehr als die doppelte Zeit braucht.

Die Fahrt geht durch den langen Flusshafen, dann vorbei an zahlreichen Inselchen vor der Küste, die mit Palmen bestanden und von kleinen weißen Strandbuchten umsäumt sind. Einsiedler- oder Paradiesträume kann man aber kaum pflegen. Die Inseln sind wohl zu klein, um Trinkwasser zu haben. Dann das offene Meer. Weit und breit ist kein Reiseziel zu erkennen. Erst nach längerer Zeit tauchen in der Ferne spitze, jähe Felsen auf – Tioman. Doch der Weg dahin ist erst noch durchzustehen. Die kleine Schaluppe schaukelt hilflos in den wachsenden Wellen. Brecher gehen über die Bordwand, bald auch mancher Mageninhalt. Auch mich hat es erwischt. Wellen und die Abgase des Schiffsmotors, die ohne Auspuff seitlich aus dem Schiff geführt werden, sind schließlich zuviel. Dann döst man stundenlang, auf verquere Weise zwischen allerhand Beinen und Gepäck auf dem Boden hingestreckt. Wann sind wir endlich in Tioman?

Die Kinder turnen indessen unbeeindruckt auf dem wackeligen Boot herum. Eigentlich sollte man besser auf sie aufpassen. Aber bei einigen Wellen hat man genug damit zu tun, sich selbst festzuhalten. Die Kinder unterhalten derweil einige weniger von der Seekrankheit befallene Mitreisende. Im Windschatten von Tioman beruhigt sich das Meer schließlich und gibt es etwas Erleichterung.

Das Boot tuckert noch eine ganze Weile an der Insel entlang. Vor uns breitet sich ein prächtiges Panorama aus: Strände mit Kokuspalmen, dahinter steil aufsteigend Berge mit dichtem Urwald, eine tiefgrüne Wand, aus der die weißen Stämme der Baumriesen herausblinken; über allem anfangs noch steile Felsen – hunderte von Metern hoch.

Nach über viereinhalb Stunden endlich Ankunft. Das Boot fährt in eine Bucht. Es gibt keinen Landesteg, man läuft direkt auf den Strand auf. Wir klettern über die Bordwand und waten mit erhobenem Gepäck durch das Wasser zum Ufer. Dort liegen bereits einige Travellers und pflegen der Muße auf dem Strand; es ist sehr einladend hier.

Kein Problem ist es, Unterkunft zu finden. Nazir, der Herr dieses Strandes mit offensichtlich gutem Draht zum Bootskapitän, erwartet uns bereits und bietet kleine A-förmige Hütten mit Palmdach unter Palmen an. Sie bestehen aus einem Raum, haben weder Wasser noch Möbel und natürlich keinen Strom. Wir nehmen zwei Hütten, keine zwanzig Meter vom Strand zum Preis von je 5 DM pro Nacht. Der Blick aus der „Tür“ geht auf das Meer und auf die weiter draußen liegenden Inseln.

Während die Kinder baden, gibt es reichlich Gelegenheit, sich von der strapaziösen Schiffsreise auszuruhen. Es herrscht totale Ruhe. Auf der Insel gibt es keine Autos. Die Bucht ist etwa einen Kilometer breit und nur wenige hundert Meter tief. An ihren beiden Enden türmen sich schwarze Felsquader und riegeln sie von den Nachbarbuchten ab. Kein Bedarf also für Fahrzeuge, man geht zu Fuß. Ein paar dutzend Malayen, die hauptsächlich von der Bewirtung der Travellers leben, wohnen hier in ihren Kampongs. Treffpunkt der Travelers ist Nazir’s Restaurant, das eine kleine Palette einfacher Mahlzeiten und – allerdings nur bis gegen Mittag – kühle Getränke bietet. Unser Strand wird nach dem touristischen Allroundunternehmer, der ihn beherrscht,  Nazir’s Beach genannt.

Gegen Abend gehen wir mit einigen jungen Deutschen in die Hauptbucht, wo sich Tekek befindet, mit wenigen hundert Einwohnern der Hauptort der Insel. Der Weg dauert etwa vierzig Minuten. Hier fahren gelegentlich Mopeds auf den schmalen Wegen. In einem bunt beleuchteten Restaurant verspeisen wir einen ebenso so bunten, weil mit allerlei Früchten dekorierten Fisch von beachtlicher Größe.

Der Heimweg wird zu einer nächtlichen Expedition. Es ist vollkommen düster. Der schmale Weg, der nur mit Mühe zu erkennen ist, führt über einige ziemlich schiefe, teilweise schon halb eingesunkene Brücken. Um die Dinge nicht allzu sehr zu erleichtern, fehlen immer wieder mal ein paar Bohlen. Wir behelfen uns zur Vermeidung eines ungewollten nächtlichen Bades in den sicherlich erfrischenden Dschungelbächen mit einer dürftigen Taschenlampe, die einer unser deutschen Begleiter mit sich führt, ansonsten mit Streichhölzern. Gelegentlich hilft der Schein einer Glühbirne von einem malayischen Haus. In der totalen Finsternis blendet allerdings selbst eine schwache Birne, sodass wir in unmittelbarer Nähe der Häuser überhaupt nichts mehr sehen. Die Birne wird, wie wir kurz darauf feststellen, von einem kleinen „Kraftwerk“ gespeist, das von einem Dieselmotor betrieben wird. Es arbeitet nur abends, was der Grund dafür ist, dass es auf der Insel kalte Getränke nur spät abends und morgens gibt.

Dann muss auch noch der Felsvorsprung, der „unsere“ Bucht abtrennt, überwunden werden. Im Dunkeln scheint er geradezu alpine Qualitäten aufzuweisen. Hände, Füße und Hosenboden sind gefragt.

Vielleicht war es die aufregende Rückwanderung im Dunkeln – die Kinder jedenfalls fühlen sich in der lichtlosen Strandhütte nun doch nicht recht heimisch. So nutzen wir die Möglichkeit, die uns Nazir bietet, in das „moderne“ Haus hinter dem Strand überzuwechseln, wo es, wenn das Kraftwerk in Betrieb ist, Strom und sogar einen Ventilator, dazu einen eigenen Waschraum gibt. Es ist das neueste und modernste Gebäude weit und breit. Nazir baut offenbar immer wieder mal ein Stück an, sodass ein Gebäude ähnlich den altmalayischen Langhäusern entsteht. Der Teil, den wir bewohnen, ist gerade erst fertig geworden und gibt mit seinen sauberen „Polstermöbeln“ den Kindern ein wenig das Gefühl, in geordneten Verhältnissen zu leben. Nazir setzt offensichtlich auf Wachstum. Man kann nur hoffen, dass seine unternehmerischen Ambitionen vom malayischen Phlegma begrenzt werden.

Der Ausklang des Tages findet, während die Kinder schon schlafen, am stockdunklen Strand statt. Die brechenden Wellen erzeugen weiße Bänder, die rasend schnell den Strand entlanglaufen. Dann geht es ins Bett. Der Schlaf wird gegen 1 Uhr unterbrochen, als die Temperatur in unserer modernen Behausung schlagartig ansteigt. Der Ventilator hat seine Tätigkeit einstellt, weil das Kraftwerk der Bucht abgestellt worden ist.

Der vollständige Text befindet sich auf der Seite IX Reisetagebuch Malaysia 1985 

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